Vergiss die Heimat nicht: Karin Bucha Classic 48 – Liebesroman
Von Karin Bucha
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Über dieses E-Book
Karin Bucha Classic ist eine spannende, einfühlsame geschilderte Liebesromanserie, die in dieser Art ihresgleichen sucht.
Unablässig wanderte Olaf Bergner in der weitläufigen Halle hin und her. Bis unter das Dach waren seine Schritte zu hören, denn eine geradezu unheimliche Stille herrschte in dem märchenhaften Haus, das Percy Hudson seiner einzigen Tochter und dem geliebten Schwiegersohn hatte erbauen lassen. Manchmal unterbrach Olaf ruckartig seine Wanderung, lauschte mit vorgeneigtem Oberkörper und vernahm kurze aber durchdringende Schreie, die aus dem ersten Stockwerk zu ihm drangen. Dann sah es aus, als wolle er vorwärts stürzen, die breite gewundene Treppe empor, in die Zimmer seiner geliebten Evelyn, die ihre schwerste Stunde durchkämpfte. Doch er bezwang sich. Nur die Rechte legte er an seinen Hals und atmete tief und erregt, als wolle ihm die Angst, die unbeschreibliche, wahnsinnige Angst um das geliebte, kostbare Leben die Luft abschnüren. Der Hausarzt, Doktor Jefferson, hatte ihn in seiner trockenen, energischen Art aus dem Zimmer gewiesen und zur Geduld ermahnt. Der Arzt hatte gut reden, ihn tatenlos dieser Nervenprobe auszusetzen. Was wußte er, was Evelyn, die geliebte Frau, ihm bedeutete? Treueste Lebenskameradin! Vorbildliche Repräsentantin seines Hauses. Zärtlichste Geliebte! Mutter, Elternhaus und Heimat zugleich. Alles hatte er in ihr gefunden in seiner fast fünfzehnjährigen Ehe mit ihr, die jetzt die Krönung durch die Geburt des ersten Kindes erfahren sollte. »Wenn das noch lange so weiter geht, Olaf, werde ich wahnsinnig«, hörte er Percy Hudsons Stimme aus der Tiefe eines der zu gemütlichen Plauderecken gruppierten Sessel kommen. Wie aus schwerem Traum erwachend, strich Bergner sich über die brennenden Augen. Die Anwesenheit des Schwiegervaters hatte er völlig vergessen. »Schrecklich! Schrecklich, Papa!«
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Vergiss die Heimat nicht - Karin Bucha
Karin Bucha Classic
– 48 –
Vergiss die Heimat nicht
Karin Bucha
Unablässig wanderte Olaf Bergner in der weitläufigen Halle hin und her. Bis unter das Dach waren seine Schritte zu hören, denn eine geradezu unheimliche Stille herrschte in dem märchenhaften Haus, das Percy Hudson seiner einzigen Tochter und dem geliebten Schwiegersohn hatte erbauen lassen.
Manchmal unterbrach Olaf ruckartig seine Wanderung, lauschte mit vorgeneigtem Oberkörper und vernahm kurze aber durchdringende Schreie, die aus dem ersten Stockwerk zu ihm drangen. Dann sah es aus, als wolle er vorwärts stürzen, die breite gewundene Treppe empor, in die Zimmer seiner geliebten Evelyn, die ihre schwerste Stunde durchkämpfte.
Doch er bezwang sich. Nur die Rechte legte er an seinen Hals und atmete tief und erregt, als wolle ihm die Angst, die unbeschreibliche, wahnsinnige Angst um das geliebte, kostbare Leben die Luft abschnüren.
Der Hausarzt, Doktor Jefferson, hatte ihn in seiner trockenen, energischen Art aus dem Zimmer gewiesen und zur Geduld ermahnt.
Der Arzt hatte gut reden, ihn tatenlos dieser Nervenprobe auszusetzen. Was wußte er, was Evelyn, die geliebte Frau, ihm bedeutete?
Treueste Lebenskameradin! Vorbildliche Repräsentantin seines Hauses. Zärtlichste Geliebte! Mutter, Elternhaus und Heimat zugleich. Alles hatte er in ihr gefunden in seiner fast fünfzehnjährigen Ehe mit ihr, die jetzt die Krönung durch die Geburt des ersten Kindes erfahren sollte.
»Wenn das noch lange so weiter geht, Olaf, werde ich wahnsinnig«, hörte er Percy Hudsons Stimme aus der Tiefe eines der zu gemütlichen Plauderecken gruppierten Sessel kommen.
Wie aus schwerem Traum erwachend, strich Bergner sich über die brennenden Augen. Die Anwesenheit des Schwiegervaters hatte er völlig vergessen.
Er verhielt den Schritt, sah auf die mächtige, jetzt zusammengesunkene Gestalt Hudsons und flüsterte geistesabwesend:
»Schrecklich! Schrecklich, Papa!«
Der alte Mann, der mit abgöttischer Liebe an seinem einzigen Kinde hing, wischte sich dicke Schweißtropfen von der Stirn. Sein Blick irrte durch die wie ausgestorben wirkende Halle.
Hudsons Augen wanderten zurück, blieben an der hohen Gestalt des Schwiegersohnes haften. Kläglich bat er: »Könntest du nicht einmal nach Evelyn sehen?«
»Unmöglich, Papa!« Bergner machte eine erschreckte Handbewegung. »Jefferson hat mich einmal hinausgefeuert. Das genügt mir. Wir müssen Geduld haben. Hoffentlich ist bald alles vorüber.«
Er ließ sich stöhnend neben seinem Schwiegervater nieder, stützte die Ellbogen auf die Knie und barg den Kopf in die Hände. So saß er bewegungslos, als habe er alles um sich vergessen. Dabei lauschte er doch nur mit allen Sinnen in die jetzt geradezu unheimliche Stille des Hauses.
Eine Tür wurde geöffnet. Schritte nahten. Doktor Jefferson schaute über die Brüstung vom ersten Stockwerk herunter in die Halle und winkte den sich schwerfällig erhebenden Bergner zu sich.
Dieser zögerte noch, dann aber jagte er förmlich die Stufen hinauf.
»Herr Doktor –?«
Ernst blickte Jefferson in das erregt zuckende Gesicht Bergners.
»Wir müssen Professor Burgk rufen. Wo ist das Telefon?«
Bergner erblaßte bis in die Lippen. Ganz stumm ging er vor dem Arzt her, überquerte den breiten Gang und öffnete dann die Tür zu seinem Arbeitszimmer.
»Bitte, Doktor!« Er ließ den Arzt an sich vorbeigehen und folgte ihm. Ihm war jämmerlich zumute.
Mit verschränkten Armen lehnte er am Bücherschrank und ließ kein Auge von Jefferson. Kein Wort der kurzen Unterredung, die der Arzt mit dem berühmten Chirurgen führte, entging ihm.
Endlich legte Jefferson den Hörer in die Gabel zurück. Da stand Bergner auch schon neben ihm.
»Burgk kommt sofort. Wir müssen operieren. Leider ist ein Transport in Burgks Klinik nicht mehr möglich. Schwester Mary bereitet schon alles vor.«
Jefferson fühlte seine Hände gepackt. Bergner preßte sie wie in einem Schraubstock.
»Sagen Sie mir die Wahrheit, Jefferson«, keuchte er. In seinen Augen brannte helle Verzweiflung. »Werden beide leben? Meine Frau und das Kind?«
»Ich hoffe es –«
»Doktor!« Bergner ließ den Arzt los. Seine Hände sanken kraftlos herab. Dicke Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Sein Mund öffnete sich. Aber nur ein dumpfer Laut entrang sich ihm. Dann riß sich Bergner zusammen. »Sie müssen alles tun, Jefferson, hören Sie? Ich vertraue Ihnen und Burgk grenzenlos.«
Jefferson rieb ratlos die Hände gegeneinander. Mit aller Eindringlichkeit begegnete er Bergners hilfeheischenden Augen.
»Vergessen Sie nicht, daß wir nur Handlanger Gottes sind. Das letzte Wort spricht er.« Er zwang sich zu einem ermunternden Lächeln. »Aber seien Sie nicht so verzweifelt, Bergner. Wo Leben ist, ist auch Hoffnung. Und Ihre Frau Gemahlin will leben. Sie ist so beispiellos tapfer, daß man sie nur bewundern kann.«
Wieder begann Olaf Bergner seine endlose Wanderung durch die Halle. Wieder lagerte die unheimliche Stille über dem Haus, die dennoch nichts Beruhigendes an sich hatte. Im Gegenteil, sie wirkte aufreizend, peitschte die Sinne auf, denn alle wußten, daß in einem der hohen Zimmer die Entscheidung fiel über Leben und Tod.
Percy Hudson schien noch kleiner in seinem Sessel geworden zu sein. Er fühlte sich wie ausgepumpt. Olaf hatte ihm wahrheitsgemäß über seine kurze Aussprache mit Jefferson berichtet. Er war davon wie zerschmettert.
Immer mehr steigerte sich Olaf Bergner in seine Gedanken hinein, so daß er nicht den dünnen Schrei vernahm, der Percy Hudson emporschnellen ließ.
»Hast du – das gehört, Olaf?« stieß er heiser vor Erregung hervor.
Olaf Bergner verhielt den Schritt und hob lauschend den Kopf. Da war es wieder, dieses zarte Kinderweinen. War das nicht wie Musik? Wie eine erlösende, beseligende Melodie?
In der ersten Etage wurde es lebhaft. Türen wurden geöffnet und geschlossen. Die beiden Männer standen abwartend, wie angewurzelt.
Da, ein leichter Tritt. Schwester Mary neigte sich über das Geländer und winkte den beiden Männern zu.
Bergner stürmte voran, langsam gefolgt von Hudson.
»Nun – Schwester?« forschte Bergner atemlos.
Schwester Mary streckte ihre Hände den beiden Männern entgegen.
»Herzlichen Glückwunsch! Ein Sohn!«
»Und – meine Frau?« Schwer rang sich die Frage über Bergners Lippen.
»Die Ärzte sind noch bei ihr«, erwiderte sie, und den beiden Männern entging in ihrer Freude, daß kein Lächeln auf den mütterlichen Zügen der Schwester stand. »Kommen Sie. Ich führe Sie zu dem Kind.«
Unwillkürlich schob Bergner seine Hand unter den Arm des Schwiegervaters. So traten sie Arm in Arm über die Schwelle zu dem Vorraum, der in das Schlafzimmer der jungen Herrin dieses Hauses führte.
Auf Zehenspitzen folgten sie der Schwester zu dem kostbar ausgestatteten Kinderbett, worin gebadet und gewickelt der künftige Erbe lag.
Ergriffen neigte sich Olaf Bergner zu dem winzigen Menschenkind hinab.
»Mein Sohn«, flüsterte er und fühlte sein Herz vor Freude hart gegen die Rippen pochen. »Darf ich jetzt zu meiner Frau?« Er richtete sich auf und wandte sich an die abseits stehende Schwester.
Durch Jeffersons Eintritt wurde die Schwester einer Antwort enthoben. Er nickte Bergner zu.
»Gehen Sie hinein. Professor Burgk ist noch bei ihr.«
Bergner zitterte. Kaum wollten ihm die Füße gehorchen. Behutsam trat er in den weiten Raum voller Harmonie und Schönheit, aus dem man die Spuren der Operation bereits entfernt hatte.
Das breite Bett mit den seidenen Kissen und Decken hatte man schräg ins Zimmer gestellt. Und dann stockte sein Fuß und auch sein Atem. War das seine strahlend schöne Evelyn? War das überhaupt noch ein Mensch aus Fleisch und Blut? Mit schneeigem Antlitz, matt, teilnahmslos, ruhte sie in den Kissen. Bläulich waren die Augen umschattet. Der blasse Mund war wie im Schmerz verzogen.
Evelyn Bergner hielt die Augen geschlossen. Tastend, suchend glitten ihre Hände über die Decke.
Voll Erbarmen neigte sich Bergner zu seiner jungen Frau hinab. Sein tiefes Erschrecken verbarg er hinter einem verkrampften Lächeln.
»Evelyn, Liebes!«
Ihre Lider zuckten. Sie schlug die Augen auf, große, brennende, fiebernde Augen. Augen, die in einem überströmenden Glück aufleuchteten, als sie den Gatten erkannte. Ein Lächeln, unsagbar glückselig, nahm den Schmerz von den schönen Zügen und verklärte sie.
»Olaf«, flüsterte sie und versuchte ihm die Hände entgegenzustrecken.
Rasch kam er ihr zu Hilfe und nahm sie behutsam auf und drückte voll Inbrunst seine Lippen darauf. »Es ist ein – Sohn, Olaf.«
Überwältigt von seinen Gefühlen, barg er sein Gesicht in ihre fieberheißen Hände.
»Ja, ein Sohn, Evelyn, und ich danke dir dafür. Wie geht es dir, Liebes?«
Ihre Augen irrten hinüber zu der weißbekittelten Gestalt des Professors, der am Fenster lehnte und ihr aufmunternd zunickte. Langsam trat er näher.
»Muß ich – sterben, Herr Professor?« fragte sie leise, eindringlich und wie es schien ohne innere Auflehnung gegen ein unerbittliches Schicksal.
»Evelyn!« rief Bergner da entsetzt und legte den Arm um die geliebte Frau.
»Aber – liebe, gnädige Frau«, wehrte Burgk, betroffen von dem tiefen Ernst der jungen Mutter, ab.
Wie ein müdes Kind kuschelte sie sich in des Gatten Arme und schloß vorübergehend die Augen. Als sich die schweren Lider wieder öffneten, lag ein schier überirdisches Leuchten darin.
»Ich weiß es besser, Professor. Sie dürfen mir die Wahrheit sagen. Wie lange noch?«
Bergners Augen hingen voll Entsetzen an dem Munde des Arztes, dabei preßte er die geliebte Frau so fest an sein Herz, als könne er damit das geliebte, kostbare Leben festhalten.
»Herr Professor«, mahnte Bergner bittend um Aufschluß. Da wandte sich Burgk ab und ging aus dem Zimmer. Lautlos schnappte die Tür hinter ihm ins Schloß.
Totenstille ließ er hinter sich, in dem Raum, den Bergner mit aller Liebe und Fürsorge für die liebste Frau eingerichtet hatte und der nun erfüllt war mit Verzweiflung.
Mit geschlossenen Augen ruhte Evelyn Bergner weichgebettet im Arm des Gatten. Und neben der Glückseligkeit, dem Gatten den größten Wunsch seines Lebens erfüllt zu haben, wuchs das Leid in ihr. Nein! So tapfer und abgeklärt, wie sie sich nach außen hin gab, war sie gar nicht.
Noch eine Gnadenfrist! dachte sie. Noch eine Gnadenfrist – zum Abschiednehmen.
Bergner neigte sich tiefer über das stille blasse Frauenantlitz. Angst schnürte ihm die Kehle zusammen. Unter den dunklen Wimpern der geliebten Frau quoll es hervor und perlte über die Wangen.
»Evelyn, Liebes, Geliebtes«, stammelte er. »Du darfst nicht von uns gehen. Das Kind braucht dich, unser Sohn! Auch Papa und ich, Evelyn, ich brauche dich so nötig. Was sollen wir ohne dich beginnen? Du –«
»Ach, Olaf.« Jedes Wort mußte sie aus der Tiefe ihres Herzens herausholen. »Neige dich etwas tiefer zu mir«, bat sie mit flüsternder Stimme. Bergner brachte sein Gesicht dem ih-
ren ganz nahe. »Versprich mir etwas, Olaf –«
»Evelyn, du mußt Ruhe haben. Das Sprechen strengt dich an!«
Sie lächelte süß zu ihm auf, dabei rannen heiße Tränen über ihre Wangen. »Meine Zeit ist bemessen, Liebster –«
Aufstöhnend preßte er seine Lippen auf ihren Mund. Immer wieder, bis sie unter seinen Liebkosungen leise seufzte und ihr Kopf zur Seite sank.
Er kniete vor ihr nieder und rief in heller Verzweiflung ihren Namen, bis sich die geliebten blauen Augensterne noch einmal leuchtend öffneten.
»Olaf, nicht traurig sein –«, lächelte sie verklärt. »Du hast mich so glücklich gemacht – so glücklich! Hast nie geklagt, wenn die Sehnsucht nach der Heimat über dich kam. Gehe mit unserem Sohn und Papa nach Deutschland zurück. Unser Sohn soll – Percy-Olaf heißen, und deine Mutter soll ihn an ihr Herz nehmen. Versprich es mir, Olaf –«
»Ich verspreche es dir, Evelyn«, gelobte er ernst und feierlich.
»Ich – danke dir, Olaf.« Sanft glitt sie aus seinen Armen und ruhte sekundenlang bewegungslos in den Kissen. Dann bat sie leise: »Rufe Papa, Olaf – und bringe mir – das Kind.«
Bergner taumelte empor und ins Nebenzimmer. Schleier lagen vor seinen Augen.
Hudson erschrak, als er den Schwiegersohn vor sich sah. Er schien ihm um Jahre gealtert.
»Evelyn, Papa – sie will dich