Dr. Daniel 25 – Arztroman: Qual der Erinnerung
Von Marie Francoise
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»Priska! Du bleibst!« herrschte Margarethe Germann ihre Stief-tochter an.
»Ich denke nicht daran! Ab heute bin ich volljährig, und da halten mich keine zehn Pferde mehr in diesem Haus!«
Theatralisch hob Margarethe Ger-mann beide Hände. »Dein armer Vater würde sich im Grab umdrehen, wenn er wüßte, wie du mit mir sprichst.«
Nahezu angewidert sah Priska ihre Stiefmutter an. »Papi würde sich wohl eher im Grab umdrehen, wenn er wüßte, was du mir in den vergangenen Jahren alles angetan hast.«
Dann drehte sie sich einfach um, ergriff den alten verschlissenen Koffer, den Margarethe ihr gnädigerweise zur Verfügung gestellt hatte, und verließ das Haus. Es war, als würde sie aus einem Gefängnis ins Freie treten. Priska blieb einen Augenblick stehen und atmete tief durch.
In diesem Moment hielt das Taxi vor dem Haus, und rasch stieg Priska ein.
»Wo soll's hingehen, junge Frau?« fragte der Fahrer freundlich.
»Weg«, antwortete Priska. »Bloß weg von hier.«
Der Fahrer zeigte sein Erstaunen ganz offen, fuhr aber ohne weitere Fragen los, und erst als er die nächste Ecke passiert hatte, lehnte sich Priska aufatmend in den Polstern zurück. Irgendwie hatte sie immer noch das Gefühl gehabt, ihre Stiefmutter könne sie wieder ins Haus holen. Doch jetzt war sie wirklich frei.
»Zur Sparkasse bitte«, wies sie den Fahrer nun an.
»In Ordnung, junges Fräulein«, meinte er, dann sah er in den Rückspiegel, doch Priska bemerkte den prüfenden Blick nicht. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, was sie mit ihrer neugewonnenen Freiheit anfangen sollte.
»Das macht zehn Mark fünfzig«, erklärte der Fahrer, als er vor der Sparkasse anhielt.
»Ich
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Dr. Daniel 25 – Arztroman - Marie Francoise
Dr. Daniel
– 25 –
Qual der Erinnerung
Marie Francoise
»Priska! Du bleibst!« herrschte Margarethe Germann ihre Stief-tochter an.
»Ich denke nicht daran! Ab heute bin ich volljährig, und da halten mich keine zehn Pferde mehr in diesem Haus!«
Theatralisch hob Margarethe Ger-mann beide Hände. »Dein armer Vater würde sich im Grab umdrehen, wenn er wüßte, wie du mit mir sprichst.«
Nahezu angewidert sah Priska ihre Stiefmutter an. »Papi würde sich wohl eher im Grab umdrehen, wenn er wüßte, was du mir in den vergangenen Jahren alles angetan hast.«
Dann drehte sie sich einfach um, ergriff den alten verschlissenen Koffer, den Margarethe ihr gnädigerweise zur Verfügung gestellt hatte, und verließ das Haus. Es war, als würde sie aus einem Gefängnis ins Freie treten. Priska blieb einen Augenblick stehen und atmete tief durch.
In diesem Moment hielt das Taxi vor dem Haus, und rasch stieg Priska ein.
»Wo soll’s hingehen, junge Frau?« fragte der Fahrer freundlich.
»Weg«, antwortete Priska. »Bloß weg von hier.«
Der Fahrer zeigte sein Erstaunen ganz offen, fuhr aber ohne weitere Fragen los, und erst als er die nächste Ecke passiert hatte, lehnte sich Priska aufatmend in den Polstern zurück. Irgendwie hatte sie immer noch das Gefühl gehabt, ihre Stiefmutter könne sie wieder ins Haus holen. Doch jetzt war sie wirklich frei.
»Zur Sparkasse bitte«, wies sie den Fahrer nun an.
»In Ordnung, junges Fräulein«, meinte er, dann sah er in den Rückspiegel, doch Priska bemerkte den prüfenden Blick nicht. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, was sie mit ihrer neugewonnenen Freiheit anfangen sollte.
»Das macht zehn Mark fünfzig«, erklärte der Fahrer, als er vor der Sparkasse anhielt.
»Ich muß mir erst Geld holen«, entgegnete Priska beinahe schüchtern. »Warten Sie bitte hier auf mich.«
»Das werde ich ganz bestimmt«, versicherte der Fahrer nachdrücklich. Es war offensichtlich, daß er um sein eben verdientes Geld fürchtete.
Doch Priska bekam in der Bank keine Schwierigkeiten. Das Konto, das ihr Vater einst für sie angelegt hatte, stand ihr jetzt, an ihrem achtzehnten Geburtstag, zur Verfügung.
Erleichtert stieg Priska wieder ins Taxi. »Zum Bahnhof, bitte.«
»Vielleicht bezahlen Sie erst mal die zehn Mark fünfzig«, entgegnete der Fahrer mißtrauisch.
Mit zitternden Fingern holte Priska ihre Geldbörse hervor und entnahm ihr einen Zwanzigmarkschein. Es war ungewohnt, daß sie plötzlich auf sich allein gestellt war, und diese fremde Welt hier draußen verunsicherte sie.
Mit der Bezahlung wurde der Taxifahrer wieder freundlich.
»Na, das reicht ja leicht bis zum Bahnhof«, meinte er und fuhr los. Als er dann vor dem Backsteingebäude hielt, bekam Priska sogar noch vier Mark zurück.
Sie betrachtete das Kleingeld in ihrer Hand. Ganz schwach erinnerte sie sich, was ihr Vater immer über Trinkgeld gesagt hatte. Ihre Stiefmutter hatte nie Trinkgelder gegeben, aber Papi hatte immer gemeint, so etwas gehöre sich.
»Stimmt was nicht?« fragte der Fahrer, weil sie so lange zögerte, den Wagen zu verlassen.
»Doch«, antwortete Priska leise. »Ich überlege nur gerade, wieviel Trinkgeld ich Ihnen geben soll.« Sie zuckte ein wenig hilflos die Schultern. »Wissen Sie, ich habe da keine Erfahrung.« Sie zögerte, dann gab sie dem Fahrer die vier Mark zurück.
»Nein, Mädelchen, das ist zuviel«, erklärte er, behielt eine Mark und gab Priska den Rest wieder.
Schüchtern lächelte sie ihn an. »Danke.«
Dann stieg sie aus und betrat das Bahnhofsgebäude. Zuletzt war sie mit ihrem Vater hiergewesen, aber das war schon mehr als zehn Jahre her. In der Zwischenzeit hatte sich eine ganze Menge verändert, und Priska hatte keine Ahnung, wohin sie sich wenden mußte. Völlig verloren stand sie da mit ihrem Koffer und fragte sich verzweifelt, wie es jetzt weitergehen sollte.
Sekundenlang spielte sie mit dem Gedanken, zu ihrer Stiefmutter zurückzukehren, doch diesen Plan verwarf sie ganz rasch wieder. Nie mehr im Leben wollte sie dieses Gefängnis betreten! Irgendwo auf dieser Welt mußte es doch ein Plätzchen geben, wo sie ruhig und friedlich leben konnte.
Noch ein wenig unschlüssig ging sie auf den Fahrkartenschalter zu.
»Einmal Steinhausen und zurück, das macht vierzig Mark«, hörte sie den Mann am Schalter gerade sagen.
Die Dame zückte ihre Geldbörse, entnahm ihr zwei Zwanzigmarkscheine und nahm die Fahrkarte entgegen.
»Was kann ich für Sie tun?« wandte sich der Beamte am Schalter jetzt an Priska.
Erschrocken zuckte sie zusammen. »Ich… ich möchte nach… nach Steinhausen.«
»In welches Steinhausen?« fragte der Beamte zurück.
»Steinhausen am Waldsee oder…«
»Ja«, antwortete Priska rasch. Sie hatte zwar keine Ahnung, wo dieses Steinhausen lag und was sie dort erwartete, aber irgendwo mußte sie ja anfangen zu suchen, wenn sie eine Bleibe finden wollte. Warum also nicht in diesem Steinhausen am Waldsee. Es klang immerhin sehr idyllisch.
»Macht achtundzwanzig Mark fünfzig«, erklärte der Beamte, und Priska wurde klar, daß die Dame vor ihr in ein anderes Steinhausen hatte fahren wollen. »Ihr Zug fährt in zehn Minuten von Gleis drei.«
Priska bezahlte, nahm die Fahrkarte entgegen und blieb dann wieder unschlüssig stehen. Wo mochte wohl Gleis drei sein?
»Ich suche Gleis drei«, wandte sie sich an einen Mann in der blauen Uniform der Bahnpolizei.
»Gleich da vorn«, antwortete er. »Steht doch groß und deutlich geschrieben.«
Priska errötete. »Das habe ich völlig übersehen. Entschuldigen Sie bitte, und… und danke.«
Der Beamte nickte nur, und Priska schaute, daß sie sich so schnell wie möglich entfernte. Atemlos bestieg sie den Zug, vergewisserte sich beim Schaffner aber noch mal, ob sie hier auch richtig war, wenn sie nach Steinhausen wollte.
»Ja, Fräulein, das stimmt schon«, meinte er beruhigend, half ihr noch, ihren Koffer auf der Gepäckablage zu verstauen, und kontrollierte gleich ihre Fahrkarte, bevor er seinen Weg durch den Zug fortsetzte.
Aufatment ließ sich Priska auf den Sitz fallen. Ihr Leben in Freiheit begann, aber was würde es ihr bringen? Sie war doch so entsetzlich hilflos. Und dabei stiegen ihr unwillkürlich Tränen in die Augen. Einen Moment lang bereute sie fast, daß sie diesen Schritt gewagt hatte, doch dann setzte sich der Zug in Bewegung. Ein Zurück gab es jetzt nicht mehr, und Priska wußte, daß sie nun gezwungen war, ihr künftiges Leben irgendwie selbst zu meistern.
*
Dr. Robert Daniel hatte es sich in seinem Wohnzimmer gerade gemütlich gemacht, als es an der Haustür klingelte. Mit einem tiefen Seufzer stand er auf. Der Vormittag war heute wieder einmal recht stressig gewesen, und nun schien es, als sollte ihm nicht einmal eine ruhige Mittagspause vergönnt sein.
»Hochwürden, das ist aber eine nette Überraschung«, meinte Dr. Daniel, als er die Tür öffnete und seinen Besucher erkannte.
Der Pfarrer zeigte ein verlegenes Lächeln. »Tut mir leid, daß ich Sie gerade um diese Zeit stören muß, Herr Dr. Daniel, aber… nun ja, ich hätte eine große Bitte an Sie oder, besser gesagt, an Ihre Frau Schwester.«
Dr. Daniel wunderte sich ein wenig, daß sich Pfarrer Klaus Wenninger so sehr um das Problem herumwand. Normalerweise war er ein sehr direkter Mensch, der durchaus ein bißchen Ähnlichkeit mit dem berühmten Don Camillo hatte.
»Jetzt kommen Sie erst mal herein, Hochwürden«, schlug Dr. Daniel vor. »Und dann muß ich Ihnen leider sagen, daß sich meine Schwester noch immer in Kiel aufhält. Allerdings erwarte ich sie spätestens übermorgen zurück.« Mit einer einladenden Geste bot er dem Pfarrer Platz an. »Darf ich Ihnen ein Glas Wein anbieten, Hochwürden? Ich habe einen ausgezeichneten Moselwein. Ein wirklich edler Tropfen.«
Hochwürden Wenninger lächelte. »Mittags trinke ich ja normalerweise keinen Wein, aber bei diesem verlockenden Angebot kann ich natürlich nicht nein sagen.« Er wartete, bis Dr. Daniel das Glas mit der goldfunkelnden Flüssigkeit auf den Tisch gestellt hatte und sich dann ebenfalls setzte. »Mir scheint, Ihre Schwester hat immer noch großes Heimweh nach Schleswig-Holstein, während es Sie selbst offenbar überhaupt nicht in den Norden zieht.«
Dr. Daniel nickte. »Da haben Sie zweifellos recht. Meine verstorbene Frau war mit ihrer bayerischen Heimat sehr tief verwurzelt, und nach