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Historical Saison Band 63
Historical Saison Band 63
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eBook532 Seiten7 Stunden

Historical Saison Band 63

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Über dieses E-Book

DER EARL, DER MICH VERFÜHRTE von ALLEN, LOUISE
Der Earl ist ein ruchloser Schuft! Dessen ist Ellie sich sicher. Dennoch muss sie ihm vertrauen, da nur er ihr aus einer Notsituation helfen kann. Verzweifelt macht sie sich mit dem attraktiven Earl auf die Reise in ein neues Leben - und merkt entsetzt, dass sie Gefahr läuft, seinen Verführungskünsten zu erliegen!

LADY TESS UND IHR FEURIGER RETTER von LETHBRIDGE, ANN
Jaimie, Earl of Sandford, ist der einzige Mann, der Tess retten kann! Er muss das wertvolle Familienerbstück finden, mit dessen Erlös sie der Zwangsheirat entgehen kann. Denn Lady Tess will ihre Freiheit niemals aufgeben! Auch wenn sie sie sich bei Jaimies Anblick plötzlich wünscht, sich in seine starken Arme zu werfen …

SpracheDeutsch
HerausgeberCORA Verlag
Erscheinungsdatum23. Apr. 2019
ISBN9783733737375
Historical Saison Band 63
Autor

Louise Allen

Louise Allen lebt mit ihrem Mann – für sie das perfekte Vorbild für einen romantischen Helden – in einem Cottage im englischen Norfolk. Sie hat Geografie und Archäologie studiert, was ihr beim Schreiben ihrer historischen Liebesromane durchaus nützlich ist.

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    Buchvorschau

    Historical Saison Band 63 - Maria Fuks

    Louise Allen, Ann Lethbridge

    HISTORICAL SAISON BAND 63

    IMPRESSUM

    HISTORICAL SAISON erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

    © Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL SAISON

    Band 63 - 2019 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

    © 2017 by Melanie Hilton

    Originaltitel: „Marrying His Cinderella Countess"

    erschienen bei: Harlequin Enterprises, Toronto

    Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

    Übersetzung: Svenja Tengs

    © 2018 by Michele Ann Young

    Originaltitel: „Rescued By The Earl’s Vows"

    erschienen bei: Harlequin Enterprises, Toronto

    Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

    Übersetzung: Maria Fuks

    Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

    Veröffentlicht im ePub Format in 04/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

    E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

    ISBN 9783733737375

    Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

    CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

    Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:

    BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, TIFFANY

    Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de

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    Der Earl, der mich verführte

    1. KAPITEL

    London, Mai 1816

    Während die glühende Sonne in das glitzernde Blau des Mittelmeers eintaucht und sanfte Brisen die Hitze des Tages verscheuchen, liege ich auf Polstern im Schatten des Zelts und warte auf die Rückkehr des Wüstenlords. Neben dem Aufschlagen der kleinen Wellen und dem Rascheln der Palmwedel ist nur das sanfte Rauschen der Sandkörner zu hören. Es klingt wie Seide auf den nackten Arme von …

    Das sanfte Rauschen… Verdammt!" Ellie Lytton warf ihre Feder in das Tintenfass und schaute missmutig auf die Worte, die sich wie von selbst geschrieben hatten. Sie öffnete die Schublade ihres Schreibtischs und legte das Blatt auf einen Haufen ähnlicher Papiere – auf manchen waren ein oder zwei Absätze, auf anderen nur einige Sätze zu sehen. Sie nahm ein leeres Blatt hinaus, schüttelte die überschüssige Tinte von der Federspitze und setzte erneut an.

    Ich kann kaum in Worte fassen, liebe Schwester, wie faszinierend der Dattelanbau in diesem Bereich der nordafrikanischen Küste ist. Von großer Aufregung erfüllt, habe ich den ganzen Tag die schwer arbeitenden Einheimischen in ihren farbenprächtigen Roben beobachtet …

    „Was ist nur in mich gefahren?", murmelte sie, während sie zum Regal über ihrem Schreibtisch blickte.

    Dort befanden sich fünf Bücher, die alle in rotes Saffianleder gebunden waren und auf deren Rücken in vergoldeten Buchstaben stand: Der junge Reisende in der Schweiz, Der junge Erkunder des englischen Hochlandes, Oscar und Miranda entdecken London, Pflanzenführer für die Länder der Welt und Der junge Reisende an der englischen Küste. Sie alle entstammten der Feder von Mrs. Bundock.

    Ihre Verleger, Messrs Broderick & Alleyn, waren Spezialisten für „erbauliche und lehrreiche Werke für junge Menschen" und hatten vorgeschlagen, dass Oscar und Miranda als Nächstes die Niederlande erkunden sollten. Edamer Käse, Grachten und der Tulpenanbau würden ihrer Meinung nach eine interessante Mischung ergeben.

    Ellie, die in der Welt der Jugendliteratur als Mrs. Bundock bekannt war, hatte sich ihnen widersetzt. Sie sehnte sich nach Hitze, Farbe und exotischen Dingen, auch wenn sie die Informationen für ihre Recherche nur aus Büchern entnahm. Sie würde den jungen Oscar nach Nordafrika schicken, hatte sie verkündet. Insgeheim hoffte sie darauf, dass die Korsen ihn fangen und dem herablassenden, kleinen Musterknaben ein schlimmes Schicksal bescheren würden.

    In Wahrheit hätte sie nichts lieber getan, als eine Geschichte über Liebe und Leidenschaft zu schreiben und an Minerva Press zu verkaufen. Doch es war ein Albtraum, die beiden Geschichten in ihrem Geist zu trennen. Sie musste Oscars Expedition fertigstellen und genug Geld verdienen, damit sie über mehrere Monate ihren Roman schreiben konnte. Gerade als der Bursche anfing, über Salzbecken und Dattelpalmen zu schreiben, hatte sich ein dunkelhaariger Mann mit grauen Augen in ihre Vorstellungskraft gedrängt. Er ritt auf einem schwarzen Hengst, und seine weißen Roben flatterten im Wüstenwind.

    Sie strich die Haarsträhnen zurück, die sich aus ihrem locker gebundenen Haarknoten gelöst hatten, und steckte sie mit weiteren Haarnadeln fest.

    Wenn es nach dem Mittagessen ruhig im Haus sein sollte, würde sie sich der Sardinenfischerei widmen.

    Ihr Stiefbruder Francis war letzte Nacht nicht nach Hause gekommen und hatte zweifellos bei einem anderen Klubmitglied übernachtet, weshalb eine wunderbare Ruhe herrschte. Da nur Polly, das Dienstmädchen, zu Hause war, fühlte es sich für Ellie so an, als wäre sie allein.

    Ein Klopfen an der Haustür ließ ihre Hoffnung auf einen ungestörten Morgen schwinden. Ellie gab einen unschicklichen Fluch von sich und versuchte, das Klopfen zu ignorieren. Doch es war erneut zu hören, und Polly machte keine Anstalten, aus dem Untergeschoss hochzukommen. Um ihre Herrin nicht bei der Arbeit zu stören, musste sie sich hinausgeschlichen haben. Sicherlich war sie zum Markt gegangen.

    Ellie warf einen Blick auf die Uhr. Zum Glück war neun Uhr morgens viel zu früh für einen anstrengenden Besuch gesellschaftlicher Art. Wahrscheinlich war es nur Francis, der wieder seinen Schlüssel vergessen hatte.

    Sie stand auf, wischte ihre tintenbefleckten Hände an ihrer Schreibschürze ab, steckte noch einige Haarnadeln in ihre zerzauste Frisur und ging hinkend in den Flur. Ihr Bein schmerzte vom langen Sitzen. Nachdem sie die Haustür geöffnet hatte, stand nicht Francis vor ihr, sondern ein großer, dunkler Gentleman mit grauen Augen in unordentlicher Abendgarderobe.

    „Miss Lytton?"

    „Äh … Ja?"

    Ich muss träumen.

    Auf jeden Fall konnte sie nicht mehr zusammenhängend sprechen.

    Ich habe Sie soeben in meiner Schublade verstaut.

    „Ich bin Hainford."

    „Ich weiß", sagte Ellie und war sich ihres unbeholfenen, schroffen Tonfalls bewusst. Wo sind die weiße Roben und der schwarze Hengst? „Ich habe Sie schon einmal gesehen, Lord Hainford. Zusammen mit meinem Stiefbruder Francis."

    Aber nicht so. Nicht mit dunklen Augenringen und blutunterlaufenen Augen. Nicht so bleich im Gesicht und einem edlen Anzug, der so aussieht, als hätte sich ein Hund darin gewälzt. Nicht mit blutbefleckten …

    „Ihr Hemd … Sie bluten."

    Ellie riss die Tür weit auf und eilte die Stufe hinunter, um ihn am Arm zu fassen. Erst als sie ihn berührte, erinnerte sie sich daran, dass sie allein zu Hause war. Doch Anstandsdame hin oder her – sie konnte diesen Mann nicht draußen stehen lassen. Da er offenbar viel Blut verloren hatte, konnte er jeden Moment zusammenbrechen.

    „Wurden Sie von Straßenräubern überfallen? Kommen Sie herein, um Himmels willen. Als er sich nicht rührte, zog sie ihn am Arm. „Lassen Sie mich helfen – stützen Sie sich ruhig auf mich. Am besten gehen wir in den Salon. Dort ist das beste Licht. Ich werde mir die Wunde ansehen, und sobald mein Hausmädchen zurück ist, werde ich nach Dr. Garnett rufen lassen.

    Sie hätte genauso gut an einem der neuen Gaslaternenpfähle auf der Pall Mall zerren können.

    „Es geht mir gut, Miss Lytton, es ist nur ein Kratzer. Ich muss mit Ihnen reden." Der Earl of Hainford, der Blut auf ihre Türschwelle tröpfelte, sah nicht aus wie ein unverschämt früher Besucher, sondern wie ein Mann auf dem Weg zu seiner Hinrichtung.

    Gleich würde er hinfallen, und sie wäre niemals dazu in der Lage, ihn hochzuheben. Vor Sorge wurde sie ungehalten.

    „Unsinn. Treten Sie ein."

    Als sie ihn diesmal am Arm packte, ließ er sich widerstandslos über die Schwelle ziehen. Mit der Schulter drückte sie die Tür zu und führte ihn durch den Flur in den Salon – darauf bedacht, ihn nicht durch ihr Hinken zu behindern.

    „Da wären wir. Am besten setzen Sie sich auf diesen Stuhl dort."

    Er steuerte recht bereitwillig darauf zu. Als er sie anblinzelte, erkannte sie, dass er sehr müde und verletzt und womöglich betrunken sein musste. Oder vielleicht hatte er nur einen schweren Kopf von der gestrigen Nacht.

    Sie sind Miss Lytton?"

    Nein, nicht betrunken. Er klang vollkommen nüchtern.

    Als sie den Kopf zur Seite legte, um ihn genauer anzusehen, fiel ihr etwas aus dem Haar. Sie fing es auf. Es war keine Haarnadel, sondern die Feder, die sie zuvor verlegt hatte.

    „Ja, ich bin Eleanor Lytton. Bitte verzeihen Sie mein Aussehen. Ich habe gearbeitet."

    Warum entschuldige ich mich für meine alten Kleider und Tintenflecke? Dieser Mann erscheint hier zu einer unsäglich frühen Stunde, stört mich beim Schreiben, blutet auf meinen besten Teppich … So viel zu meinen Fantasien. Die Realität sieht immer anders aus.

    „Bitte warten Sie hier. Ich hole Wasser und Verbandsmaterial."

    Als sie zurückkam, hatte der Earl seinen zerknitterten Mantel ausgezogen und auf den Teppich gelegt. Zu allem Überfluss verschüttete sie auch noch Wasser darauf, während der Earl of Hainford aus seinem Hemd schlüpfte.

    Er ist verletzt, ermahnte sie sich. Jetzt ist nicht die Zeit, um sich zu zieren, die Kleider eines Mannes anzufassen – ganz zu schweigen davon, den Mann anzufassen.

    „Lassen Sie mich helfen."

    Dass er sich abrupt hinsetzte und ihr gestattete, ihm das Hemd über den Kopf zu ziehen, war wahrscheinlich ein Hinweis auf seine schlechte Verfassung. Beim Anblick der Wunde, die sich vom Hosenbund über den Brustkorb bis zur rechten Achselhöhle zog, schnappte Ellie nach Luft. Die Verletzung war nicht tief, blutete jedoch und sah überaus schmerzhaft aus.

    Ellie warf das Hemd beiseite, nahm es wieder auf und schüttelte es aus, bevor sie den Stoff straffte und gegen das Licht hielt.

    „Das ist eine Schusswunde." Sie hatte noch nie eine gesehen, doch was sonst hätte eine Verletzung wie diese verursachen können?

    Er nickte zischend, während er sich mit den Fingerspitzen abtastete.

    „Aber in Ihrem Hemd ist kein Loch. Und die Wunde beginnt unterhalb Ihres Hosenbunds, obwohl Ihre Breeches ebenfalls unbeschädigt sind. Wurde auf Sie geschossen, als Sie nackt waren?"

    Die Augenbrauen hochgezogen, sah Hainford sie an. Vermutlich verblüffte es ihn, dass eine Dame Breeches und nackt sagen konnte, ohne dabei in Ohnmacht zu fallen. „Ja. Könnten Sie mir etwas von dem Verbandszeug geben und dann vielleicht hinausgehen, damit ich mich versorgen kann?"

    Er gestikulierte an sich herab. Die Kugel hatte vermutlich seinen Hüftknochen gestreift, und es musste extrem schmerzhaft sein, dass seine Hose – auch wenn sie aus Seide war – darüber strich. Sicherlich musste er sie ausziehen, um die Wunde zu verarzten. Vom Earl of Hainford war bereits viel zu viel zu sehen, und Ellie ertappte sich dabei, wie sie erschüttert und neugierig zugleich sein dunkles Brusthaar betrachtete, das in einer schmalen Linie über seinen Bauch verlief …

    „Hier." Ellie schob die Wasserschüssel und das Verbandszeug in seine Richtung. „Rufen Sie mich, wenn Sie respektabel – ich meine, bereit – sind. Dann bringe ich Ihnen ein sauberes Hemd."

    Sie hatte keine Angst vor dem Anblick von Blut, doch diesem nackten Körper wollte sie sich keineswegs noch weiter nähern – geschweige denn, ihn berühren, auch wenn sie als aufstrebende Romanautorin über solche Dinge Bescheid wissen sollte. Darüber zu schreiben und davon zu träumen war eine Sache, doch sie wahrhaft zu erleben …

    Nein.

    Sie schloss die Tür hinter sich und lehnte sich in dem Versuch, ihren Atem unter Kontrolle zu bringen, dagegen. Der Mann, den sie manchmal mit Francis gesehen hatte und der der Held ihres zukünftigen Romans und der Störenfried ihrer restlichen Geschichten war, saß in ihrem Salon. Besser gesagt: Er saß halbnackt und verletzt in ihrem Salon.

    Wie war es zu der Schussverletzung gekommen? Vielleicht hatte ihn ein betrogener Ehemann in flagranti mit seiner Ehefrau erwischt. Ellie fiel keine andere Erklärung dafür ein, wie es sonst dazu hätte kommen können, dass ein nackter Mann dergestalt verletzt wurde. Hätte er einen Unfall zu Hause gehabt, hätten ihm seine Diener geholfen.

    Sie konnte sich die Szene bildlich ausmalen. Eine schreiende Frau im Bett, zerknitterte Laken, Lord Hainford, wie er nackt aus dem Bett hechtet – in ihrer Fantasie schmückte sie die Szene mit zu vielen Details aus – und der wutentbrannte, eine Pistole schwingende Ehemann. Wie unglaublich ernüchternd. Wie hätte sie damit rechnen können, dass der Mann aus ihren Fantasien vor ihrer Haustür stehen und sich als so fehlbar erweisen würde? Ihr Wüstenlord war in Wahrheit ein Ehebrecher mit dickem Kopf.

    Wie das Leben so spielt, gingen Träumereien auch nie dann in Erfüllung, wenn man sich von seiner besten Seite hätte zeigen können. Nicht dass meine beste Seite sehr bemerkenswert wäre, dachte Ellie, als sie reumütig in den Spiegel des Flurs schaute. Aber einen Mann wie ihn wollte sie auch gar nicht für sich gewinnen – nicht im wahren Leben.

    Ellie machte sich keine Illusionen. Mit ihren fünfundzwanzig Jahren hatte sie oft genug gehört, dass sie unscheinbar, unbeholfen und „schwierig" sei, und glaubte mittlerweile daran. Jetzt hinkte sie auch noch. Sie war eine Enttäuschung auf ganzer Linie, denn ihre Mutter mit ihrem dunklen braunen Haar und ihrer zierlichen Figur war wunderschön gewesen. Ellie komme nach der Familie ihres Vaters, hatten ihr die Leute oft mitleidig gesagt.

    Ihr bestes Kleid stammte aus der Saison von vor drei Jahren, und ihre Hauben hatte sie so oft neu gestaltet, dass sie eher aus Bändern und Blumen bestanden als aus Stroh. Ihr jährliches Auskommen verwendete sie auf Papier, Tinte und den Mitgliedsbeitrag in der Bibliothek, und ihre Einnahmen von Messrs Broderick & Alleyn schienen vom Haushalt verschluckt zu werden.

    Das alles spielte natürlich keine Rolle, weil sie nicht in der Gesellschaft verkehrte und sich ihr Leben größtenteils in ihrem Kopf abspielte. Ihr Freundes- und Bekanntenkreis bestand aus mehreren ähnlich gesinnten und gekleideten Frauen, dem Pfarrer und dem Bibliothekar. Gesellschaftliche Bestrebungen aufzugeben hatte sich als erholsam herausgestellt … Wenn sie unsichtbar blieb, war sie auf der sicheren Seite.

    Francis hingegen hatte ein soziales Leben und ein weitaus größeres Auskommen. Das meiste davon wendete er für seine Klubmitgliedschaften, seinen Schuster und seine Versuche auf, seinen Helden – Lord Hainford – in Bezug auf Kleidung und gesellschaftliche Anlässe nachzuahmen.

    Ellie fragte nicht weiter nach, wie jene „gesellschaftlichen Anlässe" genau aussahen.

    Ihre Überlegungen wurden unterbrochen, als sich die Tür öffnete, gegen die sie lehnte, sodass sie rückwärts taumelte. Mit einem dumpfen Aufprall landete sie auf der nackten Brust des besagten edlen Herrn.

    Er gab einen unterdrückten Schmerzensschrei von sich, als Ellie sich umdrehte und sich – um Gleichgewicht ringend – mit einer Hand an seiner Schulter festhielt und sich mit der anderen auf seiner Brust abstützte. Dabei machte sie die interessante Entdeckung, dass die Brustwarzen eines Mannes hart wurden, wenn man sie berührte.

    Sie wich zurück zur Tür, die Hände auf dem Rücken verschränkt. „Ich werde ein Hemd für Sie holen."

    „Danke, aber das ist nicht nötig. Ich ziehe meines wieder an. Bitte, hören Sie mir zu, Miss Lytton. Ich muss mit Ihnen reden …"

    „Wenn Sie ein Hemd ohne Blutflecken anhaben", erwiderte sie barsch. Sie war furchtbar wütend auf irgendwen – wahrscheinlich auf sich selbst.

    Als sie die Treppe zu Francis’ Schlafzimmer hochging, fragte sie sich, welches Anliegen Lord Hainford hierhergeführt hatte. Eine Entschuldigung war sicherlich angebracht, weil er in diesem Zustand zu ihr gekommen war, doch wahrscheinlich hatte er damit gerechnet, Francis anzutreffen.

    Sie nahm ein Hemd aus der Kommode und ging wieder hinunter. Hainford stand auf, als sie eintrat. Von seiner Haut hob sich der weiße Verband ab, über dessen Ränder sich das dunkle Haar kräuselte.

    „Hier, das sollte passen." Ellie warf dem Earl das Hemd zu und drehte sich um. Zur Sicherheit schloss sie die Augen.

    „Ich bin wieder respektabel", sagte er nach mehreren Minuten, in denen sie das Rascheln der Kleidung und seinen zischenden Atem gehört hatte.

    Ellie drehte sich um. Der Earl war wieder bekleidet, das Halstuch locker gebunden, den beschmutzten Mantel über das saubere Hemd gezogen. Sein Hemd lag zusammengeknüllt auf dem Boden, kein Blut war zu sehen. „Danke, fügte er hinzu. „Ihr Dienstmädchen …

    „Ist noch nicht zurück. Sie müsste gleich hier sein, und dann schicke ich sie zum Arzt."

    Etwas in ihr sträubte sich gegen seine Nähe, doch sie ermahnte sich im Stillen. Er war ein Gentleman und sicherlich vertrauenswürdig. Außerdem war er verletzt, weshalb sie ihm weibliche, mitfühlende Fürsorge entgegenbringen sollte. Zumindest würde das sicherlich der Pfarrer sagen.

    Ihre Gefühle waren zwar überaus weiblich, jedoch alles andere als fürsorglich …

    „Das ist nicht nötig. Die Wunde hat aufgehört zu bluten. Ich mache mir Sorgen, weil Sie allein mit mir im Haus sind."

    Sie machen sich Sorgen?

    „Glauben Sie, ich benötige eine Anstandsdame, Lord Hainford? Ellie nutzte die Sessellehne als Stütze und setzte sich vorsichtig hin, bevor sie auf den leeren Sessel deutete. „Oder brauchen Sie vielleicht eine? Angriff war immer besser, als Empörung oder Schwäche zu zeigen.

    „Nein und nein. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar, die Mundwinkel heruntergezogen, während er anscheinend die richtigen Worte suchte. „Ich habe schlimme Nachrichten für Sie, und ich glaube, dass Sie den Beistand einer anderen Frau brauchen werden.

    „Mein Hausmädchen wird bald zurück sein, erwiderte sie, bis seine Worte endlich zu ihr durchdrangen. „Schlimme Nachrichten?

    Das konnte nur eines bedeuten. Ihre Eltern und ihr Stiefvater waren tot, und ihr war niemand mehr geblieben außer ihr Stiefbruder.

    „Francis?" Ihre Stimme klang ruhig und gefasst.

    „Sir Francis … hatte einen Unfall. Im Klub." Er setzte sich.

    „Ist er verletzt?"

    Nein, dann hätte man mich zu ihm gerufen oder er wäre hierhergebracht worden.

    Ihre Gedanken waren erstaunlich klar, als wäre das alles nicht echt, sondern nur ein Zeitungsrätsel, das es zu lösen galt. „Er ist tot, nicht wahr? Wie? Haben Sie ihn umgebracht? War es ein Duell?"

    Wegen einer Frau?

    Etwas anderes fiel ihr nicht ein, denn schließlich war Hainford nackt gewesen, als man auf ihn geschossen hatte.

    „Nein. Ich habe ihn nicht erschossen. Es war ein Unfall. Jemand schoss auf mich, und Francis stand hinter mir."

    „Sie hatten nichts an", sagte sie mit flacher Stimme.

    Wahrscheinlich war sie über ihre Arbeit eingeschlafen – das alles kam ihr wie ein schlechter Traum vor. Auf jeden Fall ergab es keinen Sinn.

    „Welcher Klub war es?"

    War es vielleicht eine nette Umschreibung für ein Bordell? Oder für etwas anderes Rechtswidriges? Sie las Zeitung und war im Bilde darüber, welche Gepflogenheiten gewisse Männer hatten, doch sie wusste nicht, wie sie danach fragen sollte.

    „Der Adventurers’ Club in Piccadilly."

    Ein vollkommen angesehener Klub für Gentlemen. Keines dieser Lokale, in denen nur bestimmte Herren mit gewissen Vorlieben verkehrten. Es hätte sie nicht sonderlich überrascht, wenn Francis ein solches Etablissement aufgesucht hätte – wenn auch nur aus Neugier –, aber dieser Mann? Bestimmt nicht. Doch was wusste sie schon?

    Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, beunruhigte ihn ihr Schweigen. Er beugte sich vor, um ihr ins Gesicht zu schauen. Sie war sich jedoch nicht sicher, wie sie sich verhalten und was sie fühlen sollte. Vielleicht kam das vom Schreck.

    „Ich hole Ihnen einen Brandy. Das sind entsetzliche Nachrichten." Er wollte gerade aufstehen, als sich die Tür öffnete.

    „Miss Lytton, ich bin zurück. Oh!" Polly starrte sie an, vollbeladen mit lose verpackten Schachteln. Eine Zwiebel fiel auf den Boden und rollte zu Ellies Füßen.

    „Polly, das ist Lord Hainford, und ich glaube, er braucht ein Glas Brandy."

    „Nicht ich."

    Er schien kurz davorzustehen, sie anzufahren. Offenbar reichte es ihm. Sie hätte untröstlich weinen sollen. Dann hätte er ihr ein Taschentuch reichen, ihr die Hand tätscheln und etwas Bedeutungsloses wie „Das wird schon wieder" sagen können. Sicherlich wäre ihm das angenehmer gewesen.

    „Bringen Sie Ihrer Herrin eine Tasse Tee", wies er Polly an.

    „Und Brandy für Lord Hainford. Das könnte Ihnen heute Morgen guttun", schlug Ellie sanft vor.

    Ja, das alles musste ein schlechter Traum sein. Doch konnte man in einem Traum in Ohnmacht fallen? Der Raum begann sich zu drehen …

    Sie schloss die Augen und tat einen tiefen, beruhigenden Atemzug. In Ohnmacht zu fallen würde nichts nützen. Als sie die Augen wieder öffnete, war Lord Hainford immer noch da und sah sie stirnrunzelnd an. Das zerknitterte Hemd lag weiterhin vor seinen Füßen. Francis war immer noch nicht nach Hause gekommen.

    „Das ist wirklich kein Traum, oder?"

    „Nein, leider nicht." Nur ein Albtraum.

    Erleichtert beobachtete Blake, wie Miss Lyttons Wangen wieder Farbe annahmen. Die Dinge waren schon schlimm genug, ohne dass sie in Ohnmacht fiel. Auch wenn es ungalant war, verspürte er keine große Lust, diese riesige Frau vom Boden aufzuheben.

    Er studierte ihr blasses, ovales Gesicht mit unglaublich vielen Sommersprossen. Ihr hellbraunes, völlig verknotetes Haar wurde mehr schlecht als recht von Haarnadeln gehalten. Ihren großen haselnussbraunen Augen mit den dunklen und geweiteten Iris waren wahrscheinlich das Hübscheste an ihr. Ihre Nase war auf jeden Fall etwas zu lang. Außerdem hinkte sie. Doch zumindest gelang es ihr, nicht in Ohnmacht zu fallen.

    Als das Mädchen mit einem Teetablett zurückkam, bedeutete er ihr abrupt, der Dame einzuschenken. „Mit Zucker für Ihre Herrin."

    „Kein Zucker für mich."

    „Gegen den Schreck." Er entschied sich ebenfalls für einen Tee und trank ihn ohne Zucker, dankbar für das warme Gefühl in seinem leeren, aufgewühlten Magen.

    Das Dienstmädchen setzte sich in eine Ecke des Raums, die Hände in den Schoß gelegt. Er konnte ihren bohrenden Blick spüren.

    Miss Lytton hob ihre Tasse mit leicht zitternder Hand, nahm einen Schluck und stellte sie wieder klirrend auf den Unterteller, bevor sie ihn ansah.

    „Erzählen Sie mir, was passiert ist."

    Zum Glück war sie nicht eine jener zierlichen, kleinen Frauen, die immer sofort in Tränen ausbrechen. Doch passieren konnte es immer noch …

    „Ich war letzte Nacht im Adventurers und spielte Karten mit Lord Anterton, Sir Peter Carew und einem Mann namens Crosse. Ich gewann sehr hoch – vor allem gegen Crosse, der weder ein guter Verlierer noch ein Freund von mir ist. Wir haben alle getrunken. Ihr Stiefbruder stieß sehr aufgebracht zu uns und sagte, er wolle sofort mit mir sprechen. Ich hatte eine Glückssträhne und wollte nicht aufhören. Ich sagte ihm, dass wir später zusammen nach Hause laufen und dann reden könnten."

    Miss Lytton biss sich stirnrunzelnd auf die Unterlippe. „Aufgebracht?"

    „Oder besorgt. Ich weiß nicht genau. Leider habe ich nicht genau darauf geachtet."

    „Sie waren betrunken", stellte sie kühl fest.

    Es machte ihn fassungslos, dass eine Frau so mit ihm sprach. Da er das Gefühl nicht abschütteln konnte, verantwortlich zu sein, trafen ihn die direkten Worte.

    „Ich war angeheitert so wie alle. Wir waren mitten in einem Spiel, in dem ich pausenlos gewann. Lytton hätte wissen müssen, dass es ein schlechter Zeitpunkt war, uns zu unterbrechen. Wir begannen eine neue Runde. Crosse verlor wieder haushoch gegen mich und schrie dann herum, dass ich ein Schwindler sei und Karten in meinen Ärmeln hätte. Dass ich mit Ihrem Stiefbruder geredet hätte, um zu betrügen."

    Jenes rote Gesicht, jener feuchte Mund, jene wütenden, unzusammenhängenden Vorwürfe.

    Der Mann hatte die Karten durcheinandergeworfen, Spielmarken durch die Luft fliegen lassen und Weingläser umgestürzt.

    „Betrüger! Schwindler!"

    Alle hatten ihre Spiele unterbrochen. Leute waren herbeigeeilt, um zu starren.

    „Ich sagte ihm, er solle seine Vorwürfe zurücknehmen. Die anderen taten es mir gleich. Er wollte nicht davon abweichen und geriet noch mehr in Rage. Offenbar stand er kurz vor dem Ruin, und die hohen Verluste hatten ihn um den Verstand gebracht. Er wirkte so erbärmlich, dass ich ihn nicht herausfordern wollte. Daher zog ich meinen Mantel aus und drückte ihn ihm in die Arme, damit er selbst nachsehen konnte. Er warf mir weiterhin vor, Karten zu verstecken. Ich zog meine Weste und mein Hemd aus. Als er den Tisch umschubste und schrie, dass ich Asse in meinen Breeches versteckt hätte, zog ich auch meine Hose und alles andere aus. Er hatte mich zur Weißglut gebracht. Francis stand hinter mir und sammelte meine Kleider auf wie ein verwirrter Kammerdiener. Die Menge lachte und spottete über Crosse."

    Er machte eine Pause und versuchte, die Ereignisse des Vorabends in seinem schmerzenden Kopf zu sortieren, um seine Worte mit Bedacht zu wählen.

    Alle hatten geglotzt, bevor Anterton lachend auf Blake gezeigt und eine anerkennende Bemerkung gemacht hatte. „Der von Hainford sieht aus wie von einem Bullen." Oder war es Maultier gewesen?

    Er hatte Crosse ausgelacht.

    „Da kannst du nicht mithalten, oder Crosse? Über den Anblick von Hainford würden die Dirnen nicht so lachen wie bei dir gestern im Maison Française, nicht wahr, Crosse?"

    „Crosse wühlte in seiner Tasche, ließ etwas fallen und ging auf die Knie, um es aufzuheben. Dann sah ich, dass es eine Pistole war. Er zitterte vor Wut."

    Ich dachte, ich würde sterben – splitternackt an den Folgen eines Kartenspiels.

    Als der Sekretär des Klubs aus der Menge heraustrat, kam Blake flüchtig die Frage in den Sinn, ob man sich gegen den Umstand erwehren könnte, auf diese Art und Weise in einem Klub umgebracht zu werden.

    Unziemliches Verhalten …

    „Crosse drückte ab. Er hielt die Pistole nach oben, weshalb die Kugel an meinen Rippen vorbeistreifte und schließlich Francis traf, der immer noch hinter mir stand."

    Miss Lytton schnappte kurz nach Luft, bevor sie sich eine Hand über den Mund legte. Sie war so bleich, dass sich die Sommersprossen auf ihrer Nase und ihren Wangen abhoben.

    „Ist er tatsächlich tot?", stieß sie hervor.

    Daran besteht kein Zweifel. So eine Schusswunde kann niemand überleben.

    „Es muss schnell gegangen sein. Er wird einen Schlag gegen die Brust gespürt haben, dann nichts." Er glaubte, dass es stimmte, oder hoffte es zumindest. Auf jeden Fall war Lytton schon tot gewesen, als sich Blake auf den Boden gekniet und den Kopf des Mannes auf seine Oberschenkel gebettet hatte.

    „Wo ist er jetzt?"

    Sie war immer noch blass, ihre Stimme fest. Das liegt am Schreck, vermutete er. Allerdings schien sie ohnehin kein aufbrausender Mensch zu sein. Sie hatte sich recht besonnen verhalten, als er blutend auf ihrer Türschwelle erschienen war. Eine ungewöhnliche junge Dame.

    „Im Klub. Es war ein Arzt da, eines der Mitglieder. Wir brachten ihn in ein Separee und taten alles, was nötig war."

    Sie hatten ihm die blutüberströmte Kleidung ausgezogen, ihn gewaschen und ihm ein sauberes Nachthemd übergestreift. Auch hatten sie nach einer Frau geschickt, die ihn anständig herrichten würde, bevor seine Familie ihn sah.

    „Ich habe seine Uhr, sein Notizbuch und alles Weitere."

    „Ich verstehe", sagte sie mit tonloser Stimme. Sie war noch bleicher als vorhin, wodurch ihre markanten Wangenknochen hervortraten, ihre lange Nase und ihr kräftiges Kinn jedoch unvorteilhaft betont wurden.

    „Er muss natürlich hierhergebracht werden. Können Sie das in die Wege leiten?"

    Das könnte und würde er tun. Auch würde er etwas mit jenen blutgetränkten, durchlöcherten Papieren in Lyttons Brusttasche anstellen. Unter keinen Umständen konnte er sie in diesem Zustand zurückgeben.

    „Natürlich. Das ist das Mindeste, was ich tun kann."

    Die nachlässig gekleidete Frau vor ihm sah ihn aus ihren haselnussbraunen Augen reserviert an.

    „Das stimmt wohl. Hätten Sie auf Ihren Freund gehört, der Ihnen offensichtlich etwas Dringliches mitteilen wollte, anstatt betrunken jenen Crosse aufzustacheln, dann wäre Francis jetzt nicht tot, nicht wahr, Mylord?"

    2. KAPITEL

    Ihre Feindseligkeit hatte ihre Wirkung nicht verfehlt, wie unschwer zu erkennen war. Ellie vermutete, dass sich Lord Hainford nichts hätte anmerken lassen, wenn er gefasst gewesen wäre und keine Schmerzen gehabt hätte, doch seine Wangen verfärbten sich rot, und er kniff seine blutunterlaufenen grauen Augen zusammen.

    „Ja, Miss Lytton, wenn Ihr Bruder nicht in den Klub gekommen wäre, dann wäre er jetzt noch am Leben."

    „Mein Stiefbruder Francis ist … war … der Sohn des zweiten Mannes meiner Mutter, Sir Percival Lytton. Ich nahm seinen Namen an, als sie heirateten."

    An ihren Vater, den Honorable Frederick Trewitt, konnte sie sich kaum erinnern. Er war ein schroffer Mensch gewesen, der gestorben war, als sie acht Jahre alt gewesen war. Die zweite Heirat ihrer Mutter hatte ihnen die benötigte finanzielle Sicherheit gegeben, obwohl Sir Percival zu Beginn wenig Interesse an seiner recht unansehnlichen, ruhigen Stieftochter gezeigt hatte.

    Zu Beginn …

    Der um drei Jahre ältere Francis hatte sie ignoriert, bis sein Vater und seine Stiefmutter gestorben waren und er eine Haushälterin benötigte.

    Sie hatte keine Zuneigung für ihn gehegt und erwartet, dass er sich am Ende wie sein Vater verhalten würde, doch da er ihr weiterhin nichts als Gleichgültigkeit entgegenbrachte, entspannte sie sich nach und nach. Allerdings niemals so sehr, dass sie die Tür ihres Schlafzimmers nicht verriegelt hätte.

    Der Nutzen, den sie für ihren Stiefbruder darstellte, verlieh ihr den einzigen gesellschaftlichen Status, der einer wenig attraktiven jungen Frau mit sehr eingeschränkten Mitteln und ohne Kontakte zugänglich war: den einer respektablen, armen Verwandten.

    „Sie standen sich natürlich nahe. Das muss Sie zutiefst erschüttern … Ein großer Verlust. Der Earl hatte seinen Ärger gezügelt und bediente sich nun offenbar seiner gewöhnlichen Phrasen. „Ich verstehe Ihren Unmut sehr gut.

    „Wenn sich mein Stiefbruder an irgendeinen abgelegenen Ort zurückgezogen und ich ihn nie wieder gesehen hätte, dann hätte ich ihm keine Träne nachgeweint, Mylord. Dennoch betrübt es mich, dass er sein Ende unter so elenden Umständen gefunden hat, nur weil ein anderer ihn auf so selbstsüchtige Art und Weise ignorierte."

    Sie hätte für jeden Mitleid empfunden, der auf diese Weise ums Leben kam – ganz zu schweigen von einem Verwandten.

    „Madam, weder der Ort noch die Umstände waren elend, und Lytton war in einem Klub, in dem er sich mit allen möglichen Bekannten hätte unterhalten können, bis ich wieder Zeit für ihn gehabt hätte."

    Hainford erhob sich und sah sie hochmütig an.

    „Dass er sich mitten in einen Tumult begab, war allein seine Entscheidung, und das Ergebnis ist ein bedauernswerter Unfall. Wenn Sie keinen bestimmten Bestatter im Sinn haben, werde ich einen für Sie engagieren. Ich werde auch herausfinden, wie der Leichenbeschauer fortfahren will, und Sie darüber informieren. Einen schönen Tag noch."

    Polly beeilte sich, um vor ihm die Haustür zu erreichen, und kam mit einer kleinen rechteckigen Karte in der Hand zurück. „Er hat das dagelassen, Miss Lytton."

    „Leg es bitte auf meinen Schreibtisch. Ich weiß genau, wer er ist."

    Sie hatte es sich zum Anliegen gemacht, mehr über die Identität des Mannes mit den grauen Augen, den Francis vergötterte, in Erfahrung zu bringen. William Blakestone Pencarrow, der dritte Earl Hainford, war achtundzwanzig, besaß Ländereien in Hampshire, Yorkshire und Northamptonshire, ein prachtvolles Londoner Stadthaus am Berkeley Square und einen Stall mit Vollblutpferden.

    Er hatte dichtes schwarzes Haar, das elegant geschnitten war, eine markante Nase, die etwas zu groß war, ein vorspringendes Kinn und Augen, die selbst blutunterlaufen schön waren. Seine Schultern waren breit, seine Muskeln – wie Ellie jetzt wusste – stark, und er überragte Francis um Längen.

    Für Francis war er wie ein Gott mit einzigartigem Stil, Geschmack und Bildung gewesen, den er möglichst detailgetreu hatte nachahmen wollen – koste es, was es wolle.

    Im Großen und Ganzen war Hainford ihr wie der perfekte Held für ihr Buch vorgekommen. Es spielte keine Rolle, dass er sich im wahren Leben als ungeduldig, überheblich, selbstbezogen und schamlos herausgestellt hatte.

    Mit der Zeit ließ der Schreck nach. Es fühlte sich merkwürdig erleichternd an, Trauer und Wut zu empfinden und sich an die gesellschaftlichen Rituale in Bezug auf Tod zu halten. Die schwarzen Bänder am Türklopfer, die heruntergezogenen Jalousien, die hastige Ausbesserung der Trauerkleidung, die sie zuletzt beim Tod ihres Stiefvaters getragen hatte. All das nahm Ellies Zeit in Anspruch.

    Vom Earl war ein Brief eingetroffen, in dem er sie informierte, dass die Untersuchung am folgenden Tag stattfinden sollte. Es kam Ellie überraschend schnell vor, und sie war dankbar für die Tüchtigkeit des Leichenbeschauers, bis ihr klar wurde, dass es wahrscheinlich an Hainfords Einfluss lag.

    Der von ihm ausgewählte Bestatter kam zu Besuch und besprach mit ihr ernst und andächtig die Einzelheiten der Beerdigung.

    „Der Earl wollte nicht, dass Sie sich mit belanglosen Kleinigkeiten herumschlagen müssen, Miss Lytton."

    „Wie gütig", erwiderte Ellie spitz.

    Ignoranter, selbstherrlicher, gebieterischer … Oder vielleicht fühlte er sich schuldig, wie es sich gehörte.

    Der Tag der Beerdigung rauschte an ihr vorbei, bis sie schließlich Mr. Rampion, den berühmten Anwalt, in Francis’ Arbeitszimmer traf. Er schien sich unwohl zu fühlen, doch vielleicht pflegte er nur selten Umgang mit Frauen. Als sie den Raum betrat, stand er auf – genauso wie der Herr, der neben ihm am Schreibtisch saß.

    „Lord Hainford ist auf meine Bitte hier, Miss Lytton. Da ich zuvor mit ihm gesprochen habe, hielt ich es für ratsam."

    Die Lippen zusammengepresst, nahm Ellie Platz und kämpfte ihren Ärger über die Einmischung nieder. Zweifellos würde sich alles aufklären. Vielleicht hatte es etwas mit der Untersuchung zu tun. Sie musste ruhig und sachlich bleiben.

    „Sehr gut, Mr. Rampion. Fangen wir an."

    „Das Testament beinhaltet keine Überraschungen, sagte der Anwalt, der unerklärlicherweise immer noch unglücklich aussah. „Die erbliche Ritterschaft und die Ländereien gehen über auf Sir Francis’ Vetter, Mr. James Lytton, der in Schottland wohnt. Es gibt Nachlässe für die Bediensteten der Familie und den Nachlass des Vermögens an Sie, Miss Lytton. Gemäß dem Testament seines Vaters war Sir Francis, wie Sie wissen, der alleinige Verwalter Ihrer geschäftlichen Unternehmungen.

    „Nun, vermutlich macht es keinen Unterschied, dass ich jetzt keinen Verwalter mehr habe. Ich bin keine wohlhabende Frau, und die Verwaltung meiner Finanzen ist daher nicht schwierig. Mein vierteljährliches Auskommen werde ich wohl wie gewohnt beziehen."

    Mr. Rampion nahm seine Brille ab, putzte sie und setzte sie sich räuspernd wieder auf. „Aus diesem Grund ist Lord Hainford hier. Vielleicht sollten Sie ihr die Unterlagen geben, Mylord …"

    Blake zog die Dokumente aus seiner Tasche. Jonathan, sein Sekretär, hatte die Unterlagen gesäubert und das Blut größtenteils entfernt, sodass mit Bleistift gekritzelte Anmerkungen auf dem zerknitterten Papier sichtbar geworden waren. Er hatte jedes Blatt gebügelt, um die zerfetzten Ränder rund um das Einschussloch in der Mitte zu glätten. Auch hatte er abgeschrieben, was er entziffern konnte.

    „Diese Notizen steckten in der Brusttasche Ihres Stiefbruders, Miss Lytton." Er kam sich wie ein Unmensch vor, weil er so direkt war, doch es machte keinen Sinn, darum herumzureden.

    Sie wurde blass, als ihr die Ursache der Beschädigung bewusst wurde, und machte keine Anstalten, die Papiere in die Hand zu nehmen. „Was ist damit?"

    „Ich glaube, es ist das, worüber Lytton mit mir reden wollte. Anscheinend hatte er größere Investitionen in ein Kanalprojekt an der Küste von Sussex getätigt. Ich hatte davon gehört – ein vollkommen überzogenes Vorhaben, das mittlerweile in Konkurs gegangen ist. Die Anlage ist wertlos."

    „Warum wollte er ausgerechnet mit Ihnen darüber sprechen, Lord Hainford?"

    Im Gegensatz zu ihm hatte sie keine Ahnung, was all das bedeutete. Stattdessen hielt sie sich mit Nebensächlichkeiten auf.

    „Er wusste, dass ich erfolgreich in verschiedene Kanalprojekte investiert habe. Ich glaube, Lytton ahnte, dass mit diesem Vorhaben etwas nicht stimmte. Daher wollte er mich nach meiner Meinung fragen."

    „Hätte es einen Unterschied gemacht, wenn er mit Ihnen gesprochen hätte?"

    Miss Lytton beugte sich vor. Als er ihre Frage hörte und ihre Gedanken sich so offensichtlich in ihrem Gesichtsausdruck widerspiegelten, erkannte Blake, dass er es mit einer intelligenten Frau zu tun hatte, die versuchte, nachzuvollziehen, was geschehen war. Die Neugier belebte ihr Gesicht und beinahe hätte er seine Meinung darüber revidiert, dass sie eine uninteressante, bleichgesichtige Frau war. Beinahe.

    „Hätte er am nächsten Morgen verkauft, hätte er einen kleinen Gewinn eingestrichen oder wäre ohne Verluste aus der Sache herausgekommen. Doch am Ende jenes Geschäftstags hatten sich die Dinge geändert."

    „Ich verstehe."

    Aus kühlen Augen sah sie ihn verurteilend an. Sie musste nichts sagen. Wenn er den Spieltisch verlassen und an Ort und Stelle mit ihrem Bruder geredet hätte, wäre Lytton jetzt nicht nur am Leben, sondern hätte auch seine Investition gesichert, indem er am folgenden Tag alles verkauft hätte.

    Jetzt konnte Blake nichts anderes mehr tun, als die traurigen Nachrichten zu übermitteln. Anstatt ihn zu verachten, würde sie ihn jetzt hassen.

    Der Anwalt kam Blake zuvor. „Ich befürchte, die Dinge stehen noch schlimmer, Miss Lytton. Offenbar hat Sir Francis nicht nur all seine verfügbaren Mittel in das Projekt gesteckt, sondern auch Ihre."

    „Meine? Aber das konnte er gar nicht."

    „Doch, antwortete Blake. „Und er hat es getan. Ihm oblag die vollkommene Kontrolle über Ihre Finanzen. Zweifellos hielt er es für das Beste.

    Sie nahm einen tiefen, zitternden Atemzug, die Hände fest im Schoß ineinander verschränkt, und Blake wappnete sich gegen ihre Tränen.

    „Ich bin ruiniert", sagte sie mit schwacher Stimme.

    Es war weder eine Frage, noch kullerten Tränen.

    „Die Investitionen sind fort, und dieses Haus ist gemietet, wie Sie wissen, sagte Rampion. „Von Ihrem flüssigen Kapital ist nichts mehr übrig. Es gibt nichts, was Sie von Ihrem Stiefbruder erben könnten. Allerdings sind Sie im Besitz von einem Bauernhof in Lancashire. Carndale Farm. Es gehörte zur Mitgift ihrer Mutter, falls Sie sich erinnern, und Sir Francis konnte es nicht anrühren. Es bringt immer noch Pachten ein … jedoch nur zweihundert im Jahr.

    „Lancashire, flüsterte sie leise und fügte mit kräftigerer Stimme hinzu, „aber es gibt ein Haus?

    Jede andere Dame wäre schon längst außer sich gewesen, dachte Blake, und würde sich nicht die Mühe machen, die Tragweite der Situation zu erfassen. Flüchtig kam ihm der Gedanke, dass es in einem Notfall gut wäre, eine Person wie Eleanor Lytton an seiner Seite zu haben.

    „Ja, ein Haus,

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