Esthers Blätterwald: Kurzgeschichten
Von E. S. Schmidt
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Über dieses E-Book
Sie handeln von Ankunft und Abschied, Rache und Erlösung, Liebe und Tod.
Fast immer aber geht es um Hoffnung.
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Buchvorschau
Esthers Blätterwald - E. S. Schmidt
E. S. Schmidt
Esthers Blätterwald
Kurzgeschichten
eBook-Ausgabe 2022
Copyright © Esther S. Schmidt, Frankfurt am Main
www.esther-s-schmidt.de
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung der Autorin wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Esther S. Schmidt
Satz: Esther S. Schmidt
epubli, ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Vorwort
Für einen Schriftsteller sind Kurzgeschichten eine Möglichkeit, sich auszuprobieren. Stilmittel, Genres, Ideen lassen sich rasch umsetzen. Zudem zeigen einem die Ergebnisse von Wettbewerben und Ausschreibungen, ob man schon gut genug ist, um in eine Zeitschrift oder Anthologie aufgenommen zu werden. Vielleicht ist es dann ja auch an der Zeit, mal mit dem großen Roman zu beginnen.
Ich danke daher den Klein- und Kleinstverlagen, die immer wieder Anthologien finanzieren, auch wenn sich damit erfahrungsgemäß kein Geld verdienen lässt. Ihr fördert den Nachwuchs!
Die folgenden der in diesem Band versammelten Geschichten wurden bereits erstveröffentlicht, und zwar:
Die Leine: Verlassene Orte, Corinna Griesbach (Hrsg.), p.machinery, 2012
Im Café: Naturkost Kalender, Bio-Verlag GmbH, 2009
Einsamkeit: Rote Lilo Trifft Wolfsmann, Duft des Doppelpunktes (Hrsg.), 2008
Kaslov: Schreib-Lust Print, Schreiblust-Verlag, 2009
Der Einzelgänger: Geschichten auf vier Pfoten, Codi-Verlag, 2011
Bombenkeller
Als Kind denkt man, dass die eigene Mutter schon immer genau das gewesen ist – eine Mutter. Man glaubt, dass sie schon immer unter der Woche arbeiten gegangen ist, schon immer am Wochenende Kuchen gebacken und schon immer beim Fernsehen gebügelt hat. Erst später wird einem klar, dass auch sie einmal ein junges Mädchen gewesen ist, mit schwarzen Zöpfen und weißen Kniestrümpfen.
Zu der Zeit, als meine Mutter schwarz bezopft und weiß bestrumpft ist, wütet ein furchtbarer Krieg. Ein Krieg, der nach Sirenen klingt und nach dumpfen Detonationen. Ein Krieg der dunklen Keller, dessen Zerstörung man nicht sieht, während sie geschieht, sondern erst danach, wenn man aus den Kellern wieder hinaufsteigt in eine entsetzlich veränderte Welt. Ein Krieg, der mehr noch als alle vorangegangenen in den Köpfen stattfindet, nicht nur wegen der allgegenwärtigen Propaganda, sondern auch wegen der Bilder, die in den Köpfen entstehen, während man sich mit Anderen im Bunker zusammengedrängt, lauschend auf das mechanische Heulen, das zugleich ängstigt und beruhigt – denn direkt unter den Bomben hört man deren Heulen nicht.
Zum Zeitpunkt, an dem meine Geschichte einsetzt, wird meine Mutter auf dem Weg durch den Grüneburg-Park vom Warnsign1al der Sirenen überrascht. Fliegeralarm. Sie ist ein Kriegskind, sie weiß, was zu tun ist, wenn die Sirenen singen.
Als befinde sich eine entsetzliche Kreatur in der Mitte des Parks streben die Menschen nach allen Richtungen hinaus – im Nu ist er menschenleer. Nur ein einzelner Mann steht verloren auf der Lindenwiese, steht dort wie verwirrt und schaut sich um.
»Kommen Sie!«, ruft meine Mutter ihm zu und winkt. »Wir müssen in die Kaiser-Siegmund-Straße!«
Der Mann dreht sich um, und ob er ihre Worte versteht oder ihr Winken, jedenfalls kommt er zu ihr herüber. Ein junger Mann ist er, gute Figur, dunkles Haar, intensive, blaue Augen. Vielleicht schaut meine Mutter ihn ein wenig kokett an, vielleicht verguckt sie sich sogar ein bisschen in ihn – wenn sie auch noch recht jung ist und Kniestrümpfe trägt.
Doch der Bunker in der Kaiser-Siegmund-Straße ist weit weg. Schon hört man aus der Ferne die Motoren brummen. Die Beiden mischen sich unter die Leute, die in ein Wohnhaus drängen, dessen Keller zu einem Schutzraum ausgebaut wurde. Meine Mutter hat hier schon manches Mal gesessen und kennt das eine oder andere Gesicht. Vielleicht durch Zufall kommt sie neben dem Mann aus dem Park zu sitzen. Er kauert vornübergebeugt, die Ellenbogen auf die Beine gestützt, den Kopf gesenkt, als ob er niemanden anschauen wolle.
Eng ist es im Keller und muffig. Meine Mutter lernt in diesen Tagen, dass Angst stinkt: nach Schweiß, nach Mundgeruch und nach den Eimern hinter den Türen, die mit »Männer« und »Frauen« beschriftet sind. Niemand spricht. Wer mag schon plaudern, wenn um ihn her die Welt in Trümmer geht?
Ein Heulen, dann eine Erschütterung. Eine Frau hebt lauschend den Kopf. »Das war im Norden. Vilbel, vielleicht, oder Friedberg.«
Natürlich kann sie das unmöglich aus dem dumpfen Poltern herausgehört haben, doch einige nicken. In den Köpfen entstehen Bilder brennender Dörfer.
»Die Tommys sollen schon fast am Rhein sein«, sagt ein Mann.
Wieder Bilder, von Panzern diesmal und Soldaten, die unerbittlich näher rücken, und von denen man nur Schlechtes zu erwarten hat. Lassen sie nicht die Bomben regnen? Werden sie sich nicht rächen wollen für den Krieg, den Deutschland ihnen gebracht hat.
»Die kamen von Westen, nicht wahr? Nicht von Norden, diesmal. Sie waren doch einer der letzten. Haben Sie die Bomber schon gesehen?«
Die Worte sind an den Mann aus dem Park gerichtet, doch der schaut nicht auf, antwortet auch nicht. Fragende Blicke treffen ihn.
»Wollen Sie dem Herrn nicht antworten?«
Jemand stößt ihn an. Er sieht hoch – ein stummer Blick, nicht ohne Intelligenz, doch ohne Verstehen.
Und jetzt entstehen andere Bilder in den Köpfen: Von einem britischen Soldaten, der abgeschossen wurde. Von einem Ballen Fallschirmseide, irgendwo im Park versteckt. Von der Gestapo, der man ihn übergeben müsste. Aber nicht bevor man ihn hat spüren lassen, was man von Spionen hält. Kleine Feuer entzünden sich in den Köpfen, werden tuschelnd geschürt. Es tut gut, dieses Gefühl, man könne etwas machen, wenn man tatsächlich nur hilflos in einem Keller sitzt und darauf wartet, dass Feuer und Bomben einem alles nehmen. Die ersten stehen auf, ballen die Fäuste, ziehen die Brauen zusammen.
Weiß er, was hier geschieht? Spürt er, wie Angst und Misstrauen zu einem giftigen Gericht einkochen? Das Mädchen, das einmal meine Mutter sein wird, spürt es, und schüchtern schiebt sie ihre Hand unter seinen Arm.