Sternentänzer, Band 2 - Das geheimnisvolle Mädchen
Von Lisa Capelli
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Rezensionen für Sternentänzer, Band 2 - Das geheimnisvolle Mädchen
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Buchvorschau
Sternentänzer, Band 2 - Das geheimnisvolle Mädchen - Lisa Capelli
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Das geheimnisvolle Mädchen
In einer stürmischen Vollmondnacht schlägt ein Blitz in eine jahrhundertealte Eiche ein, und eine Sternschnuppe fällt vom Himmel. Im gleichen Moment wird ein wunderschöner Schimmel mit einem kleinen schwarzen Stern auf der Stirn geboren.
Die Neue
Ungeduldig lief Carolin noch einmal zu ihrer Mutter in die Küche zurück. „Ich komm doch zu spät zur Schule, Mam!"
„So viel Zeit wird noch sein", sagte Ines mit einer Ruhe, als ob sie alle Zeit der Welt hätte. Dabei war Carolins Mutter ebenfalls aufbruchsbereit. Sie trug schon ihr dunkles Kostüm für die Arbeit und hellrosa Lidschatten auf den Augen.
„Was ist denn noch?", ächzte Carolin. Sie fuhr sich mit beiden Händen durch ihr kurzes kastanienbraunes Haar. Eine doofe Angewohnheit, wenn sie nervös war. Aber es half auch, um den Klecks Gel, den sie im Bad noch schnell draufgeklatscht hatte, möglichst gleichmäßig zu verteilen.
„Ich will nur deinen Mund sauber machen, da hängt noch das halbe Schokocroissant dran."
Carolin stöhnte. Jetzt kam sie bestimmt zu spät. Und das am ersten Schultag nach den Ferien. Der erste Schultag war immer etwas Besonderes. Alles war neu. Die Lehrer, die Hefte, der Stundenplan, die Bleistifte und die Nummer an der Klassenzimmertür. Am ersten Schultag wurden die Karten neu gemischt.
„So." Ines wischte ihr mit einem Geschirrtuchzipfel den Mund sauber.
„Tschüüüss!" Carolin wollte endlich losflitzen.
„Momentchen noch!" Ihre Mutter bekam sie gerade noch am T-Shirt zu fassen.
Carolin verdrehte die Augen. „Mam, du nervst! Was gibt’s denn jetzt noch?"
„Ich glaube, du hast was vergessen", behauptete Ines in aller Ruhe und blinzelte.
Carolin war viel zu aufgeregt, um das geheimnisvolle Glitzern in Ines’ Blick zu sehen. Sie drehte die Augen zum Himmel. „Rucksack, Pausenbrot, Füller, Bücher, meine Haare sind gekämmt, meine Jeans riecht nicht nach Pferd, und ich hab kein Stroh in den Haaren. Mama, ich hab echt alles!"
„Hast du nicht! Ines hielt ihr eine kleine rosa Schmuckschachtel mit einem Glitzerstein hin. Sie war etwa so groß wie eine Streichholzschachtel. „Hier!
„Was ist das?", wunderte sich Carolin.
„Guck doch rein!"
Carolin riss hektisch die Schachtel auf und zog ein kleines, herzförmiges Medaillon an einer Silberkette heraus.
„Mach es auf!", befahl Ines mit erwartungsvollem Lächeln.
Vorsichtig öffnete Carolin den silbernen Verschluss des Medaillons. In dem kunstvoll gravierten Schmuckstück war ein kleines, ovales Foto von einem Pferd. Von einem wunderschönen weißen Araber mit einem kleinen schwarzen Stern auf der Stirn. „Das ist ja Sternentänzer!, hauchte Carolin. „Toll, Mam, das ist…
Sie fiel ihrer Mutter um den Hals. „Danke! Danke!"
„Gefällt’s dir?"
„Und ob! Aber wann hast du das Foto gemacht?", wunderte sich Carolin.
„Das ist mein Geheimnis. So kannst du jetzt dein Lieblingspferd immer mit dir rumtragen, lächelte Ines. „Und sogar mit in die Schule nehmen!
Carolin fingerte an dem Verschluss der Kette herum und hängte sie sich gleich um den Hals. „Danke, Mam. Du bist echt die Beste!"
Ines lächelte. „Los, ab jetzt, sonst kommst du wirklich noch zu spät in die Schule!"
Carolin hatte sich immer schon ein eigenes Pferd gewünscht. Und seit letztem Winter gehörte ihr das schönste und schnellste von allen. Es hieß Sternentänzer, und sie hatte es aus den Fängen eines finsteren Vorbesitzers befreien müssen. Aber Sternentänzer war nicht nur schön und stark, sondern hatte auch eine ganz besondere Gabe: In Vollmondnächten konnte er seinen Reiter in die Zukunft blicken lassen. Wenn Carolin auf Sternentänzers Rücken saß, war sie ein anderer Mensch. Dann hatte sie das Gefühl, sie könnte alles vollbringen.
Natürlich kam sie zu spät zur Schule, denn wie immer, wenn es schnell gehen musste, schloss sich genau vor ihrer Nase die Bahnschranke hinter der Kleingartenanlage. Die Schranke teilte Lilienthal, den Ort, in dem Carolin mit ihrer Mutter lebte, in zwei Teile.
Ihre Klassenlehrerin, Frau Habermehl, war schon da. Als Carolin ins Klassenzimmer schlüpfte, rückte sie gerade ihre Zweistärkenbrille zurecht, verschränkte die Arme und wartete, bis alle still waren. Neben ihr stand ein Mädchen, das noch nie jemand hier gesehen hatte.
„Guten Morgen, alle zusammen, sagte Frau Habermehl mit energischer Stimme. „Setzt euch bitte!
Die pummelige Tina nutzte die allgemeine Unruhe und schob noch schnell zwei Tische zusammen, sodass sie zu dritt nebeneinander sitzen konnten. Frau Meitenbeet hatte das im letzten Jahr erlaubt. Sie waren einunddreißig in der Klasse, und so musste keiner allein sitzen. „Können wir zu dritt?", stammelte Tina hastig, eigentlich nur der Form halber.
Frau Habermehl sah sie an, sagte aber nichts. Dann nahm sie die Liste und rief nacheinander alle Namen auf. „Jetzt könnt ihr mal so bleiben, bestimmte sie. „Aber nach der Pause bekommt ihr eure festen Plätze
, fügte sie dann so energisch hinzu, dass ihr Doppelkinn wackelte wie eine Portion Götterspeise. Sie deutete auf das Mädchen an ihrer Seite. „Wir begrüßen heute eine neue Mitschülerin: Lina Schniggenfittich. Frau Habermehl sprach immer in der Wir-Form, wohl weil sie klein und ausgesprochen rundlich und irgendwie mehr als eine einzige Person war. „Und nun fangen wir mit dem Unterricht an.
Die Stunde verging im Nu. Als es klingelte, rannten alle aus dem Klassenzimmer. Aufgeregt tuschelten sie über die neuen Plätze. Jeder hoffte, dass er neben der besten Freundin sitzen bleiben konnte.
Nach der Pause mussten alle vorne im Klassenzimmer stehen bleiben.
Die Tische, die Tina zusammengeschoben hatte, standen wieder auf ihren Plätzen. Frau Habermehl hielt ein Papier in der Hand, auf dem alle Namen aufgeschrieben waren. Tina hockte neben Heike, Carolin neben Luisa … Am Ende waren alle Namen aufgerufen bis auf zwei.
„Und dann haben wir da noch Julia und Lina."
Alle schauten erst Julia an, dann Lina. Oder besser, sie starrten Lina an wie einen Affen im Zoo. Und alle fanden es schlimm für Julia, denn Lina war irgendwie anders. Es waren ihre Haare, die lang und dunkelrot in ungezähmten Locken über ihre Schultern fielen und wirkten, als sei der Wind durchgefahren. Ihre leuchtend grünen Augen, die etwas Wildes hatten und aussahen, als könnten sie durch einen hindurchblicken. Und es war ihre Kleidung: Sie trug zwei oder vielleicht auch drei lange, weite, geblümte Röcke übereinander, dicke Schnürstiefel und eine Bluse mit vielen langen Schnüren. Carolin schaute dieses fremde Mädchen an wie alle anderen. Und vom ersten Moment an wusste sie, dass Lina ihr etwas bedeuten würde. Dass es ihr nicht gleichgültig sein würde, was mit diesem Mädchen passierte.
Julia fand es schauderhaft. Das Entsetzen stand ihr ins Gesicht geschrieben. Mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen starrte sie Frau Habermehl an. „Oh no, Frau Habermehl, bitte, das können Sie doch nicht machen. Das geht gar nicht! Ich will das nicht! Ich will nicht neben der sitzen!"
Frau Habermehl blieb unerbittlich. „Was geht und wo du sitzt, entscheide immer noch ich. Also setz dich bitte neben Lina, damit wir mit dem Unterricht beginnen können."
„So ein Mist!", zischte Julia und knallte wütend ihre Bücher auf den Tisch.
Etwas verschreckt ließ sich die Neue neben ihr nieder.
Julia musterte sie von der Seite „Schniggenfittich, stieß sie dann verächtlich zwischen den Zähnen hervor. „Wie kann man nur so heißen!?
Dann grinste sie fies. „Wahrscheinlich dann, wenn man seine Klamotten aus der Altkleidersammlung zieht."
Carolin, die zwei Bänke entfernt saß, fuhr herum und blitzte sie an. In diesem Moment fand sie Julia einfach nur blöd. Strohdoof und zimperlich. „Du kennst Lina doch gar nicht. Du hast ihr ja noch nicht mal eine Chance gegeben. Du bist eine verwöhnte Pute, weiter nichts, genau das bist du! Und außerdem: Schlupf ist auch nicht gerade der obercoolste Name!" Julia hieß nämlich Schlupf mit Nachnamen. Ihrem Vater gehörte eine Strumpffabrik, und ihre Familie schwamm im Geld.
Frau Habermehl griff ein. „Ruhe da hinten!"
„Selber Pute", äffte Julia Carolin nach und schlug ihr Buch auf.
Überraschung auf Lindenhain
„Na, Schatz, was gibt’s Neues in der Schule?", wollte Ines beim Mittagessen wissen. Sie arbeitete im Moment meist nur halbtags bei einem Rechtsanwalt und war mittags schon wieder da. Das Kostüm hatte sie schon ausgezogen, aber der rosa Lidschatten lag noch über ihren Augen.
Das Mittagessen bestand aus einer großen Portion Spaghetti und einem gemischten Salat ohne Gurken. Carolin hasste nämlich Gurken. „Nichts", antwortete sie mit vollem Mund. Sie wollte essen und nicht über die Schule sprechen. Außerdem war es ein strahlend schöner Tag, und Carolin wollte so schnell wie möglich nach Lindenhain zu Sternentänzer.
Ines aber war offenbar unbedingt nach Reden. Wenn sie nur halbtags arbeitete und viel Zeit zu Hause verbrachte, fühlte sie sich manchmal einsam und brauchte Ansprache. Am Anfang hatte es Carolin gehasst, dass ihre Mutter wieder arbeiten wollte. Damals noch den ganzen Tag. Jetzt wurde sie oft nur noch halbtags gebraucht und das auch nicht immer. Inzwischen war es Carolin viel lieber, wenn Ines den ganzen Tag arbeitete und gut gelaunt am Abend zurückkam. An ihren Nicht-Arbeitstagen hing sie nur herum, machte ein trauriges Gesicht und nervte mit unendlich vielen Fragen. Wie heute.
„Carolin, ich bitte dich! Irgendetwas muss es doch gegeben haben", beharrte sie. Carolin wusste, dass Ines nicht eher locker lassen würde, bis sie etwas erfahren hatte. Und das, obwohl sie wusste, dass Carolin an einem so herrlichen Tag unbedingt in den Reitstall wollte.
„Lina", sagte sie also und schaufelte sich ihre Gabel voll mit Nudeln.
„Und wer ist Lina?", fragte Ines ganz erfreut über ihren Befragungserfolg.
„Eine Neue." Carolin stopfte die Nudeln in den Mund.
„Ja und? Erzähl, wie ist sie denn so?"
„Weiß nicht, ich kenn sie ja noch nicht."
„Du musst doch wissen, ob sie sympathisch ist, langweilig, nett …?"
Carolin zuckte mit den Schultern. Inzwischen war sie beim Salat ohne Gurken angelangt. „Sie ist irgendwie komisch."
„Wie komisch?"
Na klar, das musste ja kommen! „Sie sieht ein bisschen komisch aus und hat komische Sachen an", erklärte Carolin.
„Carolin. Ines sah sie streng an. „Du weißt doch ganz genau, dass man Menschen nie nach ihrem Äußeren beurteilen sollte!
„Ja, ja, tu ich ja nicht, Mam, sagte Carolin, die überhaupt keine Lust mehr auf das Verhör hatte. „Und jetzt muss ich gehen. Sternentänzer wartet auf mich!
Ines seufzte und begann, den Tisch abzuräumen. „Aber bitte sei pünktlich zum Abendessen wieder zurück!", rief sie ihr noch nach.
„Ja, ja." Bloß gut, dass sie morgen wieder den ganzen Tag arbeitet, dachte Carolin. Sie rannte hoch in ihr Zimmer und kramte eine alte Jeans aus der hintersten Ecke ihres Schrankes hervor. Ines mochte es nicht, wenn die Sachen, die sie auch in der Schule trug, vom Pferdeschweiß fleckig wurden. Unten zog sie dann demonstrativ schon mal ihre Reitstiefel an. Aber sie war nicht schnell genug.
„Ach, Carolin!" Ines schaute aus der Küche.
Nein, was denn noch? „Ja, Mam?"
„Wir haben keine Eier mehr. Bringst du auf dem Rückweg bitte welche mit? Ich wollte nämlich am Abend mal wieder ein neues Rezept ausprobieren. Aber das funktioniert nur mit Eiern!"
Carolin seufzte. „Na gut!"
„Hier! Ines hielt ihr einen Fünf-Euro-Schein hin. „Müsste reichen, und ein Eis ist da bestimmt auch noch drin!
„Danke, Mam!" Im Rausgehen stopfte Carolin den Geldschein in die Tasche. Dabei kam ihr ein zerknüllter Zettel in die Hand. Sie lehnte sich an ihr Bike und faltete ihn auf.
In einer stürmischen Vollmondnacht schlägt ein Blitz in eine jahrhundertealte Eiche ein, und eine Sternschnuppe fällt vom Himmel.