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Historical Saison Band 67
Historical Saison Band 67
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eBook505 Seiten7 Stunden

Historical Saison Band 67

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Über dieses E-Book

Zwei Romane von VIRGINIA HEATH

MEIN FEURIGER GENTLEMAN
Aufopferungsvoll pflegt die schüchterne Lady Bella Beaumont die Kranken im Dorf. Dafür muss sie eng mit Dr. Joe Warriner zusammenarbeiten, dem brillanten Landarzt mit den strahlendblauen Augen. Schon lange verzehrt Bella sich nach ihm - heimlich! Doch nur wenn sie sich Joe öffnet, kann er sie aus ihrer Einsamkeit erretten …

MEIN CHARMANTER CASANOVA
Um den notorischen Herzensbrecher Jacob Warriner sollte Felicity einen großen Bogen machen! Vor Männern wie ihm wurde in dem Kloster, in dem sie aufwuchs, immer streng gewarnt. Aber ausgerechnet dieser attraktive Abenteurer scheint entschlossen, der keuschen jungen Lehrerin viel mehr zu rauben als nur einen verruchten Kuss …

SpracheDeutsch
HerausgeberCORA Verlag
Erscheinungsdatum24. Sept. 2019
ISBN9783733737412
Historical Saison Band 67
Autor

Virginia Heath

Schon als kleines Mädchen hat Virginia Heath sich fantastische Geschichten ausgedacht, wenn sie nicht einschlafen konnte. Schließlich hat sie beschlossen, dass Schlaf nicht so wichtig ist, und angefangen, die Geschichten aufzuschreiben. Mittlerweile hat sie über zwanzig Bücher veröffentlicht und wurde bereits zwei Mal für den Romantic Novel of the Year Award nominiert.

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    Buchvorschau

    Historical Saison Band 67 - Virginia Heath

    Virginia Heath

    HISTORICAL SAISON BAND 67

    IMPRESSUM

    HISTORICAL SAISON erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

    © Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL SAISON

    Band 67 - 2019 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

    © 2018 by Susan Merritt

    Originaltitel: „A Warriner to Tempt Her"

    erschienen bei: Mills & Boon, London

    Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

    Übersetzung: Renate Körting

    © 2018 by Susan Merritt

    Originaltitel: „A Warriner to Seduce Her"

    erschienen bei: Harlequin Enterprises, Toronto

    Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

    Übersetzung: Renate Körting

    Abbildungen: Period Images / VJ Dunraven, Duncan_Andison / Getty Images, alle Rechte vorbehalten

    Veröffentlicht im ePub Format in 09/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

    E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

    ISBN 9783733737412

    Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

    CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

    Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:

    BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, TIFFANY

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    Mein feuriger Gentleman

    1. KAPITEL

    Juli 1818

    Dr. Joseph Warriner setzte sich resigniert an seinen Schreibtisch. Obwohl er sich bemühte, sich heute anders zu verhalten als sonst, war es bisher vergebens. Seine Situation war jämmerlich. Was noch schlimmer war – er war jämmerlich. Er zog die verbeulte goldene Taschenuhr hervor, die stets in seiner zweckmäßigen dunklen Weste steckte, doch ohne hinzuschauen wusste er, dass es kurz vor acht Uhr war. Es ärgerte ihn selbst, dass er seit einer halben Stunde alle zwei Minuten nach der Zeit sah. Seit fast einem Monat vollzog er dieses lächerliche Ritual. Er wurde von dieser Frau magisch angezogen.

    Und warum? Ein kurzer Tanz vor exakt achtundzwanzig Tagen. Ein paar bedeutungslose Worte, während er mitten unter all ihren zahlreichen eifrigen Verehrern stand. Sie verteilte ihre Worte so freigiebig wie Brotkrumen an eine Schar Hühner.

    Um sie heute zu sehen, musste er einen verstohlenen Blick durch die schweren Spitzengardinen an den Fenstern werfen.

    Die ganze Situation war beschämend.

    Ärgerlich klappte er die Taschenuhr zu, stellte seinen Stuhl ans Fenster und wartete. So wie jeden Dienstag und Freitag in den vergangenen Wochen, denn regelmäßig um acht Uhr fuhr sie in ihrer glänzenden schwarzen Kutsche auf den Marktplatz von Retford, um hier Einkäufe zu tätigen. Es störte ihn beinahe, dass sie immer pünktlich war. Wenn sie einmal später käme, wäre er gezwungen, um acht Uhr seinen ersten Patienten zu behandeln, den er an Markttagen immer um fünf nach acht Uhr empfing statt zur vollen Stunde. Ein weiteres Zeichen seiner Torheit. Wäre es nicht viel besser, seine Zeit mit etwas Nützlicherem zu verbringen? Er hatte heute noch Berge von Arbeit zu erledigen. Doch nein, diese Kutsche anzuschauen, gehörte zu seinen Angewohnheiten, genau wie die irritierende Insassin. Und wie immer hielt sie unter seinem Fenster. Wie um ihn zu quälen.

    Vorsichtig zog er die Gardine ein wenig zur Seite und beobachtete den Diener beim Öffnen der Kutschentür. Ein Fuß tauchte auf. Er steckte in einem erstaunlich zweckmäßigen Schuh, aber er konnte ihren faszinierend wohlgeformten Knöchel sehen. Ihm stockte der Atem.

    Noch nie zuvor hatte er ihre Fesseln zu Gesicht bekommen und war überrascht, wie sehr ihn das beeindruckte. Wie viele hatte er in seinem Beruf wohl schon gesehen? Hunderte? Wohl eher Tausende. Dennoch schlug sein Herz schneller, als er ihr schlankes Fußgelenk sah.

    Nun erschien ihr Kopf in der offenen Tür. Sie trug eine Haube, unter der ihr goldblondes Haar auf kleidsame und modische Weise frisiert war, wie er wusste. Ein paar der seidigen Strähnen in der Farbe reifen, sonnengeküssten Weizens umrahmten ihr entzückendes Gesicht in kleinen spiralförmigen Locken. Wie gern hätte er sie sich um die Finger gewickelt …

    Das würde er wohl nie tun können. Doch sollte es jemals dazu kommen, wollte er jede einzelne Nadel aus ihren Haaren entfernen, damit ihr die üppige Lockenpracht über Schultern und den Rücken wallte. Und jetzt hatte er ihre schlanken Fesseln gesehen. Mit geschlossenen Augen erfreute er sich innerlich an dem Anblick.

    Lady Clarissa Beaumont.

    Langsam ließ Joe den Atem ausströmen, öffnete wieder die Augen und beobachtete, wie sie ihre Röcke zusammenraffte. Ganz kurz drehte sie sich um, sodass er ihre Wangen mit der hellen Pfirsichhaut sehen konnte. Doch zu seiner Enttäuschung blieben ihre großen mandelförmigen Augen im Schatten. Er wusste, sie hatten eine so herrliche blaue Farbe, dass die Südsee daneben verblassen würde. Als sie den Diener kurz anlächelte, konnte er einen Blick auf ihre vollen rosigen Lippen erhaschen, und er wurde ein wenig eifersüchtig auf den Mann.

    Das war äußerst lächerlich, denn die bezaubernde Clarissa – die gefeierte Schönheit der Hautevolee – wusste wahrscheinlich gar nicht, dass er überhaupt existierte. Zum Glück wusste sie auch nicht, dass der Mann hinter der Gardine seines Praxisfensters unheilbar an unerwiderter Liebe erkrankt war. Heute Morgen war es aus irgendeinem Grund sogar noch schlimmer als sonst. Wahrscheinlich lag es an ihren Knöcheln. Ein paar Zentimeter ihres Beines, und er brannte vor Verlangen. Das war ein neues Gefühl. Bis heute war seine Liebe noch rein gewesen wie die eines Minnesängers, und unbefleckt von Fleischeslust. Doch bis heute hatte er ja auch noch nie ihre herrlichen Fußknöchel sehen können, darum war seine plötzliche körperliche Reaktion verständlich. Überhaupt – was war Liebe ohne Leidenschaft?

    Sie drehte sich nun ganz um, und sein Herz begann zu fliegen. Um dann wieder jäh abzustürzen. Es war die falsche Schwester. Nicht die bezaubernd schöne, charmante, blonde Lady Clarissa Beaumont, sondern Lady Isabella Beaumont. Auch hübsch, ja, und sie hatte verdammt schöne Beine, aber ansonsten war sie eher ernsthaft und ungesellig. Außerdem war sie brünett, und ihre Schnittlauchlocken unterstrichen noch ihre verdrießliche Art. Sie nahm den Korb von dem Diener entgegen und blickte mit sichtlicher Abneigung über den Marktplatz. Dann ging sie zielstrebig los, was nicht erstaunlich war, weil Lady Isabella nichts ohne Grund tat. Bei gesellschaftlichen Veranstaltungen las sie lieber ein Buch, während alle anderen Mädchen tanzten und sich amüsierten.

    Sie begleitete die schöne Clarissa stets bei den Einkäufen, aber bisher hatte Joe mit der Furcht einflößenden Lady Isabella noch nicht viel zu tun gehabt. Nur einmal, beim monatlichen Tanzabend in der Stadthalle, hatte sie neben ihrer schönen Schwester gestanden. Den ganzen Abend über schaute sie äußerst ablehnend drein, so als wäre die provinzielle Gesellschaft im nasskalten Nottinghamshire unter ihrer Würde. Doch sie war neben ihrer strahlenden Schwester verblasst, und Joe beachtete sie kaum.

    Das war nicht ganz richtig. Er hatte sie kurz gemustert, sich aber dann gefragt, warum er seine Zeit damit vergeuden sollte, ins Dunkel zu schauen, wenn er ins helle Licht sehen konnte? Obwohl er ihre dunklen und ernsthaft dreinblickenden Augen irgendwie anziehend fand. Er runzelte die Stirn, denn das verwirrte und störte ihn. Doch es hatte ihn auch neugierig gemacht, Gott allein wusste, warum. Es war beinahe so verstörend gewesen wie die Sehnsucht nach ihrer unerreichbaren Schwester.

    In der letzten Woche hatte er Lady Isabella jedoch schon zweimal in dem Heim für Findelkinder gesehen, das von seiner Schwägerin Letty gegründet worden war. Es blieb ihm keine andere Wahl, denn sie arbeitete ehrenamtlich auf der Krankenstation. Mit Argusaugen beobachtete sie ihn, wenn er kam, um die jungen Patienten zu behandeln. Sie sah ihn so misstrauisch und sauertöpfisch an, dass sie ihm das Gefühl vermittelte, kein besonders guter Arzt zu sein. Es verunsicherte ihn. Doch sie sagte nie etwas. Nicht ein einziges Wort. Sie stand nur stumm an der Tür, wenn er arbeitete, und verschwand, sobald er sich umdrehte. Es war sehr seltsam. Merkwürdig. Wie die ganze Lady Isabella.

    Isabella erschien essigsauer neben ihrer honigsüßen Schwester. Immer war sie auf Abstand bedacht. Ohne jeden Funken Humor, soweit er das feststellen konnte. Sauertöpfisch. Unhöflich. Vielleicht sogar auch ein wenig einschüchternd. Joe verzog die Lippen.

    Mit angehaltenem Atem wartete er darauf, dass die andere Lady Beaumont ausstieg. Diejenige, nach der sein Herz sich verzehrte. Doch, ach, der Diener schloss den Wagenschlag und nahm seinen Platz am hinteren Ende der Kutsche ein. Joe musste sich der Enttäuschung stellen, dass er heute das Objekt seiner unerwiderten Liebe nicht mehr sehen würde. Es war ein harter Schlag, nachdem er sich so darauf gefreut hatte. Doch Lady Clarissa würde ihn sowieso nie in Betracht ziehen.

    Abgesehen von seinen unerfreulichen Vorfahren und dem schlechten Ruf aller Warriners, der wie ein schlechter Geruch in Retford haften geblieben war, war er lediglich der zweite Bruder eines Earls, ohne Aussicht auf den Titel. Er hatte noch einen älteren Bruder und zwei gesunde Neffen, die vor ihm kamen. Eigentlich legte er auch gar keinen Wert auf irgendwelche Titel außer dem Doktor, aber Frauen wie Lady Clarissa wurden dazu erzogen, solche Dinge wichtig zu nehmen. Sie war die Tochter des Earl of Braxton und würde zweifellos eines Tages jemanden heiraten, der auch einen noblen Titel hatte. Dann würde sie in einem herrschaftlichen Anwesen residieren, inmitten der ausgedehnten Ländereien ihres reichen Gatten. Solch eine Lady heiratete keinen Drittgeborenen, geschweige denn einen Arzt. Sein Beruf befriedigte ihn, aber für viele war er vermutlich abstoßend. Manchmal kam er nach Hause, und seine Kleider waren befleckt mit unaussprechlichen Dingen, die man vor den zarten Ohren einer schönen, vornehm erzogenen Dame nicht einmal erwähnen durfte.

    Nur wenn er Glück hatte, konnte er eine ganze Nacht ungestört durchschlafen. Meistens jedoch wurde er von wildem Klopfen geweckt und zum Bett eines Patienten geholt. Auch von gesellschaftlichen Veranstaltungen und Essenseinladungen rief man ihn fort. Nicht einmal zu Weihnachten konnte er sicher sein, dass man ihn in Frieden feiern ließ. Doch diese Dinge störten ihn nicht weiter. Sein Beruf war seine Berufung, und er hätte es nicht anders haben wollen. Allerdings wäre es von einer anderen Person zu viel verlangt gewesen, das zu akzeptieren. Besonders wenn diese Person so schön und vornehm war, dass sie unter einer Schar von Verehrern wählen konnte, die alle einen besseren familiären Hintergrund hatten als er.

    Mrs. Patterson, seine Respekt einflößend Haushälterin und Helferin, klopfte an die Tür zum Behandlungsraum und holte Joe ruckartig zurück in die Gegenwart.

    „Dr. Warriner, Mr. Simmons ist zu seinem Termin erschienen."

    „Schicken Sie ihn herein, Mrs. Patterson." Joe setzte sich ordentlich hinter den Schreibtisch und rückte die Drahtgestellbrille zurecht, die er zum Lesen brauchte. Die Zeit für nutzlose Träumereien war vorüber.

    Bella starrte auf den bereits ziemlich belebten Marktplatz und ihr wurde leicht übel. Normalerweise ging sie immer mit Clarissa über den Platz, dann war es nicht so unheimlich für sie. Doch heute hatte ihre Schwester behauptet, krank zu sein, um nicht ihre Hand halten zu müssen. Bella hätte zu Hause bleiben können, aber dort langweilte sie sich bei ihrer Stickerei. Wenn sie den Tag mit sinnvollen Tätigkeiten verbrachte, lenkte es sie von ihrer Angst ab und sie konnte das Haus verlassen. Wenn sie eine Aufgabe hatte, ging es ihr besser, darum musste sie tapfer sein.

    Bis zum Waisenhaus war es nur eine kurze Strecke.

    Es war heller Tag.

    Niemand wollte ihr etwas Böses antun.

    Sie konnte und sie würde es tun! In nicht einmal fünf Minuten konnte sie in der Sicherheit der Krankenstube sein. Seit Kurzem wusste sie, dass dies der Platz war, wo es ihr am besten auf der ganzen Welt gefiel.

    Es kam nicht oft vor, dass sie sich so geborgen fühlte, dass sie wieder fast sie selbst sein konnte. Seit dem Vorfall, wie ihre Familie es hinter vorgehaltener Hand nannte, hatte ihr wahres Ich sich tief in ihr Inneres verkrochen, und es hatte große Angst, sich zu zeigen. Der Grund für all das war ihre eigene Vertrauensseligkeit. Es war nicht verwunderlich, dass Bella keinem Mann vertraute und sich nicht wohlfühlte in einer Menschenmenge. Und nie allein nach draußen ging, wo Gefahren lauerten. Vielleicht war es vermessen gewesen und übereilt, ohne Begleitung hierherzukommen. Sie sollte besser umkehren und wieder in die Kutsche steigen …

    Du bist erbärmlich! schrie ihr wahres Ich. Zwanzig Jahre lang ist dir nie etwas zugestoßen. Du kannst nicht von einem einzigen Ereignis dein ganzes Leben bestimmen lassen.

    Die Stimme ihres wahren Ichs war in den vergangenen Monaten immer lauter geworden. Das machte ihr Mut, die Hoffnung auf ein sinnerfülltes Leben nicht aufzugeben. Aus dem Versteck in ihrem Inneren kamen markige Sprüche, dort ging sie Probleme vernünftig und logisch an, manchmal argumentierte sie auch ironisch gegen ihre eigene Dummheit. In ihren Gedanken gab sie kluge und bisweilen witzige Kommentare über ihre Umgebung ab, aber noch war sie nicht stark genug, um sie laut auszusprechen. Doch alles war in ihr. Irgendwo. Und es drängte sie nach vorn.

    Die Waisenkinder brauchen dich. Und denke an die wunderbaren Dinge, die du dort lernst.

    Bella machte ein entschlossenes Gesicht und schaute über den Platz voller Menschen. Die kranken Kinder brauchten sie. In der Krankenstube lernte sie so viel über Medizin, dass die Stunden immer sehr schnell verflogen. Zum ersten Mal im Leben tat sie das, was sie schon immer hatte tun wollen. In London sah man so etwas nicht gern, doch das verschlafene Retford war nicht London, und es war unwahrscheinlich, dass je ein Bekannter ihrer Eltern aus der feinen Gesellschaft davon erfahren würde. Mama und Papa waren begeistert gewesen, dass Bella überhaupt wieder Interesse an etwas zeigte, und hatten es ihr erlaubt.

    Jungen Ladys aus gutem Hause war es nicht gestattet, sich für das Studium der Anatomie und Heilkunst zu interessieren. Doch die Zeit mit den Kindern zu verbringen und etwas über ihre Krankheiten und deren Behandlung zu erfahren war erfüllender als alles, was Bella je getan hatte. Allmählich beschlich sie der Verdacht, dass es ihre eigentliche Berufung war und dass sie schon immer Ärztin oder Krankenschwester hätte sein sollen. Endlich konnte sie umsetzen, was sie in den wissenschaftlichen Journalen gelesen hatte. Es gab ihrem Tag so viel Sinn, dass sie über Stunden fast vergaß, sich ihren Ängsten zu überlassen. Das war doch ein großer Fortschritt, oder nicht? Sie zählte die Minuten, bis sie wieder dort sein, die Ärmel hochkrempeln und den armen kleinen Engeln helfen konnte, gesund zu werden.

    Jetzt musste sie es nur noch schaffen, allein diesen Marktplatz zu überqueren. Bella wollte nicht mehr ständig Angst haben, da hatte ihr wahres Ich recht. Leben in Furcht schmeckte nach Unterwerfung, und sie war entschlossen, niemals den bösen Mann gewinnen zu lassen.

    Sie zwang sich dazu, höflich einen der Markthändler anzulächeln, der sie grüßte. Es gelang ihr, die irrationale Angst zu überwinden, die sie immer erfasste, wenn sie einem Mann nahekam. Wenn sie ein klein wenig besser achtgegeben und weniger Angst gehabt hätte, wäre ihr der wacklig aufgestellte Korb mit den Kartoffeln sicher aufgefallen. Aber da sie sich schutzlos fühlte, verlor sie ihre Umgebung völlig aus den Augen und bemerkte nicht rechtzeitig, dass der volle Korb umkippte und seinen Inhalt vor ihr ergoss. Zu spät drehte sich Bella um, sodass einige der Kartoffeln unter ihre langen Röcke rollten und sich dort verfingen.

    Als sie auf eine davon trat, rutschte sie aus und fiel nach vorn. Ihr schwerer Korb kippte ebenfalls und fiel mit ihr. Bella landete vornüber mit so viel Schwung auf dem Boden, dass sie für einen Moment keine Luft mehr bekam. Ein scharfer Schmerz im Knöchel trieb ihr Tränen in die Augen. Ihre abgeschürften Handflächen brannten. Ihr Kleid war durchnässt von der Pfütze auf dem Boden. Sie fühlte sich beschämt bis auf den Grund ihrer Seele. Wenn Bella etwas hasste, dann war es, im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit zu stehen.

    Mehrere Händler und Kunden eilten ihr zu Hilfe, doch sie versicherte ihnen, es sei alles in Ordnung, und versuchte aufzustehen. Ein glühender Schmerz schoss ihr durchs Bein und zwang sie liegen zu bleiben. Zu allem Überfluss verließ ihre Kutsche gerade den Marktplatz. Nun gab es für sie keine Möglichkeit mehr, dieser schrecklichen Situation zu entkommen. Bella lächelte schwach die wachsende Schar von Zuschauern an. Sie musste die letzten Reste ihrer Würde zusammennehmen und auch noch gegen ihre Angst ankämpfen, dass sie diesen Menschen ausgeliefert war. Die meisten davon waren Männer.

    „Mylady, es tut mir ja so leid. Der Standinhaber knetete unwohl seine Kappe in den Händen. „Sind Sie ernsthaft verletzt? Soll ich Dr. Warriner holen? Seine Praxis ist gleich dort drüben.

    Bella hatte Angst vor noch größerer Demütigung, wenn der hervorragende Dr. Warriner käme. Sie schüttelte den Kopf. Der hübsche Doktor war der Letzte, der das Ergebnis ihrer dummen Ungeschicklichkeit sehen sollte. Der Mann, wegen dem ihr törichtes Herz jedes Mal zu flattern begann, wenn er das Wort an sie richtete, obwohl er ein Mann war. Doch sie hatte es bisher noch nie geschafft, ihm zu antworten. Das lag wahrscheinlich an seiner hervorragenden Arbeit und nicht an seinem guten Aussehen, aber sie war nicht ganz sicher. „Das wird nicht nötig sein – ich kann bestimmt gleich wieder aufstehen." Sie würde nach Hause kriechen, wenn es sein musste.

    Doch bald waren zwei Dinge klar. Erstens – es war unmöglich aufzustehen. Bella versuchte es dreimal, aber der Schmerz trieb ihr die Tränen in die Augen. Zweitens – trotz ihrer Proteste hatte doch jemand den Doktor geholt. Die neugierigen Zuschauer machten Platz, als er plötzlich energisch auf sie zu schritt.

    „Es ist nur mein Knöchel … Ich möchte Ihre Zeit nicht wegen einer solchen Lappalie in Anspruch nehmen. Der arme Mann musste echte Kranke heilen und hatte bestimmt Wichtigeres zu tun, als einem ungeschickten Mädchen mit einer geringfügigen Verletzung zu helfen. Bella versuchte noch einmal, sich mit den Händen hochzustemmen, aber es misslang kläglich. „Ich packe Eis darauf und lege es hoch, wenn ich heimkomme, sagte sie und wandte den Kopf zur Seite. Hoffentlich verschwand er bald wieder.

    „Bitte versuchen Sie nicht aufzustehen, Mylady. Er kniete sich neben sie. „Ich muss erst einmal einen Blick darauf werfen, um festzustellen, wie schwer die Verletzung ist. Er schob ihr einen Arm unter die Beine, und sie zuckte zusammen.

    Er berührte sie!

    Sie erstarrte und versuchte sich ihm zu entziehen, doch er ließ sich nicht abschrecken. „Legen Sie die Arme um meine Schultern. Ich verspreche, dass ich Sie nicht fallen lasse."

    Große Güte! Er beabsichtigte sie zu tragen. Das würde noch mehr Aufsehen erregen. „Ich schaffe es bestimmt, selbst zu Ihrer Praxis zu gehen, Dr. Warriner." Allerdings hatte sie nicht vor, tatsächlich zu der Praxis zu humpeln, sondern wollte sich zur Straße und dann zurück nach Hause schleppen. Zum Teufel mit der Logik. Sie hätte nicht auf ihre innere Stimme hören und allein ausgehen sollen. Doch als ihre Schwester einen kleinen Schnupfen vorschützte und im Bett blieb, hätte es sich wie eine Niederlage angefühlt, wenn sie zu Hause geblieben wäre. Clarissa machte kein Geheimnis daraus, dass sie es satthatte, auf ihre Schwester aufzupassen. Sie fand, es sei jetzt schon über ein Jahr her, und auch nicht ihre – Clarissas – Schuld, dass Bella den Vorfall hatte. Bella solle endlich darüber hinwegkommen.

    Der Doktor schaute sie von oben herab an. „Sie wollen also humpeln? Damit alles noch schwieriger für mich wird? Nein, Mylady, ich werde Sie tragen, wenn Sie nichts dagegen haben."

    Aber sie hatte etwas dagegen. Er war ein Mann, und sie war jetzt ein interessantes Objekt für die Zuschauer. Sie würde gleich in Tränen ausbrechen und dann würde jedem klar sein, dass sie nicht richtig im Kopf war.

    2. KAPITEL

    Du benimmst dich lächerlich! Bella kniff die Augen zusammen, fasste ihn um die Schultern und wünschte sich, sie wäre leichter. Vielleicht ging es dann schneller vorbei. Er hob sie hoch und marschierte mit ihr über den Platz. Nach einer halben Minute hielt er sie ein wenig fester und atmete angestrengt. Es hatte also nicht geholfen, sich zu wünschen, leichter zu sein, darum wünschte sie sich nun Unsichtbarkeit. Glücklicherweise schaffte er die Strecke bis zu seiner Praxis recht schnell. Als er mit ihr in der Praxis war, setzte er sie vorsichtig auf dem Untersuchungstisch ab.

    „Ich brauche ein paar Dinge. Es dauert nur einen Moment."

    Er kehrte mit seiner Arzthelferin zurück, wahrscheinlich aus Gründen des Anstands. Bella war sehr dankbar dafür und begann sich ein wenig zu entspannen.

    „Wo tut es weh?"

    Sie berührte ihr linkes Bein. „Mein Knöchel. Ich wurde von einer Kartoffel sabotiert." Sie lächelte ein wenig und hoffte, dass man ihr die Angst nicht ansehen konnte. Denke logisch! Er macht doch nur seine Arbeit. Er hat nicht die Absicht, dir etwas anzutun. Wenn sie sich das immer wieder sagte, würde ihr Herz langsamer schlagen, und die engen Bande der Angst um ihre Rippen würden sich lockern.

    Bella presste die Lippen zusammen, als er ganz sachlich ihr beschmutztes Kleid bis zu den Knien hochschob.

    Er will dir nichts tun. Er macht nur seine Arbeit.

    Selbst in ihren eigenen Ohren klang ihre Atmung mühsam. Dr. Warriner schien zu spüren, dass sie sich immer mehr verkrampfte. Er führte es wahrscheinlich auf die Schmerzen zurück, weil er nicht wusste, dass es die Erinnerung an einen anderen Mann war, der ihre Röcke nach oben schob … mit einer schmutzigen Hand ihr den Mund zuhielt und mit der anderen an den Knöpfen seiner Hose hantierte.

    Sie wimmerte bei dieser unwillkommenen Erinnerung.

    „Atmen Sie langsam und tief. Das wird Ihnen helfen."

    Sie folgte seiner Anweisung, aber ihr Blick blieb auf seine Hände gerichtet.

    Er will dir nicht wehtun.

    Seine vorsichtige Berührung fühlte sich nicht an wie eine Vergewaltigung.

    Er macht nur seine Arbeit.

    Er war Arzt. Ein Mann der Wissenschaft. Seine Augen waren blauer, als Bella es je gesehen hatte. Sogar blauer als Clarissas. Es waren freundliche Augen.

    Geduldige.

    Ihre innere Stimme beruhigte sie und sagte ihr, dass sie ihm vertrauen könne. Sie wollte es glauben.

    Langsam und erstaunlich zart entfernte er ihren linken Knöpfstiefel und untersuchte den geschwollenen Fuß. Er zog ein wenig die dunklen Brauen zusammen. Seine Nase war gut geformt und weder zu klein noch zu groß. Sein Kinn sah energisch aus und zeigte bereits den Schatten eines dunklen Bartes, obwohl er sich bestimmt heute Morgen rasiert hatte. Sein schwarzes Haar fiel ihm auf jungenhafte Weise in die Stirn und lockte sich über dem schneeweißen Kragen. Die Frisur sah sehr natürlich aus und zeigte, dass der Doktor nichts für Pomade oder unnötigen Firlefanz übrighatte wie die Dandys in London. Das gefiel ihr.

    Aber so etwas brauchte er auch nicht, denn er sah auch so unglaublich gut aus. Bella hatte das schon gedacht, als sie ihn auf der Tanzveranstaltung zum ersten Mal sah. Zu ihrem eigenen Erstaunen, denn seit mehr als einem Jahr hatte sie solche Gedanken nicht mehr gehabt. Seitdem hatte sie ihn nie anders als in Schwarz oder Dunkelblau gesehen. Er war immer gut gekleidet und machte den Eindruck eines Mannes, der sich in seiner eigenen Haut wohlfühlt und viel zu viel zu tun hat, um seiner Kleidung große Beachtung zu schenken.

    Er hatte schöne und geschickte Hände, wenn man so etwas über Hände sagen konnte, mit gut gepflegten Fingernägeln. Ganz anders als die jenes Schurken. Es waren die Hände eines Heilers. So wie ihre.

    Allmählich verflog ihre Angst, und sie begann seine Technik zu beobachten. Er war gut ausgebildet in der medizinischen Kunst, während all ihr Wissen nur aus Büchern stammte. Bücher waren kein Ersatz für praktische Erfahrung.

    „Mrs. Patterson, wären Sie wohl so gut …" Er machte ein seltsames Gesicht, als er seiner Arzthelferin ein Zeichen gab, den Strumpf von Bellas linkem Bein zu entfernen. Ihr fiel auf, dass sie ihn angestarrt hatte. Sie legte sich auf der Liege zurück, und nun fühlte sie sich entsetzlich entblößt. Starr schaute sie an die Decke, während er mit seinen großen Händen sorgfältig ihren Fuß, den Unterschenkel und den Knöchel abtastete.

    Er macht nur seine Arbeit. Sei nicht so ein jämmerlicher Feigling. Es irritiert ihn. Du bist lästig. Sei logisch.

    Als sie einsah, dass es unausweichlich war, erschien es ihr gar nicht mehr so unangenehm. Er hatte schöne warme Hände, und bei seiner Berührung begann ihre Haut zu prickeln, und ihr Puls spielte verrückt. Seltsam – es hatte nichts mit Angst zu tun. Diese Gefühle kannte Bella nur allzu gut, aber dies war anders. Wie merkwürdig.

    Plötzlich nahm er die Hände von ihr, aber für ihr wahres Ich hätten sie gern länger dort verweilen können. „Die gute Nachricht ist, dass nichts gebrochen ist. Bella sah zu, wie er mit seinen geschickten Händen ihre Röcke ordnete. Er hatte offensichtlich regelmäßig und häufig die Beine einer großen Anzahl von Ladys berührt, denn er schien absolut nicht beeindruckt zu sein von ihren. „Jedoch ist der Knöchel geprellt und stark verstaucht, und Sie dürfen den Fuß ein paar Tage lang nicht belasten. Er setzte ein unverbindliches Arztlächeln auf und wandte sich an seine Helferin.

    „Mrs. Patterson, könnten Sie wohl bitte etwas Eis und ein paar Tücher holen?"

    Dann wären sie allein! Sie hörte nicht mehr, was er außerdem noch sagte, weil es in ihrem Kopf zu hämmern begann. Die ältere Frau verließ den Raum, und Bella richtete sich auf. Nur für den Fall, dass sie gezwungen wäre, schnell wegzulaufen. Doch sie zuckte zusammen, als sie sich auf die Handflächen stützte.

    „Lassen Sie mich mal sehen." Er sagte es in beruhigendem Ton, ganz sachlich und fachgemäß, und nahm ihre beiden Hände in seine. Sie erstarrte zwar, aber gleichzeitig schnellte ihr Pulsschlag abermals in die Höhe. Er drehte ihre Handinnenflächen nach oben, um die schmutzigen Abschürfungen anzusehen, die sie sich bei ihrem Sturz zugezogen hatte. Merkwürdig – plötzlich hatte sie nicht mehr den Wunsch fortzulaufen, obwohl sie ihm ganz nah war. War das ein Zeichen von Fortschritt?

    „Das muss gereinigt werden. Ohne sichtbare Gefühlsregung ließ er ihre Hände los und ging zu dem Waschtisch hinten im Raum. Er goss Wasser in eine Schüssel, fügte eine klare Flüssigkeit aus einer Flasche hinzu, warf sich ein Handtuch über die Schulter und trug das Becken zu ihr. „Tauchen Sie die Hände ein. Sie tauchte die Hände ein, zog sie aber sofort wieder heraus, weil es stark brannte.

    „Was ist denn das? Säure?" Misstrauisch beäugte sie das Wasser.

    „Gin. Ich habe festgestellt, dass sich Wunden nicht so oft entzünden, wenn man sie regelmäßig mit Alkohol reinigt. Gin ist billig. Ich möchte keinen guten Brandy vergeuden."

    Er versuchte sie zu beruhigen, so wie sie die Kinder in der Krankenstube. Er hatte so eine schöne Stimme. Tief und freundlich. Doch sie sah ihn nur blinzelnd an, ohne zu lächeln. Nach kurzer Zeit hörte er auf zu lächeln. Er mochte sie wahrscheinlich nicht. Sie konnte es ihm nicht verdenken, sie mochte sich ja selbst nicht.

    Und sie begann sich ein wenig zu schämen. Er war die ganze Zeit so nett zu ihr gewesen, aber sie blinzelte ihn nur an. Früher hätte sie angemessen reagiert – freundlich oder auch witzig. Dieses Mädchen von früher vermisste sie und wünschte es sich jeden Tag wieder zurück. Doch die alte Bella war verschollen, vielleicht sogar tot, und die neue war nicht richtig im Kopf.

    Zum ersten Mal in ihrem Leben wünschte sie sich, sie wäre ihre Schwester. Clarissa hätte schlagfertig und charmant geantwortet, denn sie redete gern. Doch Bella blieb stumm. Selbst ihrem wahren Ich fiel nichts ein, und das Schweigen wurde drückend. Wieder einmal. Sie überlegte, ob sie sich nicht in dem flachen Wassergefäß ertränken sollte, um sie beide von ihrem Elend zu erlösen.

    Als er zufrieden damit war, dass sie gründlich gesäubert waren, tupfte er ihre Hände trocken und trat zu einem Regal an der hinteren Wand des Zimmers. Dort holte er einen Tiegel mit Salbe und strich sie auf die schlimmsten Kratzer.

    „Das riecht nach Honig." Sie zwang sich dazu, die Worte auszusprechen. Ein verzweifelter Versuch, sich normal zu unterhalten, und im Moment fiel ihr nichts anderes ein. Immerhin redete sie mit ihm. Einem Mann.

    Er verschloss den Behälter und räumte ihn weg. „Die Salbe besteht ja auch größtenteils daraus. Wir verschwenden Honig auf Brot, obwohl schon die alten Ägypter wussten, dass er außergewöhnliche Heilkräfte besitzt. Wie Gin dient Honig zur Abwehr einer Entzündung. Aber auf Brot schmeckt er natürlich auch sehr gut."

    Er lächelte sie kurz an, und plötzlich hatte Bella wieder ein seltsames Ziehen im Bauch. Sie versuchte es nicht zu beachten, um ihm zu antworten. „Die Ägypter hatten auch schon Skalpelle aus Metall. Und Knochensägen. Diese Bemerkung brachte ihr einen Blick ein, bei dem sie sich wie die merkwürdigste aller Frauen fühlte. „Das habe ich gelesen.

    „Sie verbringen Ihre Zeit damit, über chirurgische Instrumente zu lesen?"

    „Ich bin nicht nur ein hohlköpfiges Schmuckstück." Nun klang sie schnippisch und abweisend. Clarissa käme niemals auf die Idee, mit einem Gentleman über Knochensägen zu sprechen. Sie würde lächeln und ihm zu seinem überlegenen Wissen gratulieren. Aber Clarissa war mit großem Charme gesegnet, und diesen Teil von sich hatte Bella verloren. Ihre Lebensumstände waren nun einmal außergewöhnlich schwierig.

    Mrs. Patterson kam mit dem Eis zurück und ersparte ihm eine Antwort. Er packte das zerkleinerte Eis in ein dünnes Leinentuch und legte es Bella auf den geschwollenen Knöchel. „Ihr Zweispänner kommt in fünf Minuten, Dr. Warriner."

    Er wollte sie nach Hause fahren!

    Nur sie und er im Wagen. Die Straße zum Haus war lang und verlassen. Es gab Bäume und Büsche auf beiden Seiten. Wenn er sie dahinter zerrte, würde niemand es bemerken. Neue Angst krallte sich in ihrem Bauch fest.

    „Nein! Senden Sie eine Nachricht, dass ich mit dem Wagen meines Vaters abgeholt werden möchte."

    Er straffte die Schultern, runzelte die Stirn und spießte sie mit dem Blick seiner tiefblauen Augen förmlich auf. „Wie Sie wünschen. Mrs. Patterson bringt sie ins Wartezimmer, Mylady. Ich muss mich um meine anderen Patienten kümmern."

    Große Güte, wie unhöflich sie gewesen war! Noch Stunden später ärgerte er sich über ihr seltsames Verhalten, während er auf ihre Haustür zuging. Nicht einmal bedankt hatte sie sich. Sie hatte ihn nur so mürrisch angesehen, als wäre er abstoßend. Jedes Mal, wenn er sie berührte, verzog sie angewidert das Gesicht und redete mit ihm, als wäre er ein unwilliger Dienstbote. Er wusste, dass manche Menschen schlechter mit Schmerzen umgehen konnten als andere, aber er hatte noch nie jemanden erlebt, der sich wegen einer Verstauchung so aufgeführt hätte wie sie. Vielleicht lag es ja gar nicht an der Verletzung. Vielleicht war sie ja immer so? Das wäre sehr schade, denn sie war wirklich schön. Wenn sie bessere Manieren gehabt hätte und gelegentlich lächeln würde, wäre sie ebenso bezaubernd gewesen wie ihre Schwester. Vielleicht sogar noch schöner. Ihre dunklen Mandelaugen mit den schwarzen Wimpern waren wirklich entzückend. Wenn sie sie nicht gerade misstrauisch zusammenkniff.

    War sie so feindselig wegen seiner Familie? Trotz aller Bemühungen waren die vier Warriner-Brüder wegen der Taten ihres Vaters und Großvaters immer noch äußerst schlecht angesehen bei den Einheimischen. Niemand hatte Vertrauen zu einem Warriner. Es machte für sie keinen Unterschied, dass sein ältester Bruder Jack und dessen Frau Letty sehr wohltätig waren. Und es war auch offenbar nicht von Bedeutung, dass sein Bruder Jamie und dessen Frau Cassie viele Touristen nach Retford zogen, die mit eigenen Augen die Orte sehen wollten, an denen die erfolgreichen Orange Blossom-Bücher spielten. Nur wenige Anwohner waren bereit anzuerkennen, dass sie jetzt eine anständige Familie waren. Die meisten warteten nur darauf, dass sie wieder in die Gewohnheiten ihrer Vorfahren zurückfielen.

    Wahrscheinlich war Lady Isabella von dem böswilligen Geschwätz beeinflusst worden, und das nahm er ihr übel. Seit weniger als einem Monat lebte sie in Retford und urteilte bereits über ihn! Wenn er so ruchlos gewesen wäre wie seine Vorfahren, warum hätte er sich dann die Zeit genommen – obwohl Arbeit zuhauf auf ihn wartete –, jetzt die undankbarste Patientin zu besuchen, die er je behandelt hatte?

    Andererseits verschaffte Lady Isabellas Verletzung ihm den perfekten Anlass, Lady Clarissa in ihrem Haus aufzusuchen. Das hatte er schon lange tun wollen – seit er vor einem Monat mit ihr getanzt hatte. Aber es war wirklich sein ärztliches Pflichtgefühl, das ihn veranlasste, an die Tür des Earl of Braxton zu klopfen. Er bezweifelte zwar stark, dass die mürrische Isabella es ihm danken würde, aber dennoch fühlte er sich dazu verpflichtet, sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Manchmal irritierte ihn seine eigene Fürsorglichkeit. Er wünschte oft, er wäre weniger weichherzig und hilfsbereit gegenüber denen, die ihn mit Verachtung behandelten, doch Joe konnte nicht aus seiner Haut. Er würde heute keinen Schlaf finden, wenn er sich nicht vergewisserte, dass es ihr besser ging. Es war eine schwere Verstauchung, und daraus konnten sich manchmal Blutgerinnsel entwickeln. Das kam zwar nur sehr selten vor, aber er wollte sichergehen. Eine erneute Untersuchung der wunderschönen Beine war notwendig, egal, wie unangenehm die Patientin war.

    Wenn er ehrlich war, fühlte Joe sich sogar ein wenig schuldbewusst, weil ihm ihre Knöchel so gut gefielen. Nachdem der Strumpf von ihrem Bein entfernt worden war, hatte er für einen kurzen Augenblick ihre seidige Haut mit den Augen eines Mannes betrachtet, statt so abgeklärt wie ein Arzt. Das tat er sonst eigentlich nie. Er nahm den hippokratischen Eid und seine Verantwortung viel zu ernst, um unpassende Gedanken zu hegen. Doch Lady Isabellas Art, ihn anzusehen wie einen marodierenden Wikinger, der gerade ein Dorf ausplündern wollte, hatte zeitweise sein Urteilsvermögen getrübt. Ihre Einstellung ärgerte ihn. Darüber hatte er fast ihre herrlichen Beine vergessen.

    Rasch betätigte Joe wieder den Türklopfer. Sein Besuch war rein beruflicher Natur. Sollte er dabei zufällig auf die anbetungswürdige Lady Clarissa treffen, wäre es natürlich sehr angenehm. Ebenso der Anblick jener Beine, die leider zu der anderen, der ärgerlichen Beaumont gehörten.

    Die Tür ging auf.

    „Würden Sie bitte den Earl of Braxton darüber informieren, Dr. Warriner sei hier, um nach seiner Tochter zu sehen? Ich habe heute Morgen ihre Verletzungen behandelt."

    Der streng wirkende Butler sah verwirrt aus. „Der Arzt ist aber bereits bei ihr, Sir."

    Ja, natürlich. Zweifellos hatte die Familie sofort den alten Trottel Dr. Bentley gerufen, als sie hörten, dass ihre kostbare Tochter von einem Warriner behandelt worden war. Normalerweise versuchte Joe, die alten Vorurteile zu ignorieren, aber manchmal störte es ihn ja doch. Er wusste, dass er ein viel besserer Arzt war als der alte Quacksalber, den sie bevorzugten.

    „Trotzdem würde ich sie gern sehen. Nur, um mich zu beruhigen. Ich werde die Familie nicht lange aufhalten und schneller wieder draußen sein als ein Frettchen aus dem Kaninchenbau."

    3. KAPITEL

    Der indignierte Butler bat Joe, in der Eingangshalle zu warten. Kurz darauf wurde er in den Salon geführt, wo ihn die Countess of Braxton begrüßte. „Dr. Warriner! Ich kann Ihnen nicht genug dafür danken, dass Sie Bella geholfen haben." Sie schüttelte überschwänglich seine Hand. Er fand ihre Dankbarkeit etwas übertrieben. Sie war sogar den Tränen nahe.

    „Nicht nötig", sagte er und sah sich unauffällig nach Clarissa um. Das Ziel seiner Träume saß in der hintersten Ecke mit einer Stickarbeit in den Händen, aber sie blickte nicht einmal auf. Ihr gewöhnlich stets lächelndes Gesicht war mürrisch verzogen. Eine kritische Stimme in seinem Kopf stellte fest, sie sei unhöflich, aber das ignorierte er. Ein Engel wie Lady Clarissa konnte gar nicht unhöflich sein. Nicht so wie die andere. Er schaute zur anderen Seite, wo die jüngere Schwester auf dem Sofa saß. Ihr verletztes Bein war auf Kissen gelagert, und sie blickte ihn feindselig an. Neben ihr stand Dr. Bentley und packte gerade seine Ausrüstung ein, darunter die Schröpfbecher, die der alte Trottel als Heilmittel gegen alles einsetzte. Er schaute Joe flüchtig an und nickte kurz.

    „Warriner."

    Immer nur Warriner. Niemals der Titel, den Joe sich redlich erarbeitet hatte. Für Bentley war er nur ein Emporkömmling und Scharlatan, der die Frechheit besessen hatte, eine neue Praxis in seinem Revier aufzumachen und Geld einzunehmen, das eigentlich ihm zustand. Was wusste denn dieser Warriner schon?

    Joe beschäftigte sich seit seinem achten Lebensjahr mit Medizin. Er hatte an der Ärzteschule in Edinburgh studiert und als Jahrgangsbester seinen Abschluss gemacht. Dann hatte er sich trotz des schlechten Rufs der Familie Warriner eine mittlerweile recht angesehene Praxis aufgebaut, weil er verdammt gut war in dem, was er tat. Und seitdem hatte er Tag für Tag hart gearbeitet und seine Fertigkeiten ständig verbessert. Irgendwann würde Joe es sich erlauben, das zu sagen, was er dachte. Aber nicht heute. „Guten Tag, Dr. Bentley. Wie geht es unserer Patientin?"

    „Sie ist jetzt meine Patientin, und darum werde ich über ihre Behandlung nicht mit Ihnen diskutieren. Dr. Bentley wandte sich an die Countess. „Auf Wiedersehen, Eure Ladyschaft. Wegen der anderen Sache erwarte ich Ihre weiteren Instruktionen und hoffe sehr, dass Lady Isabella bald Vernunft annimmt. Schon marschierte er hinaus, ohne sich noch einmal umzusehen. Bentley war offensichtlich verstimmt. Vermutlich war Lady Isabella für ihn auch keine reine Freude gewesen.

    Da er nun einmal deswegen gekommen war, trat Joe zum Sofa und lächelte. „Wie geht es dem Knöchel?"

    „Schon besser." Sie schien kurz davor zu stehen, in Tränen auszubrechen, was ihn berührte. Aber er war wie immer zu weich, wollte stets anderen helfen. Mit diesem Fehler war er schon geboren worden. Ohne dazu aufgefordert worden zu sein, setzte er sich auf die Sofakante und

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