Kleiner Graf ohne Mutterliebe: Fürstenkinder 37 – Adelsroman
Von Martina Roemer
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Über dieses E-Book
Ihre Lebensschicksale gehen zu Herzen, ihre erstaunliche Jugend, ihre erste Liebe – ein Leben in Reichtum, in Saus und Braus, aber oft auch in großer, verletzender Einsamkeit.
Große Gefühle, zauberhafte Prinzessinnen, edle Prinzen begeistern die Leserinnen dieser einzigartigen Romane und ziehen sie in ihren Bann.
»Achten Sie auf die nächste Station, das ist Teschendorf, Fräulein!« sagte der Schaffner und schloß geräuschlos die Abteiltür. »Danke vielmals«, flüsterte Christiane Schroeder, um den in der Ecke fest schlafenden Mitreisenden nicht aufzuwecken. In der Zugluft des halboffenen Fensters blähte sich die hellbraune Gardine und verklemmte sich schließlich zwischen der Holzumrandung. »Moselfahrt aus Liebeskummer«, seufzte Christiane. Dann fuhr der Personenzug in den Bahnhof von Teschendorf ein. Um ehrlich zu sein, war das eigentlich gar kein Bahnhof, sondern nur eine Haltestelle mitten auf der Strecke. Darum hielt der Zug auch nur zwei kurze Minuten und dampfte dann schwerfällig weiter. Vor einem gelbgepinselten, etwas ausladenden Haus mit grünen Fensterläden hing ein knallrotes Schild, das die verschnörkelte Aufschrift ›Teschendorf‹ trug. Ein Platz mit roter Asche führte zu diesem ›Bahnhof‹, auf den die Bewohner des verschlafenen Moseldorfes mächtig stolz waren. Ein alter Mann in braunem Cordanzug kam auf sie zu und sagte: »Sind Sie die neue Lehrerin aus Düsseldorf? Der Herr Bürgermeister schickt mich.« Christiane reichte dem Mann freundlich die Hand. »Wie lieb, daß Sie mich abholen.« »Darf ich Ihr Gepäck aufladen, Fräulein? Ich habe drüben die Droschke stehen. Ich heiße übrigens allgemein nur ›Onkel Adalbert‹ und habe hier so eine Art Fuhrunternehmen. Nur daß Sie wissen, an wen Sie sich wenden können, wenn Sie mal Besuch erwarten.
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Rezensionen für Kleiner Graf ohne Mutterliebe
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Buchvorschau
Kleiner Graf ohne Mutterliebe - Martina Roemer
Fürstenkinder
– 37 –
Kleiner Graf ohne Mutterliebe
Christian nahm ihn an ihr Herz
Martina Roemer
»Achten Sie auf die nächste Station, das ist Teschendorf, Fräulein!« sagte der Schaffner und schloß geräuschlos die Abteiltür.
»Danke vielmals«, flüsterte Christiane Schroeder, um den in der Ecke fest schlafenden Mitreisenden nicht aufzuwecken.
In der Zugluft des halboffenen Fensters blähte sich die hellbraune Gardine und verklemmte sich schließlich zwischen der Holzumrandung.
»Moselfahrt aus Liebeskummer«, seufzte Christiane.
Dann fuhr der Personenzug in den Bahnhof von Teschendorf ein.
Um ehrlich zu sein, war das eigentlich gar kein Bahnhof, sondern nur eine Haltestelle mitten auf der Strecke. Darum hielt der Zug auch nur zwei kurze Minuten und dampfte dann schwerfällig weiter. Vor einem gelbgepinselten, etwas ausladenden Haus mit grünen Fensterläden hing ein knallrotes Schild, das die verschnörkelte Aufschrift ›Teschendorf‹ trug. Ein Platz mit roter Asche führte zu diesem ›Bahnhof‹, auf den die Bewohner des verschlafenen Moseldorfes mächtig stolz waren.
Ein alter Mann in braunem Cordanzug kam auf sie zu und sagte: »Sind Sie die neue Lehrerin aus Düsseldorf? Der Herr Bürgermeister schickt mich.«
Christiane reichte dem Mann freundlich die Hand.
»Wie lieb, daß Sie mich abholen.«
»Darf ich Ihr Gepäck aufladen, Fräulein? Ich habe drüben die Droschke stehen. Ich heiße übrigens allgemein nur ›Onkel Adalbert‹ und habe hier so eine Art Fuhrunternehmen. Nur daß Sie wissen, an wen Sie sich wenden können, wenn Sie mal Besuch erwarten. Und auch eine Kremserfahrt mit den Kindern müssen Sie bei mir bestellen«, sagte der Alte geschwätzig und schaute Christiane mit seinen winzigen, farblos scheinenden Augen prüfend an.
Christiane lächelte. Offensichtlich war für ihn die Begegnung mit der neuen Lehrerin ein ganz besonderes Ereignis.
»Wollen Sie bitte einsteigen, Fräulein.«
Onkel Adalbert machte ein verdutztes Gesicht, als Christiane antwortete:
»Viel lieber würde ich vorn mit Ihnen auf dem Kutschbock fahren. Dann können Sie mir schon ein bißchen von Teschendorf und seinen Menschen erzählen. Und außerdem ist die Luft so mild. Also, wenn es Ihnen recht ist, Onkel Adalbert?«
Der Mann hielt ihr seine schwielige Rechte hin und ließ Christiane aufsteigen.
»Nehmen Sie die Decke, Fräulein. Die Septemberabende sind kühler, als Sie denken«, brummte er gutmütig und setzte die Pferde mit einem lautstarken »Hui!« in Bewegung.
Die beinahe gerade Dorfstraße führte auf eine alte Kirche aus grauen, schweren Bruchsteinen.
Die vergoldeten Ziffern der Turmuhr zeigten genau zwanzig Minuten vor sieben, als Adalbert die Zügel strammzog und die Pferde zum Stehen brachte.
»Hier ist der ›Gasthof zur Traube‹, Fräulein, und drüben sehen Sie auch schon Ihre Schule. Ist sie nicht prächtig?«
Christiane nickte und war plötzlich ein wenig verwirrt. Es erschien ihr merkwürdig, daß um diese Zeit weit und breit kein Mensch zu sehen war.
»Heute ist Gemeinderatssitzung. Da kommen die Kinder früh ins Bett, weil alle Väter und viele Mütter ein Wörtchen mitzureden haben. Man will uns nämlich eine Autobahn durch die Außengemeinde bauen. Aber da machen wir natürlich nicht mit. Dieser Lärm und der Schmutz, ne, ne, Fräulein, mit uns können die Herren aus Trier das nicht machen«, sagte Adalbert prahlerisch und zog Christianes Koffer unter einer grauen Plane hervor.
»Was bin ich Ihnen schuldig, Onkel Adalbert?« fragte Christiane, die inzwischen abgestiegen war.
»Nichts. Das hat der Bürgermeister bereits erledigt. Wir wissen hier schon, was sich gehört, Fräulein. Und wenn Sie mal meinen Enkel, den Herbert Zech, in der Klasse haben sollten, dann bringen Sie ihm nur ordentlich was bei. Er soll es später mal besser haben als ich, verstehen Sie?«
»Ich werde mir den Namen merken. Und vielen Dank noch mal«, sagte Christiane.
Aus der grünen, doppelflügeligen Tür des Gasthofes kam eine rotwangige, gutmütig dreinschauende Frau und rieb sich die Hände an ihrer weißen Kittelschürze.
»Ich heiße Sie willkommen im Namen des Bürgermeisters, der in die Sitzung mußte. Auch im Namen seiner Frau und ebenfalls im Namen des Herrn Hauptlehrers. Ich bin Frau Guterbrodt und freue mich, Sie kennenzulernen.«
Sie bückte sich nach dem Koffer.
»Aber liebe Frau Guterbrodt, das werde ich doch noch selbst können«, sagte Christiane und nahm ihr das schwere Gepäckstück aus der verarbeiteten Rechten.
»Horst, Horst!« rief die Alte aufgeregt. »Komm schnell, das Fräulein ist angekommen!«
Horst kam die sauber gescheuerten Holzstufen heruntergehastet und blieb wie angewurzelt stehen.
Er war glühendrot geworden und machte eine tiefe Verbeugung.
»Sind Sie aber schön. Und so jung«, entfuhr es ihm.
Christiane reichte ihm die Hand und lächelte so vertrauenerweckend, daß der Dreizehnjährige ihr kräftig die Hand schüttelte und dann ihren Koffer aufnahm.
Von seiner Mutter bekam er einen kräftigen Stups in die Seite.
Sie zog zum Zeichen ihrer Empörung ihre üppigen Augenbrauen hoch und brummte:
»Weißt du denn nicht, wie man sich einer Dame gegenüber zu benehmen hat? Dazu noch einer Lehrerin.«
Horst stammelte eine Entschuldigung, und Christiane sagte:
»Nun laß schon, Horst, das ist gar nicht schlimm. Schließlich kommt nicht alle Tage eine neue Lehrerin in euer Dorf.«
Dankbar nickte der Junge und ging die Treppe hinauf.
»Wenn Sie sich von der Reise frisch machen wollen, Fräulein Schroeder. Ich habe Ihr Zimmer gerichtet. Und hoffentlich fühlen Sie sich auch recht wohl bei uns«, meinte Frau Guterbrodt besorgt.
Sie stieß die Tür zu jenem Zimmer auf, das für geraume Zeit Christianes Zuhause werden sollte.
»Es gibt Pökelfleisch mit Weißkraut und Röstkartoffeln. Wenn es recht ist, wird Ihnen gleich alles serviert.«
»Sie sind so nett zu mir«, sagte Christiane gerührt und blickte sich dabei in dem peinlich sauberen Zimmer um.
Das Bett war mit rotkariertem Leinen bezogen. Auch die Vorhänge und die Tischdecke waren aus dem gleichen Stoff.
Der beinahe weiß gescheuerte Holzfußboden wies einen warmen, weichen Schaffellteppich auf, und die hübschen, anheimelnden Möbel waren hellgrün gestrichen und mit bunten Blumenmustern bemalt.
Als Frau Guterbrodt gegangen war, atmete Christiane tief und trat an das offene Fenster.
Ein sanfter Wind wehte den Duft von Astern ins Zimmer. Am Himmelssaum zeigte sich ein blaßviolett getönter Streifen.
Über den Weinbergen hing die Dämmerung mit schweren grauen Schwaden.
In schattiger Ferne glänzte das weiße Schloß mit seinen hochragenden grünen Türmchen.
Ein unbeschreiblicher Friede lag über dieser schlummernden Landschaft. Christiane genoß die Ruhe aus vollem Herzen.
Sie dachte zurück an die letzten Monate in ihrem Elternhaus, dachte an die liebende, verstehende Fürsorge ihrer Mutter, an die beinahe scheue Zurückhaltung ihres Vaters, der sie niemals nach den Geschehnissen in ihrer kurzen Ehe ausgeforscht hatte.
Aber sie hatte gespürt, wie er sich für seinen Schwiegersohn geschämt hatte, als man ihn bei seiner Behörde nach den näheren Umständen der Scheidung fragte.
So sehr sich die Eltern auch über ihre Rückkehr gefreut hatten, so entschieden hatten sie ihrem Entschluß zugestimmt, sich in einen kleinen Ort versetzen zu lassen, wo sie inmitten einer hübschen Landschaft und unter einfachen Menschen ihr Schicksal sicher besser würde überwinden können als in dem hektischen Getriebe einer Großstadt.
Der Abschied war zwar tränenreich gewesen. Aber die Worte und Wünsche ihrer Eltern hatten ihr bewiesen, daß sie bei ihnen immer jenen Halt finden würde, dessen sie in den schweren Stunden dieses Lebens bedurfte.
»Werde wieder froh und heiter wie früher, als du mein kleines, liebes Mädchen warst«, hatte der Vater gesagt und sie fest an sich gedrückt.
Ihre Mutter hatte sie nur innig geküßt und krampfhaft versucht, die Tränen zu verbergen.
Jetzt stützte Christiane beide Ellenbogen auf das weißgestrichene Fensterbrett und blickte versonnen in die immer dichter werdende Dunkelheit hinaus.
*
Ein Geräusch an der Tür erinnerte Christiane, daß es Zeit wurde, sich zu waschen und sich anzuziehen. In einem angrenzenden Raum war ein breites Waschbecken.
Frau Guterbrodt hatte süßlich duftende Seife und einen ganzen Stapel von Handtüchern bereitgelegt, und sogar ein Tübchen Zahnpasta lag auf der glänzenden Porzellanplatte unter dem halbrunden Spiegel.
»Guten Morgen, Fräulein. Wünschen Sie das Frühstück aufs Zimmer, oder kommen Sie zu uns in die Küche herunter?« rief Horst vor der Tür.
Christiane zog sich rasch den erdbeerroten Bademantel über und öffnete.
»Ich frühstücke gern mit euch, Horst. Sag deiner Mutter, daß ich in fünf Minuten unten bin.«
Horst war wieder rot bis in die Haarwurzeln und drehte verlegen sein Taschentuch in den Fingern.
»Werden Sie uns auch unterrichten, Fräulein?« fragte er schüchtern.
»Das sag’ ich dir, wenn ich beim Herrn Hauptlehrer Besuch gemacht habe«, gab Christiane zur Antwort und schloß die Tür wieder.
Sie hörte, wie Horst die Stufen hinuntersprang, und überlegte einen Augenblick, was sie an diesem ersten Tag in Teschendorf am besten tragen sollte.
Das Wetter war spätsommerlich. Das schlichte Hemdblusenkleid aus bunter Baumwolle erschien ihr passend.
Sie bürstete das kurze braune Haar hinter die hübschen Ohren und zupfte ein paar Ponyfransen in die gewölbte Stirn, daß sie bis an die beinahe pechschwarzen Brauenbögen reichten.
Ihre meergrünen, ovalen Augen, die von seidigen langen Wimpern beschattet waren, blickten kritisch in den Spiegel.
Mit einem mattrosa Lippenstift zeichnete sie nur sehr schwach die Linien ihrer weichen, zärtlichen Lippen nach.
Noch ein bißchen Lavendelwasser in die Handflächen, dann war sie soweit.
Schließlich suchte sie