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Kentauren im Stadtpark: Drei Erzählungen
Kentauren im Stadtpark: Drei Erzählungen
Kentauren im Stadtpark: Drei Erzählungen
eBook194 Seiten2 Stunden

Kentauren im Stadtpark: Drei Erzählungen

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Über dieses E-Book

Liebende sind halbe Wesen, sie suchen nach Ergänzung. So wie Tabea, die an der Seite ihres ewig abwesenden, omnipotenten Mannes verkümmert, bis sie sich an ihm für etwas rächt, das ihr vor langer Zeit jemand anderer angetan hat. Wie Albert, den es auf den Spuren seiner Frau, die ihm durch eine Krankheit fremd geworden ist, bevor sie ihm durch den Tod genommen wurde, an den Ort des letzten gemeinsamen Urlaubs nach Italien zieht. Oder Uta, die alleinstehende Leiterin eines Familienzentrums, das unter ihrer Führung einen Aufschwung nimmt, bis sie der Faszination für einen Flüchtling von rätselhafter Abkunft erliegt.In drei Erzählungen, die von sehr persönlichen Krisen in sehr gegenwärtigen Lebensverhältnissen handeln, begegnen wir Figuren und Motiven antiker Mythen, Sirenen und Kentauren, vergifteten Gewändern und sich in Bäume verwandelnden Frauen. Dingen aus dem Halbdunkel, die in ihrer phantastischen Uneindeutigkeit den Glauben an die Unverrückbarkeit des Bestehenden, an dem wir selten zweifeln, aber allzu oft verzweifeln, untergraben können.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum29. Aug. 2019
ISBN9783990271704
Kentauren im Stadtpark: Drei Erzählungen
Autor

Susanne Röckel

geboren 1953 in Darmstadt, lebt als Schriftstellerin und Übersetzerin (Paula Fox, Antonia S. Byatt, Irène Némirovsky u.a.) in München. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, zuletzt den Tukan-Preis für ihren Roman Der Vogelgott, der 2018 auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis stand.

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    Buchvorschau

    Kentauren im Stadtpark - Susanne Röckel

    © 2019 Jung und Jung, Salzburg und Wien

    Alle Rechte, einschließlich der Vervielfältigung, Veröffentlichung,

    Bearbeitung und Übersetzung, bleiben vorbehalten

    Umschlagbild: Euphronios, Schalenfragment mit

    Nessos und Deianeira,

    Metropolitan Museum of Art, New York

    Umschlaggestaltung: BoutiqueBrutal.com

    eISBN 978-3-99027-170-4

    SUSANNE RÖCKEL

    Kentauren im Stadtpark

    Drei Erzählungen

    INHALT

    Vorbemerkung

    Das Geschenk des Nessos

    Sirenen

    Daphne und Apoll

    VORBEMERKUNG

    You can imagine the opposite, lautet der blaue Schriftzug einer Lichtinstallation an der Gartenseite des Münchner Lenbachhauses, der mir ins Auge stach, als ich dieses Buch entwarf. Der Schriftsteller kämpft gegen das Klischee, gegen das, was die Sprache zum Schema und zum Panzer werden lässt, er sucht nach dem Überraschenden, erstrebt das Offene. Gehören Mythen nicht gerade zu dem Festgelegten, Besiegelten, Erstarrten, das er so sehr fürchtet? Gibt es etwas Einengenderes als diese hanebüchenen alten Geschichten? X-fach kommentiert, interpretiert, variiert (und in unserer Zeit durch süßliche Fantasy-Soße beinahe unkenntlich gemacht), blieben sie doch in ihren Grundzügen, mehr oder weniger, über zweitausend Jahre erhalten; Sirenen und Kentauren sind nicht ganz untergegangen, und die Namen griechischer Helden und Götter sind dem durchschnittlich gebildeten Zeitgenossen noch einigermaßen geläufig. Der Witz liegt eben in dem »Mehr oder weniger«, das den Mythos kennzeichnet und ihm seine freiheitliche Bedeutung verleiht. Als eine »Rumpelkammer« hat ihn ein großer Religionshistoriker einmal bezeichnet, ein Raum des Halbdunkels, der Unordnung und Uneindeutigkeit. Die mythischen Ereignisse und Konstellationen, über die ich nachdachte, verloren ihre Wörtlichkeit. Sie glichen rätselhaften Gemälden, denen ich mit der Taschenlampe meiner unbeholfenen, eigenen, heutigen Fragen zu Leibe rückte. Was ist eigentlich der Grund für Daphnes Flucht und Verwandlung? Woran stirbt Herakles? Wovon singen die Sirenen? You can imagine the opposite! Ich weiß: Mythen lehren nichts. Aber sie können den Glauben an die Unverrückbarkeit des Bestehenden untergraben. So verstand ich sie: als Wegweiser und Werkzeug auf dem Weg zu jenem Anderen der Realität, genannt Literatur.

    S. R., März 2019

    DAS GESCHENK DES NESSOS

    Ein Tiermensch aus der grauen Vorzeit machte mir

    Einst ein Geschenk – in eherner Kapsel blieb’s verwahrt –,

    Das ich, ein Kind noch, aus der dichtbehaarten Brust

    Des Nessos, als todwund er hinschwand, mir entnahm.

    Den tiefen Fluss, den Euenos, durchquerte er

    Für Geld, nur mit den Händen bracht’ er Menschenlast

    Hinüber, brauchte Ruder nicht noch Segeltuch.

    Er trug auch mich, als nach des Vaters Willen ich

    Die erste Reise tat als Weib des Herakles,

    Auf seinen Schultern. Aber mitten in der Furt

    Rührt er mit gieriger Hand mich an. Auf meinen Schrei

    Dreht gleich der Sohn des Zeus sich um, schon schnellt die Hand

    Den Pfeil ab, den gefiederten, der zischend ihm

    Die Brust durch in die Lungen drang.

    Sophokles, Die Trachinierinnen

    1

    Ein dreckiges Stück Stoff. Ein fleckiges, an den Säumen eingerissenes altes Männerunterhemd. Hastig zusammengerollt und ungewaschen liegt es zwischen unbrauchbar gewordenen Kleidungsstücken und Stoffresten in einer Plastiktüte in der untersten Schublade der Wäschekommode im Schlafzimmer. So wie es war, voller Blut und Sperma und noch feucht vom stinkenden Wasser des Pangu Sungai, hatte sie es zusammengeknüllt in der Hand gehalten, als die Leute kamen, die sie aufhoben und vorsichtig auf die Rückbank des hoteleigenen Kleinbusses legten. Noch Stunden später, als Roland endlich bei ihr war, hielt sie es in der Hand und wollte es nicht loslassen; als jemand ihr mit sanfter Stimme ankündigte, dass sie jetzt eine Spritze bekomme, damit sie schlafen könne, schob sie es unter ihr Kopfkissen; und am nächsten Tag, als sie erwachte – Sonnenschein und weiße Laken, Frühstück mit Tee und Blumen und Litschis auf dem Tisch, gedämpfte Geräusche planschender Kinder im Pool –, roch sie es unter dem Kissen und stand trotz der schrecklichen Schwäche, trotz der brennenden Schmerzen schwankend auf, um es in eine Plastiktüte zu stopfen und in ihrem Koffer zu verstauen, bevor Roland wach wurde.

    Seit damals ist es unberührt geblieben. Als sie nach ihrer Rückkehr den Koffer auspackte, hatte sie die Plastiktüte in der untersten Schublade der Kommode versteckt. Es war damals eine andere Wohnung und eine andere Kommode, aber die Stelle hat sich nicht verändert: das dunkle Schlafzimmer, ihr gemeinsames Schlafzimmer, der Raum, in dem Roland ihr gehört. Dort wollte sie es immer in der Nähe haben, dort lag das Hemd unangetastet in der Kommode. Immer wieder, seit jener ersten Reise mit Roland vor dreißig Jahren, ihrer Hochzeitsreise, ist ihr der Geruch in die Nase gestiegen, nachts, wenn sie wachlag – dieser entsetzliche Dunst, der vom Fluss aufsteigt zu den Hütten und Haut und Haare der Menschen durchtränkt, die dort wohnen, dieser Gestank nach Dreck und Gift und Kot und Aas, der Pesthauch des Pangu Sungai –, aber sie hat sich nicht dazu entschließen können, das Hemd herauszuholen. Sie hat es weder gewaschen noch weggeworfen oder anderswo verstaut. Sie hat es nicht angerührt. Roland schlief neben ihr. Er hat nie etwas gerochen. Er merkt nichts. Er schläft wie ein Stein.

    Vielleicht liegt darin das Geheimnis seines phänomenalen Arbeitsvermögens, seiner offenbar unerschöpflichen Energie. Egal wie viel er zu tun hat, egal in welcher Gemütsverfassung er ist, es gibt nichts, was sein Gehirn davon abhält, in den Erholungsmodus zu schalten, wann immer er es für notwendig hält. Er kann überall und zu jeder Zeit schlafen. Im Geländewagen auf einer Staubpiste in irgendeinem fernen Winkel der Welt, im Flugzeug, auf der Liege im Büro oder zu Hause im Schlafzimmer – er braucht sich nur die Schlafbrille über die Augen zu schieben, und kurz darauf hebt und senkt sich seine breite Brust in tiefen, regelmäßigen Atemzügen. Es ist ein unerschütterlicher Lebensmut, der darin zum Ausdruck kommt, ein ewigjugendliches Vertrauen darauf, dass ihm die Zukunft sicher ist und der Tod ihn noch lange verschont. In dieser ganzen Zeit hat er nie geahnt, dass das Hemd keine zwei Meter von seinem Bett entfernt in der untersten Schublade der Kommode liegt. Tamans Hemd, das sie seit damals nicht mehr in Händen hielt – bis heute.

    Spätsommer. Gläserne Luft, kein Hauch. Woher der unruhige Glanz des Ahorns vor dem Fenster? In der licht gewordenen Krone zeigen sich schon büschelweise gelbe Blätter, täglich werden es mehr. Kaum ein Auto zu hören. Kein Geschrei auf dem Hof, Lärm nicht einmal von der Baustelle, nur gelegentlich, wie geträumt, Glockenklänge von einer fernen Kirche. Die Sonne gleißend hell, doch nicht mehr heiß, an einem Himmel von unbestimmbarer Farbe.

    Wie schnell es geht, jedes Jahr, im Nu ist der Herbst da.

    Roland ist auf Reisen. Eine Woche hat er bleiben wollen. Sieben Wochen wartet sie nun schon auf ihn. Sieben Wochen. Und heute Abend kommt er zurück.

    Wenn sie etwas zu tun hätte! Etwas Richtiges, etwas, was zählt. Was ablenkt. Aber sie hat nichts zu tun. Das Literaturcafé, in dem sie gelegentlich aushilft, ist in der Ferienzeit geschlossen. Der Chor, in dem sie singt, trifft sich erst in drei Wochen wieder. Sie hat die Küche aufgeräumt, die Fenster geputzt. Sie sitzt da und betrachtet ihr Gesicht in der blanken Scheibe. Sie legt den Kopf in die Hände, spürt ihren Schädel unter der dünnen Haut. Was ist übrig von der Frau, die sie einmal gewesen ist? Doch, ihr Körper funktioniert noch, erstaunlich gut sogar. Man macht ihr Komplimente wegen ihres Aussehens. Ihre Beine sind noch ganz passabel, und sie wird nicht dick, aber die Haut an Hals und Händen und Oberarmen sieht schrecklich aus, dazu die Falten und Augenringe im Gesicht, die braunen Flecken auf den Handrücken … Merkmale jenes unaufhaltsamen Prozesses des Welkens und Schwindens, den sie immer wieder überrascht, gelegentlich bestürzt an sich wahrnimmt. Kann man sich je damit abfinden? Allerdings bleibt sie ihrem Grundsatz treu, nicht mit absurden Mitteln gegen das Alter anzukämpfen, keinen Cent für künstliche Glättungs- und Straffungsmaßnahmen auszugeben. Ihre Anziehungskraft lässt nach, das ist nicht zu ändern. Jede Jüngere sieht besser aus. Dennoch gibt sie nicht klein bei, achtet peinlich auf ihr Äußeres und merkt, dass sie durch Frisur, Make-up und Kleidung durchaus gewinnen und unter geeigneten Umständen immer noch Lust in Roland erregen kann.

    Wenn sie miteinander schlafen, geht es um seine Befriedigung. Sie hat von der Bedeutung der Sexualität für die Ehe im Alter gelesen. Sie spürt, wie wichtig es ihm ist, in regelmäßigen Abständen Erregung zu spüren, die ihm beweist, dass er ein Mann ist und immer noch über die Kraft eines geübten Liebhabers verfügt. Eine rein biologische Sache. Ihre eigene Lust ist ungreifbar geworden, zersetzt und aufgelöst im Alltag. Sie spürt sie ganz unvermittelt, manchmal, wenn sie lange schwimmt oder läuft, und auch mit Roland – – manchmal – selten. Das Gefühl ihrer Unansehnlichkeit ist stärker. Alles sträubt sich in ihr, wenn sie sich vor Roland auszieht. Im dunklen Schlafzimmer tut sie es trotzdem, aus Vernunftgründen, um seinetwillen, um ihrer Ehe willen.

    Eine Ehe kann das Alter nur überleben, wenn sich jugendliche Verliebtheit in die abgeklärte und geduldige Freundschaft von Erwachsenen verwandelt – ist es nicht so? Jedenfalls hat sie bisher daran geglaubt. Und ist Roland nicht ihr bester Freund, ihr engster Vertrauter, ihr bevorzugter Gesprächspartner? Nichts geht ihr über die langen Juniabende, die sie zusammen auf der Dachterrasse verbringen. Mit fast kindlichem Ernst erzählt er ihr von seinen Labs, von den deprimierenden Zuständen in den Städten, die er bereist, von seiner Sorge, keine Geldgeber zu finden, die Erwartungen seiner Mitarbeiter zu enttäuschen, nicht genug zu tun gegen vergiftete Böden, verseuchtes Wasser, die verheerenden Auswirkungen von Unwissen und Habgier und letzten Endes nichts auszurichten gegen die herrschende Gleichgültigkeit. Das Alter schreckt ihn nicht. »Ich werde den Lehrstuhl erst abgeben, wenn ich meine Aufgabe erfüllt habe«, verkündet er gern (besonders gegenüber Neidern und Konkurrenten, die immer wieder versuchen, ihm Gelder abspenstig zu machen), ohne zu erwähnen, dass es sich um eine Aufgabe handelt, die übermenschliche Kräfte und mehr als ein einzelnes Leben verlangt. Sie macht sich keine Illusionen. Einen Ruhestand wird es für ihn nicht geben. Doch wenn er neben ihr sitzt, von der letzten Reise berichtet und begeistert über seine neuesten Pläne spricht, kann auch sie nicht umhin, ihn zu bewundern. Seine Standhaftigkeit und Courage, seine Empörung über die ungerechten Verhältnisse, die ihm überall ins Auge fallen, rühren sie. Wenn sie ihm zuhört, verschwindet das Gefühl ihrer eigenen Wertlosigkeit, das so oft an ihr nagt, und sie sagt sich, dass auch sie schließlich eine Aufgabe habe: für ihn da zu sein und dafür zu sorgen, dass er tun kann, was er sich vorgenommen hat. Wie oft haben sie in diesem Sommer nebeneinander auf der Dachterrasse gesessen. Eine Flasche Wein auf dem Tisch, teurer Wein, den er sich aus Frankreich liefern lässt. Er braucht ihn und kann viel davon trinken, ohne dass man ihm etwas anmerkt. Wenn er getrunken hat, kommt er ins Reden, und sie hört zu und hört das Rauschen des Ahorns vor dem Haus und denkt, dass sie nur zusammen ein Ganzes bilden: er der Stamm, die Äste und das Laub und sie die Wurzeln, die dafür sorgen, dass der Baum grünt.

    In der Küche stellt sie Wasser auf. Tee trinken, nicht den Kopf verlieren, wir sind doch zivilisierte Leute. Sie merkt, dass ihr Tränen über die Wangen laufen, doch Erleichterung stellt sich nicht ein. Heute Abend kommt er zurück. Ein unbeständiger, treuloser, frech lügender Ehemann, der sich mit einem Mädchen vergnügt, das seine Tochter sein könnte. Sie beneidet dieses Mädchen: Cindy. Sie beneidet jede andere. Sie ist eine alte Frau, nutzlos, einsam. Was soll sie tun, wenn ihm einfiele, sich scheiden zu lassen?

    Der Dampf aus dem Wasserkocher steigt ihr ins Gesicht. Der heiße Atem des Tiermenschen. Maßloser Schreck, der den Atem stocken lässt, plötzliche Erkenntnis einer unbeschreiblichen, unvordenklichen Gewalt, die keinen Gedanken mehr zulässt, den Körper zerreißt. Angst vor der Zerstörung alles Bekannten, dem Verlust des Bodens, dem Sprung ins Nichts. Wo ist Roland? Warum kommt er nicht, um sie zu retten? Ein vertrautes Gefühl steigt in ihr auf und zieht sie dorthin, ins dunkle Schlafzimmer, wo das Hemd liegt, Tamans Hemd. Sehnsucht? Verlangen?

    Der Geruch … dieser schreckliche Gestank, der von dem giftigen Wasser aufgestiegen war, der Pesthauch des Pangu Sungai. Das Schlafzimmer. Das Ehebett, Bücher und Zeitschriften rechts und links, Kleidungsstücke über einem Stuhl. Sie beugt sich hinunter, zieht die Schublade auf und holt die alte Plastiktüte heraus. He will always love you. Das Blut rauscht ihr in den Ohren, als sie sie in Händen hält, und sie zittert am ganzen Körper, als sie das Hemd, Tamans Hemd, auf dem Bett ausbreitet.

    Die Flecken sind verblasst, die eingerissenen Säume kaum zu erkennen. Es ist nicht mehr ganz weiß, aber im Halbdunkel des frühen Morgens wird auch das kaum wahrnehmbar sein. Roland wird aus dem Bad kommen, nackt und gutgelaunt, und das Unterhemd vom Stapel nehmen, ohne hinzusehen. Das Anziehen muss schnell gehen, wie alles am Morgen. Noch im Bett konsultiert er seinen Terminkalender, liest die nachts eingegangenen Nachrichten, schreibt die ersten Mails. Dann duscht er, rasiert sich, hört Radio dabei. In Gedanken ist er schon längst im Institut, bereitet einen Redebeitrag vor, rekapituliert den Text einer Vorlesung. Er wird nichts merken.

    Sie hört ein Geräusch. Vielleicht ein an den Rahmen schlagendes Fenster – oder etwas anderes. Das Klatschen von nasser Wäsche am Ufer. Das Gackern von Hühnern. Unablässig picken die Hühner Löcher in die Erde, scharren und scharren und legen die Knochen frei. Die Erde ist voller Knochen. Ein Totenfeld. Sie hat Angst, den Boden mit den Sohlen zu berühren, Angst einzusinken, hinuntergezogen zu werden in die schwammige, schillernde, stinkende Tiefe. Wo ist Roland, warum kommt er nicht?

    Die Stimme der Alten, ihr gelbliches, runzliges Gesicht, das plötzlich im dunklen Winkel der Hütte auftauchte. Die Berührung ihrer harten Hand. Ein Liebeszauber. A gift.

    Tabea zieht die

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