Sternentänzer, Band 10 - Hoffen und Bangen in Lilienthal
Von Lisa Capelli
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Buchvorschau
Sternentänzer, Band 10 - Hoffen und Bangen in Lilienthal - Lisa Capelli
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Hoffen und Bangen in Lilienthal
In einer stürmischen Vollmondnacht schlägt ein Blitz in eine jahrhundertealte Eiche ein und eine Sternschnuppe fällt vom Himmel. Im gleichen Moment wird ein wunderschöner Schimmel mit einem kleinen schwarzen Stern auf der Stirn geboren.
Es kommt Besuch
Carolin Baumgarten, genannt Caro, hockte auf ihrem Lieblingsplatz – dem Holzgatter, das die große Pferdekoppel des Reiterhofs Lindenhain umzäunte. Sie hatte beide Augen geschlossen und genoss die wärmenden Sonnenstrahlen auf ihrer Haut. Gab es etwas Schöneres, als sich nach einem langen Winter die Sonne auf die Nase scheinen zu lassen? Den Frühling zu riechen und dabei das zufriedene Geschnaube von Pferden zu hören?
Plötzlich spürte Carolin etwas Feuchtes an ihrer Hand. „Ihhhhh, kicherte sie und zog ihre Hand weg. Sie öffnete die Augen und blickte geradewegs in die dunklen, feucht glänzenden Kohleaugen eines wunderschönen weißen Araberhengstes mit mondheller Mähne. Sie wischte die Hand an ihrer Kapuzenjacke ab. „Du kannst ja gerne an meiner Hand schnuppern, mein Süßer. Aber mit deiner nassen Zunge drüberzuschlecken geht zu weit!
Der Hengst warf seinen eleganten Hals in die Höhe, gerade so, als wolle er sagen: „Hey, ich will dir doch nur zeigen, wie lieb ich dich hab!"
Carolin beugte sich vor und liebkoste seine samtweichen Nüstern. „Ach Sternentänzer, du bist das Liebste und Schönste und Tollste auf der ganzen Welt! Und du gehörst mir!"
Da stupste sie auf einmal jemand mit der Hand so kräftig in den Rücken, dass sie beinahe kopfüber auf die Weide gepurzelt wäre. „He ..."
„Hi, Caro. Ich hab unglaubliche Neuigkeiten."
Carolin drehte sich um. Hinter ihr stand Lina Schniggenfittich, ihre beste Freundin, und strahlte über das ganze Gesicht. Ihre grünen Augen funkelten wie Edelsteine. Ihre langen roten Locken wehten im Wind, mit ihren Händen fuchtelte sie aufgeregt herum. Carolin richtete sich wieder auf. „Du hast mich vielleicht erschreckt ..."
„Hier! Lina streckte ihre rechte Hand aus und hielt Carolin einen breiten weißen Umschlag unter die Nase. „Ich hab einen Brief bekommen.
Carolin verdrehte die Augen. „Nun mach’s nicht so spannend, Lina. Erzähl schon von wem!"
Linas Strahlen wurde immer breiter. „Mein Onkel Rocco hat mir geschrieben."
Carolin lächelte. „Dein heiß geliebter, aber völlig schräger Onkel aus Berlin!"
„Na ja. Lina legte den Kopf zur Seite. „Nicht mehr lange.
„Wie?"
„Mein schräger Onkel wird nicht mehr lange in Berlin sein. Er kommt nach Lilienthal! Mann, Caro, ich freu mich so!" Lina drehte sich so schnell einmal um die eigene Achse, dass ihre geblümten Röcke flogen. Lina trug immer Röcke. Aber nicht nur einen, sondern mehrere übereinander. Dazu dicke Schnürstiefel. Sie war überhaupt ein ungewöhnliches Mädchen. Carolin mochte sie wie eine Schwester.
„Super!" Auch Carolin fand Linas Onkel total sympathisch. Er war Artist, Feuerschlucker, Fakir und so ziemlich der ungewöhnlichste Erwachsene überhaupt, den sie jemals erlebt hatte. Zuletzt hatte Onkel Rocco ein festes Engagement im Showtheater Fantasia in Berlin gehabt, wo nur die besten Artisten auftraten. Als Carolin gemeinsam mit Lina nach Berlin gefahren war, hatten die beiden eine Vorstellung gesehen. „Kommt er zu Besuch?", erkundigte sich Carolin.
„Nee! Lina schüttelte ihre wilde Mähne. „Besser. Viel, viel besser! Er will erst mal hier in Lilienthal bleiben und bringt sogar seine ganze Truppe mit.
„Du meinst, er will hier wohnen?", fragte Carolin. Ein Grinsen huschte über ihr Gesicht, als sie sich vorstellte, wie Onkel Rocco mit seinen langen schwarzen Locken und im hautengen Anzug mit Tigermuster durch die Straßen von Lilienthal spazierte, beim Bäcker Bauer sein Brot kaufte oder im Supermarkt einen Einkaufswagen durch die Regalreihen schob.
„Nicht nur das!" Lina vollführte wieder ihr ausgelassenes Tänzchen. „Er will hier auftreten, Caro. Onkel Rocco will in Lilienthal seinen eigenen Zirkus aufbauen. Eine Artistenshow, so was Ähnliches wie ... wie das Fantasia in Berlin."
„Echt? Carolin sah Lina erstaunt an. „Eine Artistenshow? In unserem Lilienthal?
Lilienthal, das waren ein paar Dutzend Häuser, eine Schule, eine Kirche mit Pfarrhaus, ein paar Restaurants, eine Döner-Bude, ein Kino, ein Supermarkt, eine Bücherei, das kleine Wäldchen, eine Tankstelle, mehrere Läden und der Reiterhof. Carolin schmunzelte. Berlin, das war ... na ja ... in jedem Fall etwas größer.
„Warum denn nicht? Lina funkelte sie an. „Wir haben doch den großen Festplatz in Lilienthal. Da kann er locker sein Zelt aufbauen und Wohnwagen hinstellen.
„Stimmt, nickte Carolin. „Da ist jede Menge Platz.
„Na also! Lina warf ihre Arme mitsamt Brief in die Luft. „Onkel Rocco kommt und Lilienthal kriegt eine eigene Artistenshow. Ist das nicht der totale Oberhammer?
Lautes Gewieher von Sternentänzer unterbrach Linas Freudentanz. Carolin deutete lachend zu ihrem Pferd. „Ich glaub, Sternentänzer will bei der Show mitmachen."
Lina hielt inne. „Das ist doch die Idee! Wir könnten die Lindenhain-Pferde in die Show einbauen. Das wär doch supergenial."
„Was wär supergenial?" Nick kam angestiefelt. Er führte Stella, ein geflecktes Shetlandpony, auf die Koppel. Nick Heuberg – zwanzig Jahre jung, kurze hellblonde Haare, samtbraune Augen, durchtrainierte Figur – arbeitete auf Lindenhain. Er mistete die Ställe aus, kümmerte sich um die Pferde und gab Reitunterricht.
„Linas Onkel zieht eine Artistenshow in Lilienthal auf", klärte Carolin Nick auf.
„Cool, meinte Nick, schob seinen Kaugummi von einer Backe in die andere und kraulte die Mähne des Shettys. „Und das geht so einfach?
„Logo, gab Lina begeistert zurück. „Lilienthal hat doch den Festplatz.
„Und habt ihr auch schon die Erlaubnis?" Nick öffnete das Gattertor und schob Stella auf die Weide.
Lina sah ihn verständnislos an. „Was denn für eine Erlaubnis? Von wem? Wofür?"
„Vom Weihnachtsmann, gab Nick kopfschüttelnd zurück. „Von der Gemeinde natürlich! Oder meinst du, du kannst da einfach hopplahopp mal schnell ein Zelt aufbauen und eine Show hinlegen? Da könnte ja jeder kommen!
„Bestimmt hat das dein Onkel schon längst erledigt", vermutete Carolin.
Lina blies die Backen auf und blickte Nick ratlos an. „Keine Ahnung."
Carolin hüpfte vom Gatter. „Ferdi und ich, wir gehen heute Abend ins Kino, kommt ihr mit, du und Thorben?"
Lina nickte. „Au ja! Treffen wir uns um halb sieben im Kino. Jetzt muss ich erst mal das mit Onkel Rocco regeln." Sprach’s und eilte davon.
Carolin und Ferdi waren schon vor halb sieben im Foyer des Kinos in Lilienthal.
„Ich hol mal einen Eimer Popcorn, erklärte Ferdi und marschierte hinüber zu der kleinen Bar, wo es Getränke und Süßigkeiten gab. Carolin sah ihm nach. Dass Ferdi jetzt ihr Freund war, erschien ihr manchmal noch total unwirklich. Etliche Monate waren zwar vergangen, seit sie sich auf Jans Geburtstagsfeier so richtig nahe gekommen waren. Doch es fühlte sich ab und zu noch komisch und ungewohnt an. Ferdinand Reifenbach. Kurzes blondes Haar, wasserblaue Augen. Süße Sommersprossen. Mäßig begabter Reiter, genialer Eishockeyspieler, gehörte jetzt zu ihr. Und sie zu ihm. Erst bester Kumpel, jetzt Freund. „Carolinchen, ich hab mich in dich verliebt.
Als er ihr mit diesen Worten seine Liebe gestand, hätte sie sich am liebsten die Ohren zugehalten. Carolin beobachtete Ferdi beim Popcornholen. Dieser Vollidiot macht mit seiner dämlichen Liebeserklärung alles kaputt, hatte sie damals gedacht. Doch dann hatte auch sie in ihrem Bauch die Schmetterlinge gespürt. Erst ganz sacht, dann immer heftiger.
„Hier, Carolinchen. Ferdi kam wieder zurück. In einer Hand hielt er eine riesige Tüte voll Popcorn, in der anderen eine Tüte Gummibärchen, die er ihr entgegenstreckte. „Nur für dich. Und ich pick dir auch jedes Weiße einzeln raus, versprochen.
„Danke." Carolin grinste. Doch es war ein gutes Gefühl. Ein verdammt gutes sogar!
In diesem Moment stürmten Thorben und Lina Hand in Hand zur Eingangstür herein.
Thorben Sander war der Sohn von Lindenhains Tierarzt Dr. Joachim Sander und schon länger mit Lina zusammen. Carolin mochte Thorben. Und auch Ferdi und er kamen gut miteinander klar, daher unternahmen die vier auch immer wieder gemeinsam etwas.
„Hey, super, ich hab Megakohldampf", freute sich Lina und fischte sich eine Hand voll Popcorn aus Ferdis Tüte.
„Ich besorg mal die Cola dazu", verkündete Thorben und stellte sich an der Bar an.
„Weißt du schon mehr wegen Onkel Rocco?", erkundigte sich Carolin gleich bei der Freundin.
Lina zuckte bedröppelt die Schultern. „Natürlich hat er noch keine Genehmigungen."
Carolin zog eine Grimasse. Onkel Rocco und Behördenkram, das passte zusammen wie Salamischeiben auf Erdbeermarmelade. Nämlich gar nicht! „Und jetzt?"
„Keine Panik. Er muss sich die Papiere eben besorgen. Das kriegt er locker hin, meint er. Er kommt morgen früh und dann geh ich mit ihm zur Gemeinde. Lina sah Carolin an. „Kommst du mit? Wir haben doch erst in der dritten Stunde Unterricht?
Carolin nickte eifrig. „Klar."
Thorben kam mit zwei übergroßen Bechern Cola zurück. „Was gibt’s da zu tuscheln, Mädels?"
„Frag ich mich auch, grinste Ferdi. „Die zwei sehen sich ständig, da müsste doch mal alles gesagt sein.
„Tja, Mann, meinte Thorben. „Es gibt Dinge bei Frauen, die wir Jungs wohl niemals verstehen werden.
Lina klatschte in die Hände. „Lasst uns reingehen!"
Der Film war total langweilig und hatte noch dazu Überlänge. Aber Caro fand es schön, mal wieder mit Ferdi zu kuscheln.
Nach dem Film verabschiedeten sich die Freunde.
Ferdi begleitete Carolin nach Hause. Hand in Hand liefen sie durch die sternenklare Nacht. „Ich find’s klasse, dass wir endlich wieder was zusammen unternommen haben, sagte Ferdi. „Du hast mich in den letzten Wochen ja schon ein bisschen vernachlässigt.
Dann deutete er nach oben. „Welchen Stern soll ich dir runterholen?"
Carolin streckte den Kopf. „Hm, ich nehme den zweiten links hinter der Milchstraße."
„Wird gemacht! Ferdi nickte ernst. „Gleich morgen früh werfe ich mein Raumschiff an.
Carolin kicherte übermütig. „Nimmst du mich mit?"
Ferdi blieb stehen und zog sie an sich. „Wohin du willst!"
Carolin kuschelte sich in die Umarmung. „Ich hab dich lieb. Von hier bis zum Mond."
„Was? Gespielt entsetzt schob sie Ferdi von sich. „Nur?
„Okay, und wieder zurück."
„Schon besser. Ferdi zog sie wieder an sich. „Ich hab dich lieb von hier bis zum Mars und wieder zurück.
„Hm! Carolin überlegte. „Ist der Mars weiter weg als der Mond?
„Aber hallo, entgegnete Ferdi. „Auf dem Mond waren Menschen, auf dem Mars nur eine Sonde.
„Na gut."
„Ich hab dich lieb quer durch alle Galaxien." Ferdi drückte sie ganz fest an sich.
„He, Ferdi, du erdrückst mich", nuschelte Carolin in seine Jacke.
Ferdi gab ihr einen Kuss. „Am liebsten würd ich dich nie wieder loslassen."
Carolin seufzte tief. „Das musst du auch nicht. Nie wieder."
Punkt halb acht Uhr hupte es am nächsten Morgen in der Breitensteinstraße 9. Zweimal, dreimal, viermal.
Ines Baumgarten, Carolins Mutter, die sich gerade eine Tasse Kaffee einschenkte, schob den Küchenvorhang zur Seite und spähte hinaus. „Was soll dieses dämliche Gehupe so früh am Morgen?, schimpfte sie. „Der weckt die ganze Gegend auf!
Carolin holte sich die Cornflakes-Schachtel aus dem obersten Fach des Küchenschranks. „Irgendein Durchgeknallter", vermutete sie und ließ sich auf den Küchenstuhl fallen. Sie gähnte und streckte sich.
„Du, Caro, meinte ihre Mutter, die immer noch zum Fenster hinausguckte. „Da draußen steht ein kunterbunt bemalter Kleinbus. Am Steuer sitzt ein Typ mit langen dunklen Haaren, dem ich nicht in der Nacht begegnen möchte. Neben ihm hockt deine Freundin und winkt. Ich befürchte fast, das Gehupe gilt dir.
„Lina?" Carolin schoss so schnell von ihrem Stuhl hoch, dass sie beinahe ihr Müsli vom Tisch gewischt hätte.
Ines nickte. „Die mit den wilden Locken."
„Oh nee! Carolin zupfte an ihrem überlangen Pferde-Schlafshirt. „Ich bin noch nicht mal angezogen.
Geschwind flitzte sie nach oben in ihr Zimmer, schlüpfte in ihre Jeans, zog einen Pulli an und lief zurück in die Küche. „Ich bin dann weg, Mam."
„Caro, warte, du ..."
Doch da fiel die Tür schon