Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Der Seelendieb
Der Seelendieb
Der Seelendieb
eBook305 Seiten2 Stunden

Der Seelendieb

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Der Dämonenbeschwörer Nathaniel bekommt einen besonders heiklen Auftrag: Er soll, gemeinsam mit seinem Zirkel, den Mann aufhalten, der ihm einst das Herz gebrochen und sie alle verraten hat. Zu ihrem Schutz beschwört er den listigen Dschinn Ghazavijel. Doch dieser ist ganz anders als erwartet: frech, eigensinnig und genauso willig, Naths Seele zu heilen ...
SpracheDeutsch
Herausgeberdead soft verlag
Erscheinungsdatum16. Mai 2015
ISBN9783945934111
Der Seelendieb

Ähnlich wie Der Seelendieb

Ähnliche E-Books

Schwulen-Literatur für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Der Seelendieb

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Der Seelendieb - Mary Bathory

    Mary Bathory

    Der Seelendieb

    Impressum

    © dead soft verlag, Mettingen 2015

    http://www.deadsoft.de

    © the author

    Cover: Irene Repp

    http://www.daylinart.webnode.com/

    Bildrechte:

    © Orla – shutterstock.com

    © rdgraphe – shutterstock.com

    1. Auflage

    ISBN 978-3-945934-10-4

    ISBN 978-3-945934-11-1 (epub)

    Inhaltsangabe

    Der Dämonenbeschwörer Nathaniel bekommt einen besonders heiklen Auftrag: Er soll, gemeinsam mit seinem Zirkel, den Mann aufhalten, der ihm einst das Herz gebrochen und sie alle verraten hat. Zu ihrem Schutz beschwört er den listigen Dschinn Ghazavijel. Doch dieser ist ganz anders als erwartet: frech, eigensinnig und genauso willig, Naths Seele zu heilen ...

     Für Tisa!

    Meine Schwester, die immer für mich da ist ...

    Der Seelendieb

    Der Ort war finster und modrig. Die Ecken stanken nach Dreck und Verfall, doch es war ein sicherer Platz, um die Beschwörung zu vollziehen. Hier gab es kein Fenster, kein Sonnenstrahl drang herein, obwohl draußen helllichter Tag war. Abfall lag unbeachtet nahe den geschwärzten Wänden, darunter Plastiktüten, tote Ratten und Zeitungen, eine davon mit der verschmutzten Titelschrift Namenloser Mann erhängt am Flughafen aufgefunden.

    Der Raum war groß genug, um einen kleinen Nachtclub daraus zu machen, und in seiner Mitte standen fünf pechschwarz gekleidete Gestalten, die einen Kreis bildeten, die Hände etwas abseits des Körpers mit den Handflächen nach oben hielten und unheilige Formeln murmelten. In den Boden waren Linien aus glutrotem Pulver gezogen worden, sie bildeten ein Pentagramm mit fremdartiger Beschriftung. Der tiefe Sprechgesang hallte an den feuchtkalten Steinwänden wider und erweckte eine beinahe greifbare Spannung, welche die Luft zum Vibrieren brachte. Nicht lange dauerte es, da hoben sich ihre Stimmen an, ihre Lippen bewegten sich schneller und ein widerlicher Schwefelgestank erfüllte die unmittelbare Umgebung. Plötzlich stieg Rauch in ihrer Mitte auf, verdichtete sich zu festem Nebel und kreiste um den steinernen Altar, auf dem ein nackter Körper, bar allen Lebens, gebettet lag. Die formlose Gestalt schwebte um ihre Opfergabe, tastete sie mit unsichtbaren Fingern ab – und verschmähte sie.

    Die fünf Beschwörer beobachteten dies mit Erstaunen, einer von ihnen runzelte unter seiner Kapuze die Stirn und öffnete den Mund, doch bevor er etwas sagen konnte, verschwand das Rauchwesen und sie alle verharrten perplex.

    „Was ist schief gelaufen?", fragte jemand.

    Der, der noch die Stirn kraus zog, atmete tief ein und aus, ehe er mit dunkler Stimme eine Antwort gab. „Ich weiß es nicht, aber ich werde es herausfinden. Wir haben ihn gerufen, also muss er sich einen Körper nehmen. Ich werde ihn suchen."

    *

    Ghazavijel Xaruel schwebte ungesehen durch den verendenden Tag, über Dächer und Menschen hinweg. Pah! Mit den Lebenden konnte er nichts anfangen, er nahm sich keine Körper, die schon von einer Seele besetzt waren. Er hasste es, zu streiten, also streckte er seine Fühler aus und suchte nach verlassenen Leibern. Ghazavijel durchforstete Leichenschauhäuser und Friedhöfe. Immerhin musste er für unabsehbare Zeit mit dem Körper zurechtkommen. Unermüdlich suchte er weiter und kam schließlich zu einem Leichenwagen. Ein grobschlächtiger Mann verlud die Leblosen wie Frachtware. Ghazavijel musterte sie und endlich, endlich fand er einen idealen Körper. Er war zwar gesäubert, aber verwahrlost, doch mit ein wenig Pflege und etwas seiner Essenz würde er perfekt sein.

    Als könnte ihm jemand seine Beute streitig machen, stürzte er sich auf den Leichnam, breitete sich in seinem neuen Zuhause aus, ließ seine Energie in jede Ader, jeden Muskel und jede Zelle fließen. Der Blutkreislauf begann wieder zu arbeiten, was zuerst schmerzhaft, aber dann wunderbar belebend und erfrischend war. Das Herz begann zu schlagen, die Lunge holte krampfhaft Atem. Er öffnete seine neuen Augen und sah nichts als Schwärze. In ihm funkelte eine Erinnerung, Ghazavijel ließ sie zu.

    Das Getümmel und der Lärm des belebten Flughafens wurden leiser, als er die Toilette betrat. Er war gerannt, aber sein Atem beruhigte sich schnell wieder, als er mit den Händen den Rand des kalten Waschbeckens umklammerte und sich selbst im Spiegel erblickte. Sein Bart kratzte, da er auf der Flucht nur wenige Möglichkeiten zur Körperpflege gehabt hatte, außerdem war die Haut wächsern vor Erschöpfung und seine dunklen Augen waren von tiefroten Ringen umrandet. Sein Herz pochte wild gegen die Brust, was ihn daran erinnerte, dass sein Leben ihm gehörte und niemandem sonst. Und das würde er den anderen klar machen. Heute. Jetzt. Niemand würde Informationen über Beta aus ihm herauspressen.

    „Alles in Ordnung?"

    Der Fragende erhielt lediglich einen kurzen Seitenblick und ein forsches „Nein!", woraufhin er zurückzuckte und ihn allein ließ.

    Darauf hatte er gewartet, was bei dem regen Betrieb hier schwer genug war. Um sicher zu gehen, nicht gestört zu werden, verrammelte er die Tür mit einem Draht, den er bei sich trug, bevor er sich daran machte, seinen Plan durchzuführen. Er zog seinen Gürtel aus der Hose und sah zur Decke, wo er etwas Passendes fand. Manche behaupteten, Selbstmord sei feige; sie irrten sich. Sein letzter Gedanke galt den Feinden und ein Grinsen verzerrte das Gesicht, bevor sein Gewicht auf seine Kehle drückte.

    Reflexartig wollte Ghazavijel an seinen Hals greifen, aber er konnte sich nicht ausreichend bewegen. Dieser verdammte Plastiksack!

    Er tastete nach der Öffnung und riss den Reißverschluss hastig auf. Der Arbeiter war nicht in Sicht, also nutzte er die Gelegenheit, um zu verschwinden. Schnell wurde sein Gang geschmeidiger und es war, als hätte er nicht die letzten Jahrhunderte im dunklen Schlund verbracht. Nicht so, als wäre er tatsächlich die letzten dreihundert Jahre eine körperlose Entität im Höllenkreis gewesen. Soweit lief alles prächtig. Zufrieden mit seiner Wahl atmete er die laue Abendluft ein und blickte zum klaren, dunkelblauen Himmel auf. Jetzt musste er nur noch ein Bad nehmen oder eine Dusche – inzwischen gab es ja so etwas, solche Informationen nahm er sich aus der körperlichen Erinnerung des besetzten Menschen. Die Erinnerungen der Seele und die des Geistes waren allerdings fort, somit hatte er keine Ahnung, wie der Mann gewesen war, als er gelebt hatte. Aber wen interessierte das? Irgendwie musste er an Geld kommen. Oder er machte sich seinen Charme zu Nutze. Und danach musste er dringend seinen Meister kontaktieren. Wie weit war er wohl suchend durch die Länder und Städte geflogen? Egal, er würde ihn schon finden, schließlich fühlte Ghazavijel durch ihre Verbindung vage, wo er sich befand.

    Nach reiflicher Überlegung und einem Spaziergang durch die Straßen entschied er sich dafür, an Geld zu kommen, indem er seine flinken Finger benutzte und Passanten versehentlich anrempelte. Egal ob im Mittelalter oder im 21. Jahrhundert, die Leute erlagen stets einem geschickten Dieb. Auch die reizende Dame am Empfang eines Nobelhotels gab ihm trotz seiner abgewetzten Erscheinung und dem Todesgeruch ein Zimmer, als sie sein Geld sah. An den Privilegien schien sich also ebenfalls nichts geändert zu haben.

    Die Suite war recht geräumig, vergoldete Leuchter erhellten die Räumlichkeiten mit ihrem warmen Licht. Zumindest wirkte es warm, Hitze spendete es nicht wirklich. Er warf seinen Mantel unachtsam auf einen der Stühle, die an einem kleinen Rundtisch standen, auf dem eine Obstschale, Wein mit zwei Gläsern und ein Block mit Kugelschreiber lagen, und trat anschließend auf den langen Balkon. Die Nacht hatte ihren Schleier über die Stadt gelegt und auch wenn keine Sterne am Himmel leuchteten, so sorgten die Menschen doch für ihre eigenen Sterne, bestehend aus Laternen, Reklameleuchten und Ähnlichem. Tief atmete er die Luft ein, die so viele Stockwerke oben deutlich frischer war, und lächelte glücklich. Eine Weile ließ er die Ruhe auf sich wirken, bevor er wieder hineinging und sich ins Bad begab, wo er sich entkleidete und in einem mannshohen Spiegel betrachtete. Ja, er hatte nicht schlecht gewählt. Der Körper war etwa eins achtzig groß, schlank und athletisch, mit wohlproportionierten Muskeln. Besonders gefielen ihm die langen Beine und schmalen Hände, so etwas war ihm wichtig, auch wenn er nicht wusste, warum. Ghazavijel suchte im Schrank über dem Waschbecken und fand tatsächlich einen Rasierer, mit dem er sich sogleich daran machte, sich von diesem Bart zu befreien. Zum Schluss wusch er sich den Schaum fort und betrachtete sich erneut im Spiegel. Hohe Wangenknochen, ein leicht spitz zulaufendes Kinn, eine schmale Nase und gleichmäßige Augenbrauen. Dunkle lange Wimpern umrahmten Augen, die durch seine Besetzung pechschwarz geworden waren. Davor mussten sie schon zumindest dunkelbraun gewesen sein. Irgendwann zwinkerte er sich zu, zwang sich dann, sich abzuwenden und unter die Dusche zu steigen. Vor Erleichterung stöhnte Ghazavijel auf, als die Wassertropfen auf seine Haut trafen und das Duschgel all den Schmutz in den Abfluss rinnen ließ. Ein Geruch nach Honig breitete sich aus, was ihn spöttisch grinsen ließ. Der süße, unschuldige Duft passte so gar nicht zu seiner wahren Natur.

    Nach etwa zehn Minuten drehte er das Wasser ab, verzichtete auf ein Handtuch, um sich zu trocknen, ging schnurstracks zum Telefon, das im Schlafzimmer auf dem Nachttisch neben dem großen Doppelbett stand und wählte die Nummer der Rezeption.

    „Hallo, sagte er mit samtener Stimme, die ihm auch sehr gut gefiel. „Wäre es möglich, jemanden herzuschicken, der mir Kleidung verkaufen könnte? Eine komplette Garnitur mit Unterhose, Jeans und Hemd? Immerhin hatte er keine Lust mehr, wieder in dieselben Sachen zu steigen, in denen er erwacht war.

    Tatsächlich schickte die Frau jemanden hoch und das gestohlene Geld reichte für seine Zwecke aus. Zumindest vorerst. Erst gegen Mitternacht ließ er sich ins Bett sinken und obgleich er nicht müde war, genoss er die Kissen.

    Hier war er also. In dieser Welt und mit diesem Körper. Nur seinen Meister musste er noch finden. Das eilt ja nicht, dachte Ghazavijel und streckte sich aus.

    *

    Nath verließ mit einem schweren Seufzen den Zug, der soeben quietschend im Bahnhof gehalten hatte. Wie er Menschenmengen verabscheute! Und nun musste er auch noch nach seinem Dschinn suchen. Diese Dämonenart war immer etwas eigenwillig, aber so etwas war ihm noch nie untergekommen. Die Beschreibung des Wesens im Daemonicum hatte perfekt geklungen: stark, doch nicht so bösartig und unkontrollierbar wie ein Ifrit und mit der Randnotiz Er neigt zu leichter Eitelkeit. Rang und Namen hatten Nath für die Aufgabe angesprochen, welche er ihm erteilen wollte – und jetzt das hier. Sechs ganze ermüdende Stunden hatte er im Zug verbracht, um total verspannt wieder auszusteigen und sich in eine Toilettenkabine zu begeben, in der er unbeobachtet seinen Suchzauber intensivieren konnte.

    In der einengenden Kabine klappte er den Toilettendeckel herunter, setzte sich und holte seinen speziellen Kompass heraus. Die untere Scheibe sah mit ihren Himmelsrichtungen fast normal aus. Doch dann zog er eine Spitze heraus an der eine Schale angebracht war, so klein, dass sie der Becher einer Fliege hätte sein können. Alles natürlich aus Eisen, denn Dämonen konnten das Metall nicht gut leiden, womit das Risiko sank, dass einer das Gerät kaputt machte. Vorsichtig platzierte er das Messgerät auf seinen Knien und holte eine schmale Phiole aus seiner Manteltasche, in der eine tiefrote Flüssigkeit zu erkennen war. Vor seinem Aufbruch hatte er sich noch etwas Blut abgezapft. Damit konnte er das von ihm beschworene Wesen aufspüren. Nath gab einen winzigen Tropfen in die Schale und murmelte leise Formeln vor sich hin. Selbst wenn ihn jemand hören sollte, würde er sich keinen Reim darauf machen können, denn es war Altgriechisch und das verstand heute so gut wie keiner mehr.

    Der Zeiger begann sich zu bewegen, zuerst nach links, dann nach rechts. Mit der freien Hand zog Nath eine Miniaturlandkarte hervor. Der Zeiger stockte und er starrte mit offenem Mund darauf, dann fluchte er. Das war immer noch eine halbstündige Autofahrt entfernt. Mürrisch räumte er alle Utensilien zusammen, nutzte eine Rolltreppe und verließ den Bahnhof. Draußen stieg er gerade in eines der wartenden Taxis, als sein Handy klingelte. Auf dem Display stand Quinn.

    „Was ist?", maulte er unfreundlich ins Telefon und konnte sich dabei gut vorstellen, wie der dürre Rothaarige zusammenzuckte.

    „I-Ich wollte bloß fragen, wie’s läuft, erwiderte Quinn entschuldigend. „War ja ganz schön blöd, dass der einfach so abgehauen ist.

    Nath setzte seine schwarze Sonnenbrille auf, die er so liebte. Am späten Nachmittag, wenn die Sonne sank, blendete sie jeden Spaziergänger genau ins Gesicht. Er wandte sich vom Fenster ab, gab dem Fahrer eine ungefähre Angabe, wohin er wollte, und sprach dann wieder in den Hörer: „Bringt nichts, sich darüber aufzuregen. Ich müsste ihn gleich haben."

    Der Wagen wurde bei einer roten Ampel langsamer und hielt an. Plötzlich stockte Nath und runzelte die Stirn, als ihm ein Geruch in die Nase stieg, der selbst in dieses schlechte Viertel mit all dem Müll auf den Straßen nicht gehörte und den wohl nur seinesgleichen wahrnehmen konnten.

    „Halten Sie hier mal an, bat er den Fahrer. Nath gab dem Mann das ihm geschuldete Geld, stieg aus und folgte seinem Geruchssinn in eine Sackgasse, in die keine Sonnenstrahlen kamen. „Ich muss auflegen, ich glaube, da ist was, sagte Nath und beendete den Anruf, ohne auf eine Erwiderung zu warten.

    Der Gestank nach Verwesung wurde zunehmend stärker. Am Ende der Gasse entdeckte er ein Bündel auf dem Asphalt, das er bei näherer Betrachtung unweigerlich als menschliche Leiche identifizierte. An sich war das in einer solch miesen Gegend nicht verwunderlich. Es gab genug Straßenbanden, die ihren Dreck nicht wegräumten, aber das war eindeutig nicht das Werk eines Menschen gewesen. Das Gesicht des Mannes war wächsern und aufgedunsen, die Augen starrten farblos ins Leere und genau diese Farblosigkeit bewies, dass die Seele dem Körper vorzeitig entrissen worden war. Das Hemd des Mannes hing in Fetzen und auf seiner Brust befanden sich eingeritzte Zeichen, die es einem Dämon erleichterten, die Seele zu stehlen. Etwas, das unter den wahren Dämonenbeschwörern verboten war und das Werk eines Seelendiebes sein musste. Ein solches Wesen in diese Welt zu locken war unvorstellbar, und doch war Nath nicht überrascht. Es bestätigte seine Vermutung.

    Nach einer kurzen, gründlichen Untersuchung wandte Nath sich ab, marschierte zurück zum Taxi, das sogar gewartet hatte, und nahm sich vor, seinen Leuten später Bericht zu erstatten. Diese Leiche deutete darauf hin, dass sein alter Bekannter hier gewesen war. Aber warum? An das Beseitigen der Beweise hatte er offensichtlich nicht gedacht, doch Nath würde das sicher nicht für ihn übernehmen. Auch wenn die Leiche irgendwann gefunden werden würde, die Polizisten würden sich keinen Reim aus den Hinweisen machen können.

    Er schob den Gedanken beiseite, jetzt musste er erst mal seinen Dschinn aufspüren, der für seine Mission von großer Bedeutung sein würde. In Gedanken versunken beobachtete er die an ihm vorüberziehenden Straßen und Häuser, bis das Fahrzeug anhielt.

    „Hier ist der Park", sagte sein Fahrer, also bezahlte Nath und stieg aus.

    Scheinbar sorglos spazierte er den Kiesweg entlang, spürte dabei in sich hinein und suchte seinen Diener. Die Präsenz wurde stärker, er ging zielstrebig weiter, vorbei an den letzten Besuchern. Mütter mit ihren Kinderwagen traf er zu dieser Stunde nicht mehr an, dafür Leute auf dem Nachhauseweg und verwahrloste Penner. Gleich darauf schien der Dschinn so nah zu sein, dass Nath stehen blieb. Sein Blick traf auf ein Pärchen, das nicht weit entfernt miteinander plauderte. Eine blonde, hochgewachsene, junge Frau wickelte ihre Haare um den Finger und lächelte lockend. Der Mann ihr gegenüber musste Mitte zwanzig sein, mit rabenschwarzem Haar, einem weißen Hemd und dunkler Jeans mit Sportschuhen. Nath, der um die Eitelkeit des Dschinns wusste, nahm an, dass der Dschinn den Körper der Frau gewählt hatte. Als diese sich allerdings verabschiedete – nicht ohne ihrer neuen Bekanntschaft eine Telefonnummer zuzustecken – und sich entfernte, blieb das Gefühl der Bannung an dem gutaussehenden Mann hängen. Der blieb stehen wo er war, aber sein Blick war nun eindeutig auf Nath gerichtet und er musterte ihn unverhohlen von oben bis unten. Dann zeigten seine vollen Lippen ein verschlagenes Grinsen und er näherte sich gelassen mit den geschmeidigen Bewegungen eines Panthers auf der Pirsch.

    In diesem Moment war Nath froh, dass er seine Sonnenbrille aufbehalten hatte und die getönten Gläser seine Überraschung über die gewählte Erscheinung verbargen. Immer noch lächelnd stand der Dschinn nun vor ihm und von so Nahem sah er sogar noch anziehender aus. Außerdem verströmte er einen Geruch von süßem Honig und Macht.

    „Ghazavijel Xaruel?", erkundigte sich Nath zur Sicherheit.

    Ein Nicken. „Meister", sagte sein Diener mit tiefer, samtener Stimme, die ihm durch Mark und Bein ging.

    Nath packte seinen Dämon am Oberarm und zerrte ihn mit sich. Auf dem Weg hierher hatte er doch ein, zwei Häuser gesehen, die verlassen gewirkt hatten. Dort ließ es sich gewiss besser reden.

    *

    Langgliedrige, starke Hände führten ihn wenige Straßen weiter in ein verfallenes Gebäude. Letzte Sonnenstrahlen schienen durch das undichte Dach und erhellten eine verlassene Wohnung.

    Als Ghazavijel seinen Meister erblickt hatte, war er gleich begeistert gewesen. Wie er dagestanden hatte, hochgewachsen, mit breiten Schultern, aber nicht zu muskelbepackt und ganz in Schwarz gekleidet, mit einem knielangen Ledermantel. Das Gesicht war markant, der Kopf kahl geschoren, wodurch man die Dämonenbanner-Tätowierungen gut erkennen konnte, die sich kontraststark von der helleren Haut abhoben. Er war eindeutig erbost über das Verschwinden seines Dämons, das hatte man gleich an dem verärgerten Stirnrunzeln und den zu einem schmalen Strich gepressten Lippen gemerkt. Und natürlich daran, wie er ihn anbrüllte, nun, da sie allein waren.

    „Was zur Hölle fällt dir eigentlich ein?", schrie sein Meister.

    Ghazavijel schmunzelte immer noch, denn endlich nahm der Kerl seine zu dieser Stunde unnütze Sonnenbrille ab und intensiv grüne Augen zeigten sich. „Ich habe bloß getan, wie mir befohlen wurde", behauptete er.

    „Ich hatte einen Körper für dich bereitgelegt!", rief der Beschwörer empört.

    Er verzog das Gesicht. „Der war alt und hässlich."

    „Was interessiert dich denn das? Du bist ein formloses Wesen, welches sich einen Körper nimmt, um zu dienen. Wenn auch widerwillig. Und du bist so weit gereist, nur um eine Leiche zu finden, die deinen Ansprüchen gerecht wird?"

    „Ja. Ansonsten ist das, als würdest du die ganze Zeit über einen widerlichen Anzug tragen und nicht ablegen können. Und jetzt muss ich sagen, ich bin zufrieden."

    Das traf allerdings nicht auf den Meister zu.

    „Wie heißt Ihr eigentlich wirklich?", fragte Ghazavijel neugierig.

    „Das geht dich nichts an ... Nath wollte noch mehr sagen, doch sein Handy klingelte. Entnervt drückte er den Anruf zuerst weg, aber als es ein zweites Mal klingelte, nahm er ab. „Was?

    „Wie weit bist du, Nath?" Es war eine Frauenstimme.

    „Ich habe ihn und komme so schnell wie möglich zu euch."

    „Alles klar, sagte sie. „Wir besprechen nachher alles. Sie legte auf, bevor er etwas erwidern konnte, und mit einem Schnauben schob er das lästige Ding zurück in seine Manteltasche.

    „Nath, sagte Ghazavijel triumphierend. „Ist das eine Abkürzung?

    Ein Zeigefinger stand dicht vor seiner Nase. „Für dich Meister!, zischte Nath warnend. „Und ab sofort dulde ich keine Alleingänge mehr, es sei denn, ich befehle es dir ausdrücklich, verstanden?

    „Selbstverständlich."

    Einen Moment lang betrachtete Nath ihn noch, dann seufzte er. „Schöner Körper, pah! Komm, wir gehen. Und keine Faxen!"

    Sie machten sich daran, das Haus zu verlassen, da hörte Ghazavijel Schritte und schon stellte sich ihnen unerwartet jemand in den Weg. Der Mann trug einen Anzug, seine teuren Schuhe glänzten poliert und er schien überhaupt nicht in die staubige Umgebung zu passen. Weitaus weniger ordentlich gepflegt wirkte die Pistole, mit der er auf sie zielte. Mit funkelnden Augen sah er Ghazavijel an.

    „Nicht so schnell! Wusste ich’s doch!, zischte er triumphierend. „Keine Ahnung, wie du das gemacht hast, aber ich werde meinen Profit aus der Sache ziehen, da kannst du dir sicher sein.

    „Hast du bereits Freunde gefunden?", fragte Nath.

    „Der gehört nicht zu meinen Bekanntschaften", sagte Ghazavijel.

    Der Eindringling zuckte mit dem Kinn in Naths Richtung. „Wer ist er? Jemand, der dich schützt?" Er hob den Pistolenlauf an und der gedämpfte Knall eines Schusses ertönte.

    Doch er traf nicht. Mit angespannter Miene stand Nath im Raum, vor ihm Ghazavijel, der die Kugel mit seinem Körper abgefangen hatte. Das Geschoss steckte tief und brannte wie ein Höllenfeuer. Nur langsam verging der Schmerz und die Blutung stoppte, aber sein Hemd war ruiniert. Dramatisch stöhnte er. „Das war von Armani", informierte er und blickte zornig auf den verdutzten Gegner.

    Wahrscheinlich aus Panik zuckte sein Finger und er schoss erneut. In der nächsten Sekunde war Ghazavijel bei ihm, packte sein Handgelenk so fest, dass der Mann aufschrie, und riss ihn hoch, bevor ihm ein Knie in die Weichteile gerammt wurde. Ächzend krümmte sich der Mann zusammen, dann wurde er mit Leichtigkeit gegen die nächste Wand geschleudert, von der er abprallte und mit einem letzten Stöhnen regungslos am Boden liegen blieb.

    „Was sollte das denn?", fragte Nath aufgeregt.

    Ghazavijel zuckte lediglich mit den Achseln, ratlos, aber unbesorgt. „Vielleicht steht er unter Drogen?"

    Nath schien nicht überzeugt. „Mit solchen Schuhen in dieser miesen Gegend?"

    „Soll ich ihn ganz erledigen?", fragte Ghazavijel sachlich.

    Nath verzog das Gesicht. „Meinesgleichen hat nach dem großen Nekromantenkrieg einen Ehrenkodex geleistet. Der besagt, dass wir nur im äußersten Fall töten. Im Moment sehe ich keinen zwingenden Grund dazu, besonders, da wir in Kürze die Stadt verlassen."

    Damit war Ghazavijel zufrieden. Ohne einen weiteren Blick auf den Bewusstlosen zu vergeuden, verließen sie die Gegend mit einem Taxi.

    Wie ein Kind saugte er die vorüberziehende nächtliche Aussicht in sich auf, fasziniert von den Fortschritten der mickrigen Menschen, immer einen Schritt näher ihrem Untergang entgegen. Neben sich vernahm er den beschleunigten Herzschlag seines neuen Meisters. Der schien ein schlecht gelaunter Mann zu sein. Mit ernster Miene sinnierte er ständig über Probleme, die es zu lösen galt. Er sollte sich mal entspannen, fand Ghazavijel und überlegte, wie er wohl aussah, wenn er lächelte. Die grünen Augen gelöst, seine vollen, festen Lippen weich und nachgiebig. Der Gedanke gefiel ihm und er heckte einen vergnüglichen Plan aus, der seine Laune gewaltig hob.

    Als das Auto anhielt, fand er sich an einem dieser sogenannten Bahnhöfe wieder.

    „Wohin geht’s?", fragte er.

    Nath schulterte seine wenigen Habseligkeiten und ging voraus. „Wirst du noch sehen, erwiderte er grob. Seine Stimme besaß einen dunklen, rauen Klang, sehr angenehm, wenn er freundlicher wäre. „Du hast mehrere Stunden Zeit, darüber zu rätseln.

    „Weshalb fliegen wir nicht, wenn wir es so eilig haben?"

    „Weil wir mit dem Zug fahren, antwortete Nath zähneknirschend, schon wieder gereizt. „Ich bin damit hergekommen und habe zwei Tickets zurück. Er zeigte auf die leuchtende Anzeigetafel und hatte gleich gefunden, wonach er suchte. „Er fährt gleich ab. Komm schnell!"

    Auch zu der späten Stunde herrschte hier reger Betrieb und ständig waren Leute mit ihrem Gepäck im Weg. Trotzdem erreichten sie den Zug rechtzeitig und zogen sich eilig in ein leeres Abteil zurück, die Türen wurden zugeschoben und die Vorhänge geschlossen.

    Ghazavijel sank in die Polsterung der Rückenlehne. „Wir hätten auch morgen fahren können", plauderte er. „Ihr Menschen braucht ja Schlaf und an Eurer Kleidung

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1