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Wucherungen II - Das Chamäleon: Roman
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Wucherungen II - Das Chamäleon: Roman
eBook266 Seiten4 Stunden

Wucherungen II - Das Chamäleon: Roman

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Über dieses E-Book

Die Zeit im Heim, als Ründeroth fünfzehn war, kam ihm später ziemlich turbulent vor, obwohl damals nicht viel passierte. Er fuhr regelmäßig frühmorgens zur Schule, kam spätnachmittags zurück, machte seine Hausaufgaben, las im neu gekauften Karl-May- Buch und träumte sich über die Lektüre in eine andere Welt, da ihn der Alltagstrott anödete. Er registrierte die Veränderungen, die er am eigenen Leib durchmachte: nach der Behaarung im Intimbereich und unter den Achseln nun auch der zunehmende, wenngleich immer noch lückenhafte Bartwuchs, den er mit Schaum und Naßrasierer wichtigtuerisch bekämpfte. Auch emotional machte er einen Wandel durch, besonders in erotischer Hinsicht: seine allgemeine Schwärmerei wurde konkreter, die ungreifbare Gewichtlosigkeit des Idealen wechselte mit der handfesten Schwerkraft des Sinnlichen, womit er jetzt gleichsam geerdet war und was auch seine Phantasie veränderte. Er dachte nicht mehr an einen edlen Bruder wie Winnetou, verkörpert einst in Christian, dann in Robert, den er nach wie vor anhimmelte – vielmehr richtete er seine Aufmerksamkeit verstärkt auf Jungen, die er nicht überhöhte, sondern mit seinen niedrigsten Gefühlen, wie er glaubte, begehrte und in seine Onaniephantasien mit einbezog, in denen er sie sich in hemmungslosen Szenen und Stellungen vorstellte. Im Kopf war mit ihnen alles möglich, wenn auch nicht in der Wirklichkeit – außer mit Ente: der kam neuerdings nachts zu ihm ins Bett, wobei sie sogar riskierten, überrascht zu werden.
SpracheDeutsch
HerausgeberTrotz Verlag
Erscheinungsdatum14. Feb. 2020
ISBN9783966862301
Wucherungen II - Das Chamäleon: Roman

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    Buchvorschau

    Wucherungen II - Das Chamäleon - Reinhard Knoppka

    Contents

    Reinhard Knoppka:

    „Wucherungen II - Das Chamäleon"

    Roman

    Für Walter!

    Verlag & Vertrieb:

    www.trotz.medien-vvg.org

    trotz@medien-vvg.org

    ISBN eBuch: 978-3-96686-230-1

    9783966862301

    © Trotz Verlag

    Köln 2014

    Alle Rechte vorbehalten

    „Kurz gesagt, das Kind ist lange vor der Pubertät ein bis auf die Fortpflanzungsfähigkeit fertiges Liebeswesen, und man darf es aussprechen, daß man ihm mit jener „Geheimnistuerei nur die Fähigkeit zur intellektuellen Bewältigung solcher Leistungen vorenthält, für die es psychisch vorbereitet und somatisch eingestellt ist. (Siegmund Freud, 1907)

    Wucherungen II - Das Chamäleon

    Das Chamäleon

    Die Zeit im Heim, als Ründeroth fünfzehn war, kam ihm später ziemlich turbulent vor, obwohl damals nicht viel passierte. Er fuhr regelmäßig frühmorgens zur Schule, kam spätnachmittags zurück, machte seine Hausaufgaben, las im neu gekauften Karl-May-Buch und träumte sich über die Lektüre in eine andere Welt, da ihn der Alltagstrott anödete. Er registrierte die Veränderungen, die er am eigenen Leib durchmachte: nach der Behaarung im Intimbereich und unter den Achseln nun auch der zunehmende, wenngleich immer noch lückenhafte Bartwuchs, den er mit Schaum und Naßrasierer wichtigtuerisch bekämpfte. Auch emotional machte er einen Wandel durch, besonders in erotischer Hinsicht: seine allgemeine Schwärmerei wurde konkreter, die ungreifbare Gewichtlosigkeit des Idealen wechselte mit der handfesten Schwerkraft des Sinnlichen, womit er jetzt gleichsam geerdet war und was auch seine Phantasie veränderte. Er dachte nicht mehr an einen edlen Bruder wie Winnetou, verkörpert einst in Christian, dann in Robert, den er nach wie vor anhimmelte – vielmehr richtete er seine Aufmerksamkeit verstärkt auf Jungen, die er nicht überhöhte, sondern mit seinen niedrigsten Gefühlen, wie er glaubte, begehrte und in seine Onaniephantasien mit einbezog, in denen er sie sich in hemmungslosen Szenen und Stellungen vorstellte. Im Kopf war mit ihnen alles möglich, wenn auch nicht in der Wirklichkeit – außer mit Ente: der kam neuerdings nachts zu ihm ins Bett, wobei sie sogar riskierten, überrascht zu werden. Doch ihre Geilheit war größer als die Angst, wurde allerdings vom Ekel wieder getrübt: einerseits von Ründeroths Abscheu vor Entes Warzen überall, die durch das Blut übertragbar sein sollten, zumal er sie sich ständig aufkratzte, um sie loszuwerden, wodurch sie sich aber nur noch vermehrten – und andererseits von Entes Widerwillen vor Ründeroths glitschiger Eichel, besonders dem Schleim daraus, weshalb er sich grüne Frauenhandschuhe aus einem kratzenden Zwirn anzog, die er im Müllcontainer gefunden hatte, ehe er den Großen anfaßte, der vielzu erregt war, den Kleinen durch zärtliche Berührungen ebenfalls auf seine Kosten kommen zu lassen, sich vielmehr ungeduldig an seinen zappeligen Körper preßte, begierig auf den dann vielzu schnellen Höhepunkt, der seinen Rausch schlagartig beendete, woraufhin er nur noch an die Gefahr dachte, in flagranti mit Ente erwischt und von dessen Warzen angesteckt zu werden, der sich jetzt hastig die Damenhandschuhe auszog und von Ründeroth hinausbugsiert wurde. Da krabbelte der Wichser im doppelten Sinne auf allen vieren wie ein lichtscheues Kriechtier davon, nicht zu seinem Bett, sondern raus zum Waschraum, von woher Ründeroth nun Licht und Plätschern vernahm, der sich vorstellte, wie der Junge abgestoßen die von Ründeroth vollgesauten Handschuhe abschrubbte, und der wickelte sich mürrisch in die Decke und wollte möglichst schnell einpennen. Aber er blieb hellwach, kriegte mit, wie Ente zurückkam, zur Heizung hinter seinem Kopfende huschte, wohl um die Damenhandschuhe zum Trocknen darauf zu legen, dann an seinem Bett verharrte, vielleicht auf ein Lebenszeichen von ihm lauschte, während Ründeroth sich schlafend stellte, tief und gleichmäßig atmete, wünschend, Ente würde endlich verschwinden, und der schien sich dann in der Nachtschwärze aufzulösen. Wie empört war Ründeroth jedoch, als er, um sich den Rest abzuwischen, nach seinem Taschentuch in der Lederhose auf dem Hocker tastete, in deren Taschen der andere herumgewühlt haben mußte, denn sie waren außer der Rotzfahne und dem leeren Stanniolpapier eines Kaugummis leer, und er stampfte zu Entes Bett hinüber, schnauzte ihn ohne Rücksicht auf den Schlaf der anderen an, er solle ihm die geklauten Sachen wiedergeben, der quiekend beteuerte, er habe sie nicht. Ründeroth drohte, die Nonne habe ihn schon lange im Verdacht, daß er überall lange Finger mache, und Ente erwiderte, welcher Verdacht falle erst auf ihn, wenn sie erführe, wonach er seine Wichsgriffel überall ausstrecke. Ründeroth gab sich geschlagen, zumal er jetzt von woanders aus der Dunkelheit gefragt wurde, warum er da herumschleiche, und Ente antwortete mit dem abgedroschenen Witz: „Geh mir aus der Hose – ich zähl bis Tausend! Allgemeines Gelächter. „Und wenn du bis Zehntausend zählst – ich find da nichts, konterte Ründeroth und hatte die Lacher jetzt auf seiner Seite. Wütend und grinsend zugleich zog er ab, und am nächsten Morgen wunderte er sich, daß nichts in seinen Hosentaschen fehlte.

    Ente wurde umso anhänglicher, je mieser Ründeroth mit ihm umging, der dadurch seine Abwehr gegen ihn zum Ausdruck brachte und seine Schuldgefühle kompensierte. Er behandelte den Jungen als Sündenbock, dem er das eigene Schlechte aufbürden konnte, in dem er sogar das Werkzeug des Verführers sah, der seine Unschuld unterwanderte und ihn zu Verbotenem verleitete, wie die Schlange. Dazu paßte auch Entes kriecherische Art, seine falsche Freundlichkeit, mit der er Ründeroth einen Heiermann abschnorrte, der, notgeil, seine Dienste in Anspruch nahm – aber nicht mehr im Schlafsaal, sondern draußen, in einer selbstgebauten Laubhütte, durch deren Blattwerk er nach möglichen Spähern Ausschau hielt, während Ente ihn mit seinen blaßgrün und fadenscheinig gewordenen Frauenhandschuhen abgriff, in deren Stoff dunkle Flecken an den Stellen erschienen, wo er sich die Warzen blutig gekratzt hatte. Ente war das Gegenteil von dem, was man gemeinhin als „gut" bezeichnete, obwohl sich Ründeroth darunter nichts Genaues vorstellen konnte, der trotzdem alles in zwei Kategorien einteilte und sich wie Goethes Faust, den sie gerade im Deutschleistungskurs durchnahmen, ewig strebend bemühte, nach dem Edlen zu trachten. Aber er wurde von mephistophelischen Kräften davon abgehalten, zu denen er auch Ente zählte: eine Art Magnet, der ihn von seinen Vorsätzen wegzog, was ihm sogar willkommen war, konnte er seine Triebhaftigkeit doch so entschuldigen, diesen niemals austrocknenden Sumpf, Sickergrube der Geilheit, die wie sein Auswurf stets erneut entstand und herausgeschleudert werden mußte – dabei erschien ihm der Orgasmus wie ein Niesanfall, und Ente fing den Schleim mit einem Taschentuch auf, wie Ründeroth seinen Rotz beim Schnäuzen, als entsorge der Junge sozusagen seinen Überdruck und sei für die Bedürfnisse des Leibes so notwendig, wie ein Priester für die der Seele. Schließlich war die Samenflüssigkeit auch sowas wie die anderen Ausscheidungen und drängte gebieterisch heraus, so natürlich wie bei jeder Kreatur, die er ja ebenfalls war: ein Zwitter zwischen Tier und Mensch, der sich allerdings von einem niederen Wesen zu einem höheren entwickeln mußte und sich bei allen Rückschlägen ins Kultivierte und Erhabene hinaufarbeitete, dem die Heiligen und Engel, zuletzt der Gottessohn, verklärt in seiner Auferstehung aus dem Menschenfleisch, als Vorbild dienten. Doch solange der Prozeß nicht abgeschlossen war, brauchte Ründeroth den gemeinen Helfer für die untere Region, und er folgte dem schmuddeligen Komplizen, von dunklen Instinkten getrieben, an denen der ihn wie am Nasenring hinter sich herzog, der ihn hörig machte mit seiner Fingerfertigkeit, die er bald so raffiniert beherrschte, daß Ründeroth es fade fand, sich selber zu berühren, und dadurch wurde er noch abhängiger von Ente, dem er schließlich auch seine Ideale opferte: sie machten ihn ja doch nicht satt und erweckten in ihm zuletzt den Eindruck, als hätte er wie bei Zuckerwatte bloß süße Luft gegessen, nach der das Himmelreich im Grunde schmeckte – dagegen genoß er bei Ente eine wirkliche Süße, leibhaftig, mit allen Sinnen und Nerven!

    Diese Erkenntnis, die ihn auf einem einsamen Spaziergang über die Rollbahn gleichsam überfiel wie eine andere Art von Pfingstereignis, Ausgießung eines neuen Geistes auf einen aufgewachten Jünger der Revolte gegen alte Moralvorstellungen – diese überraschende Umwertung aller Werte, zu der sich seine erste Ahnung, nicht das Sinnliche, sondern das Übersinnliche habe einen Pferdefuß, später auswuchs, wurde vorbereitet durch die Verführungskünste von Ente, mit dem er dann in seiner neuerbauten, noch nicht überdachten Baumbude erst saß, dann lag, flach auf den nebeneinander an der gewaltigen Astgabel einer Riesenbuche im Wäldchen festgenagelten Brettern, die sich wie ein Schiff auf Wogen im Wind wiegten, sowas wie eine Arche Noah der Lüfte, dank der schwindelerregenden Höhe geschützt vor neugierigen Blicken von unten (aber nicht von oben), ein himmlisches Refugium, in dem sie es im Freien machten, anfangs gegen Ründeroths Widerstand, der sich nur zögernd die lange Cordhose (die Zeit der kurzen Lederhose war für ihn endgültig vorbei) aufknöpfte und dabei mit Beklemmung hinaufschaute, begleitet von Entes gotteslästerlichem Spott, was ihrem Treiben einen besonderen Reiz verlieh, wobei ihm das Blasphemische einen Extrakitzel gab und sein Trotz gegen den Allmächtigen gestachelt wurde, gegen den er längst schon aufbegehrte. Jetzt entblößte er sich also vor ihm, schamlos wie Adam und Eva – nein, die waren ja unschuldig nackt bis zum Sündenfall im Paradies herumgelaufen, hatten sich erst danach vor Gottvater so geschämt, daß sie sich ein großes Blatt vor die Scham gehalten hatten, wohingegen Ründeroth vorher das Gefühl gehabt hatte, „unschamhaft zu sein, wie es die Nonne nannte, und dadurch den Fluch des Höchsten auf sich herabzuziehen, vor dessen Angesicht er nun so dreist gegen das Keuschheitsgebot verstieß. Das bereitete ihm allerdings, wie gesagt, ein zusätzliches Vergnügen, gleichzeitig mit dem Auf und Ab des blätterrauschenden Wipfels und der lauen Brise, die über ihn strich wie eine weitere feenhafte Geliebte, die unsichtbar, aber umso spürbarer seinen sonst verklemmt bedeckt gehaltenen Intimbereich liebkoste, die erhitzte Haut mit ebenfalls brennender Glut zu küssen und das gelockte Haar dort zu kraulen schien, während Ente sich über ihn beugte und seine Pracht bewunderte, die er diesmal ohne die vermaledeiten Damenhandschuhe anfaßte, ein Zusatzgeschenk für Ründeroth, den die direkte Berührung mit der Jungenhand elektrisierte, überhaupt die Situation wie in einem Märchen aus tausendundeiner Nacht, als schwebte er auf einem fliegenden Teppich, frei von allen Ängsten vor Voyeuren, außer dem mächtigsten dort droben, wo Gott sich hinter der geblähten Wolke versteckt zu haben schien, die pikanterweise die Assoziation an einen bärtigen, gehörnten Mann mit Klumpfuß, den Teufel oder einen Satyr, heraufbeschwor, der sich lachend den schwellenden Bauch hielt, während Ründeroth selig die Augen zu einem Schlitz zusammenkniff, leider wieder vielzu schnell kam und im Moment der Ekstase eine silbrige Nabelschnur zwischen seinem Unterleib und dem unermeßlichen Azur herzustellen meinte, einen Fontänenbogen, dem Entes grinsendes Gesicht geistesgegenwärtig auswich, und der Strahl klatschte auf Ründeroths Bauch zurück und versickerte im schwarzen, irisierend funkelnden Gelock an der Basis des einknickenden, schrumpfenden Turms. „Scheiße! stieß Ründeroth aus, dem das jetzt peinlich war und der, hochgefahren, mit einem Tempo an sich rumrieb, unter dem Gelächter von Ente, in das er mit einfiel, indem er das Ganze von der lustigen Seite betrachtete, während der Wolkensatyr sich auflöste, hinter dem sich kein grimmiger Greis mit Rauschebart auf goldenem Thron vor Engelsheerscharen verbarg, sondern nur pures, lichtflimmerndes Tiefblau, als sei der Jenseitsspuk vor der Sonne verdunstet.

    Er änderte also seine Einstellung, betrachtete den Leib nicht mehr als Bürde, Leidensquell oder gar Sündenpfuhl, sah ihn sich vielmehr im Spiegel auf der abgeschlossenen Toilette eingehend an: tatsächlich ein Tempel, wie Jesus gesagt hatte, aber nicht für einen Gott im Jenseits, sondern für das Leben hier und jetzt, und er wichste auf sein Spiegelbild, ein von sich selbst entzückter Narziß, verstand nicht mehr, wie er die Gefühle dabei so verunglimpfen konnte, eine tolle Lust, während er sich mit kosenden Fingern erkundete, an sich herumprobierte, sich in allen möglichen Posen hinstellte, breitbeinig über den auf den Boden gelegten Spiegel – geiler Anblick, der seine Hand fliegen ließ, ohne daß er Schuldgefühle hatte, über die er jetzt lachte, und seine Hoden tanzten wie Klingeln im mittlerweile dicht behaarten Sack. Seine Arschbacken zogen sich zusammen, als er seinen Schließmuskel berührte, in ihn eindrang, ein unbeschreibliches Kitzeln fühlte, dabei die Augen schloß und sich vorstellte, es sei Entes steifer Pimmel, nach dem er sich heftig sehnte – wäre er es doch, statt bloß sein Finger! Ründeroth zog ihn heraus, steckte ihn sich in den Mund, stellte sich vor, dem Jungen einen zu blasen, woran er früher nie gedacht hatte, nur an seine eigene Befriedigung, wozu er den Jungen als Werkzeug benutzt und ihn anschließend weggestoßen hatte, besudelt von Ründeroths Ausfluß, der sich vor sich selbst geekelt hatte, seinem Leib, bloß ein Instrument seiner Verdorbenheit, einzig auf den Kick aus, begleitet von einem ihm hinterher peinlichen Wimmern, das der Junge wie ein Streichbogen auf einem Klangkörper bei ihm erzeugt hatte. Jetzt war diese Verklemmtheit wie ausgelöscht, als er den Spiegel wieder über dem Waschbecken aufhängte, während er seinem Spiegelbild ironisch zublinzelte, sich das Hemd in die Hose stopfte und sich vornahm, nur noch lieb zu Ente zu sein. Das aber weckte dessen Argwohn: Ründeroth kam ihm verdächtig vor mit seiner plötzlichen Freundlichkeit, und Ente nutzte sie umso dreister aus, je mehr sich dieser Idiot gefallen ließ. Der spendierte ihm zwar ein Eis, weigerte sich aber, Zigaretten für den Kleinen zu ziehen, nicht aus Geiz, sondern aus plötzlicher Sorge um Entes Gesundheit, auch wenn der schmollte, den er außerdem zum Hautarzt schleppte, der ihm die Warzen entfernte. Nun wollte Ründeroth ihn auch noch von seinen kriminellen Neigungen abbringen, aber da entglitt ihm der Junge, der sich dem einst schroffen Großen so kriecherisch genähert hatte, wie der jetzt geradezu hündisch an ihm hing – mehr noch als an Robert: was war der unberührbare Schönling gegen einen wenn auch nicht so hübschen Jungen, der sich aber anfassen ließ und ihn selber sogar berührte!

    Trotzdem entschlüpfte ihm Ente, nicht weil der nichts mehr von ihm wollte, sondern weil er eigenwillig war, etwas von den im Heimgelände herumstreunenden Hauskatzen hatte, die auftauchten und wieder verschwanden, zum Schmusen angeschnurrt kamen, dann fauchend ihre Krallen zeigten, wie es ihnen gerade paßte, und die Kinder schienen ein größeres Vergnügen zu haben, sie zu liebkosen, als die verwilderten Tiere Lust hatten, ihre Zärtlichkeiten anzunehmen, die sie eher geduldig über sich ergehen ließen, indem sie stillhielten, bis es ihnen zuviel wurde und sie miauend und buckelnd davonflitzten. Vielleicht war das Bedürfnis der Katzen, gekrault zu werden, gar nicht so groß wie das der Kinder, ihr weiches Fell zu berühren, die sehnigen, vibrierenden Körper dieser Raubtiere zu fühlen, die so stolz und frei waren, so vollkommen von Gestalt und in ihren Bewegungen, die schon wegen ihrer Geschmeidigkeit bezauberten und Glücksgefühle auslösten, wenn sie sich bloß anfassen ließen, wobei der Umstand, daß sie nur sich selbst gehörten, sie noch kostbarer für die Jungen und Mädchen machte, die beim Streicheln gar nicht auf die Idee kamen, selbst ein Objekt des Begehrens zu sein, Sehnsucht nach Kontakt mit ihnen in jemandem auszulösen, dem sie bei dem Versuch, sie zu streicheln, vielmehr wie die Katzen die Krallen gezeigt und ihm das Gesicht zerkratzt hätten. Richtig eifersüchtig wurde Ründeroth auf die Miezen, als er sah, wie Ente hingerissen mit einer von ihnen spielte, sie auf sich herumklettern ließ oder zu fangen versuchte, bis rote Striche quer über seinen Handrücken verliefen und er sich lachend das Blut ableckte, während das spröde Biest mit gesträubtem Haar davonstob, dem er nicht böse war, das er vielmehr wegen seiner Ungezähmtheit bewunderte, wohingegen er vor Ründeroth die Achtung verloren hätte, wäre der mit dem Bekenntnis herausgerückt, daß er so ein Verlangen nach der Haut des Jungen habe, wie der nach dem Fell des Tiers, an dem er sich gerieben und in das er sein Gesicht geschmiegt hatte. Gern hätte Ründeroth das auch bei ihm getan, doch er traute sich nicht und fürchtete Kratzer von Ente zu bekommen, der ihn, wie gesagt, mit seiner launenhaften Wildheit an die streunenden Hauskatzen erinnerte, die von sich aus kamen – oder auch nicht.

    Ründeroth bestimmte nicht mehr, wo es lang ging, sondern wartete nur noch auf Ente, der ihn oft zappeln ließ, an den Rand der Verzweiflung brachte, die manchmal in Haß umkippte. Aber dann genügte ein freundlicher Blick, ein Lächeln von Ente, und Ründeroth wurde wie Wachs in seinen Händen, folgte ihm, wollte ihm alles geben, war auch noch dankbar dafür, ihm dienen zu dürfen, statt sich wie früher von ihm bedienen zu lassen und ihn anschließend wegzujagen. Vielmehr genoß er es jetzt, sich zurückzunehmen, ganz auf die Wünsche des Jungen einzugehen, und kam dabei selbst auf seine Kosten, fühlte sich als der eigentlich Beschenkte, wenn er sah, wie sich der Junge vor Wonne wälzte und räkelte, oben in der sich wiegenden Baumbude, in die hinaufzuklettern Ente es immer furchtbar eilig hatte, wo er dann Dinge von ihm wollte, die Ründeroth umso mehr erregten, je schamloser sie waren, entzückt, ihm gefällig zu sein, und überrascht von dem, was Ente da von seiner Hand und Zunge mit wachsender Geilheit verlangte. Einmal sollte Ründeroth seinen Schwanz herausholen und hinten bei ihm reinschieben, wovor der aber zurückschreckte, aus Angst, ihm wehzutun, weshalb er ihn bloß sanft gegen Entes Schenkel drückte, der ihn ungeduldig aufforderte, richtig zuzustoßen, nicht da unten, weiter oben, und er zog sich selbst die Pobacken auseinander, preßte sich gegen Ründeroth, der sich immer noch scheute, so daß der Junge sich schließlich selber seinen Steifen einverleibte, mit gespreizten Beinen unter ihm ruckelte, bis er in den glatten Schließmuskel, der an ein straffes Gummiband erinnerte, eindrang, sich tiefer hineinbohrte, während Ente das Gesicht verzerrte, das aber mehr Lust als Schmerz auszudrücken schien – jedenfalls drängte ihn der Junge stürmisch gegen die Bretterwand und sich selber dicht an ihn, wie um ihn noch mehr zu spüren und zu verhindern, daß Ründeroth sich ihm entzog, der sich sogar jetzt noch krampfhaft zurücknahm, sich dann aber nicht mehr beherrschen konnte und unkontrolliert abschoß, regelrecht herausexplodierte, sich nicht nur körperlich, sondern auch gefühlsmäßig in ihm ergoß, mit überströmender Zärtlichkeit, mit der er ihn nun liebkoste, während er ihn von hinten umfangen hielt, in seinen Armen wiegte und es sich verkniff, eine Entschuldigung zu stammeln. Ente drängte sich weiter gegen seinen Schoß, wie um den Glücksmoment zu verlängern, schnurrend wie eine dieser verwilderten Hauskatzen, und plötzlich war er sogar zum Küssen bereit, was er vorher immer abgelehnt hatte, aber jetzt nagte er mit spitzen Zähnen an Ründeroths Lippen, biß sie regelrecht auf und fuhr mit seiner Zunge hinein, während der Gebissene seine Hoden brennen fühlte, als wären sie, von der Überfülle befreit, nun in einen unerträglichen Unterdruck geraten. Da hörten sie, wie schon damals im alten Kasino, das mittlerweile abgerissen worden war, Ronald nach seinem Bruder rufen – der verdammte Störenfried, und Ründeroth wollte hochfahren, wurde aber von Ente unten gehalten, der seinem Bruder, der Höhenangst hatte und sich nicht hinauftraute, zurief, er komme gleich, sich erst mal ungeniert mit einem Tempo abwischte, und Ründeroth lugte beunruhigt zu Ronald hinunter, der mit einem Messer auf einen Baumstamm einhackte, als bearbeite er den stellvertretend für den Schänder seines kleinen Bruders.

    Nachdem die Brüder sich zankend entfernt hatten, blieb Ründeroth wie betäubt auf den angenagelten Brettern liegen, die unter ihm schwankten und den Schwindel in ihm verstärkten, der noch eine andere Ursache hatte: das überwältigende Erlebnis von vorhin, dem nun Zweifel folgten, aufgestiegen aus dem wiedererwachten Gewissen, diesem Schlammgrund seiner Schuldgefühle, nicht totzukriegen – ein Gewimmel aus Ängsten, wie Schlickwürmer bei Ebbe. Ihm war ganz blümerant zumute, wie nach zu vielem Karussellfahren, wozu das Schaukeln der Baumkrone vom heftigen Wind noch beitrug, dem herbstlichen Vorboten, der das erste Laub herunterriß, das sich bereits verfärbte, obwohl es noch sommerlich warm war: als hätte sich Ründeroths innerer Sturm nach außen verlagert, der ihn nun zweifach erfaßte, mit Brausen und Zähneklappern wie bei Schüttelfrost, mit Herzrasen, Brechreiz und Kopfschmerzen, die ihn oft bei extremer Anspannung überkamen, und ihm war, als hätte seine Übelkeit das Steuer übernommen, die ihn nun hilflos auf seiner Kodderigkeit auf- und abwogen ließ – hätte er doch kotzen und sich dann erleichtert fühlen können! Doch vorläufig war er nicht in der Lage, herunterzusteigen, da sich seine Gelenke watteweich anfühlten, er gar nicht richtig zugreifen und Tritt fassen konnte, und er mußte den Schwächeanfall erst mal vorübergehen lassen, ehe er sich aufraffen und hinabklettern konnte, taumelnd wie ein besoffener Affe im hin- und herschwingenden Geäst, das wie ein drohender Zeigefinger aufragte, als werde er vorwurfsvoll gefragt, was er gemacht habe. Er faßte sich unwillkürlich an die Stirn, ob da vielleicht ein Kainsmal war, und wäre beinahe abgestürzt, was ihn schlagartig ernüchterte und den wie aus den Fugen geratenen Baum plötzlich wieder aufrecht im Lot stehen ließ, fest im Boden verankert, als könnte der Aufruhr oben im Wipfel dem mächtigen Stamm hier unten nichts anhaben. Zurück blieb nur dieses Ziehen in den Klöten, das Ründeroth breitbeinig wie ein Cowboy nach langem Ritt gehen ließ, der dann stöhnend die Treppe zur Michaelsgruppe hinaufstieg, wo die Jungen im Tagesraum auf zwei zusammengeschobenen Tischen Puzzleteile aus einem Karton gekippt hatten, auf dessen Deckel ein Chamäleon abgebildet war, eine Echse, von der er aus einem Tiermagazin wußte, daß sie ihre Farben wechseln, sich der jeweiligen Umgebung anpassen konnte und so kaum zu sehen war, während sie sich mucksmäuschenstill verhielt, sich bis auf die umherrollenden Augen stundenlang nicht bewegte, und wenn doch, dann langsam wie ein Minutenzeiger, so daß die Insekten das Chamäleon nicht bemerkten, schlich es sich heran, bis es nahe genug gekommen war, um die Beute mit seiner Schleuderzunge

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