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Schlachtgraus: Erzählungen
Schlachtgraus: Erzählungen
Schlachtgraus: Erzählungen
eBook173 Seiten2 Stunden

Schlachtgraus: Erzählungen

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Über dieses E-Book

Inhalt:
Sonne und Mond
Verdacht
Alptraum
Impotenz
Schock
Erbsünde
Horrortrip
Stoßgebet
Psychose
Verkohlt
Blutegel
Parallelwelt
Unfall
Arno Schmidt
Zusammenbruch
Provokation
Pantoffelheld von Witzleben
Damenbesuch
Rondo
Im Bestiarium
Friedhof
Mahlzeit!
Höllensturz
Schlachtgraus
Doggod
SpracheDeutsch
HerausgeberTrotz Verlag
Erscheinungsdatum16. März 2020
ISBN9783966862677
Schlachtgraus: Erzählungen

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    Buchvorschau

    Schlachtgraus - Reinhard Knoppka

    Reinhard Knoppka

    Schlachtgraus

    Jubiläumsausgabe 2019

    überarbeitet

    Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des (in erster Linie deutschen) Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors nicht statthaft. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und anderweitige auch öffentliche Veröffentlichung.

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

    detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

    Reinhard Knoppka: „Schlachtgraus"

    ISBN Broschur: 978-3-96686-217-2

    ISBN eBuch: 978-3-96686-267-7

    Umschlagfoto: R. Knoppka

    Lektorat und Korrektorat: Olaf Müller

    Umschlaggestalter/Buchsetzer: Rosa von Zehnle

    Verlag & Vertrieb:

    www.trotz.medien-vvg.org

    trotz@medien-vvg.org

    Printed in Germany

    © Verlag

    Köln/Somogy, 17.09.2019

    Alle Rechte vorbehalten

    Sogar der Schmerz wird trivial, wenn wir ihn für einen physiologischen Prozeß anstatt für einen metaphysischen Skandal halten.

    Gómez Dávila

    Inhalt

    Sonne und Mond

    Verdacht

    Alptraum

    Impotenz

    Schock

    Erbsünde

    Horrortrip

    Stoßgebet

    Psychose

    Verkohlt

    Blutegel

    Parallelwelt

    Unfall

    Arno Schmidt

    Zusammenbruch

    Provokation

    Pantoffelheld von Witzleben

    Damenbesuch

    Rondo

    Im Bestiarium

    Friedhof

    Mahlzeit!

    Höllensturz

    Schlachtgraus

    Doggod

    I

    Schon das Aufziehen der goldenen Uhr ist ein Genuß für ihn. Dieses Gefühl, wie Zacke in Zacke greift und im Innern des Metallkörpers Zahnrädchen in Bewegung gesetzt werden, ausgelöst durch die Drehung der Krone zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand, und seine linke umschließt den erst kühlen, dann auf seine Körperwärme temperierten glatten Leib: so glänzend – es geht ihm durch und durch: er spürt dieses weichströmende Ineinanderrasten feinster Stahlzähnchen in den Fingerspitzen.

    Sonne nenne er die uralte Taschenuhr: rund und strahlend wie ihre Namenspatronin, die Sternenkönigin am Himmel – sie hat sogar eine Krone, einen geriffelten, zwiebelförmigen Knopf, umrahmt vom schwenkbaren Haltebügel wie von einem Heiligenschein. Den biegt er jetzt zurück, um auf das Krönlein zu drücken: schwups, springt der güldene Deckel auf, und die Sonne lacht ihn mit ihrem schneeweißen Emailgesicht an.

    Strenge römische Zahlen im Kreis zieren es. Zwei üppig verschnörkelte Zeiger aus blankem Gold umrunden es. Unten im Uhrenantlitz ist noch ein Gesichtlein: darin hastet ein viel emsigeres Zeigerlein in die Runde – ein unermüdliches Pferdchen, das oben den großen, trägen Minutenzeiger im Schlepptau zu haben scheint, der wiederum den noch viel langsameren Stundenzeiger nach sich zieht, als könnten die beiden sich nur durch den Ansporn ihres jeweils schnelleren Vorläufers bewegen. Der ganz kleine Sekundenzeiger scheint durch den galoppierenden Herzschlag im Leib der Uhr angetrieben zu werden: ein hastiges Ticken, silberhell im Kontrast zu dem metallisch gelben Glanz ihrer sanftgeschwungenen Hülle aus funkelndem Gold.

    Schwer und kieselsteinglatt ruht die Sonne in seiner geöffneten Hand: mit zurückgeschnapptem Goldvisier, das ihr Zifferblatt freigibt, ein unterm Glas spiegelndes makellos weißes Porzellangesicht.

    II

    Sie erzählt ihm mit pickendem Ticken ihre Geschichte – oder denkt er sie sich nur aus? Jedenfalls überströmt ihn die Vision einer schwarzen Samtfläche: darauf Edelsteine gestickt, gleißend und glitzernd, angestrahlt von der kreisrunden Goldmedaille unter ihnen, nicht flach, sondern mittig ebenmäßig gewölbt – sanft gerundete Form, in der das tickende Weltenherz schlägt.

    Da greift Gott in das Stilleben ein und nimmt die Sonne von der schwarzsamtenen Fläche. Er läßt sie in ihr Westentäschchen an seinem Bauch gleiten – nur noch ihr Heiligenschein guckt heraus, befestigt an einer goldenen Kette, die einen hängenden Bogen zum Plättchen am anderen Ende beschreibt, das an einem Knopfloch befestigt ist.

    Bei aller Auszeichnung fühlt sich die Golduhr in ihrem seidengefütterten Gefängnis nicht wohl: wie kann sie denn in dieser Enge ihr Visier aufklappen? Auch blitzt sie hier nicht auf schwarzsamtenem Grund unter glitzernden Sternen wie im finsteren All. Jetzt ist sie nur noch Dienerin eines Herrn, der allein bestimmt, wann sie zu erscheinen und wieder zu verschwinden hat. Ungefähr alle zwölf Stunden holt Gott sie hervor und ergötzt sich an ihrem strahlenden Anblick. Dann aber steckt er sie für ebenso lange zurück, um der Nachtruhe zu pflegen.

    Unzufrieden wie Luzifer einst, auch Morgenstern oder Venus genannt, und ebenso rebellierend, entschlüpft die Uhr Gottes Fingern und stürzt hinab in die Tiefe. Sie wäre zerschellt, hätte nicht ihre goldene Kette sie am Schlafittchen, ihrem Heiligenschein, aufgefangen und zurückgehalten.

    Da baumelt die Ausreißerin in der Leere: so dunkel, daß ihr Leuchten umso gleißender ist. Gott schnippt sich erst mal einen Popel vom Finger und überlegt, was er mit der Aufmüpfigen machen soll. Darüber vergehen einige Milliarden Jahre: in der Zeit mutiert die zur Kugel gerollte göttliche Rotze zum Globus.

    Da faßt Gott einen Entschluß. Er bannt die einstige Sonne in die Umlaufbahn des neuentstandenen Erdballs und macht sie zu dessen Trabanten. Vorher nimmt er ihr noch die Leuchtkraft, um ihren Hochmut zu strafen, und erhebt den Alleinanspruch auf das Licht: als Fixstern in diesem Planetensystem.

    Jetzt erstahlt sie nur noch durch seinen eigenen Abglanz, doch längst nicht mehr so hell – und voll bloß für eine Nacht im Monat. Die restliche Zeit wird sie von ihm überstrahlt oder vom Schatten ihres Gestirns überdeckt: abnehmend bis zur dünnsten Mondsichel, die sogar einmal ganznächtlich verschwindet. Dann darf sie wieder zunehmen, sich zur Scheibe runden – aber nie größer werden als das Goldkettenplättchen vormals in Gottes Westenknopfloch.

    Verdacht

    Ihm bricht die Welt immer mehr auseinander. Oft weiß er nicht mehr, was wahr ist und was er sich eingebildet hat. So ergeht es ihm auch jetzt, in der Straßenbahn. Sieht er die anderen Fahrgäste an, verwandeln sie sich plötzlich. Aus dem Gesicht eines jungen Mädchens springt ihn die alte Frau an, die es mal sein wird. Oder er sieht den athletischen Mann dort im Gang auf einmal behindert im Rollstuhl sitzen.

    Es wird noch schlimmer: die Haut seines Gegenübers platzt auf, und verwesendes Fleisch kommt zum Vorschein, in dem Maden wimmeln. Ihn überkommt ein solcher Brechreiz, daß er aufspringen und zum hinteren Ende der Bahn laufen muß – wohin ihm der Fäulnisgeruch folgt, so daß er sich genötigt sieht, bei der nächsten Haltestelle auszusteigen.

    Draußen bleibt er erst mal auf einer Bank in der U-Bahnstation sitzen und erholt sich mit zusammengekniffenen Augen, um nicht den Anblick neuer Menschen ertragen zu müssen. Aber seine Einbildungskraft sucht ihn heim: das gräßliche Bild von vorhin, und im nächsten Moment hängt er über einem Abfallkübel und übergibt sich. Dann tastet er sich, jetzt blind von Tränen bei aufgerissenen Augen, an der Kachelwand entlang zur Rolltreppe.

    Draußen immer noch diese visionäre Heimsuchung, weshalb er weg von den Passanten und zur Haufassade hochschaut. Die verwandelt sich in eine baufällige Ruine, und er rennt, um sich vor Steinschlag zu schützen, wieder die Treppe zur U-Bahn hinunter, rettet sich in die Kabine eines Paßfotoautomaten. Doch wie zuckt er zusammen, als er in den Spiegel sieht: ein Zombie – raus hier!

    In der äußersten Ecke mit den Schließfächern hockt er sich hin und mimt, um nicht aufzufallen, einen bettelnden Blinden, mit seinem Käppi im Schoß. Hoffentlich läßt ihn die Patrouille der Sicherheitskräfte in Ruhe, denkt er, als ihn ein Migräneanfall überfällt: so heftig, daß er nur noch auf seine Kopfschmerzen achtet, eingemummt in seinem Parka.

    Nach geraumer Zeit tritt Linderung ein, und wie üblich, erfaßt ihn nun eine so überwältigende Erschöpfung, daß er, immer noch die Augen geschlossen, schlagartig einschläft.

    Ein Rütteln an seiner Schulter schreckt ihn auf. Blankgewienerte Stiefel, Uniformhosen mit Bügelfalten, daneben ein deutscher Schäferhund mit Maulkorb. Die bernsteinfarbenen Augen des Tiers haben etwas Irres – außerdem sträubt sich sein Nackenfell. Der Hund weicht knurrend zurück und zieht so heftig in die andere Richtung, daß er sich dabei fast stranguliert, während er seinen Halter, einen dunkelblau Uniformierten mit roter Baskenmütze, mitzerrt. Der läßt auch darum nicht los, weil er seine Hand nicht aus der Schlaufe der gestrafften Leine herausziehen kann, die ihn beinahe zu Boden reißt. Fluchend sucht er sich im Gleichgewicht zu halten, während seine beiden Kollegen entsetzt auf den Hund starren: Schaum tropft aus dem Maulkorb – ein Röcheln dringt aus seiner zugeschnürten Kehle, und dann bricht er zusammen.

    Die allgemeine Aufregung ist so groß, daß er sich unbemerkt erheben und davonmachen kann. Sein Käppi ist überraschend schwer – randvoll mit Münzen! Vorübergehende müssen sie während seiner Ohnmacht (wie lange dauerte sie?) hineingeworfen haben.

    Er sieht sein Spiegelbild in einem Schaufenster: alles in Ordnung. Trotzdem bildet er sich ein, nach Leiche zu riechen – eine fixe Idee, die ihn am Rudolfplatz hinunter in die Männertoilette treibt, die zum Glück im Augenblick menschenleer ist und wo er sich gründlich an einem der Waschbecken von oben bis unten abseift.

    Doch der Geruch läßt nicht nach, sondern wird stärker: so stinken Penner, nein Kadaver – Einbildung! ruft er sich zur Ordnung und ohrfeigt sich sogar, wie um sich aus eigener Kraft aus einem Alptraum zu befreien. Doch er erwacht nicht, sondern bleibt weiter auf dem Horrortrip, wie ihm scheint.

    Jedenfalls sieht er sich wie durch Geisterhand in die U-Bahnstation von vorhin zurückversetzt und Männer vom Rettungsdienst eine Liege mit dem Schäferhund darauf wegtragen. Man hat ihm nicht den Maulkorb abgenommen – Tollwut, oder woran ist er krepiert? fragt er sich und guckt in seine noch offenen, gebrochenen Augen, in denen er, obwohl eindeutig tot, einen phosphoreszierenden Wahnsinn zu sehen meint, während ihm ein ganz anderer Wahnsinn bewußt wird: er liegt da plötzlich auf der Bahre und ist selber in die Hundegestalt geschlüpft, die sich hinter einen Abfallkübel duckt, die Zähne gegen den Mann vom Sicherheitsdienst gebleckt, den er vorhin fast umgerissen hat und der jetzt mit seinem Knüppel auf ihn einschlägt, ohne daß er sich, behindert vom Maulkorb, zur Wehr setzen kann.

    Er wird von seinem eigenen Gebell geweckt – nein, es ist das eines Hundes im Innenhof der Wohnanlage, wo sein Halter frühmorgens mit ihm Gassi geht: wirklich?! Er faßt sich panisch ins Gesicht: keine Raubtierschnauze – und ist zutiefst erleichtert.

    Stutzig macht ihn aber später, beim Frühstück, doch die Schlagzeile im Stadtanzeiger: Wachhund wegen Verdacht auf Tollwut von Sonderkommando in U-Bahn erschossen.

    Alptraum

    I

    Der Fluß, ein glatter Spiegel, der rechts und links die Kronen der Bäume reflektiert. Sie säumen haushoch die Ufer, und in der Mitte der grelle Himmel: eine blanke Bahn, über die ein Boot dahinsaust, mit sägendem Motorgeräusch – ich sitze auch darin.

    Wir gleiten atemberaubend schnell dahin. Hinter uns zwei klaffenden Wellenbewegungen, als schlitzten Kiel und Motorschraube die Wasserfläche auf und schleuderten ihre beiden Hälften ans Ufer, wo sie sich schwappend brechen.

    Plötzlich verstummt das fräsende Geräusch einer Motorsäge. Nur noch Plätschern ist zu hören. Im Bug sitzt ein Mann mit Schirmmütze taucht sein Paddel links und rechts ins Wasser und rudert stoßweise. Die spiegelnde Oberfläche wirft nur noch schwache Wellen und gleißt etwas weiter weg, wie Quecksilber, von metallisch grünem Laub gerahmt.

    Ein Mann im Heck neben dem Motor wirft den Anker. Beide biegen sich jetzt vor zur Bootsmitte, wo ein zappelndes Bündel zu ihren Füßen liegt. Ein nacktes Kind? Es quiekt, als einer es anhebt, und ich erkenne: ein lebendes Ferkel in einem Netz , gefesselt an Vorder- und Hinterläufen: es wehrt sich durch Kontrakturen des ganzen Leibes gegen seine Gefangenschaft. Das scheint die Lust der Männer noch zu stacheln, die grinsend sein Zucken verfolgen, mit, wie mir scheint, einem gierigen Glitzern in den Augen – möglicherweise kommt es auch nur von den Wasserreflexen.

    Der jüngere Mann läßt das Netz mit dem strampelnden Inhalt an einem Seil ins Wasser. Außer Luftblasen und kreisförmigen Wellenbewegungen kein Lebenszeichen von dem Tier – es scheint zu ertrinken. Bevor es ganz still wird, zieht der Mann es wieder über den Wasserspiegel hinauf. Prustend und spritzend wirft sich das Ferkel im Netz hin und her. Es erlahmt und hält erschöpft inne.

    Dschungelstimmen: Schreie sowohl von Vögeln als auch von Affen – dazwischen verhaltenes Quieken, als weine und winsele das Tier im Netz, in dem es sich wieder regt.

    Der ältere Mann, ein Dicker mit rundem Strohhut, beugt sich mit einem Stock über die Bootskante und

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