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Das Fundament des Lebens - Eine sinnliche Geschichte über den Mut einer Frau
Das Fundament des Lebens - Eine sinnliche Geschichte über den Mut einer Frau
Das Fundament des Lebens - Eine sinnliche Geschichte über den Mut einer Frau
eBook297 Seiten3 Stunden

Das Fundament des Lebens - Eine sinnliche Geschichte über den Mut einer Frau

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Über dieses E-Book

Ein Roman voller Geheimnisse, Täuschungen, überraschender Wendungen. Eine mitreißende Geschichte über die Selbstentdeckung und Stärke einer Frau, die dachte, dass sie eigentlich ausgesorgt hat und plötzlich gezwungen ist, ihre neu entdeckte bisexuelle Identität und Promiskuität zu verteidigen.

 

Im Herzen des politischen Berlin befindet sich Anja, eine zielstrebige und erfolgreiche Beamtin, plötzlich inmitten eines Netzwerks aus Intrigen und Manipulationen. Ihr Ehemann gerät unter Verdacht, sich in kriminelle Machenschaften verstrickt zu haben, und Anja wird unbarmherzig mit den eigenen Schattenseiten ihrer Karriere und ihres Privatlebens konfrontiert.

Ein mysteriöser Helfer tritt in ihr Leben, eine Figur, die ihr Rat und Unterstützung verspricht. Aber in der undurchsichtigen Welt der Politik sind Vertrauen und Loyalität fragile Konstrukte, und jede Entscheidung könnte ungeahnte Konsequenzen nach sich ziehen.

Inmitten des Chaos begibt sich Anja auf eine unerwartete Reise der Selbstentdeckung, in der sie sich sowohl ihren verborgenen Wünschen als auch ihrer bisexuellen Identität stellt. Wird es Anja gelingen, die Fesseln der Vergangenheit zu sprengen und den Grundstein für ein neues, authentisches Leben zu legen?

 

"Wissen Sie eigentlich, welchen Schock es bei vielen auslöst, dass Sie nicht nur ein komplexes Privatleben führen, sondern dass Sie damit auch noch glücklich sind und kein Problem haben?"

SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum3. Aug. 2023
ISBN9783910616165
Das Fundament des Lebens - Eine sinnliche Geschichte über den Mut einer Frau
Autor

Alexander Dawian

Alexander Dawian grew up in the Rhineland in the German state of North Rhine-Westphalia, and now lives in Berlin. As a lawyer, he works in the political environment of Germany's capital. He has two grown daughters and lives in an open relationship with his partner, and is dedicated swinger. He has been writing non-fiction under a different name for over 20 years.

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    Buchvorschau

    Das Fundament des Lebens - Eine sinnliche Geschichte über den Mut einer Frau - Alexander Dawian

    1| Frauen

    »Klaus, reicht es nicht langsam mit den Frauen?«, klang es entsetzt aus dem Mobiltelefon, »irgendwann nimmt sich die erste einen Strick, und das mache ich nicht mit.«

    »Nun werde mal bitte nicht nervös, nur die eine habe ich noch«, antwortete Klaus ruhig, »und, mein lieber Schatz, ich wäre dir dankbar, wenn du auch diese eine noch auf den rechten Pfad bringen könntest.«

    »Dann brauche ich aber wieder genaue Informationen, was, wo, wie.«

    »Sie wird bald im Rheinland sein«, beruhigte Klaus, »und sie fährt danach nach Berlin zurück. Und zwar mit der Bahn. Ich bekomme heraus, wann das ist. Dann passt du sie ab. Nebenbei baue ich noch auf Heckmanns Leute. Die können immer einen Vorwand konstruieren. Das nutze ich aus.«

    »Na gut, wenn es dann wirklich aufhört, mache ich das gern für Dich. Wie klappt es mit Goldlöckchen?«

    »Sehr gut«, antwortete Klaus, »die geht bald auf die Seitenlinie. Bloß wird da wohl die eine nachrücken. Die ist jetzt schon viel zu ambitioniert. Also bitte, mach sie zur Sau, mehr ist nicht nötig. Nichts mit Strick also. Den Rest übernehme ich dann.«

    »Wie heißt die denn überhaupt, Klaus?«

    »Anja heißt sie«, antwortete Klaus, »ich sende dir die üblichen Daten zu.«

    ❦ ❦ ❦

    2| Du tropfst

    »Danke. Haben Sie noch einen schönen Abend«, sagte Anja. Je näher das Taxi der Wohnung gekommen war, desto mehr Unruhe verspürte sie. Ihr Bauch hatte gekribbelt, wie damals, wenn sie als Kind zum Schwimmunterricht gebracht worden war und es sich anfühlte, als würde langsam ein Schwimmbecken mitten in ihrem Körper Gestalt annehmen: Angst.

    Sie verließ das Fahrzeug rasch, schritt zur Eingangstür des Altbaus und schloss die Haustür auf. Der Hausflur roch nach immer dem gleichen Putzmittel – und wenn es regnete, trat ein flüchtiger Duft feuchten Gemäuers hinzu. Anja reckte sich empor, um ihren Briefkasten aufzuschließen. Ihr Rucksack, der bis zu ihrem Gesäß reichte, zog sie nach unten.

    Eine Mure aus Briefen fiel aus dem Kasten in ihr Gesicht.

    Anja stieg in den dritten Stock und betrat dort ihre Wohnung. Der Duft wechselte zu wertvollem alten Holz – und dem Putzmittel, das sie selbst aussuchte.

    »Du hättest den Briefkasten ja gerne auch mal leeren können. So zur Abwechslung«, rief sie.

    »Thomas?« Niemand antwortete.

    Anja trat ins Wohnzimmer ein. Das Licht brannte dort.

    »Du tropfst«, hörte sie aus der Ecke.

    »Natürlich tropfe ich, es regnet nämlich«, sagte Anja.

    »Dann komm doch erst einmal an«, antwortete Thomas, »zieh deinen Mantel in aller Ruhe im Flur aus, und leg die anderen Sachen ab, bevor du das Bodenholz noch aufquellen lässt.«

    In Anja stieg Wärme auf. Sie bewegte sich zitternd in den Flur zurück, um den Mantel aufzuhängen, und rief: »Schlauberger.«

    »War es wirklich so schlimm gelaufen?«, fragte Thomas, »du kommst hier rein und hast schlechte Laune. Guten Abend erstmal!«

    Anja ließ den Mantel, den sie noch in der Hand hielt, überrascht fallen. Rasch griff sie wieder nach ihm und hängte ihn an den Haken.

    »Wie du weißt, komme ich gerade aus – na woher wohl?«, fragte sie.

    »Stichworte: Anstrengende Dienstreise; langer Arbeitstag«, tönte es aus der Ecke, »hier in Berlin regnet es. Und du hast dich gefreut, zurückzukommen, und da sitzt dann dein Mann und funktioniert mal wieder nicht richtig. Korrekt?«

    »So ungefähr, fast«, entgegnete Anja. Sie atmete tief durch, damit das flaue Gefühl in ihrem Magen zurückgedrängt werde.

    »Nach neun Jahren Ehe muss man sich wohl nichts mehr sagen«, fuhr sie fort, »das dachte ich zumindest.« Sie biss sich auf die Lippen und erläuterte: »Ich war jedenfalls zu dem Bund-Länder-Treffen in Prag, das fand dort statt, weil die Tschechen gerade die Ratspräsidentschaft in der EU haben.«

    »Anja, was willst du mir denn jetzt eigentlich sagen? Ein Gutenabendgruß klingt anders, du …«, setzte Thomas an.

    Aus Anja platzte heraus: »Was bitte sehr hast du, du, ja, genau, du, in Prag gemacht?«

    »Mich gefreut, dich dort zu treffen«, grummelte Thomas nach einem Zögern, »darf ich das sagen?«

    Anja setzte sich auf einen kleinen Holzhocker, der im Flur stand, und schluckte. Sie kannte solche Dialoge – nicht als den Anfang, sondern als die Mitte vom Ende. In ihrem Leben hatte sie immer, wenn sie erst am Anfang vom Ende gestanden hatte, noch nicht verstanden, in welcher Situation sie sich befand. Die Mitten kannte sie hingegen zur Genüge.

    »Also warst du dort, um mich zu überraschen, oder was?«, sagte sie nach einem kurzen Moment der Stille und sammelte sich. So freundlich, wie sie es vermochte, sagte sie: »Thomas, ich habe einen echt abartigen Tag hinter mir, und du startest jetzt hier mit Comedy durch, was soll das?«

    »Was denn?«, fragte Thomas, und wiederholte: »was denn? Ich verstehe das jetzt nicht. Wieso bist du so unfreundlich zu mir? Anja, ich funktioniere aus deiner Sicht nicht, weil Post im Briefkasten ist, und ich sinke auch in deiner Gunst, weil ich mal in Prag bin. Was in aller Welt stört dich?«

    »Na was wohl«, erwiderte Anja in einem echauffierten Ton, »du sagst einfach gar nichts dazu? Da taucht dort im Hotel, in Prag, urplötzlich mein Mann auf. Und überrascht, ja, das warst du, als ich an dir vorbeiging. Oder reißt du immer so die Augen auf, wenn du mich siehst? Nee, die Zeiten sind leider vorbei.«

    »Anja, ich musste eben vor Ort, in Prag, in ein paar Dokumente hereinschauen«, antwortete Thomas mit einer bemüht ruhigen Stimme, »die Mandanten wollten sie nicht versenden. Da könnte ja etwas abhandenkommen. Also musste ich eben zu den Dokumenten reisen. So etwas muss ich doch als Wirtschaftsprüfer häufiger tun. Und jetzt war es eben Prag. Das war nichts Spektakuläres, ich war nur ein paar Stunden dort. Woher sollte ich denn wissen, dass du auch dort bist? Du hättest ja auch mal stehenbleiben können.«

    Anja räusperte sich und sagte: »Ach so, na, so was. Na klar. Du kannst ja nicht alles erzählen. Deine Schweigepflicht. Sag das doch. Schon gut. Und ich war eben in dem Moment, wo ich an dir vorbeirannte, auf dem Weg zu einen Termin gewesen. Ich war schon zu spät dran und habe deshalb nicht gestoppt. Gegrüßt habe ich dich aber doch. Ich bin jetzt jedenfalls müde und habe keine Lust mehr auf die Diskussion.«

    »Die Diskussion habe ich nicht angefangen«, brummte Thomas noch leise, »und sicherlich hast du gegrüßt, wenn du das jetzt sagst. Ich habe es vielleicht nicht gehört. Also Frieden, bitte.«

    Anja packte ihren Koffer aus.

    Sie sprang auf, griff ihren Schlüsselbund, zog sich rasch Sportschuhe an, verließ stumm die Wohnung und trat in den Regen hinaus. Das nasse Prasseln in ihrem Gesicht gab ihr das Gefühl, sie würde von der Welt gewaschen werden. Weil sie ein wenig fror, beschleunigte sie ihren Gang. Die rauschenden Klänge der Reifen der fahrenden Autos verbargen das Geräusch ihrer Schritte, und das Irrlichtern der bewegten Fahrzeugscheinwerfer verzerrte ihre Gestalt in der Dunkelheit.

    Sie lief, doch es fühlte sich für sie an, als würde sie in der freien Luft und in dem Chaos aus Regen, Wind, Rauschen und Blinken vorwärtsschwimmen. Sie bog um eine Ecke nach der anderen.

    Ihre Gedanken drehten sich um Thomas. Ihr kamen die Tränen. Dass sie sich nicht stets erzählten, wo sie jeweils waren, kam in letzter Zeit häufiger vor. Sie hatte die Information für überflüssig gehalten. Längst war die Zeit vorbei, wo Dienstreisen und ihre Ziele aufregend gewesen sind.

    Anja lief weiter. Andere Fußgänger waren nur ferne Schatten. Die energiesparenden kalten Leuchtdiodenlichter der Straßenlaternen und der Autoscheinwerfer harmonierten mit den grauschwarzen Farben der Nacht. Der Regen, der keine Kontur und keine Farbe hatte, brach das fahle und leblose Weißlicht in überraschungsfreien Varianten. Nichts war warm. Der düstere Schutzschild aus Luft und Wasser fühlte sich vertraut an. Vertraut war er Anja wie ihr eigenes Leben, das sie immer wieder auf ihr Selbst zurückwarf. Einbrecher und Flüchtige wussten die Verborgenheit in Dunkel und Regen zu schätzen, und Anja auch. Sie genoss die momentane Einsamkeit, die eine Entschuldigung lieferte für ihre Angst, allein zu sein. Vorbei waren die warmen Sommertage, ihr blütenweißes Dasein als Braut, das eigentlich immer eine Lüge gewesen war.

    Sie ging weiter und stand wieder vor der Tür ihres Wohnhauses. Ein heimeliges Gefühl entwickelte sie nicht. Tropfend stieg sie die Stufen zur Wohnung hinauf, betrat den Flur und zog sich aus.

    »Gute Nacht, Thomas, ich gehe jetzt ins Bett, bin müde«, rief sie noch ins Wohnzimmer.

    »Ist ok, wenn du ins Bett gehst«, schallte es zurück, »ich arbeite noch etwas, komme dann nach. Hat dir der Spaziergang gutgetan? Und ich bin jetzt also ganz friedlich. Gute Nacht.«

    Nach der Abendtoilette stellte Anja ihr Handy in das Ladegerät, nahm es wieder hinaus und schrieb eine Textnachricht:

    »Ich frage mich immer wieder, was mich mit diesem Mann eigentlich verbindet

    Sie sandte die Nachricht niemals ab. Sie blieb als Entwurf gespeichert.

    Sie fand sich allein im Bett wieder. Auf dem Weg in ihren Schlaf kam ihr flüchtig der Gedanke an den freundlichen, großen estnischen Kollegen mit den schönen Händen, die von ausdrucksvollen, blauen, mäandrierenden Adern geziert waren.

    Ihre eigenen Hände legte sie zwischen ihre Beine und begann, sich dort zu massieren. Die Wut im Bauch verflog. Bevor sie zum Höhepunkt kam, war sie eingeschlafen. Irgendwann in der Nacht muss sich Thomas dazugelegt haben, wie sie am nächsten Morgen feststellte.

    ❦ ❦ ❦

    3| Nachricht

    »Anja, Kind, was ist mit Thomas los?«, fragte Anjas Mutter, »er wollte doch schon in Kaarst angekommen sein. Wir wollten doch die Zeit hier gemeinsam verbringen.«

    Anjas Mutter wartete ab, bis eine scheppernde Ansage auf dem Bahnsteig beendet war, und wiederholte ihre Frage: »Also was ist mit Thomas los? Kind, habt ihr Probleme?«

    »Klar, immer, Mami«, antwortete Anja zynisch, »wir sind doch das Abziehbild einer Problemehe, und bald kommt das Unterschichtenfernsehen für eine Reportage zu uns, das habe ich dir doch erzählt. Freu dich darüber, trärä, deine Tochter ist im Fernsehen, das war es dann aber leider mit der tollen Karrierebeamtin. Wir sind dann das Gespött der Nation. Aber hey, trotzdem ist dann alles super, denn alle haben dann die Anja im Fernsehen gesehen.«

    »Hallo, erst einmal, Kind«, erwiderte die Mutter, um etwas streng fortzufahren: »Anja, darüber macht man keine Witze, sei mal froh, wenn es nicht so ist. Mir schwant da nichts Gutes.«

    »Mami, was ist los?«, fragte Anja nach, die ahnte, dass sie ihrer Mutter wieder einmal nicht gefallen würde, »wieso sollte Thomas etwas zugestoßen sein?«

    »Thomas hatte heute Morgen angerufen«, berichtete die Mutter, »irgendetwas stimmt nicht. Ist er heimlich ausgezogen?«

    »Was war denn genau?«, fragte Anja in einem ängstlichen Tonfall.

    »Ich hoffe wirklich, Kind, es ist nicht dasselbe, wie es bei deinen anderen Männern war, immer wieder«, sagte die Mutter, »er brach auf einmal mitten im Gespräch ab. Ach was, am Anfang des Telefonats war das, bevor er überhaupt wirklich etwas gesagt hatte. Er meinte nur, dass er in eurer Wohnung ist. Da waren dann so komische Geräusche und Stimmen im Hintergrund zu hören. So ein Rumpeln. Jemand hinten im Raum rief etwas. Der sagte, dass irgendetwas eingepackt werden soll, und etwas mit Kartons. Genau konnte ich das nicht verstehen. Und dann brach das Gespräch eben ab. Ich wollte zurückrufen, aber da ging niemand heran. Deshalb dachte ich auch an irgendeinen Notfall. ›Ist der Thomas etwa plötzlich ausgezogen?‹, dachte ich. Und deshalb frage ich dich gleich als erstes. Du wirst doch hoffentlich besser wissen, was da los ist. Ich habe mir die ganze Zeit totale Sorgen gemacht und dich auch nicht erreicht, du warst ja in deiner Sitzung.«

    »Nein Mami, ich habe nichts gehört«, versuchte Anja zu beruhigen, »und das heißt wirklich, dass alles in Ordnung ist. Der kommt sicherlich noch nach. Mich ruft er doch an, wenn etwas sein sollte.«

    »Na, das hoffen wir doch mal«, sagte die Mutter mit dem vertraut skeptischen Ton ihrer Stimme, »egal, dann klärt sich das eben später auf. Aber Anja, Kind, sag mal, Du siehst müde aus. Bist du krank? Komm, ich nehm dein Gepäck. Runter hier vom Bahnsteig. Wie war es überhaupt in Brüssel?«

    Die Mutter streckte sich nach Anjas Koffer.

    »Ich habe etwas verhandelt, was ich vorher in Prag vorverhandelt hatte. So kommt man rum«, sagte Anja und drückte stolz ihre Brust nach vorn in dem Versuch, ihrer Mutter doch einmal zu gefallen.

    Die Mutter stellte sich wieder aufrecht hin und jammerte: »Und ich werde älter und älter.«

    »Ach, komm«, sagte Anja, »du siehst aus wie vor einem Dreivierteljahr, als wir uns das letzte Mal gesehen hatten.«

    »Na, dann lass deine alterslose Mutter mal dein Gepäck nehmen, Kind«, sagte die Mutter und bückte sich weiterhin nach dem Koffer.

    »Danke, ich bin inzwischen groß und stark und trage das alleine«, erwiderte Anja, »ist aber lieb von dir.«

    Anjas Mutter schnalzte leicht mit der Zunge und schaute auf den langen, dunkelroten Zug, aus dem Anja gestiegen war.

    »Das ist also dieser Schnellzug, nimmst du den oft?«, fragte sie, »du bist ja hoffentlich klimabewusst.«

    »Nein«, antwortete Anja, »ich fliege normalerweise von Brüssel nach Berlin. Mit dem Zug ist das eigentlich zu weit. Obwohl – ich habe der Reisestelle bei uns jetzt gesagt, dass ich Bahn fahren möchte, wenn es geht. Das finde ich auch richtiger, so wie du. Der Thalys, so heißt genau dieser Zug hier, fährt aber nur bis Köln.«

    »Woher ich dich jetzt extra abhole«, antwortete die Mutter lachend, »ich komme nicht bis Prag oder Brüssel, aber nach Köln schaffe ich es noch! Im Gegensatz zu Thomas, offensichtlich. Aber nicht, dass der inzwischen in Kaarst vor der geschlossenen Tür steht.

    Komm, ich stehe im Parkhaus unterm Dom, und dann geht es nach Kaarst, da kannst du mal wieder etwas Landluft schnuppern. Das wird dir gut tun. Es war auch nicht so viel Verkehr auf der Hinfahrt, zurück wird es auch schnell gehen.«

    Sie fuhren im Auto der Mutter. Die in satten Farben leuchtenden Felder zwischen den vielen Industriebauten, Silos, Industriebetrieben und Einfamilienhaussiedlungen belebten Anjas Erinnerung an ihre Kindheit. Sie seufzte.

    »Was ist, Kind, sehnst du dich zurück?«, fragte die Mutter, die Anjas Gedanken erahnte.

    »Nicht wirklich, Mami, Berlin ist schon sehr in Ordnung«, antwortete Anja.

    »Nun, was ist denn mit Thomas?«, fragte die Mutter nochmals, »irgendetwas stimmt doch mit euch beiden nicht.«

    »Ehrlich, Mami, neun Jahre sind wir jetzt miteinander verheiratet«, sagte Anja, »und da sollte doch eigentlich alles routiniert und harmonisch sein. Es sollte alles offenliegen. Stattdessen habe ich das Gefühl, dass ich gar nicht weiß, was er so macht.«

    »Als Wirtschaftsprüfer darf er dir ja auch gar nicht alles erzählen, Anja«, belehrte die Mutter sie, »vielleicht ist es das?«

    Anja wusste keine Antwort.

    Sie passierten nach einer Autobahnfahrt das Ortseingangsschild von Kaarst. Die Stadt verkörperte etwas wie einen »deutschen Traum«. Mit ihren vierzigtausend Einwohnern war sie einer der vielen Einfamilienhaus-Orte zwischen Düsseldorf, Krefeld und Mönchengladbach. Die Menschen, die dort wohnten, sagten nach wie vor, sie lebten »auf dem Lande«. Und sie glaubten es.

    Anja war dort gutsituiert aufgewachsen: »Über Geld spricht man nicht, man hat es«, hatte sie oft gehört. Man merkte den Einheimischen an, dass die Gegend, in der Kaarst lag, in ihrer Geschichte fast immer wohlhabend gewesen war. Wer zur Miete wohnte, galt dort als arm. Mit Mietern hatten die Kaarster Mitleid. Die meisten der Zuwanderer aus vielen Ländern, die sich hier niederließen, nahmen rasch die Einstellung und Gebräuche der Einheimischen an. Nur arbeiteten sie im Vergleich noch mehr. Die Chancenlosen unter ihnen hielten es in diesem Landstrich nicht aus und verschwanden nach kurzer Zeit.

    Anja und ihre Mutter waren an ihrem Ziel angekommen und betraten das Haus, in dem Anja gelebt hatte, bis sie ausgezogen war, um zu studieren.

    »Ich fühle mich gerade ganz schlecht, einfach schwindlig, Mami«, sagte sie, »als klappe ich gleich zusammen.«

    »Komm, ich mache dir eine Bouillon mit Ei, Kind, du bist ja ganz durchgefroren«, sagte die Mutter.

    »Ja, so wie damals immer nach dem Schwimmen«, entgegnete Anja.

    Ihr stieg der vertraute Geruch des Elternhauses in die Nase, der verriet, dass Qualitätsholz verarbeitet worden war.

    Nachdem Anja abgelegt hatte, stutzte sie: »Thomas ist immer noch nicht hier. Und ich hatte schon befürchtet, er steht vor der Tür, und niemand lässt ihn hinein. Ich habe auch keine Nachricht von ihm erhalten.«

    »Anja, wenn ihr Probleme habt, kannst du mir das ruhig sagen«, sagte die Mutter in einem versucht einfühlsamen Tonfall.

    »Alles ok, das wird sich sicherlich rasch aufklären«, meinte Anja, »vielleicht hatte er es versucht, während du mich abgeholt hattest, und ist dann, als niemand aufmachte, noch kurz woanders hingefahren.«

    Sie setzte sich gemeinsam mit der Mutter ins Wohnzimmer und begann, ihre Bouillon zu löffeln. Die Mutter griff zur Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein.

    »Nachrichten im Zweiten«, murmelte sie, und Anja fragte sich, wieso ihre Mutter nie die Gewohnheit ablegte, den Fernseher sogar dann einzuschalten, wenn Besucher im Wohnzimmer waren. Vielleicht stellte ihre Person für die Mutter auch keinen richtigen Besuch dar. Vielleicht wohnte Anja in Mutters Augen noch halb in Kaarst. Ihre Fernsehnachrichten brauchte die Mutter jedenfalls täglich, pünktlich um sieben.

    Die Schlagzeilen flimmerten über den Bildschirm. Anja hasste es, Nachrichten zu schauen. »Die Hälfte dessen, was dort berichtet wird, erfahre ich im Laufe des Tages im Büro«, murmelte sie zu ihrer Mutter, »und die andere Hälfte interessiert mich nicht. Und über das, was interessant ist, kenne ich die Einzelheiten viel genauer, als die …«

    Anja stutzte. Sie fand die Nachrichtensprecherin, die zu der Schlagzeile »Festnahmen bei Wirtschaftsprüfungsunternehmen« eine Meldung verlas, äußerst hübsch:

    »Im Finanzskandal um den Kreditfinanzierer DeKreF sind drei Mitarbeiter des Wirtschaftsprüfungsunternehmens PWMG festgenommen worden. Näheres berichtet unsere Korrespondentin Lisa Meyerhagen.«

    Das Bild wechselte zu einer jungen Journalistin, die mit einem Mikrofon in der Hand vor einem Gebäude in Berlin stand. Anja erkannte den Bau wieder. Darin befand sich Thomas’ Arbeitsplatz.

    »Die drei Wirtschaftsprüfer von PWMG haben nach Überzeugung der Berliner Staatsanwaltschaft jahrelang bewusst falsche Testate für Jahresabschlüsse erteilt. Sie sollen bestätigt haben, dass die DeKreF Vermögen besitzt, das in Wirklichkeit nicht vorhanden war.

    Die Leidtragenden sind unter anderem ausländische Studierende, die sogenannte Sperrkonten zur Finanzierung ihres Aufenthalts in Deutschland angelegt hatten. Die Vorwürfe, wenn sie sich bestätigen, dürften ein harter Schlag für den Standort …«

    Anja hörte gar nicht weiter zu. Sie lief in den Flur, wo sie ihre Tasche abgelegt hatte, und holte daraus ihr Handy hervor – das sich nicht einschalten ließ. Der Akku war leer. Anjas Herz pochte. Sie schloss kurz die Augen und öffnete sie wieder, gerade bevor sie das Gleichgewicht verlor.

    »Mist!«, rief sie, und zwang sich im letzten Augenblick dazu, das Handy nicht wütend in eine Ecke zu werfen. Mit weit aufgerissenen Augen verfolgte ihre Mutter schweigend Anja, die wieder ins Wohnzimmer zurückgekehrt war und ziellos von einer Wand zur anderen lief.

    »Ich muss den Kreislauf oben halten, Mami«, nuschelte sie.

    »Ist da etwa Thomas verhaftet worden?«, fragte die Mutter nach einer Weile.

    »Ich weiß es nicht!«, brüllte Anja, »ich wüsste es gern, ich weiß es nicht! Ich bin abgeschnitten. Mein Handy – kein Wunder, dass ich

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