Hölle in Himmel: Sauerland-Krimi mit Rezepten
Von Joe Wentrup
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Buchvorschau
Hölle in Himmel - Joe Wentrup
Wire
KAPITEL EINS
Seine Gesichtszüge wären einem Betrachter eher geistlos als entspannt vorgekommen. Die blaue Oberlippe gab im fahlen ersten Tageslicht eine Reihe dünner, gelber Zähne preis und es schien, als würde dieser Mund, gleich dem eines Schnarchenden, dessen Uvula die Luftröhre versperrt, jeden Moment nach Luft schnappen. Doch nichts geschah.
Er wunderte sich etwas darüber, dass er so bequem ohne zu atmen dahintreiben konnte und die Kälte des Wassers nicht an ihm nagte wie eine Schar tollwütiger Ratten.
Der dunkle, träge Strom des Mühlengrabens, dessen Oberfläche noch immer von dicken Regentropfen in Unruhe versetzt wurde, trug seinen reglosen Körper entlang hoher Mauern mit alten Häusern, deren Fenster noch die Dunkelheit der Nacht in sich bargen, während die tiefhängenden Wolken mit jedem Moment mehr aufrissen.
Die Notwendigkeit drang in sein Bewusstsein, allmählich die ihn umfassende Trägheit zu überwinden, wollte er noch rechtzeitig in seine Wohnung zurückkehren, trockene Kleidung anlegen und bei einer Tasse Kaffee seine Morgenzigarette rauchen. Für die Aufnahme fester Nahrung jedoch zeigte sein Magen zu dieser frühen Stunde keinerlei Bereitschaft.
Sein Körper stieß an ein Hindernis. Das beständige, tiefe Summen verkündete ihm, dass er das Kraftwerk erreicht hatte, dessen Gatter ihn davon abhielt, in der Turbine wie durch einen Fleischwolf gedreht zu werden. Die Gewalt des Wassers ließ sich nur an der feinen Vibration der eisernen Stäbe ahnen, während es sanft durch die Barriere floss.
Ein breiter hydraulischer Rechen setzte sich in Gang und seine Blätter begannen, wie Barten eines Wals zwischen den Gitterstäben entlangzufahren. Als sie seinen Körper erfassten und aus dem Wasser hoben, begann die Hydraulik unter dem Gewicht zu ächzen. Er schämte sich, die selbst auferlegte Fastenkur des ausgehenden Winters nicht konsequenter durchgehalten zu haben.
Plötzlich sackte sein Körper mit einem ratschenden Geräusch wieder dem Wasser entgegen, nur um erneut emporgehoben zu werden. Am gleichen Punkt wie zuvor jedoch wiederholte sich der vom scharfen Ton begleitete Sturz bis kurz vor die Wasseroberfläche, von wo aus er nochmals in Richtung der Anhäufung modriger Blätter und Äste geliftet wurde, auf den ihn der zu schwache Arm des Rechens auch diesmal nicht abzuladen vermochte.
Schließlich fand er sich trotz dieser Widrigkeiten auf der dem Turbinenhaus vorgelagerten Betonplattform wieder. Er war gereizt, die Zeit drängte, hatte er doch bereits früh am Morgen wichtige Termine wahrzunehmen.
Das ächzende Geräusch hallte, gleich der rostigen Ratsche eines traurigen Clowns, noch immer durch die menschenleeren Gassen. Anscheinend kämpfte der Rechen nach wie vor mit einem zu hohen Gewicht.
Er nahm sich vor, in der nächsten Ratssitzung den Einbau einer stärkeren Hydraulik zu beantragen. Das Brummen der Turbine durchdrang ihn. Raum und Zeit verschwammen. Als er endlich beschloss aufzubrechen, war das Licht des Tages von alldurchdringender Kraft.
Eine unbestimmte Ahnung hielt ihn zurück. Im Wasser reflektierten sich die fahlen Wolken, doch nirgends konnte er sein eigenes Spiegelbild entdecken. Dann sah er sich noch immer unten im Rechen liegen und begriff, dass er tot war.
KAPITEL ZWEI
Die Flammen formten aus ihren lodernden, windenden Zöpfen eine Welt, in der alle Kraft sich im Zustand gleißenden, tosenden Feuers befand, dessen funkensprühende Gischt zum Himmel schoss.
Ein pulsierendes, wiederkehrendes Brummen erklang, zunächst fern und unbedeutend, dann näherkommend, bis der Flammenvorhang im Takt des Tones zu zerreißen begann und das graue Licht eines wolkenverhangenen Tages in Kahlbergs verschlafene Augen fiel.
Er grabschte nach dem auf dem Nachttisch vibrierenden Handy, und beantwortete schlaftrunken den Anruf.
Nach dem Gespräch fluchte er mit rauer Stimme und tastete nach seinen Zigaretten. Das hätte sein gottverdammter freier Tag sein sollen und nun bestellte man ihn ins Ministerium. Er richtete sich im Bett auf, schaffte es, sich eine Zigarette anzustecken und verscheuchte die Erinnerung an den Traum, aus dem ihn der Anruf gerissen hatte, an die ihn einhüllenden Flammen, die immer gleichen Flammen, indem er den Blick ins Freie, hinaus auf die unspektakuläre Düsseldorfer Skyline heftete. Sodann ließ er ihn durch das minimalistisch eingerichtete Schlafzimmer schweifen, nichts davon, das erfüllte ihn mit Stolz, aus jenem skandinavischen Möbelhaus, bis seine Augen ihren Ausflug bei dem mit leeren Bierflaschen und aufgerissenen Präservativpackungen vollgestellten Nachttisch beendeten.
Nadine war bereits gegangen, wie jedes Mal, wenn sie die Nacht bei ihm verbrachte. Sie verstand es, ihre sporadischen Zusammenkünfte mit reichlich Alkohol nie in ihrer Wohnung enden zu lassen, um so diesen immer gleichen Ausgang bestimmen zu können. Danach verschwand sie meist für längere Zeit, bis zum nächsten Anruf, und Kahlberg wusste nie, was sie in der Zwischenzeit getan oder mit wem sie ihre Zeit verbracht hatte. Ehrlich gesagt interessierte es ihn auch nicht sonderlich.
Er nahm einen letzten Zug von seiner Zigarette, steckte den Stummel in eine der leeren Flaschen und schwang sich aus dem Bett.
KAPITEL DREI
Das Düsseldorfer Innenministerium, ein ausdrucksloser Stahl-und Glasklotz, kauerte in einem zentralen Niemandsland zwischen Brückenauffahrten und Stadtteichen wie ein unbekannter Besucher eines teuren Restaurants, der von seinem etwas deplatziert wirkenden Einzeltisch diskret die erlauchten Gäste ausspähte.
Kahlberg betrat das Foyer und schob seinen Polizeiausweis unter dem Panzerglas dem betagten Pförtner zu, der durch den viel zu eng geknöpften Krawattenknoten jahrzehntelange Unberührtheit mit der jüngst auch in den niederen Diensträngen immer mehr um sich greifenden Anzugspflicht dokumentierte. Kahlberg selbst pfiff darauf, trug wie immer Boots und Jeans. Als einziges Zugeständnis an seine Position hatte er die alte Lederjacke gegen eine neue eingetauscht.
»Man erwartet Sie bereits.«
Der Beamte schob ihm Polizei- wie Besucherausweis entgegen und wies mit dem Kopf zur Empfangshalle.
Kahlberg folgte der Bewegung und sah Hahne in einem nüchternen Ledersessel sitzen. Als ihre Blicke sich trafen, lächelte sie und erhob sich, um ihn stehend zu erwarten, während er den Inhalt seiner Taschen durch die Röntgenkontrolle schleuste und den Metalldetektor passierte.
Hahne sah wie immer hinreißend aus. Sie trug ein strenges, wenn auch karges Kostüm, der Rock gerade lang genug für ihren Job und ihr Alter, welches man nur bei genauerem Hinsehen erahnte. Schade, dass sie seine Vorgesetzte war, ging es Kahlberg mal wieder durch den Kopf, bevor sie sich gegenüberstanden und mit kollegialem Grinsen den Handschlag sparten.
»Tut mir wirklich leid, Sie aus Ihrem freien Tag gerissen zu haben.«
»Und aus dem Bett.«
»Ich hoffe, Sie hatten ausreichend Schlaf.«
Ihre aufgeweckten braunen Augen sahen ihn forschend an und Kahlberg vermutete für einen Moment in ihrem Blick eine süffisante Doppeldeutigkeit.
»Ich bin okay«, antwortete er dann und lächelte breit, wobei die Stoppeln seines unrasierten Kinns sich aufstellten wie die Stacheln eines Kugelfisches.
»Gut. Dann wollen wir mal.«
Sie durchquerten die Eingangshalle und fuhren mit dem Lift in den obersten Stock. Erneut kontrollierte eine Empfangsdame ihre Ausweise, bevor sie die beiden Beamten durch einen mit dickem Teppich belegten Flur zu einer Tür führte, an die sie klopfte.
»Herein«, kam es dumpf durch das dunkle Tropenholz.
Die Sekretärin öffnete, ließ Hahne und Kahlberg eintreten und zog sich diskret zurück.
Der Innenminister, ein drahtiger Mann, der gelernt hatte, seine linkische Menschenscheu durch das geübte Gebaren eines Berufspolitikers zu verbergen, saß hinter einem ausladenden Schreibtisch aus Teakholz, hinter sich an der Wand ein Neo Rauch, dessen Bedeutung sich ihm entzog, den er jedoch höchstpersönlich ausgewählt hatte, um die Zeitbezogenheit und finanzielle Potenz seines Ministeriums zu untermalen.
Eine Seite des Raums bestand einzig aus Fenstern, die den Blick freigaben auf den Spee’schen Graben und den weiter entfernt dahinfließenden Rhein. Ohne sich zu erheben, bat der Minister die beiden Besucher, ihm gegenüber Platz zu nehmen, und kam ohne Umschweife zur Sache.
»Wir haben eine kleine Unannehmlichkeit, über die wir uns gerne Klarheit verschaffen würden.« Er öffnete und schloss einen teuren Füllfederhalter, während er seinen Gegenübern routiniert eindringliche Blicke zuwarf. »Ein Mitglied der Koalitionspartei ist heute Morgen tot aufgefunden worden. Nicht hier in Düsseldorf, sondern in der Provinz.«
»Und was haben wir dann damit zu tun?«, fragte Kahlberg, ohne der Rangordnung gemäß Hahne das Wort zu überlassen.
Diese hätte ihn ob seines draufgängerischen Protokollfehlers gerne mit einem nachsichtigen Lächeln abgestraft, welches sie jedoch, in Gegenwart des Innenministers, in einen strengen Blick umwandelte.
»Es ist ein delikater Fall«, erklärte sie Kahlberg übertrieben kühl. »Bei