Mami 1823 – Familienroman: Für einen Anfang ist es nie zu spät
Von Myra Myrenburg
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Ausnahmsweise war Roberts Geburtstag pünktlich gefeiert worden, nämlich am zwölften Mai, nicht am darauf folgenden Wochenende oder etwa noch später. Ein halbes Dutzend Kinder seiner Wahl hatten die Wohnung gestürmt, den Hof in ein Indianerlager verwandelt und die Katzen verunsichert. Alle Hausbewohner der oberen Stockwerke waren vorher in Kenntnis gesetzt und nachher mit Baumkuchen versöhnt worden. Dagmar atmete erleichtert auf, weil einer der heikelsten Tage des Jahres wieder einmal zur allgemeinen Zufriedenheit verlaufen war.
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Mami 1823 – Familienroman - Myra Myrenburg
Mami –1823–
Für einen Anfang ist es nie zu spät
Roman von Myrenburg Myra
Ausnahmsweise war Roberts Geburtstag pünktlich gefeiert worden, nämlich am zwölften Mai, nicht am darauf folgenden Wochenende oder etwa noch später. Ein halbes Dutzend Kinder seiner Wahl hatten die Wohnung gestürmt, den Hof in ein Indianerlager verwandelt und die Katzen verunsichert.
Alle Hausbewohner der oberen Stockwerke waren vorher in Kenntnis gesetzt und nachher mit Baumkuchen versöhnt worden. Dagmar atmete erleichtert auf, weil einer der heikelsten Tage des Jahres wieder einmal zur allgemeinen Zufriedenheit verlaufen war. Das Geburtstagskind, nunmehr acht Jahre alt, kam erst abends dazu, seine Geschenke zu sortieren, während in der Küche nebenan seine Mutter Dagmar und seine Großtante Ellinor vor einem gigantischen Abwasch standen.
»Du könntest eine Spülmaschine gebrauchen«, bemerkte Ellinor, ein Küchentuch in der Hand, ein zweites über die Schulter drapiert.
»Ach was«, erwiderte Dagmar entschieden, »erstens kommt so ein Mammut-Aufwasch nur selten vor, zweitens gibt es eine Menge Sachen, die bedeutend nötiger wären.«
»Von wem habe ich das Hundert-Teile-Puzzle gekriegt?« rief Robert durch die geöffnete Flügeltür.
»Keine Ahnung!« rief Dagmar zurück und ließ geräuschvoll Wasser ins Becken laufen.
»Das schaffe ich doch nie, nie, nie!«
»Was?« fragte Dagmar zerstreut.
»Hör gar nicht hin«, raunte Tante Ellinor, »er will nur diskutieren! Dafür haben wir jetzt keine Zeit, sonst stehen wir noch um zehn Uhr hier! Ich bin schon froh, daß jemand ein Spielzeug für drinnen geschenkt hat, statt all dieser Federbälle und Ping-Pong-Schläger und Bumerangs, die nur draußen zu gebrauchen sind. Als ob wir ein umzäuntes Grundstück hätten und dazu noch im Süden lebten, nicht in Dockendorf, wo man ständig vor Regenschauern flüchten muß.«
Dagmar hob die Schultern und ließ sie wieder sinken, denn auch sie hatte Robert kein Kasperl-Theater geschenkt und keine schöne große Schiefertafel mit bunten Kreiden, so wie Tante Ellinor, sondern ein Fahrrad, genauer gesagt, sein Wunsch-Fahrrad, quittegelb mit froschgrün lackiertem Drahtkorb, mit Luftpumpe und Lenkradschloß, dazu einen Helm, der ihm das Aussehen eines Marsmenschen verlieh, und ein Regencape, ebenfalls leuchtend gelb.
»Und der Rucksack? Von wem ist der?« kam Roberts Stimme ratlos aus dem Wohnzimmer.
»Von Petra«, gab Dagmar unverzüglich zurück, denn diesmal wußte sie ausnahmsweise genau Bescheid. Petra war die Tochter ihrer Freundin Sybille, die vernünftig genug gewesen war, sich vorher mit ihr abzustimmen.
»Ist das vielleicht ein Mädchen-Rucksack?« rief Robert mißtrauisch.
»Quatsch! Rucksäcke sind für alle Kinder gleich, so wie Gummistiefel!«
»Also, ich weiß nicht.«
»Glaubst du mir etwa nicht?«
»Doch, doch, aber ich wünschte, ich könnte noch jemanden fragen.«
Dagmar krauste die Nase und wechselte einen Blick mit ihrer Tante Ellinor.
Sie wußten beide, was er sagen wollte.
In letzter Zeit schien Robert das männliche Element in seinem Leben zu vermissen. Seitdem auch die Klassenleitung in der Schule einer Lehrerin übertragen worden war, hatte er nur noch mit Frauen zu tun.
»Ist ja auch ein bißchen öde«, meinte sogar Tante Ellinor.
»Na, hör mal«, ereiferte sich Dagmar, »er hat ein halbes Dutzend Freunde, die er täglich sieht!«
»Aber die sind nicht kompetent! Keine Autoritäten!«
»Gott sei Dank! Das fehlte mir gerade! Ich brauche keinen, der meinen Sohn beeinflußt, am Ende noch gegen mich! Nein, nein, Tante Ellinor, ich ziehe dieses Kind allein groß! Ich bin vielleicht keine Super-Mutter, aber ich tue, was ich kann. Dafür bin ich auch die einzige Instanz!«
»Reg dich nicht auf, Dagmar. Ich bin auf deiner Seite, das war ich immer, das weißt du. Aber der Junge wird seine Kreise nun mal erweitern wollen.«
»Jetzt noch nicht!«
»Wie du meinst, aber denk trotzdem mal darüber nach.«
Erst gegen neun Uhr abends war die Parterrewohnung in der Siebertstraße siebzehn soweit aufgeräumt, daß man am nächsten Morgen nicht betäubt die Augen schließen mußte.
Ellinor hatte sich in ihre eigenen vier Wände begeben, die im dritten Stock lagen, und Robert war inmitten seiner Geschenk-Berge glücklich und zufrieden eingeschlafen. Das Fahrrad lehnte am Kleiderschrank, der gelbe Plastik-Umhang wehte vom Fenstergriff.
Dagmar schloß die Tür und lief auf leisen Sohlen zum Telefon, das auf der Blumenbank zwischen Küche und Wohnraum schnurrte. Sobald ihr Sohn schlafen ging, stellte sie den Apparat auf die geringste Lautstärke.
»Tut mir leid, daß ich dir überhaupt nicht zur Hand gehen konnte«, kam Sybilles Stimme gedämpft durch den Draht, »Petra hat erzählt, alle hätten sich großartig amüsiert, und es wäre den ganzen Nachmittag drunter und drüber gegangen.«
»Stimmt, sie haben getobt wie die Weltmeister, aber Geburtstag ist schließlich Geburtstag, und er findet nur einmal im Jahr statt.«
»Ein Glück! Öfter könnte man sich so was gar nicht antun«, erwiderte Sybille heiter, »ich denke immer noch an unsere Konfettischlacht im letzten Februar, als Petras Geburtstag auf Rosenmontag fiel! Bis heute finde ich noch kleine bunte Schnitzel in den Ritzen vom Parkett! Also, was ich sagen wollte – du hast nicht zufällig was von Maisbauers gehört?«
»Nein«, knurrte Dagmar.
»Ich auch nicht«, versicherte Sybille hastig, »woher denn auch, wo ich gar keinen Kontakt zu ihnen habe! Aber Peter hat ja einen Freund beim Sender, der über vier Ecken mit ihnen verwandt ist. Der hat ihm erzählt, daß Rüdiger kürzlich zu Geld gekommen ist!«
»Na wenn schon!«
»Ich dachte, es interessiert dich vielleicht – nicht persönlich, natürlich, nur wegen Robert.«
»Weder persönlich noch wegen Robert. Bille, was denkst du denn! Der Mann ist mir so fern wie der Mond!«
»Mag sein, aber er ist der Vater deines Kindes, das steht nun mal fest, und insofern…«
Sybilles Stimme verklang. Der Satz blieb unvollendet.
Eine Weile herrschte peinliche Stille in der Leitung.
»Sonst noch was?« fragte Dagmar knapp.
»Okay, vergiß es«, murmelte Sybille, »ich kann die Kinder morgen nachmittag von der Turnstunde abholen, falls du es nicht schaffst.«
»Fein, dann brauche ich Vanderbeekes nicht zu bitten. Täte ich sowieso nur ungern.«
»Weiß ich doch. Also dann bis morgen. Mach dir einen ruhigen Abend nach dem turbulenten Tag.«
»Tschüs«, sagte Dagmar, legte den Hörer auf und schüttelte minutenlang mißmutig den Kopf.
War es zu fassen?
Wenn schon Sybille Fechter, ihre beste Freundin – bei Licht betrachtet sogar ihre einzige – es nicht lassen konnte, alle Jahre wieder auf Rüdiger Maisbauer zurückzukommen, was sollte man dann von vergleichsweise fernstehenden Leuten erwarten!
Rüdiger – mein Gott!
Ein lieber, netter, phantasievoller Mensch, ein bißchen verrückt, einer, der Seifenkisten-Rennen organisierte, auf Stelzen durch die Innenstadt lief, seine Mitmenschen schockte und foppte, nur zum Spaß studierte – was war es doch gleich? Mikrobiologie? Astrophysik?
Ein Schelm mit blauen Schelmenaugen unter schräg geschnittenem glattem Blondhaar – ach ja.
Rüdiger Maisbauer, der die Narrenfreiheit gepachtet hatte, der sein Leben als lockeren Balance-Akt betrachtete – was für eine Enttäuschung war er gewesen, was für ein unglaublicher Feigling!
Mit welch affenartiger Geschwindigkeit hatte er sich abgesetzt, als er von einem Kind