Dr. Daniel 81 – Arztroman: Niemand hörte ihre Schreie
Von Marie Francoise
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Der Mann mit der schwarzen Strumpfmaske, die lediglich Mund und Augen erkennen ließ, beugte sich über sie. Sie schloß die Augen, doch sie konnte ihn riechen. Es war ein ekelhafter, beißender Geruch, der ihr in die Nase stieg. Sie fühlte seine kräftigen, harten Hände, die ihre Handgelenke umklammerten, und sie wußte, was er in den nächsten Augenblicken mit ihr tun würde. Sie wußte es, obgleich sie nichts hören konnte. Sie fühlte sein Gewicht auf ihr, und der ekelerregende Geruch, der von ihm ausging, verstärkte sich noch, als sein maskierter Kopf ihrem Gesicht immer näher kam. Seine feuchten, heißen Lippen berührten ihre Wange. Sie wollte schreien, öffnete ihren Mund und wußte doch, daß es völlig zwecklos war. Niemand würde ihre Schreie hören. Niemand…
Schweißgebadet fuhr Nikola Forster hoch. Das Nachthemd klebte an ihrem Körper, und ihr langes, dunkles Haar hing in feuchten Strähnen um ihre Schultern. Sie zitterte in der Erinnerung an den schrecklichen Traum, den sie gerade wieder gehabt hatte… Es war ein Traum, der sie Nacht für Nacht verfolgte.
Langsam verließ sie ihr Bett, tapste barfuß durch die Wohnung und überzeugte sich davon, daß jedes Fenster zu und die Tür zum Hausflur verriegelt war. Um sie her herrschte Totenstille, doch das war für sie ein ganz natürlicher Zustand. Nikola war von Geburt an taubstumm und hatte in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren gelernt, damit zu leben.
Jetzt stand sie im Bad und der Spiegel gab das Bild einer zarten Schönheit mit sanft geschwungenen Lippen und großen dunklen Augen zurück. Mit noch immer zitternden
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Dr. Daniel 81 – Arztroman - Marie Francoise
Dr. Daniel
– 81 –
Niemand hörte ihre Schreie
Marie Francoise
Der Mann mit der schwarzen Strumpfmaske, die lediglich Mund und Augen erkennen ließ, beugte sich über sie. Sie schloß die Augen, doch sie konnte ihn riechen. Es war ein ekelhafter, beißender Geruch, der ihr in die Nase stieg. Sie fühlte seine kräftigen, harten Hände, die ihre Handgelenke umklammerten, und sie wußte, was er in den nächsten Augenblicken mit ihr tun würde. Sie wußte es, obgleich sie nichts hören konnte. Sie fühlte sein Gewicht auf ihr, und der ekelerregende Geruch, der von ihm ausging, verstärkte sich noch, als sein maskierter Kopf ihrem Gesicht immer näher kam. Seine feuchten, heißen Lippen berührten ihre Wange. Sie wollte schreien, öffnete ihren Mund und wußte doch, daß es völlig zwecklos war. Niemand würde ihre Schreie hören. Niemand…
Schweißgebadet fuhr Nikola Forster hoch. Das Nachthemd klebte an ihrem Körper, und ihr langes, dunkles Haar hing in feuchten Strähnen um ihre Schultern. Sie zitterte in der Erinnerung an den schrecklichen Traum, den sie gerade wieder gehabt hatte… Es war ein Traum, der sie Nacht für Nacht verfolgte.
Langsam verließ sie ihr Bett, tapste barfuß durch die Wohnung und überzeugte sich davon, daß jedes Fenster zu und die Tür zum Hausflur verriegelt war. Um sie her herrschte Totenstille, doch das war für sie ein ganz natürlicher Zustand. Nikola war von Geburt an taubstumm und hatte in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren gelernt, damit zu leben.
Jetzt stand sie im Bad und der Spiegel gab das Bild einer zarten Schönheit mit sanft geschwungenen Lippen und großen dunklen Augen zurück. Mit noch immer zitternden Händen wusch Nikola ihr Gesicht, kühlte die heißen Wangen mit kaltem Wasser und fühlte sich danach doch nicht besser. Der ekelhafte Geruch des Mannes, den sie im Traum so plastisch gespürt hatte, schien sie immer noch zu umgeben. Seit jenem schrecklichen Tag hatte sie sogar das Gefühl, als wäre er allgegenwärtig. Nicht einmal in Kais Nähe verschwand er.
Mit ihren nassen Händen fuhr sich Nikola durch das verschwitzte Haar. Sie wünschte, Kai wäre jetzt hier. In seiner Gegenwart war alles erträglicher, wenn sie auch seine Umarmungen seit jenem grauenhaften Erlebnis nicht mehr ertragen konnte.
Nikola zog ihr Nachthemd aus und hängte es zum Trocknen über den kleinen Kleiderständer, den sie neben dem Fenster aufgestellt hatte, dann holte sie aus dem Schrank einen Pyjama. Er war aus Frottee und eigentlich für sehr kalte Winternächte gedacht, doch nach diesen schrecklichen Träumen fror Nikola immer ganz entsetzlich. Auch jetzt empfand sie den Pyjama als angenehm kuschelig.
Sie kehrte ins Schlafzimmer zurück und legte sich wieder ins Bett, doch sie behielt die Augen offen. Obwohl es erst drei Uhr morgens war, wollte sie nicht wieder einschlafen. Sie hatte Angst, der Traum könnte zurückkehren.
Mit beiden Händen tastete sie über ihren Bauch. Der dumpfe Schmerz war wieder da. Seit jenem schrecklichen Tag kam er immer wieder. Kai wußte nichts davon. Er hatte keine Ahnung von ihren Alpträumen… ihrer entsetzlichen Angst. Sie hatte es ihm einfach nicht sagen können.
Tränen brannten in Nikolas Augen. Wie schön war doch alles gewesen! Doch nun… jede Stunde ihres Lebens war geprägt von scheußlichen Erinnerungen und entsetzlicher Angst… einer Angst, die sie vermutlich nie wieder loswerden würde.
*
Kai Horstmann sah seiner Verlobten sofort an, daß sie wieder eine schreckliche Nacht hinter sich hatte. Mit einer Schauspielkunst, die ihn andernorts zweifellos berühmt gemacht hätte, zauberte er einen Ausdruck von Besorgnis auf sein Gesicht, dabei war ihm Nikola selbst herzlich gleichgültig. Nicht jedoch das, was hinter ihr stand: Ein gutgehendes Hotel, das sie nach dem Tod ihres ohnehin seit Jahren kränkelnden Vaters erben würde, und etliche Grundstücke, deren Verkauf Kai ein sorgenfreies Leben sichern würde. Dafür nahm er eine taubstumme Frau gern in Kauf.
»Du siehst blaß aus«, signalisierte er ihr nun in Zeichensprache, die er vor zwei Jahren ihretwegen gelernt hatte.
»Ich weiß«, gab sie zurück. »Ich habe schlecht geschlafen.« Sie zögerte kurz, entschloß sich dann aber zumindest zu einem Teil der Wahrheit. »Ich habe seit einiger Zeit arge Unterleibsschmerzen.«
»Wir werden noch heute zum Arzt gehen«, beschloß Kai. Er sah, wie Nikola schon den Kopf schütteln wollte und mit den Händen zu einer Erwiderung ansetzte, doch mit einer energischen Handbewegung wischte er ihren Einwand beiseite.
»Du mußt zum Arzt«, bedeutete er ihr. »Mit derlei Dingen ist nicht zu spaßen.«
Nikola blickte in sein Gesicht und war gerührt von der Besorgnis, die sie darin entdecken konnte.
Sie nickte ergeben und sagte durch ihre Hände: »Na schön, wenn du meinst.«
Mit einer fürsorglichen Geste begleitete Kai seine Verlobte zum Auto und hielt ihr zuvorkommend die Tür auf, bis sie eingestiegen war, dann setzte er sich hinter das Steuer und fuhr los. Die gedämpfte Schlagermusik, die aus dem Autoradio klang, wurde zur vollen Stunde ausgeblendet, dann erzählte der Nachrichtensprecher von geplanten Maßnahmen im Bundeshaushalt und von einer neuerlichen brutalen Vergewaltigung, bei der das Opfer schwer verletzt überlebt hatte. Kai schaltete das Radio aus und warf Nikola einen kurzen Blick zu, doch sie sah unverwandt durch die Windschutzscheibe in den trüben, naßkalten Tag hinaus.
Kai mußte nicht lange nach der Frauenarztpraxis suchen. Obwohl Nikola erst vor kurzem die Hektik der Stadt mit der Ruhe des idyllisch gelegenen Steinhausen vertauscht hatte und Kai nach wie vor in München lebte, hatte er sich hier in diesem Vorgebirgsort schon über die gängigen Einrichtungen informiert, und so lenkte er seinen Wagen nun langsam die steile Auffahrt hinauf, die zur Praxis von Dr. Daniel führte. Auf dem großen Patientenparkplatz hielt er an, war Nikola wiederum beim Aussteigen behilflich und begleitete sie zu der schweren, eichenen Eingangstür.
Dr. Robert Daniel, Arzt für Gynäkologie, stand auf einem großen Messingschild, darunter: Dr. Manon Daniel, Ärztin für Allgemeinmedizin. Auch die Sprechzeiten waren verzeichnet, und genau darauf wies Nikola nun.
»Ich bin nicht angemeldet«, gab sie zu bedenken, doch Kai zuckte ungerührt die Schultern.
»Na und?« bedeuteten seine Hände. »Du hast Schmerzen, somit bist du ein Notfall.« Er lächelte sie an, während seine Hände fortfuhren: »Laß mich nur machen.«
Er drückte auf den Klingelknopf neben dem Schildchen ›Praxis‹, und mit einem dezenten Summen sprang die Tür auf. Nikola und Kai gelangten in ein modern eingerichtetes Vorzimmer. Die junge Empfangsdame Gabi Meindl lächelte ihnen unverbindlich entgegen.
»Guten Tag, mein Name ist Horstmann«, stellte sich Kai vor, dann wies er auf seine Begleiterin. »Meine Verlobte hat starke Unterleibsschmerzen. Da es sich also um einen Notfall handelt, gehe ich davon aus, daß sie gleich drankommt.«
Gabi ärgerte sich über das anmaßende Verhalten des jungen Mannes, ließ es sich aber zumindest vorerst noch nicht anmerken. demonstrativ wandte sie sich der jungen Frau zu.
»Wie ist Ihr Name?« wollte sie wissen.
»Meine Verlobte kann Ihre Frage zwar sehr gut von den Lippen ablesen, aber zu einer Antwort wird sie leider nicht fähig sein«, mischte sich Kai ein. »Sie ist nämlich seit ihrer Geburt taubstumm.«
Gabi war sichtlich betroffen.
»Das tut mir leid«, murmelte sie und vergaß