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Iladrias Fluch - Preis der Finsternis
Iladrias Fluch - Preis der Finsternis
Iladrias Fluch - Preis der Finsternis
eBook567 Seiten7 Stunden

Iladrias Fluch - Preis der Finsternis

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Über dieses E-Book

Vor vierzehntausend Jahren wurde der Eine, dessen Namen niemand mehr kennt, vernichtet und hat dabei die Welt Iladria in eine Tag- und Nachtseite gespalten.
Ein Streiter des Herrn der Zeit wird fünf Millennia in die Vergangenheit geschickt, um das Ende allen Lebens zu verhindern.
Der einsame Zeitenwanderer gerät dabei in die Wirren eines für ihn längst zur Geschichte gewordenen Krieges um die reichen Kornfelder der Morgenzone.
Um die Zukunft seiner Welt zu retten, muss er weit in der Vergangenheit das Intrigenspiel um Magie, Macht und Götter für sich entscheiden und verstehen warum sein Schicksal mit dem von fünf anderen verbunden ist.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum5. Juli 2018
ISBN9783746740157
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    Buchvorschau

    Iladrias Fluch - Preis der Finsternis - Mirko Lehr

    Iladrias Fluch

    Preis der Finsternis

    Texte: © Copyright by Mirko Lehr

    Umschlaggestaltung: © Copyright by Giovanni Braggs

    Verlag:

    Mirko Lehr

    Odenwaldstr. 52

    64823 Groß-Umstadt

    Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

    Für Michaela

    Es war die Überheblichkeit der Menschen, die die Welt fast vernichtete.

    Lange hatten sie den Einen, den neuen Gott verehrt,

    doch die Alten nie vergessen.

    Der letzte Kaiser, in seinem Wahn selbst ein Gott,

    tilgte den Namen des Einen

    und glaubte über den Alten zu thronen.

    Der Eine, der Verschmähte, eines Namens und seiner Tempel beraubt, zürnte.

    Vom Wahn geleitet zog der letzte Kaiser aus.

    Vom Ruhm geblendet folgten ihm Heer und Klerus.

    Sogar die mythischen Helden folgten dem Ruf des Irrsinns.

    Sie besiegten den Einen,

    doch seine Rache war fürchterlich.

    Er stoppte den Lauf der Welt.

    Tag und Nacht wechselten sich von nun an nicht mehr ab.

    Eine Seite war gefangen im Tag, die andere in der Nacht.

    Eine Hälfte des größten Reiches aller Zeiten verbrannte zu Staub,

    die andere versank im Eis.

    Die Völker der Welt vergingen.

    -Überlieferung einer Erzählung von Unios

    Der Wanderer

    Solesgaard, im Jahr nach dem Tod des Einen 14707

    Inferno – Kein anderes Wort könnte es besser beschreiben und selbst dieses ist zu schwach.

    Die Solgardisten, mit ihrem fanatischen Glauben an ihre Laserwaffen und solarbetriebenen Fahrzeuge, fielen wie die Asche vom Himmel.

    Wo war ihr Sonnengott nun? Nun, da der Himmel dunkel war vom Staub der Nuklearexplosionen.

    Die Panzer krochen sterbend voran, lechzend nach den letzten schwachen Strahlen energiebringenden Lichtes. Wer hätte je gedacht, dass in einem Land ewigen Tages die Sonne nicht mehr scheinen würde?

    Im Visier meines Helmes gesellt sich plötzlich zu der permanent blinkenden Warnung über lebensbedrohliche Mengen radioaktiver Strahlung ein Kollisionsalarm.

    Mit einem Atemzug bin ich eins mit meinem Gott, eins mit der Zeit. Während sich die Welt um mich herum eine Pause gönnt, reiße ich meine Waffe senkrecht nach oben. Ich starre in ein weit aufgerissenes Maul mit spitzen, langen Zähnen, das sich langsam nähert.

    Ich sehe den Mündungsblitz, die Druckwellen und mein Projektil, das sich kreisend senkrecht nach oben durch die Luft schraubt und sich in den hässlichen Schädel meines Angreifers bohrt. Langsam, anmutig zerplatzt der Kopf der Kreatur. Blut und Gewebe formen ein surreales Kunstwerk, welches langsam expandiert. Ich wundere mich, wie mein Gehirn in diesem Moment, an diesem Ort Ästhetik empfinden kann, schließlich…

    Schmerz lässt meinen Körper brennen. Ich falle vornüber in den radioaktiven Staub. Die wild blinkende Warnmeldung im Display meines Helmes, scheint kurz vor einem Infarkt zu stehen. Ich frage mich, wie lange die Filter in meiner Atemmaske noch standhalten.

    Mühsam hieve ich mich auf die Beine. Ich habe die Gunst des Herren der Zeit mehr als überbeansprucht, von meinem Körper ganz zu schweigen.

    Primitive bleierne Projektile prallen wirkungslos gegen meine Rüstung. Ich reiße beide Pistolen hoch, stelle sie mit einem Gedanken auf Dauerfeuer und bestreiche im 60° Winkel vor mir alles was nicht auf diese Welt gehört.

    Meine Feinde fallen zahlreich in den Staub – Zumindest einen kurzen Augenblick. Zu der so vertrauten Strahlungswarnung gesellt sich der informative Hinweis, dass keine Projektile mehr in meinen Magazinen sind. Ob die Hersteller dieser Waffensysteme der Meinung sind, man würde das Fehlen der Kugeln ohne eingeblendete Nachricht nicht bemerken?

    Ich stoße die Luft aus den Lungen. Warum muss am Ende der Munition noch so viel Feind übrig sein?

    Mein Blick gleitet in den düsteren Himmel. Die schwarzen Wolken lassen hier und da ein schwaches, rotes Glimmen der verschleierten Sonne zu. Es scheint, als habe der Himmel gebrannt und die sterbende Glut flackert ein letztes Mal auf, bevor sie für immer erlischt.

    Genaugenommen hat der Himmel gebrannt und nun liegt er wohl wirklich im Sterben.

    Ich senke die Arme, schließe die Augen und atme langsam und ruhig. Mein Ende ist das Ende meiner Welt. Wer will schon seine Welt überleben?

    Etwas reißt mich nach hinten.

    Wild mit den Armen rudernd, kann ich mich auf den Beinen halten. Ich blicke in das reich verzierte Visier eines Lichtbringers.

    „Die Priester suchen Euch. Wir halten sie auf."

    Mit dieser knappen Anweisung stapft er zurück in den Schildwall.

    Ich habe nie verstanden, warum man grundlos einem Kodex folgt, der einem den Gebrauch von Schusswaffen verbietet. Doch als ich die flammenden Plasmaschwerter durch die Luft zischen sehe und die markerschütternden Schreie der sterbenden Feinde vernehme, bin ich äußerst erleichtert auf dieser Seite des schwer gepanzerten Walls aus archaischen Kriegern zu sein.

    Ich kehre der Front den Rücken und renne los. Meine geleeartigen Beine stolpern sich über den unebenen Boden.

    Ich renne an Leichen vorbei, ausgebrannten Fahrzeugen und Panzern, die von ihrer Besatzung verlassen wurden, weil die Batterien leer sind – Leer wie meine.

    Nachdem ich den größten Teil der Strecke wie in Trance gelaufen bin, ich schätze mein Körper hatte alles abgeschaltet was nicht dem Laufen dient, erreiche ich mein Ziel. Erstaunt stelle ich fest, dass ich unterwegs eine Plasmalanze aufgesammelt habe.

    Sechs der mächtigsten Priester meines Ordens blicken mich an.

    „Wir haben dich erwartet, schnell. Wir haben keine Zeit zu verlieren."

    Ich nicke und folge der einladenden Handbewegung. Priester denken – Wir handeln.

    Wie befohlen, stelle ich mich in den imaginären Kreis, den die sechs bilden. Sie beginnen mit einem Ritual, einem... Was haben die vor?

    Der Rädelsführer blickt mich an. Er wirft mir eine kleine Tasche zu.

    „Verhindere das Ende der Welt."

    Was?

    Ich?

    Wie?

    Alles wird schwarz.

    Ich versuche die Augen zu öffnen, doch gleißendes Licht blendet mich. Ich bin also noch auf der Tagseite, aber wo? Oder vielleicht sollte ich fragen, wann?

    Die Sonnenstrahlen streicheln meine Haut. Als sich mein Bewusstsein durch den Schleier des Schlafes kämpft, merke ich wie etwas an meiner Nase kitzelt. Ich öffne mühsam ein Auge und sehe verschwommen eine kleine weiße Feder mein ganzes Blickfeld erfüllen.

    Ein kurzes Schnauben und die freche Daune segelt von dannen.

    „Aufstehen, Hoheit. Ihr habt schon zu lange im Bett gelümmelt."

    „Hmmmm." Mehr kriege ich in meiner derzeitigen Verfassung nicht zustande. Dass einen der Schlaf immer so eisern halten will, sich immer weigert einen ins Licht zurückzulassen.

    Ich setze mich im Bett auf und strecke meine Arme. Knackend begrüßen meine Gelenke die Sonne.

    Kaum hörbar schiebt Maldia einen Vorhang nach dem nächsten beiseite. Ich wundere mich immer, warum so schwerer, dicker Stoff so wenig Geräusche von sich gibt.

    Ich blicke zum nächsten freien Fenster.

    Die Strahlen der Sonne wärmen meine Haut und bringen das Leben zurück in meinem Körper. Nur ein paar Augenblicke und ich bin wieder die überdrehte, quietschlebendige Prinzessin, für die mich jeder hält – Zu Recht.

    Ich hüpfe aus dem Bett, lasse beiläufig mein Nachtgewand zu Boden gleiten und betrachte mich im großen Kristallspiegel.

    „Maldia, bin ich hübsch?"

    „Ja, Hoheit. Sehr hübsch." Ihr Ton verrät wie sehr sie diese Frage nervt, während sie mir in mein Unterkleid hilft. Ich entschließe mich nicht locker zu lassen.

    „Du klingst, als meintest du es nicht ernst."

    „Hoheit, Ihr stellt mir diese Frage jedes Mal nach dem Aufstehen, seitdem Ihr das erste Mal mit den ersten Ansätzen von Brüsten aufgewacht seid."

    Ich lache trällernd. „Das stimmt nicht, solange tu ich das gar nicht. Oder doch?"

    „Doch, Hoheit, tut Ihr."

    „Aber ich höre es so gerne, wenn du sagst, dass ich hübsch sei."

    „Würdet Ihr Euch endlich mehr für die Männer interessieren, würden die Euch den ganzen Tag lang sagen, wie unglaublich schön Ihr seid."

    „Danke."

    Maldia verzieht das Gesicht und ich merke, dass ich wohl oder übel auf die Männerfrage eingehen muss.

    „Weißt du, dass mit den Männern ist so eine Sache."

    „Inwiefern?"

    „Na ja, sie sind so schrecklich haarig und außerdem, wenn ein Mann sagt, du bist schön, tut er das nur, weil er mit unter deine Decke will."

    „Und was ist daran so schlimm?"

    „Es ist meine Daunendecke. Ich lass mir mein Bett doch nicht vollhaaren."

    „Und was ist mit Belvi?"

    Genau, wo ist er?

    „Belvi, Belvi, mein Süßer, wo bist du?"

    Unendlich putzig tapst mein kleiner Liebling aus seiner Holzhütte, die eine Miniatur des Schlosses darstellen soll. Ich fand sie nie gelungen, aber Vater hatte sie mir zum sechsten Geburtstag zusammen mit Belvi geschenkt und so sage ich immer brav, dass die Hütte genauso aussieht wie das Schloss.

    Völlig verschlafen reibt sich mein kleiner Belvi die Augen, während er vorwärts torkelt und nur deshalb nicht umfällt, weil er so riesige Füße hat. Ich eile ihm entgegen, rutschte auf den Knien eine Handbreite auf ihn zu und drücke ihn an meine Brust.

    Belvi schmiegt sich an meinen Busen und die großen Füße pochen leicht gegen meinen Bauch, als er vor Freude in meinen Armen strampelt.

    Meine Wange schmiegt sich an sein kuscheliges Fell und er macht diese knuffigen, halb schnurrenden, halb grummelnden Geräusche, typisch für Wesen seiner Art, wenn sie sich wohlfühlen.

    Maldia räuspert sich hinter mir und ich merke, dass ich (mal wieder) weg geeilt war, bevor ich fertig angezogen bin.

    Entschuldigend lächelnd, stelle ich mich brav an meinen Platz zurück und lasse das Anziehritual über mich ergehen.

    Ich beobachte amüsiert Belvi, wie er sich in den riesigen Ohren pult und noch immer schlaftrunken ins Nichts starrt.

    Meine Unaufmerksamkeit bestraft Maldia augenblicklich, in dem sie mit voller Kraft an den Schnüren meiner Korsage reißt. Geräuschvoll wird die Luft aus meinen Lungen gepresst.

    „Zu fest, Hoheit?"

    „Nein, überhaupt nicht", presse ich scherzhaft zwischen den Zähnen hervor.

    Ich liebe Maldia, die so viel mehr für mich ist als eine Zofe. Sie ist eher eine Mutter, nicht im biologischen, aber im seelischen Sinne. Sie ist die, die mich seit je her hegt und pflegt und immer für mich da ist. Maldia, die selbst keine Kinder hat, betrachtet mich auch als ihre Tochter, auch wenn sie es niemals zugeben würde.

    Fertig angekleidet drehe ich mich zu ihr um. Sie blickt mir grimmig ins Gesicht. Ich strahle sie an, gebe ihr einen dicken Schmatz und husche auf den Balkon.

    Solesgaard – Die Stadt meiner Geburt, meine Heimat, meine Liebe. Die immerwährende Sonne funkelt auf dem weißen Stein, betont jede kunstvoll gehauene Freske, jedes Geländer, jede Treppenstufe. Diese Stadt ist mehr als nur eine Ansammlung von Häusern, es ist ein Wesen, ein Wesen, das uns alle beherbergt, uns Schutz und Geborgenheit gibt, uns nährt und behütet. Ein reines, weißes Wesen, strahlend wie die Sonne selbst.

    Die Häuser in Solesgaard sind alle aus weißem Stein gebaut und mit bunten Holiten bemalt, Lobpreisungen an die Sonne. Unsere Stadt ist stärker in die Höhe gebaut als sonst irgendeine. Manche Gebäude ragen 30 oder sogar mehr Schritt in die Höhe, andere Gebäude sind übereinander gebaute Häuser, sodass mancher Hauseingang in Schwindelerregender Höhe liegt, aber das ist hier normal. Wir sind die Kinder des Lichts, Söhne und Töchter von Himmel und Erde, wir kommen aus der Erde und streben dem Himmel, der Sonne entgegen.

    Ich blicke die Lebensspenderin an oder den Lebensspender – Solestra, Holios, Lukton und viele Namen mehr, gab man unserer Sonne, meiner Namensgeberin.

    Solestila, die kleine Sonne – Das ist mein Name und ich versuche ihm jeden Tag gerecht zu werden.

    Mein Blick streift über die Straßen und Brücken. Die wenigsten Brücken in Solesgaard überspannen den Uniom, benannt nach Unios, dem Gründer unserer Gesellschaft, sondern verbinden die weiter obenliegenden Gebäude mit anderen, sodass man fast die ganze Stadt durchlaufen kann ohne einen Fuß auf den Boden zu setzen.

    Diese Stadt ist, und daran hege ich keinen Zweifel, die schönste der Welt.

    Weit unten durch die Straßen außerhalb des Palastes, marschiert ein Trupp Lichtbringer, die Streiter Unios’. Sie sind diejenigen, die dafür sorgen, dass sich keine Feinde des Lichts in Solesgaard breitmachen. Ich habe das nie verstanden. Wie kann man nicht die Sonne anbeten? Wie kann man nicht Unios dankbar sein, dass er unsere Vorfahren auf die Seite des Lichtes geführt hat? Manche Wesen bleiben mir auf ewig ein Rätsel.

    Die blankpolierten Rüstungen funkeln in der Sonne und lassen die Streiter erscheinen, als seien sie Teil der Sonne. Man sagt ihre Rüstungen seien von der Sonne selbst gesegnet und unzerstörbar, ob das stimmt weiß ich nicht, aber sie tragen auf alle Fälle noch ihre veralteten, breiten Schwerter und die runden, stählernen Schilde, auf denen eine strahlende Sonne aus Blattgold prangt.

    Heutzutage benutzen unsere Soldaten ausschließlich schlanke elegante Schwerter und seit neuestem etwas, das sich Muskete nennt. Mich faszinieren die Lichtbringer, sie scheinen ewig zu sein, unberührt vom Wandel der Zeit.

    „Hoheit?"

    Ich drehe mich wirbelnd um und lasse meine langen goldenen Haare fliegen.

    „Ja?"

    Der fragende Blick Maldias scheint mir vermitteln zu wollen, dass ich etwas tun sollte. Ich blicke fragend und unglaublich unschuldig zurück.

    „Der Empfang des Botschafters?"

    Ei verflucht, da war was.

    Ich strahle hinreißend und schwebe aus dem Raum, als ob alles genau so abgelaufen wäre, wie ich es gewollt habe, natürlich schüttelt Maldia nur den Kopf.

    Der Nekromant

    Maaskwulln, im Jahr nach dem Tod des Einen 9335

    Iallyn rannte die Hauptstraße seiner Heimatstadt entlang. Der Schnee war durch die vielen Füße platt getreten und durch die ganzen ausgeleerten Schlaftöpfe braun gefärbt. Es stank in den Straßen.

    Iallyn war genauso schmutzig wie die Straße, aber das störte ihn nicht. Er war ein Straßenkind – Straßenkinder waren nun einmal schmutzig. Seine eigentlich schwarzen Haare, waren braun-grau vom Dreck, verfilzt und voller Läuse. Doch der Junge hatte wache, grüne Augen, die aus seinem schmutzigen Gesicht herausstachen.

    Maaskwulln war eine kleine Stadt, voller Holzhütten, in denen Bergleute und Bauern wohnten. Mehr Bergleute als Bauern, denn mit dem Anbau von Mondpflanzen konnte man wohl nicht so viel verdienen.

    Es gab in ganz Nirrohnjask nur ein paar Städte, die waren alle so groß wie Maaskwulln, mit Ausnahme der Hauptstadt natürlich. Das wusste der kleine Straßenjunge aber auch nur aus Erzählungen.

    Iallyn hatte seine Eltern nie gekannt. Er war in einem kleinen Waisenhaus am Rande der Stadt aufgewachsen. Dort hatte es immer zu viel Prügel und zu wenig zu essen gegeben. Irgendwann hatte sich seine Wut auf alles und jeden entladen und er hatte das Waisenhaus angezündet. Zumindest hatte er es versucht. Groß war der Schaden damals nicht gewesen, aber man hatte ihn des Hauses verwiesen.

    Seitdem hatte sich Iallyn auf der Straße alleine durchgeschlagen. Er mochte sein Leben in Freiheit, hatte er Hunger, klaute er sich was, war er müde, legte er sich in einen Stall. Die Straße war viel besser als das Waisenhaus – Auf der Straße konnte man vor den Prügeln davonlaufen.

    Als er um eine Ecke bog rannte er in Jemanden. Mit seinen acht Jahren war er zu leicht, um sein Gegenüber ins Straucheln zu bringen. Er aber prallte ab und landete im Dreck. Instinktiv riss er die Arme hoch, um sich vor der Dresche, die ihm nun unweigerlich blühte, zu schützen. Doch der andere schlurfte einfach weiter.

    Iallyn erblickte die schweren Balken, die sein Gegenüber trug und seufzte erleichtert auf.

    „Bloß ein doofer Arbeitszombie."

    Er sprang auf die Füße, trat dem Untoten mehrmals ins Gesäß und verhöhnte ihn. Der Zombie zeigte wie gewöhnlich keinerlei Reaktion und stapfte ungerührt weiter.

    Lachend setzte der Junge seinen Weg durch die Straßen fort. Er hatte kein Ziel, erfreute sich nur den silbrigen Strahlen des vollen Mondes.

    Man hatte ihm mal erzählt, dass es auf der anderen Seite des Meeres, Iallyn wusste nicht genau was das war, wohl ein großer, nicht gefrorener See, ein Land gäbe, wo die Sonne scheint. Iallyn hatte damals gefragt, was eine Sonne sei. Man hatte ihm erklärt, dass diese wie der Mond war, nur viel, viel heller – So hell, dass man ohne Kerzen lesen könne. Iallyn konnte mit oder ohne Kerzen nicht lesen, daher ließ ihn diese Geschichte ziemlich kalt. Obwohl er schon neugierig war, wie diese Sonne wohl aussah.

    Vor ihm sprangen Leute beiseite und reflexartig tat er es ihnen gleich. Kurz darauf preschten sieben Reiter um eine Hausecke. Unweit von Iallyn entfernt hielten sie an. Er kannte die Reiter, es waren Graf Ravenal und seine Todesritter.

    Iallyn wusste nicht viel über ihn, er war wohl ein enger Berater des Königs und ein großer Nekromant.

    Der Straßenjunge verfolgte mit großen Augen die eindrucksvollen Gestalten – Schwarze Pferde, schwarze Rüstungen, ein schwarzer Rabe auf der Schulter des Grafen. Zugegebenermaßen hätten die Pferde auch braun sein können, ohne Kerzenlicht war das schwer zu unterscheiden.

    Lässig stieg der Adlige von seinem Hengst, woraufhin sein Rabe kurz aufflatterte, bevor er sich wieder auf die schwarze Plattenrüstung setzte, die den gesamten Körper des Grafen bedeckte. Zwei seiner untoten Wächter stiegen ebenfalls ab, während sich die anderen im Halbkreis vor dem Haus postierten. Erst jetzt bemerkte Iallyn, dass er vor dem Rathaus stand. Vermutlich wollte der Graf mit dem Stadtvogt sprechen.

    Der kleine Junge betrachtete die riesigen Todesritter auf ihren noch viel größeren Pferden und wusste, dass er um alles auf der Welt auch ein Nekromant sein wollte.

    Der Wächter

    Ein kleines Dorf, im Jahr nach dem Tod des Einen 9334

    Er war riesig – kein Kind. Genauso wie er, hatten sie gesagt, aber das stimmte nicht, es stimmte ganz und gar nicht. Yorin wollte weglaufen, doch die liebevollen Hände seiner Mutter ruhten bestimmend auf seinen Schultern.

    „Siehst du, er ist noch ein Kind, genau wie du."

    „Ein Kind? Yorins Stimme zitterte. „Er ist fast so groß wie ein Pferd, ganz viel größer als ich.

    „Er ist ja auch ein Schriikar. Hab keine Angst, er ist ganz lieb und du wirst sehen, ihr werdet bald die besten Freunde sein."

    Freunde? Yorin konnte sich nicht vorstellen, warum ein Wesen wie dieser Schiika, oder wie auch immer, sein Freund sein wollte.

    „Lerne ihn ein bisschen kennen, und dann musst du ihm einen Namen geben."

    „Warum ich?"

    „Weil du sein Reiter sein wirst."

    Reiten? Yorin wollte ihn nicht anfassen und auf gar keinen Fall wollte er auf seinen Rücken klettern.

    „So, jetzt lass ich euch allein, spielt schön."

    Yorin erstarrte – allein mit diesem riesigen Tier? Niemals hatte er in seinem Leben solche Angst verspürt – Gut, er war auch erst sechs, aber dennoch, er war sich sicher, dass man mehr Angst nicht haben konnte.

    Als das Scheunentor schloss, wollte der Junge sich am liebsten in Luft auflösen, einfach verschwinden.

    Eine Weile geschah nichts, dann setzte sich der Schriikar langsam in Bewegung. Die Düsternis der Scheune hatte viel im Halbdunkel verborgen, doch als er näherkam, sah der Junge den langen Schädel mit dem gewaltigen Maul, den langen, geschwungenen Reißzähnen und er sah die Augen des Wesens. Diese Augen waren seltsam Furcht einflößend und sie schienen bis in Yorins Herz zu blicken.

    Der Junge rannte und schrie. Er wollte weg, weit weg. Erstaunlich leicht öffnete er das schwere Scheunentor einen Spalt und zwängte sich hindurch. Doch kaum hatte er die Scheune verlassen, packte ihn der starke Arm seines Vaters.

    „Wohin willst du?"

    Die tiefe Stimme grollte und Yorin wusste nicht, wovor er sich nun mehr fürchtete, vor dem Blick des Monsters oder dem Zorn seines Vaters.

    Der kleine Junge sagte nichts, er weinte nur.

    „Du wirst da wieder hineingehen, und mach ihm keine Angst mit deinem Geschrei!"

    Angst? Warum sollte ein Tier, das größer war als ein Bär und ganze Kühe fraß, Angst vor ihm haben? Yorin bemerkte, wie seine Mutter begann beruhigend, erst dachte Yorin auf ihn, doch lächerlicherweise auf das Tier einzureden.

    Der Vater packte ihn hart an beiden Armen. Es tat ihm weh, doch Yorin sagte nichts.

    „Ich habe diesen Schriikar... gefunden und seit diesem Tag hege und pflege ich ihn, damit aus dir einmal etwas Besseres wird als ein Bauer.

    Ich kann ihn nicht reiten, er ist noch zu klein, aber wenn du ein Mann bist, wird er stark genug sein und dann wirst du ihn reiten."

    „Und wenn ich nicht will?"

    Hart schlug die Hand des Vaters gegen Yorins Wange.

    „Du tust was ich dir sage."

    Yorin fiel auf den Boden der Scheune. Er wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und hörte wie das Tor zuschlug und der Riegel in seinen Halter krachte. Dumpf vernahm er die wütende Stimme seines Vaters, die davon kündete, dass er erst rausgelassen würde, wenn er sich mit dem Schriikar angefreundet hatte.

    Der kleine Junge blickte erneut in die Augen des Wesens und verkroch sich in der hintersten, dunkelsten Ecke der Scheune. Das Tier legte sich nieder und schien zu dösen. Yorin ließ ihn keinen Moment aus den Augen.

    Erschrocken riss der Junge die Augen auf. Der Schika oder wie er hieß, lag da wie zuvor. Yorin fror, nicht weil es kalt war, es war ja immer gleich warm, sondern weil er Angst hatte, oder vielleicht weil er gerade aufgewacht war. Der Junge wusste es nicht genau. Er klaubte sich etwas Stroh zusammen, was der Schiba oder Schika irgendwie gleichgültig beobachtete und der Junge verkroch sich schnell wieder. Das Kind deckte sich mit dem Stroh notdürftig zu und beobachtete weiter das gewaltige Wesen.

    Yorin versuchte über seine Situation nachzudenken. Er wollte seine Eltern nicht enttäuschen, er liebte sie über alles, aber er hatte doch so schreckliche Angst. Ob der Schiba, hieß er überhaupt so, auch Angst hatte? Vielleicht, er war schließlich immer in dieser dunklen Scheune – Oder doch nicht immer? Manchmal ging Vater nach dem Schlafmahl noch einmal aus dem Haus. Ging er dann zu dem Tier und ließ ihn im Freien spielen?

    Yorin erwachte, als das Scheunentor geöffnet wurde. Vater begrüßte das geflügelte Monster liebevoll, wie er es mit seinen anderen Tieren auch tat.

    Als er mit dem Kraulen fertig war, bedachte er seinen Sohn mit einem bösen Blick. Yorin sah beschämt zu Boden.

    „Du wirst nun immer hier schlafen, bis du dich mit ihm angefreundet hast."

    Die Magierin

    Myragon, im Jahr nach dem Tod des Einen 9335

    Der eine Teil ihres Geistes sog das Wissen, das ihre Augen viel zu langsam aufnahmen, ein, während der andere das Wissen mit viel zu großer Verzögerung anwendete.

    „Ilahja! Ilahja!"

    Das Mädchen schreckte hoch.

    „Mutter, ich habe Euch nicht gehört."

    „Das war offensichtlich."

    Sofort stand Ilahja auf und präsentierte sich ihrer Mutter, wie man es von einer jungen Dame ihres Standes erwarten konnte.

    Sie beobachtete ihre Erzeugerin, wie diese langsam durch den Raum streifte und sich vordergründig nicht um ihre Tochter kümmerte. Die Mutter blickte aus dem Fenster.

    Ilahja war mit ihren zwölf Jahren, ihrer Meinung nach, schon sehr erwachsen, aber die meisten anderen teilten diese Meinung nicht.

    „Dein Vater und ich schätzen deinen Ehrgeiz beim Erlernen der Magie, doch gibt es mehr um das man sich kümmern muss."

    Die Mutter blickte Ilahja in die Augen. „Geh hinaus spielen. Bald bist du alt genug für die Akademie, dann kannst du dich ganz deinen Studien widmen. Bis dahin musst du erst einmal lernen ein Kind zu sein."

    „Wie Ihr wünscht, Mutter."

    Ilahja verbeugte sich und schritt nach draußen. Sie verehrte ihre Eltern und befolgte jeden Wunsch, auch wenn sie den einen oder anderen nicht verstand.

    Sie verstand nicht, warum man sich mit Musik beschäftigen musste, aber sie tat es. Ihr Lehrer lobte ihre Perfektion aller technischen Aspekte, doch bemängelte er, dass nichts ihrer Seele in ihre Musik floss. Warum auch? Es war Zeitverschwendung.

    In der Poesie war es nicht anders. Ihr Lehrer lobte ihr perfektes Versmaß, doch bemängelte fehlende Hingabe. Warum auch? Dichtung war Zeitverschwendung, nutzlose Albereien, ohne wirkliche Funktion.

    Magie war anders. Ilahja wusste, sie war für die Magie geboren. Mit der Magie konnte man alles tun, alles.

    Das einzige, was das Mädchen neben der Magie begeistern konnte, war die Malerei. Natürlich nicht die Art, die man von ihr erwartete. Ihr Lehrer lobte ihre Pinselführung, doch kritisierte, dass ihr Herz nicht auf der Leinwand widerhallte. Das stimmte, aber nur zum Teil. Denn in ihrem Zimmer waren viele Bilder, die niemals jemand gesehen hatte. Sie waren nicht mit Pinseln und Farben, sondern mit Magie gemalt. Ilahja hatte versucht das elementare Geflecht der Welt festzuhalten, doch gelang es ihr noch nicht richtig – noch nicht.

    Sie trat ins Freie und entdeckte die anderen Kinder, die sich vergnügt sinnlosen Spielen hingaben.

    Es wurmte Ilahja, dass niemand verstand, dass sie ihrem Alter so weit voraus war. Diese Spiele, das Geschrei, das Herumgerenne konnte sie nicht verstehen. Sie empfand dies als albern und kindisch. 

    Ilahja bat höflich an den Spielen teilhaben zu dürfen, führte jedes Spiel, den Regeln entsprechend, mit höchst möglicher Präzision aus und gratulierte ihren Mitspielern, errangen diese Punkte oder gewannen eine Runde. Doch ein Teil ihres Bewusstseins war mit der Analyse magischer Formeln beschäftigt, irgendein Teil ihres Geistes war das immer. Wann immer sie konnte, setzte sie all ihre geistige Kraft dazu ein.

    Magie war ihr Leben, ihr Leben war Magie.

    Die Gläubige

    Kloster Sternenfels, im Jahr nach dem Tod des Einen 9336

    Das Heu kitzelte an den nackten Beinen, was die ohnehin schon überdrehten Mädchen zu heftigem Kichern brachte.

    „Schsch. Sie hören uns noch", mahnte Devora an, doch konnte sie selbst nicht aufhören zu glucksen. Die beiden Mädchen kletterten kichernd und feixend den Strohhaufen empor, bis sie aus der Dachluke der Scheune spähen konnten.

    Oft kamen sie hier her und beobachteten die Jungen bei ihren Übungen. Es waren Kampfübungen mit Holzschwertern, Schilden und gepolsterten Lanzen.

    Im Schein der Fackeln kämpften die Burschen gegen drehbare Holzgestelle, gegeneinander oder droschen auf Strohpuppen ein. Es war eine wunderbare Abwechslung zum tristen Klosteralltag.

    „Siehst du den Blonden da, der kriegt bestimmt wieder was auf die Fresse."

    „Klar, kriegt er doch jedes Mal, stimmte Ascheela zu. „Ich habe mal ein Gespräch zwischen Mutter Orahna und Vater Thurim belauscht, da sagte der Vater, dass von allen, wenn überhaupt, es nur einer schafft Glaubenskrieger zu werden. Meistens schafft es keiner.

    Devora blickte Gedanken versunken auf die übenden Jungs und hörte kaum, was Ascheela ihr erzählte. „Eines Tages werde ich auch ein Glaubenskrieger sein."

    Ascheela starrte ihre Freundin einen Moment fassungslos an und brach dann in schallendes Gelächter aus.

    „Du? Du bist ein Mädchen, du kannst kein Krieger werden."

    Devora war gekränkt. Sie kletterte wortlos den Speicher hinab, während sich Ascheela auf dem Stroh wälzte und Tränen lachte.

    Die junge Novizin schritt wütend über den Klosterhof, der Schnee knirschte unter ihren Füßen. Die kleinen Holzbretter, die mit Stofflumpen um ihr Füße gebunden waren, machten ein wütendes Stapfen sehr schwierig. Normalerweise wäre dies einer der Momente gewesen, in denen sie sich darüber beklagen würde, noch keine richtigen Holzschuhe zu haben, da ihre Füße noch wuchsen und das Kloster erst ausgewachsenen Novizen Holzschuhe gab. Doch in diesem Moment war ihr das egal.

    Warum konnte sie kein Glaubenskrieger werden? Manche der Jungs stellten sich so doof an, das konnte sie besser.

    Die Wut beflügelte sie und sie fasste sich ein Herz. Mit neuem Elan und einer geradezu göttlichen Zuversicht, schritt sie auf die Unterkunft von Vater Thurim zu.

    Als sie die Tür erreicht hatte, konnte sie schon Ascheelas dummes Gesicht sehen, wenn sie erst einmal mit den Jungs im Hof übte.

    Sie klopfte. Eine tiefe Stimme bat sie herein.

    Mühsam schob das elf jährige Mädchen die schwere Tür auf.

    Sie verneigte sich und trat ein.

    „Hallo, mein Kind, was kann ich für dich tun?"

    „Vater, ich möchte auch ein Glaubenskrieger werden."

    Der Vater bemühte sich, doch konnte er ein Lachen nur mühsam unterdrücken. Immer wieder zuckten seine Mundwinkel nach oben und seine Bauchmuskeln bebten. Die giftigen Blicke des Mädchens halfen ihm, sich dann doch zu fangen.

    „Du bist ein Mädchen."

    „Ja und?"

    „Frauen werden Priesterinnen oder Nonnen. Männer werden Glaubenskrieger oder Mönche."

    „Es gibt auch Priester, richtig viele sogar."

    „Das stimmt."

    „Also muss es auch Glaubenskrieger...innen geben."

    „Glaubenskrieger sind Streiter der Götter, sie kämpfen mit Schwert und Schild, das ist nichts für Frauen."

    „Wieso?"

    „Frauen sind zu schwach. Ein Schwert aus Stahl, ein dickes Eichholzschild wiegen mehr als sie heben können. Ich kann es nicht heben."

    „Ihr seid ja auch schon alt, außerdem sagtet Ihr mal, der Schild eines Glaubenskriegers ist sein Glaube. Glauben habe ich."

    Immer noch durch die dreiste Aussage über sein Alter, welches er als gar nicht so hoch empfand, aus dem Konzept gebracht, sammelte sich der Klostervorsteher.

    „Ja, du hast Glauben und Mut. Du wirst eine wunderbare Priesterin werden, die den Göttern stets gefallen wird und nun husch zur Abendmesse."

    Mit einem letzten vernichtenden Blick wandte sich das Mädchen ab und schritt hinaus. Maßlos enttäuscht und wütend auf alle Männer dieser Welt, schlurfte die kleine Novizin zum Gebetsraum.

    Die Sterne funkelten am Himmel.

    Es war die Zeit, in der der Mond auf der Tagseite weilte. Anhänger und vor allem Geweihte der Mondgöttin fürchteten diese Zeit. Devora liebte sie.

    Ohne das Licht des Mondes konnte man alle Sterne funkeln sehen, auch die kleinsten und schwächsten unter ihnen.

    Der Blick der jungen Novizin fiel über das Kloster. Schwarz und unheimlich ragten die Mauern empor.

    Devora war, wie viele andere, als Säugling vor der Tür abgelegt worden. Mütter, die zu wenig Nahrung besaßen, um ihre Kinder stillen zu können, taten dies oft – So hatte man ihr gesagt. Sie wollte dies auch glauben. Sie stellte sich eine junge, schöne Frau vor, die weinend durch den Schnee stapfte, ein schreiendes Bündel im Arm. Mit zitternder Hand legte sie das Bündel vor die Tür, behutsam, liebevoll. Sie wollte ihr Kind nicht hergeben, aber sie musste. Sie konnte es nicht ernähren und musste, auch wenn ihr Herz brach, aus Liebe ihr Kind dem Kloster überlassen. So war es gewesen, da war sich Devora ganz sicher.

    Bei ihr war es nicht so gewesen, wie das eine Mal, als eine stinkende Frau ins Kloster gestürmt war, ihr schreiendes Kind lieblos einem Mönch in den Arm gedrückt hatte und geschrien hat: „Nehmt die Plage, sonst schmeiß' ich's in den Fluss."

    So war es bei ihr nicht gewesen. Ihre Mutter hatte Sie geliebt.

    Tränen rannen dem Mädchen die Wangen herab.

    Devora hatte sich nach dem erfolglosen Gespräch mit Vater Thurim, auch Mutter Orahna offenbart, mit ebenso geringem Erfolg. Mit Ascheela konnte Sie nun auch nicht mehr so unbeschwert sprechen, seitdem die vermeintliche Freundin sie so ausgelacht hatte.

    Die Novizin wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Trauer um die Mutter, die sie nie gekannt hatte, Wut über die Gemeinheit und Ungerechtigkeit der Klostervorsteher verschmolzen zu einem nie gekannten Ehrgeiz. Sie wusste in diesem Moment, dass sie Glaubenskrieger werden würde, für ihre Mutter und gegen die Ignoranz aller Anderen.

    Der Krieger

    Stamm der Guhm, Tur-Rannuk-Ta, im Jahr nach dem Tod des Einen 9330

    Schnaufend kämpfte er gegen den starken, grauen Arm, doch vergebens. Er war dem Arm, wie ein Blatt dem Wind, hilflos ausgeliefert.

    „Lass nicht nach, kämpfe."

    Barguhm warf sich mit aller Wucht gegen seinen Gegner, doch der starke Arm hielt ihn erneut eisern. Er kämpfte und kämpfte, bis er nicht mehr konnte.

    „Gut. Du hast das Herz eines Kriegers." Sein Vater grinste und entblößte die spitz zulaufenden Reißzähne.

    Barguhm war glücklich, dass sein Vater stolz auf ihn war. Marguhm war der Häuptling des Stammes und eines Tages würde auch Barguhm Häuptling werden.

    Der Vater erhob sich und der kleine Barguhm stellte einmal mehr fest, dass er seinem Erzeuger gerade mal bis zum Gürtel reichte.

    „Vater, wann kriege ich meine Hörner?"

    „Das dauert noch einige Sprüche, mein Sohn."

    Der kleine Rannuk wollte nicht warten, er wollte groß sein und mit den anderen in die Schlacht ziehen – Zum Ruhm des Stammes, zum Ruhm der Ahnen.

    Mutter trat heran und reichte beiden eine Schüssel mit Wasser. Marguhm leerte sie in einem Zug, was Barguhm auch versuchte, aber nicht schaffte.

    Die Mutter lächelte. Der kleine Junge war beleidigt. Er hasste es angelächelt zu werden. Nur weichliche Weiber und Menschen lächelten, wobei er noch nie einen Menschen gesehen hatte. Krieger lächelten nicht, sie lachten oder brüllten.

    „Mein Sohn, ich muss mit den Ältesten sprechen, geh und kämpfe mit den anderen Jungs."

    Barguhm nickte und rannte los, begierig seine Kräfte im Kampf mit Gleichaltrigen zu messen.

    Als er auf einem Hügel angekommen war, fiel sein Blick auf Kragos – Vater Feuer. Der riesige Berg loderte, wie er es immer tat. Schwarzer Rauch formte sich oberhalb des roten Leuchtens.

    Die Schamanin sagte, das sei der Atem der Erde, der nach oben strömte und alle Nicht-Rannuk fernhielt. Nicht-Rannuk, so hatte sie gesagt, sterben durch den Atem der Erde. Sie sagte, es würde ihre Lungen verbrennen.

    Einmal im Kreislauf sprach Kragos. Dann regnete es Feuer und Asche vom Himmel. Die kleinen, rot leuchtenden Steinchen brannten ein bisschen auf der Haut. Die Kinder wetteten dann immer, wer es am längsten aushielt. Barguhm war immer der letzte, der in die Hütte zurückging. Das machte seinen Vater sehr stolz. Er sagte es natürlich nie, aber Barguhm konnte es an seinem Blick sehen.

    Der kleine Häuptlingssohn blickte zum Atem hinauf und hoffte, er würde bald ganz oft sprechen. Damit er ganz schnell seine Hörner bekam.

    Der Wächter

    Im Jahr nach dem Tod des Einen 9334

    „Was glotzt du so dumm, hä?"

    Yorins Furcht vor dem Wesen, mit dem er sich gezwungener Maßen den Raum teilen musste, war nicht gewichen, doch überspielte er sie mittlerweile, nach einer Woche im Stall, mit Großmäuligkeit. Allerdings schienen seine Provokationen, die alles sollten, nur nicht das gefiederte Monstrum provozieren, an eben diesem abzuprallen, wie ein Kieselstein an einer Burgmauer.

    Es war eine grausame Woche gewesen. Die ständige Angst wich nur für die kurzen Augenblicke, in denen Vater oder Mutter hereinkamen und ihm Essen brachten. Ansonsten waren die Tage eine Aneinanderreihung von Albträumen gewesen und kein Aufwachen war in Sicht.

    Von Zeit zu Zeit blickte der Schriikar zu Yorin rüber und dann trafen sich ihre Blicke. Die Augen dieses Wesens, dessen war sich Yorin mittlerweile sicher, konnten durch alles hindurchsehen. Sie sahen bestimmt seine Knochen, sein Herz, vielleicht auch das was in seinem Herzen war.

    Was war in seinem Herzen?

    Angst war darin – Angst und das unbändige Verlangen wieder im Haus wohnen zu können, wieder in seiner Kammer zu spielen, mit seinen Eltern am Tisch zu essen. Warum hatten sie ihm alles das weggenommen? Nur weil er Angst vor diesem riesigen Ungeheuer hatte?

    In diesem Moment war alles zu viel. Er konnte und wollte nicht mehr. Er fiel vorn über und weinte in das stinkende, nasse Stroh. Er weinte und weinte.

    Yorin bemerkte, zwischen all seinen Tränen, wie sich der Schriikar bewegte. Kam er auf ihn zu? Die Angst wurde größer, doch konnte er nichts anderes tun als weiter zu weinen.

    Der Junge spürte, wie sich das große Tier neben ihn legte. Einer der beiden gewaltigen Flügel breitete sich über Yorin aus und deckte ihn sanft zu. In diesem Moment war dem Jungen alles egal. Er kuschelte sich unter den warmen Federn im Stroh ein und schlief. Er schlief gut, so gut wie lange nicht mehr.

    Als er erwachte, lag der Schriikar noch genauso da wie vor Yorins einschlafen. Der Junge hatte keine Angst mehr, zumindest nicht mehr so viel, dass sie seine kindliche Neugier bremsen konnte. Er streckte den Arm, kroch ein bisschen heran und berührte den fedrigen Körper. Er war warm und weich und der Junge konnte den regelmäßigen Atem des Tieres spüren. Es fühlte sich viel angenehmer an, als er erwartet hatte.

    Der Schriikar hob behäbig den Kopf und drehte ihn Yorin zu. Dieser zog erschrocken die Hand zurück, doch das Tier legte den Kopf gleichgültig wieder auf den Scheunenboden.

    Der Junge rang eine Weile mit sich, dann streckte er erneut die Hand aus und begann das große gefiederte Tier zu streicheln. Es hatte tiefgrüne Federn, die an Kopf, Schwanz und Flügelenden ins dunkle Blau verlief. Am Bauch und an der Unterseite der Flügel und dem Hals waren die Federn sehr hellblau oder grau?

    Aus dem Kopf ragten zwei spitze Ohren nach oben und nach vorne streckte sich eine lange Schnauze, ähnlich wie die eines Wolfes. Die Augen waren nach vorne gerichtet und im Gesicht wichen die Federn kurzen Haaren. Unter dem Rumpf ragten zwei stämmige, Krallen bewehrte Beine heraus, die am unteren Teil auch wieder mit Fell statt Federn bedeckt waren. Insgesamt wirkten die Beine wie die einer großen Raubkatze.

    Yorin dachte bei sich, dass dieses Tier wirkte, als sei es aus verschiedenen anderen zusammengesetzt.

    Der Junge legte sich gegen den Körper und lauschte dem ruhigen Herzschlag des Tieres.

    Als Yorins Vater die Stalltür öffnete, hüpfte sein Herz vor Freude. Sein Junge spielte ausgelassen mit dem Schriikar. Sein Sohn hieb lachend nach dem gewaltigen Wesen, das seinen Kopf zurückzog, um gleich darauf spielerisch zuzuschnappen, woraufhin Yorin jauchzend zur Seite sprang und kichernd ins Stroh plumpste. Es war ein großartiger Tag.

    Der Wanderer

    Meine erste Inventur ist ernüchternd:

    Ich habe noch eine Pistole mit halbvoller Batterie, aber keine Geschosse.

    Eine Plasmalanze mit Wasserstoff, aber leerer Batterie.

    Eine solarbetriebene Armbanduhr und ein Päckchen mit einem Kaugummi.

    Meine Gefechtsrüstung ist in einigermaßen gutem Zustand, nur leider komplett mit radioaktiven Partikeln verseucht, weshalb ich diese auch sofort ausgezogen und mich 20 Meter weiter unter einem Baum niedergelassen habe.

    Nun die spannende Frage: Was ist in dem Täschchen, das ich von den Priestern erhalten habe? Viel kann es nicht sein, so klein wie das Ding ist. Erwartungsvoll öffne ich den Beutel.

    Oh bitte Kronon, lass es ein Erste-Hilfe-Set sein und Munition, ein Nachtsichtgerät wäre nicht schlecht und viele Batterien. Naniten sind nie verkehrt und vielleicht.... ein Buch?

    Die schicken mich, Kronon weiß wie lang, in die Vergangenheit zurück und geben mir nichts als ein Buch mit? Ja wollen die mich komplett verarschen? Hätten die mir statt einem prähistorischen, gedruckten Buch, eine digitale Variante mitgegeben, dann hätte da noch ein... Ich kotze.

    Frustriert schiebe ich mir den Kaugummi in den Mund.

    Mein Blick wandert zum blauen, wolkenlosen Himmel. Er ist wunderschön.

    Dann kehrt die Erinnerung zurück, an den mit Staub verdunkelten Himmel, der herunterfallenden Asche und den Millionen von Toten. Wie kann ich es wagen mich zu beschweren? Ich lebe. Egal wo, egal wann, mir geht es unendlich mal besser, als allen die ich kenne – gekannt habe.

    Meine Hände verkrampfen sich und Tränen laufen mein Gesicht hinab. Das alles ist einfach zu viel, viel zu viel. Ich

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