Ihr gebt meinem Leben einen Sinn: Mami 1925 – Familienroman
Von Gisela Reutling
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Er stand in der Tür und hatte den Autoschlüssel schon in der Hand.»Paß auf dich auf, und bleib mir treu«, sagte er.Der Nachsatz war natürlich scherzhaft gemeint. So blickte Silvia denn auch lächelnd von ihrem fast fertig gepackten Koffer hoch.»Du meinst, nach drei Jahren könnte ich mich unter gewissen Umständen nach einem anderen umschauen?»Man kann nie wissen«, orakelte Harald.»Es könnte ein Märchenprinz kommen, über dem du deinen langweiligen Pauker vergißt.Silvia lachte leicht auf.»Ich bin keine achtzehn mehr, und auch da war ich schon zu realistisch, um an einen Märchenprinzen zu glauben. Außerdem bist du kein langweiliger Pauker«, fügte sie hinzu, während sie einen großen bunten Seidenschal über ein sorgfältig zusammengelegtes helles Leinenkleid breitete.»Sondern?»Ein Lehrer, den seine Schüler mögen!»Ach ja? Woher willst du das wissen?»Ich kann es mir nicht anders denken.»Und weiter?Wie sie ihn so da stehen sah, abwartend, mit leicht vorgeneigter Haltung, die braunen Augen auf sie gerichtet, war es ersichtlich, daß er noch etwas Nettes hören wollte.»Kein langweiliger Pauker«, wiederholte sie nochmals, »sondern mein bester, geliebter Freund. Reicht das?Mit einem Ausdruck, der ihrem Gesicht einen Zug von lustiger Mädchenhaftigkeit gab, trat sie auf ihn zu und gab ihm mit gespitzten Lippen einen Kuß auf den Mund.
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Ihr gebt meinem Leben einen Sinn - Gisela Reutling
Mami
– 1925–
Ihr gebt meinem Leben einen Sinn
Silvia musste eine Entscheidung treffen
Gisela Reutling
Er stand in der Tür und hatte den Autoschlüssel schon in der Hand.
»Paß auf dich auf, und bleib mir treu«, sagte er.
Der Nachsatz war natürlich scherzhaft gemeint. So blickte Silvia denn auch lächelnd von ihrem fast fertig gepackten Koffer hoch.
»Du meinst, nach drei Jahren könnte ich mich unter gewissen Umständen nach einem anderen umschauen?«
»Man kann nie wissen«, orakelte Harald.»Es könnte ein Märchenprinz kommen, über dem du deinen langweiligen Pauker vergißt.«
Silvia lachte leicht auf.
»Ich bin keine achtzehn mehr, und auch da war ich schon zu realistisch, um an einen Märchenprinzen zu glauben. Außerdem bist du kein langweiliger Pauker«, fügte sie hinzu, während sie einen großen bunten Seidenschal über ein sorgfältig zusammengelegtes helles Leinenkleid breitete.
»Sondern?«
»Ein Lehrer, den seine Schüler mögen!«
»Ach ja? Woher willst du das wissen?«
»Ich kann es mir nicht anders denken.«
»Und weiter?«
Wie sie ihn so da stehen sah, abwartend, mit leicht vorgeneigter Haltung, die braunen Augen auf sie gerichtet, war es ersichtlich, daß er noch etwas Nettes hören wollte.
»Kein langweiliger Pauker«, wiederholte sie nochmals, »sondern mein bester, geliebter Freund. Reicht das?«
Mit einem Ausdruck, der ihrem Gesicht einen Zug von lustiger Mädchenhaftigkeit gab, trat sie auf ihn zu und gab ihm mit gespitzten Lippen einen Kuß auf den Mund. »Und nun geh endlich, ich habe hier noch zu tun.«
»Ja… Nur zu dumm, daß ich dich nicht zum Flughafen bringen kann. Aber du weißt ja…«
»Daß du um neun Uhr Mathematikstunde hast«, nickte Silvia. Es war schon mehrmals davon die Rede gewesen. »Mach dir nichts draus. Ich komme sehr gut mit einem Taxi hin.«
Sie brachte ihn noch bis an die Wohnungstür, schloß diese lächelnd mit einem kleinen Kopfschütteln hinter ihm. Manchmal war er wirklich umständlich, ihr guter Harald, und eine gewisse Pedanterie konnte man ihm auch nicht absprechen. Aber das gehörte wohl zu seinem Beruf.
Sie kannten sich seit vier Jahren. Ein Jahr lang war wirklich nur von loser Freundschaft die Rede gewesen. Sie hatte gerade eine Enttäuschung hinter sich und war nicht geneigt, alsbald eine neue Beziehung einzugehen. Bis dann doch mehr daraus geworden war. Nicht gerade eine leidenschaftliche Liebe – Harald Reuter war nicht der Typ für feurigen Überschwang. Aber einer gab dem anderen Wärme, Vertrauen und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Auch wenn noch jeder seine eigene Wohnung beibehielt. Harald wäre wohl lieber heute als morgen mit ihr zum Standesamt gegangen, doch er bedrängte sie nicht und das rechnete sie ihm hoch an.
Ihr gefiel es so, wie es war. Vorläufig jedenfalls noch. In knapp zwei Jahren wurde sie dreißig, dann sah die Sache vielleicht anders aus. Diese Grenze hatte sie sich gesetzt. Bis dahin glaubte sie bereit zu sein, ihre Selbständigkeit aufzugeben und Ehefrau und Mutter zu werden. Zwei Kinder wollte sie schon gern haben. Ein Pärchen zum Beispiel, so wie Ricky und Rosi, die Kinder ihrer Kusine.
In ihrem Schlafzimmer war es jetzt aufgeräumt, den Koffer würde sie erst morgen früh schließen, denn meistens fiel einem im letzten Moment noch etwas ein.
Silvia trat auf die Terrasse des Hauses, das ihrer Meinung nach das hübscheste in dieser Straße mit alten Villen und modernen Mehrfamilienhäusern war. Es hatte zwei Stockwerke, und in der Dachterrassenwohnung wohnte sie. Zweieinhalb Zimmer, weiträumig, und groß die Terrasse. Hier oben, das war ihr Zuhause, ein selbstgeschaffenes, selbsterarbeitetes Zuhause, das sie liebte.
Sie griff zur Gießkanne, um den Pflanzen gründlich Wasser zu geben, die sich in diesem Sommer wieder zu einer wahren Pracht entfaltet hatten. An einer Seite rankte die Amaryllis mit rosa, zartblau und dunkelvioletten Blüten empor. Ringsum, in den Kästen am Geländer, prangten Hängenelken und Geranien, der Oleander im Kübel zeigte viele Knospen. Silvia mußte mehrmals laufen, um die Kanne nachzufüllen. In den nächsten Tagen wollte Harald sich darum kümmern. Wie lange sie fortbleiben würde, wußte sie ja noch nicht genau. Drei, vier, fünf Tage? Es kam darauf an, wie die Geschäfte liefen.
Unten verließen jetzt Ruperts das Haus, um mit ihrem Hund den üblichen Abendspaziergang zu machen. Das ältere Ehepaar grüßte freundlich herauf, man wechselte ein paar Worte miteinander, bevor Herr und Frau Rupert gemächlich davongingen.
Silvia blieb noch ein Weilchen an der Brüstung stehen. Sie sah zum Himmel, der sich im Westen rosig zu färben begann.
Morgen würde sie in Kopenhagen sein. Sie freute sich darauf.
*
An diesem Vormittag mit wolkenlos blauem Himmel und sanfter Sommerbrise hatte Ralf Mainhardt mit seinen beiden Kameramännern Aufnahmen vor dem Haus mit den spielerisch verschnörkelten Barockgiebeln der Königlichen Porzellanmanufaktur am Amagar Boulevard gemacht. Er sah sich gerade noch einmal um – da erblickte er sie!
Ja, sie war es, die schlanke blonde junge Frau, die ihm seit gestern nicht mehr aus dem Kopf gegangen war…
Sie trug wieder das schmalgeschnittene helle Kostüm, und an der Hand die elegante, aber geschäftsmäßig aussehende Diplomatentasche. So trat sie aus dem Gebäude im Stil des 17. Jahrhunderts auf den Platz hinaus, ging mit raschem, leichtem Schritt weiter.
Ralf hoffte, daß ihre Blicke sich treffen würden – und tatsächlich, es geschah. Erkannte sie ihn wieder? Wohl kaum. Ihr Blick streifte nur über ihn hin im Vorübergehen. Ihm blieb nichts, als ihr nachzuschauen.
Was für einen grazilen Gang sie hatte auf ihren hochhackigen weißen Pumps! Daß die schöne Unbekannte meerblaue Augen hatte, das wußte er noch von gestern, wo er sie am Rathausplatz beinahe angerempelt hätte, als er rückwärtsgehend den richtigen Blickwinkel für die Aufnahme einer Brunnenfigur suchte. Er hatte sich entschuldigt. Der Hauch eines unverbindlichen Lächelns war um ihren Mund gehuscht…
Schon in dieser Sekunde hatte ihn der Wunsch durchzuckt, sie anzuhalten, sie zu fragen: »Wer sind Sie? Woher kommen Sie? Wohin gehen Sie?«
Die Stimme eines seiner jungen Männer weckte ihn aus seinen träumerischen Betrachtungen. »Machen wir Schluß für heute vormittag, Ralf?«
»Ja.« Ralf zwang sich zur Sachlichkeit. »Für diesen Vormittag haben wir genug im Kasten. Geht etwas essen. Heute nachmittag dann im Tivoli.«
*
Nach einem zeitigen Abendessen im Hotel zog sich Silvia um. ›Offizielles‹ Auftreten hatte sie nun nicht mehr nötig, denn ihr Tagewerk war getan. Weitere Besprechungen würden morgen stattfinden. Jetzt war sie frei. Ein paar Stunden Helligkeit lagen noch vor ihr.
Das schicke Kostüm tauschte sie gegen eine leichte lange Hose, zum blauen Sommerpulli band sie sich das bunte Seidentuch um. Sie wollte einen großen Spaziergang machen, dazu fühlte sie sich so recht aufgelegt. Gestern abend war sie zu müde dafür gewesen. In aller Frühe aufgestanden, um das Flugzeug nicht zu verpassen, bald schon die ersten vorfühlenden Gespräche, die vielen neuen Eindrücke – da hatte sie sich nur noch von der Stille ihres Hotelzimmers umfangen lassen und war bald in ihr Bett gesunken.
Aber in Kopenhagen gewesen zu sein und den Zauber dieser Stadt, die sich zum Hafen hin öffnet, nicht wirklich erlebt zu haben, wäre doch bedauerlich.
Ihr Weg führte sie in die Altstadt, abseits der Schlösser und der klassischen Bauwerke aus Barock und Renaissance. Durch Straßen und Gassen spazierte Silvia dahin, froh, daß sie flache Sandaletten anhatte, denn hier gab es viel Kopfsteinpflaster aus alten Tagen. Die reizenden Giebelhäuser entzückten sie, mit Butzenscheiben und Namensschildern aus Kupfer und Messing. Sie staunte über das gerade südländisch anmutende Leben in dieser nordischen Stadt. Heitere Menschen, Musik in Straßencafés, und dazu, ganz nahe, das Tuten der Schiffe vom Hafen her.
Immer war man hier in der Nähe des Wassers, und immer waren auch Möwen da. Die Vögel kamen vom Meer herein wie die Seeluft, die nach Salz und Frische roch.
Das Sonderbare war, daß Silvia bei allem Schauen und Staunen das Gefühl hatte, hier schon einmal gewesen zu sein…
Sie belächelte es nachsichtig, weil