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Tiergeschichten vom Ponyhof
Tiergeschichten vom Ponyhof
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eBook273 Seiten3 Stunden

Tiergeschichten vom Ponyhof

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Über dieses E-Book

Auf einem Ponyhof geht es oft turbulent zu und her. In diesem Band erzählt Lise Gast auf amüsante Weise über das Leben auf dem Ponyhof: Weihnachten mit einer "Pferdebescherung", abenteuerliche Erlebnisse mit Feriengästen sowie Pannen, Turniere und Fuchsjagden gehören dabei zur Tagesordnung... – Lustig und humorvoll erzählte Pferderomane. Lesenswert!Lise Gast (geboren 1908 als Elisabeth Gast, gestorben 1988) war eine deutsche Autorin von Kinder- und Jugendbüchern. Sie absolvierte eine Ausbildung zur landwirtschaftlichen Lehrerin. 1933 heiratete sie Georg Richter. Aus der Ehe gingen 8 Kinder hervor. 1936 erschien ihr erstes Buch "Tapfere junge Susanne". Darauf folgen unzählige weitere Geschichten, die alle unter dem Pseudonym Lise Gast veröffentlicht wurden. Nach Ende des zweiten Weltkriegs floh Gast mit ihren Kindern nach Württemberg, wo sie sich vollkommen der Schriftstellerei widmete. Nachdem sie erfuhr, dass ihr Mann in der Tschechoslowakei in einem Kriegsgefangenenlager gestorben war, gründete sie 1955 einen Ponyhof und verwendete das Alltagsgeschehen auf diesem Hof als Inspiration für ihre Geschichten. Insgesamt verfasste Gast etwa 120 Bücher und war neben ihrer Tätigkeit als Schriftstellerin auch als Kolumnistin aktiv.-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum14. Apr. 2016
ISBN9788711510094
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    Buchvorschau

    Tiergeschichten vom Ponyhof - Lise Gast

    www.egmont.com

    Pferdehandel

    Vor langer Zeit, als wir noch keine Pferde hatten, veröffentlichte ich einmal ein Buch, das hieß „Große Schwester Schimmel und erwies sich als richtungweisend für unser weiteres Leben. Denn „Schimmel deutet auf eine Pferdefarbe hin. Dieses Buch wurde in der Zeitung besprochen, und direkt darunter befand sich die Kritik eines anderen Buches, mit dem Titel „Dick und Dalli und die Ponys" von Ursula Bruns. Die Autorin schilderte darin das Leben einer Großmutter mit zwei kleinen Enkelinnen, die Ponys züchteten.

    Ponys! Seit eh und je mein Traum und mein größter Wunsch. Schon im allerältesten Adreßbuch, das ich noch heute besitze, steht eine Anschrift „Shetlandponys, Alpen, Niederrhein". Ich kaufte Ursula Bruns Buch und las es den Kindern vor. Und dabei überlegte ich.

    Wir wohnten damals auf einem Gutshof in Westfalen, und der Besitzer hielt seine schützende Hand über uns. Er selbst war kinderlos, aber sehr kinderfreundlich, hatte seinen Spaß an unserer Bande und verzieh immer wieder, wenn Dummheiten angestellt wurden. Auf dem Hof gab es eine alte Ölmühle aus dem Jahr 1879, die leerstand; ein Stall war auch dabei. Der Wunsch, den Kindern ein Pony zu halten und sie reiten zu lassen, war groß. Ich begann also, mich umzuhören. Woher bekam man ein Pony?

    Erst versuchte ich es bei einer Autorin, die die Frau eines Zoodirektors war. Ihre Antwort war unmißverständlich: „Lassen Sie die Hände davon. Ponys sind kein Spielzeug." Sie ahnte nicht — wie konnte sie auch, ich wußte es selbst ja auch noch nicht —, daß wir im Begriff waren, den ersten Ponyhof der Bundesrepublik zu gründen.

    Wir suchten weiter. In dem Ort, in den es uns verschlagen hatte, wohnte auch ein alter Offizier, den wir den „rostigen Baron" nannten. Ihn fragte ich um Rat. Und er wußte tatsächlich jemanden, der Shetlandponys besaß. Er telefonierte sofort, und dieser Mann bot uns eine kleine Rappstute an, fünfjährig, und trächtig. Ob wir ...

    Es war einer meiner Blitzentschlüsse. Ich stammelte „Jajaja! und hatte gehandelt, wie der Reiter vor dem Hindernis handeln soll — mein Herz vorangeworfen, um nachzuspringen. Die kleine Rappstute wurde unser erstes Pferd. Ich brachte sie, um die Kinder zum Heiligen Abend zu überraschen, erst einmal bei unserm Dorfkaufmann unter. Natürlich war in unserem kleinen Ort nichts zu verbergen. Die Kinder wußten zur Bescherung längst, daß da ein kleiner Vierbeiner stand, Heu fraß, wieherte und ein Fohlen erwartete. Ich holte sie am Heiligen Abend vor der Christmette ins Haus herüber, der „rostige Baron ging mit. Der Ladenbesitzer sah uns nach und rief: „Maria und Josef!" Dabei sollte Blacky, die eigentlich Adele hieß, den Esel darstellen. Da wir später auch Esel besaßen und sehr liebten, betrachteten wir das nicht als Schimpfwort.

    Im Mai fohlte sie. Es wurde ein Stutfohlen, und wir nannten es Appelschnut. Die Kleinen strahlten, wenn sie jetzt von „unseren Pferden sprachen, liebten Schnute und begannen nach einiger Zeit, Blacky zu reiten. Der „rostige Baron gab ihnen Unterricht. Nun aber fanden die großen Kinder und ich, daß auch wir reiten sollten, und ein größeres Pony mußte her. Diesmal nahmen wir unseren Gutsherrn mit, den wir sehr liebten. Er wußte von einem Schecken, der vielleicht in Frage kam. Der Handel ging schnell, wir hatten ja keine Ahnung, waren blutige Laien. Glücklich brachten wir Schekki heim. Und da der Gutsherr beim Kauf dabei war, nahmen wir das als seine Genehmigung, uns Ponys zu halten. Er gönnte uns den kleine Stall.

    Es war wiederum Winter, und wir erwarteten unsere Großen, die in Internaten lebten, der Älteste in Wolfenbüttel, die Töchter in Harzburg. Sie kamen immer alle miteinander in den Weihnachtsferien heim, und wir holten sie ab, obwohl es weit war bis zur Bahnstation. Ackus war krank, hatte Grippe und Fieber, wollte aber das Fest über nicht allein in der Schule bleiben. Margot und Brigitte faßten sie beim Umsteigen unter, und wir warteten am Bahnhof, um Rucksäcke, Koffer, Taschen, Kartons, Skier und was sonst noch wichtig war, heimzuschleppen.

    „Wir reiten hin", hatten wir beschlossen, „da sehen sie die Schecki gleich. Das gibt eine Überraschung!"

    Auf Schecki kam natürlich Steffi. Sie hatte ihrem Reitpferd zur Feier des Tages ein Glöckchen um den Hals gebunden, das aber machte Schecki rasend. Sie stieg, buckelte und warf Steffi nach kurzem Zweikampf in eine Pfütze. Es war Nacht und wildes Wetter. Von da an führten wir Schecki lieber und schoben unsere Fahrräder nebenher. So erreichten wir den Bahnhof noch rechtzeitig, denn der Zug hatte Verspätung.

    Wir hatten Schecki in die Bahnhofshalle geführt, damit die Ankommenden sie gleich sehen konnten. Ackus, durch Grippe und Fieber leicht getrübt, sah sie nur einen Moment und stöhnte: „Mutter hat eine Kuh gekauft!"

    Immer, wenn wir an dieses Pony denken, müssen wir uns an Ackus’ Aufschrei erinnern. Selbst wenn ich — wozu eigentlich? — eine Kuh gekauft hätte, warum wohl hätten wir sie durch Sturm und Schnee auf den Bahnhof zerren sollen?!

    Auf dem Rückweg führte Ernst das Pony, und Steffi hatte nichts dagegen. Keiner hatte etwas gegen diesen Kauf einzuwenden, denn nun endlich begann das richtige, das Miteinander-Reiten. Nichts hält Familie und Freunde so zusammen wie ein gemeinsames Hobby. Hobby? Reiten ist mehr als das.

    Nun also konnten auch die größeren Geschwister reiten. Wer so viele Kinder in die Welt setzte wie ich, hat keine Reitausbildung genossen, das ist klar. Also nahm ich nun endlich Reitstunden in unserer Kreisstadt, natürlich mit den Kindern zusammen. Daß sie mich binnen kurzem weit überflügelten, wird jeder einsehen. Aber einiges bekam ich doch noch mit, und ich reite ja auch keine Turniere, sondern nur im Gelände.

    Kaum saß ich damals einigermaßen sicher im Sattel (oder auf dem blanken Pferderücken, ich reite heute noch gerne ohne Sattel), da lernte ich Ursula Bruns kennen, die damals an dem Film „Die Mädchen vom Immenhof mitarbeitete. Er wurde nach dem Buch „Dick und Dalli und die Ponys gedreht, und die eigentlichen Hauptdarsteller waren die Pferde, Islandpferde, wohlgemerkt, halbgroße, ausdauernde und gutmütige, für den Film eigens importierte Isländer. Ursula Bruns forderte mich, als ich sie besuchte, sofort zum Reiten auf.

    „Ich kann aber gar nicht, stammelte ich, als sie mir Blessi vorführte. „Rauf! Hier wird nicht die alte Frau markiert! kommandierte sie.

    Ich gehorchte, was blieb mir anderes übrig. Aber siehe da, man muß nur wollen. Wir ritten an diesem Tag drei Stunden, und als ich dann schließlich absaß, war mein Plan gefaßt. Isländer for ever.

    Ursula versprach mir einen Isländer aus dem nächsten Transport. „Wie soll er denn aussehen", fragte sie.

    „Ein Fuchs mit heller Mähne", bat ich. Im Frühjahr sollten die Pferde kommen, bis dahin würden wir auf eigenem Boden wohnen, so lieb uns unser bisheriges Heim auf dem Klostergut auch war.

    „Eigene Pferde, eigenes Land", sagte unser Gutsherr, und ich gab ihm recht und kaufte einen Grund in Süddeutschland, auch deshalb, weil mein Hauptverlag damals in Stuttgart lag. Vierundvierzig Ar, billig, ein Grundstück am Bach, ringsum von Koppeln und Wald eingeschlossen. Auf dem Land stand noch eine alte Baracke, aus der dann der Ponyhof wurde. Als erstes rief Ursula Bruns an.

    „Ihr Pferd ist da." Es sollte doch erst im Frühjahr kommen, wenn wir eingerichtet sein würden, es kam aber schon im Herbst.

    „Die Pferde können ja solange am Kai weiden", hatten die Isländer vorgeschlagen. In Hamburg, am Kai! Witzbolde! Dies wurde kein Pferdehandel, ich mußte nehmen, was Ursula mir aussuchte, Fuchs mit heller Mähne stimmte, trächtig war sie nicht. Sie hieß Gloa und war ein wunderbares Pferd, Alleingänger, autosicher, und dazu noch sehr gut gebaut, auch für das Auge eines Pferdekenners, der sich noch nicht auf Ponys eingestellt hat. Isländer sind einfach anders als Pferde, gedrungener, ohne Sattel stehen sie oft da wie alte Kühe, deshalb setzten sie sich hier auch nur langsam durch. Unterm Reiter geben sie ein ganz anderes Bild, anfangs aber wurden wir oft mitleidig belächelt. Gloa hingegen wurde sehr bald bewundert, sie war so etwas wie ein Reklamepferd.

    Sie kam nachts an, und ich radelte, mit dem Halfter an der Lenkstange und einem Sattel auf dem Gepäckträger, zum Bahnhof, die Kinder ritten. Wir hatten gedacht, im Pulk würde die „Neue" vielleicht leichter zu dirigieren sein. Sie stand unangebunden allein im Waggon, ließ sich gutwillig aufhalftern und satteln, und ich bestieg sie mit dem Mut der Dummheit.

    Sie und ihre fünfzehn Genossen hatten nicht „am Kai geweidet", sondern waren bei Pferdefreunden untergebracht worden, die sie voll besten Hafer gefüllt hatten. Das merkte ich. Sie ging los wie die Kugel aus dem Rohr, da half nur aufsitzen, komme was wolle.

    „Seht zu, wo ihr bleibt, ich kann sie nicht halten!" japste ich den Kindern gerade noch zu und war schon in der Dunkelheit verschwunden. Eins der Kinder hatte mein Fahrrad genommen, die anderen ritten Blacky und Schecki. Einmal trafen wir uns innerhalb einer Bahnschranke. Von da an ging es im Pulk weiter, im vollen Galopp, denn Gloas Tempo steckte an. Nun ist schnell reiten noch nicht gleichbedeutend mit gefährlich, im Gegenteil, die schönste Gangart ist und bleibt der Galopp. Ich fühlte mich mit den Kindern zusammen sehr viel sicherer und genoß den rasenden Ritt. Es wurde hell. Im Hof angelangt, trafen wir sofort auf unseren Gutsherrn, der uns entgegenkam.

    „Wissen Sie, daß die Stute vorn rechts bügelt?" fragte er mich als erstes. Das hatte ich vom Sattel aus gar nicht gemerkt. Später erfuhr ich, daß manche Isländer das tun, aber beim Reiten stört es nicht. Im Frühjahr darauf zogen wir um.

    Bis dahin hatte sich unser Gutsherr mit Gloa abgefunden. Ja, er lobte sie sogar, was mir sehr guttat. Denn einmal hatte ich ein Pferd gekauft, das ein Fehlgriff gewesen war. Ich hatte es natürlich probegeritten, aber immer in Richtung Heimat, und da gehen alle Pferde gern. Umgekehrt streikte Lojo, und ich mußte ihn zurückgeben. Man hat immer vierzehn Tage Zeit, das neugekaufte Pferd zu prüfen. Hat es Mängel, so muß es der Verkäufer zurücknehmen.

    In unserem neuen Zuhause konnten wir es uns endlich leisten, die Stuten decken zu lassen und Fohlen aufzuziehen. Ich habe, solange ich den Ponyhof bewirtschaftete — jetzt haben ihn meine Tochter und mein Schwiegersohn in Regie —, über vierzig Fohlen verkauft. Bei den Kindern gab es dann oft Tränen, wenn eins fortkam, mir ging es auch jedesmal ans Herz. Allmählich hatten wir durchschnittlich zwölf Pferde. Mehr sind nicht gut, wenn man allein für sie sorgt, man hat dann so viel zu tun, daß keine Zeit zum Reiten bleibt.

    Wir erlebten viele Pferdekäufe. Die Dorfjugend, vor allem die Mädchen, nahmen sich an uns ein Beispiel und fingen an zu reiten. Beim Bauern ein Pferd zu kaufen geht folgendermaßen vor sich: Käufer und Besitzer stehen miteinander im Stall und begutachten das Pferd, um das es sich handelt. Von Zeit zu Zeit nimmt der eine oder andere seinen Hut und rennt schweigend hinaus. Ehe endgültig „Ja oder „Nein gesagt wird, spricht keiner ein Wort. Schließlich beginnt der Käufer, den Preis zu drücken. Das dauert manchmal stundenlang. Bei mir riß oft der Geduldsfaden, die Kinder aber lernten es schnell.

    Einmal kam eine Mutter mit einem Zehnjährigen zu uns und wollte ein Pony kaufen. Der Junge ritt einen Esel, erzählte er uns. Wir fuhren mit zu ihm nach Hause, um Stall und Unterbringung anzusehen ... Da führte er uns den Esel vor, riß ihn aber derart im Maul, daß wir protestierten. Dem gaben wir keines unserer Pferde! Als man uns fragte, wo man denn sonst eins bekäme, nannten wir Bekannte in einem Nachbarstädtchen, die eins verkaufen wollten. Es handelte sich dabei um einen halbgroßen Schimmel. Wir fuhren hin, da wir nun sowieso einmal unterwegs waren, und ausgerechnet ich kaufte „Silber" auf Anhieb, da er mir so gut gefiel! Wir nahmen ihn gleich mit, obwohl Sonntag war und ich nicht entsprechend viel Geld in der Hosentasche hatte. Aber diese Leute kannten wir gut. Silber ging auf viele Turniere, war bestechend hübsch und wurde später vom ältesten Sohn meiner Tochter geritten, manchmal mit zusätzlich zwei Handpferden rechts und links, ebenfalls Schimmeln. Dazu der kleine Reiter mit ernsthaftem Gesichtchen — da widerstand kein Preisrichter.

    Ein Stück aus meinem Leben

    Als ich ungefähr siebzehn war, wohnten wir in der Stadt, und ich bekam so gut wie kein Pferd zu sehen, geschweige denn zu reiten. Als Beruf wählte ich zwar Landwirtschaftslehrerin, mußte aber dem Direktor die Kasse führen und junge Mädchen im Kochen unterrichten. Ich blieb nicht lange dabei. Heute kann man in den Sattel gelangen, wenn man Taschengeld spart oder jobbt, insofern ist die heutige Jugend zu beneiden.

    Nun aber gab es in unserer weitläufigen Verwandtschaft einen Onkel Hagemann, der ein Weingut am Rhein und zwei Kinder besaß, die etwa in meinem Alter waren: Markus und Brigitte. Seine Frau lebte nicht mehr, und unsere Großmutter führte ihm die Wirtschaft. Ich sage „unsere, weil sie für viele Enkel zuständig war, an die dreißig Stück. Alles, was zwischen zehn und dreißig Jahren alt war, besuchte diesen Onkel in allen Ferien. Er hatte sich selbst viele Kinder gewünscht — „von jeder Sorte eins, das ist so gut wie keins, pflegte er zu sagen und freute sich an dem bunten Gewimmel.

    Wir durften den ganzen Tag über tun, was wir wollten, wenn wir nur pünktlich zu Tisch kamen. Nachgeliefert wurde nichts, wer nicht zur Zeit da war, mußte bis zur nächsten Mahlzeit warten. Unsere Betten und Zimmer machten wir selbst, sonst aber war alles erlaubt, was gefiel. Herrliche Ferien! Bei Tisch konnte es passieren, daß Onkel Hagemann plötzlich auf einen von uns deutete, egal ob Mädchen oder Junge, und ermunternd rief: „Heute haben zwei von euch Hochzeit! Nun halt mal die Damenrede!" Dann mußte derjenige aufspringen und aus dem Stegreif loslegen. Was haben wir da oft gelacht! Aber frei sprechen lernten wir auch.

    Ich verstand mich am besten mit Brigitte, die ein Jahr jünger war als ich, und schwärmte insgeheim für Markus, meinen schönen, etwas älteren Vetter mit den dunklen Augen und dem frechen Mundwerk. Er war, wie ich, ein großer Pferdeliebhaber, das gefiel mir doppelt. Ein Wunder war das nicht, denn Onkel Hagemann hatte, abgesehen von der Leidenschaft, junge Menschen um sich zu versammeln, noch eine: Er züchtete Shetlandponys und besaß eine ganze Anzahl jener kleinen, drolligen Pferdchen, die Kinder so lieben. Einen Meter hoch, im Winter zottig, im Sommer spiegelblank. Als wir klein waren, ritten wir auf ihnen, später durften wir sie einspannen und mit ihnen fahren. Nur den Hengst sollten wir nicht nehmen, er war stark und unberechenbar. Wir liebten ihn alle. Er war ein drahtiger Rappe und schöner als die andern, sehr edel, während Stuten und Fohlen drollig und lieb wirkten. Er hieß Tango.

    Eines Tages schlug Onkel Hagemann selbst ans Glas. Alles horchte auf. Er wollte aber keine Rede halten, sondern fragte nur: „Wer von euch ißt denn leidenschaftlich gern Haferflocken?"

    Wir waren verblüfft. Zu einem Gutsfrühstück gehörten damals keine, eher Schlackwurst, Schinken, Eier oder sogar Sahnequark. Er erklärte uns seine Frage. Seit einiger Zeit verminderte sich der Hafer in der auf dem Vorwerk stehenden Haferkiste auf eine merkwürdig schnelle Art. Er verdunstete geradezu. Dabei war die Haferkiste verschlossen, das wußten wir alle.

    „Hat vielleicht jemand von euch den Schlüssel gefunden und ernährt sich jetzt von gequetschtem Hafer, weil er hier nicht satt wird?" Er wies lachend auf die reichlichen Vorräte des Sonntagsfrühstücks.

    Der Schlüssel zu dieser Kiste fehlte seit einiger Zeit, wir wußten es. Wenn gefüttert werden sollte, mußten wir den Ersatzschlüssel holen, den Onkel Hagemann dann herausgab und den wir ihm wiederzubringen hatten. Sonntags fütterten wir öfter, wenn wir Ponywagen fahren wollten, das war so ausgemacht.

    Nein, keiner hatte sich von Hafer ernährt. Wir frühstückten fertig und verstreuten uns dann. Brigitte und ich schlenderten zum Vorwerk hinaus. Dort gab es eine schöne, windgeschützte Ecke, wo wir uns in die Sonne legten. Nach einer Weile erschien Markus, sah uns liegen, schubste Brigitte ein wenig an und sagte: „Na, ihr Flaschen? „Flasche war damals das gängige, halb verächtliche Schimpfwort wie etwa „trübe Tasse oder „Döskopp.

    „Selber Flasche", knurrte Brigitte, machte aber nicht einmal die Augen auf. Ich schwieg.

    „Ihr liegt hier rum ... Wollen wir ein Stück mit den Ponys fahren? schlug er vor. Und als wir nicht reagierten, fragte er: „Ihr habt wohl Angst?

    „Angst? fragte ich, so verächtlich wie möglich. „Wenn, dann fahr’ ich mit dem Tango.

    Markus lachte mit glitzernden Augen.

    „Wollen wir? Ich hol’ ihn. Den Schlüssel hab’ ich." Tango ließ sich nur einspannen, wenn ihm jemand eine Schüssel mit Hafer vorhielt.

    „Ihr seid verrückt, sagte Brigitte und wälzte sich auf die andere Seite. „Aber von mir aus. Vater fährt ja auch mit ihm. Und Vater ist heute nicht da. Er war über Land gefahren, die Gelegenheit war also günstig. Wir waren schon manchmal heimlich gefahren, gerade, weil wir nicht sollten. Es war nie herausgekommen. Es verlockte uns, keine Frage. Wir standen auf. Während wir dem Stall zu gingen, gerieten wir beiden Mädchen schon mit Markus aneinander.

    Der Ponystall auf dem Vorwerk lag etwas abseits und hatte zwei große Boxen, eine für Tango, eine für die andern Ponys. Im Stallgang stand die Haferkiste, weiter nichts. Wir hatten uns wegen einer Kleinigkeit so zerstritten, daß unser Plan zu scheitern drohte. Markus setzte sich auf die Haferkiste, und wir gingen zu den Stuten und Fohlen hinein und streichelten sie. Und dann, ohne noch etwas zu Markus zu sagen, spannten wir Tango ein.

    Die Ponygeschirre waren uns so vertraut wie anderen Kindern ihre Schulranzen, auch die verschiedenen Kutschen kannten wir. Wir nahmen den Einspänner, den sogenannten Dogcart. Tango ließ sich gutwillig hinausführen und machte keine Schwierigkeiten, als ich ihn striegelte. Währenddessen kämmte Brigitte ihm die Mähne. Er war wirklich bemerkenswert schön, zierlich und dabei kräftig, kein Wunder, daß Onkel Hagemann ein wachsames Auge auf ihn hielt. Markus war im Stall geblieben. Als ich noch einmal hineinging, um den Hufkratzer zu holen, sah ich ihn nicht, plötzlich aber polterte es in der Haferkiste, der Deckel krachte hoch, und ich erschrak fast zu Tode. Natürlich war es Markus, der sich hineinverkrochen hatte, um mich zu erschrecken. Das war ihm gelungen.

    Ich weiß nicht mehr, ob ich überlegte oder in Wut handelte. Jedenfalls griff ich zu, bums! schlug der Deckel der Kiste zu, ich fingerte am Schloß und schob es durch die Haspe. Er war gefangen.

    „So, wenn du nun schön bittest, lass’ ich dich wieder raus, eher nicht", sagte ich atemlos und schadenfroh. Ich wußte, daß Markus nicht bitten würde. Er tat es auch nicht. Er war so still, daß es bedenklich wurde. Hatte ich ihm den Deckel etwa so auf den Kopf gehauen, daß er betäubt war? Vorsichtig schlich ich heran, um durch den Spalt des Deckels zu schielen — und war beruhigt. Markus, der mich wohl gehört hatte, versuchte, mir durch eben diesen Spalt ins Auge zu spucken.

    „Du bist ein Ferkel, sagte ich entrüstet, während ich zurückfuhr, „nun sitz und tu Buße.

    Damit drückte ich das Schloß zu — es war ein Schnappschloß —, steckte den Schlüssel ein und stand noch einen Augenblick davor. „Möchtest du noch was?" fragte ich.

    Darauf ertönte ein höhnisches: „Danke der Nachfrage!"

    Ich ging. Mochte er hocken, es würde ihm nichts schaden. „Iß nicht zu viel Hafer, sonst sticht er dich!" rief ich noch zurück. Dann trat ich zu Tango hinaus.

    „Kommt Markus nicht mit?" fragte Brigitte. Sie stand an Tangos Kopf und hielt ihn. Bei ihm konnte man nämlich nicht einsteigen, ohne daß er sofort im Galopp losging.

    „Nein, sagte ich obenhin und stieg in den Wagen, „wir fahren ohne ihn.

    Während ich die Zügel nahm, ließ Brigitte den kleinen Hengst los und sprang im Anfahren auf. Der Tango ging los, daß uns Hören und Sehen verging. Er mußte lange gestanden haben, war stallmutig wie ein Rennpferd.

    „Das kann ja heiter werden", sagte Brigitte. Wir fegten durch den Hof und bogen in die Straße ein. Heute, am Sonntag, war alles still und menschenleer.

    Wir lachten mit einem kleine Unterton der Angst, genossen die sausende Fahrt aber doch. Brigitte hielt jetzt die Zügel, sie fuhr nach dem alten Grundsatz: „Wenn das Pferd durchgeht, dann treib. Laß es laufen, schneller, als es selbst will. Einmal hört es auf."

    Natürlich würde Tango

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