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DIE BETONUNG LIEGT AUF MORD: Der Krimi-Klassiker!
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eBook278 Seiten3 Stunden

DIE BETONUNG LIEGT AUF MORD: Der Krimi-Klassiker!

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Über dieses E-Book

Dorcas versuchte, während sie den Mantel fest um sich zog, ihr Gehör vor seinen Worten zu verschließen, doch die üblen, gemeinen Schimpfwörter schnitten wie Messer in ihr Gehirn. Sie fühlte die unglaublichen Redensarten fast wie Peitschenhiebe auf dem Leib, Hiebe, die den dünnen Mantel durchschlugen.

Sekundenlang vermochte sie nur stumm sitzenzubleiben und sich, mit dem Mantel umhüllt, unter den wütend ausgestoßenen Worten zu ducken. In diesen Sekunden war es, als sei alles Unschuldige und Helle aus der Welt vertrieben und alles so hässlich geworden wie die Flüche des Alten.

 

Der Roman Die Betonung liegt auf Mord von F. R. Lockridge (eigentlich Richard Orson Lockridge; * 26. September 1898 in Missouri; † 19. Juni 1982 in South Carolina) erschien erstmals im Jahr 1950; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1958 (unter dem Titel Professor Brinkleys Einladung).

Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum24. Nov. 2022
ISBN9783755425878
DIE BETONUNG LIEGT AUF MORD: Der Krimi-Klassiker!

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    Buchvorschau

    DIE BETONUNG LIEGT AUF MORD - F. R. Lockridge

    Das Buch

    Dorcas versuchte, während sie den Mantel fest um sich zog, ihr Gehör vor seinen Worten zu verschließen, doch die üblen, gemeinen Schimpfwörter schnitten wie Messer in ihr Gehirn. Sie fühlte die unglaublichen Redensarten fast wie Peitschenhiebe auf dem Leib, Hiebe, die den dünnen Mantel durchschlugen.

    Sekundenlang vermochte sie nur stumm sitzenzubleiben und sich, mit dem Mantel umhüllt, unter den wütend ausgestoßenen Worten zu ducken. In diesen Sekunden war es, als sei alles Unschuldige und Helle aus der Welt vertrieben und alles so hässlich geworden wie die Flüche des Alten.

    Der Roman Die Betonung liegt auf Mord von F. R. Lockridge (eigentlich Richard Orson Lockridge; * 26. September 1898 in Missouri; † 19. Juni 1982 in South Carolina) erschien erstmals im Jahr 1950; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1958 (unter dem Titel Professor Brinkleys Einladung).

    Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

    DIE BETONUNG LIEGT AUF MORD

    Erstes Kapitel

    Walter Brinkley, Professor für Englische Literatur an der Dyckman-Universität, jetzt im Ruhestand, kam, während er die letzte Zeile von Seite 352 seiner Abhandlung Bemerkungen zu den Unterschieden der Aussprache des Amerikanischen in den einzelnen Landesteilen tippte, zu dem Entschluss, dass es geradezu seine Pflicht sei, eine kleine Party für Paul Craig und die neue Mrs. Craig zu geben. Dieser Entschluss entstand so plötzlich und war anscheinend so unmotiviert, dass Mr. Brinkley ein bisschen blinzelte und das zuletzt Geschriebene noch einmal durchlas, in der Hoffnung, in dem Text die Erklärung dafür zu finden.

    Das gelang, ihm sogleich. Er hatte sich da – kurz, auf nur vier Seiten – zu den feinen, vielen Leuten gar nicht auffallenden Unterschieden in der Aussprache der Worte Mary und marry geäußert und im Anschluss daran, mit gebührender Zurückhaltung, noch bestimmte Theorien über gewisse örtliche Gebräuche im Zusammenhang mit diesen Begriffen entwickelt. Zurückhaltend in seinem Urteil war Mr. Brinkley, weil dieses Thema eigentlich gar nicht zu seinem Spezialfach gehörte. Nein, sein Forschungsgebiet waren die Dichtungen Miltons. Sein Werk Miltons Kindheit vom 12. bis zum 16. Lebensjahr war – daran zweifelte er nicht – ein Buch von bleibendem Wert. Über regionale Akzente im Amerikanischen konnte er bestenfalls als gut beschlagener Amateur mitreden. Eben deshalb hatte er den Titel seiner Abhandlung über die sprachlichen Unterschiede durch die Worte Bemerkungen zu bescheidener formuliert, denn dieses definitive Unterschiede der Aussprache usw. hätte doch wohl etwas frech und anmaßend geklungen.

    Aha, ja, das Wort marry heiraten also – war natürlich das Stichwort zu seinem Entschluss gewesen. Paul Craig hatte sich, vor fast einem Jahr nun schon, zum zweiten Male verheiratet. Allerdings hatte er erst jetzt, vor einer Woche, seine junge Frau in das große Haus der Craigs in North Wellwood eingeführt. In dieses Haus, das so lange geschlossen gewesen war, dass viele der neuen Ansiedler im Ort es beinah wie ein Denkmal aus alter Zeit betrachteten.

    Mein junger Freund Craig wird sicher die Situation sehr verändert finden, dachte Walter Brinkley, während er das Original und die Durchschläge der Seite 352 trennte und die Blätter auf die einzelnen Stapel legte. Freuen wird sich Craig darüber wahrscheinlich nicht, dachte er. Mein junger Freund Craig...

    Aber nein, als jung sollte ich ihn mir wirklich nicht mehr vorstellen. Paul Craig ist ja – Brinkley rechnete rasch nach – über fünfzig. Etliche Jahre über fünfzig bereits. Und ich, dachte er, immer noch ungläubig und mit der betrübenden Enttäuschung, die sich bei solchen Überlegungen unfehlbar einschlich – ich bin siebenundsechzig. Ein zum Gnadenbrot auf freier Weide entlassener Mensch. Trotzdem werde ich, um den jungen Craig und seine neue Frau zu bewillkommnen, eine kleine Cocktailparty geben.

    Mit diesem Gedanken sprang Walter Brinkley, ein ziemlich kleiner, behaglich korpulenter Herr mit dichtem, leuchtend weißem Haar und fast faltenlosem rosa Gesicht, lebhaft vom Platz vor seiner Schreibmaschine auf. Seine Frische und die fixen Bewegungen waren erstaunlich. Mit federnden Schritten eilte er aus dem im ersten Stock seiner weißen Villa an der Hayride Lane gelegenen Arbeitszimmer zum Treppenpodest und rief halblaut hinunter: »Harry?«

    Harry, der im Wohnzimmer beschäftigt gewesen war – mit dem Abstauben vermutlich kam in den Flur, blickte zur Treppe empor und sagte: »Yäs, Ssö-e. Bittä, Professoh?«

    Wie er seine Rolle liebt!, dachte Brinkley, der sich innerlich vor Lachen krümmte, davon jedoch nichts merken ließ, sondern nur seine gute Laune zeigte. Das alte Familienfaktotum, der getreue Diener aus dem tiefsten Süden. Haha! Welch einen Sport macht sich Harry Washington doch aus dieser Vortäuschung vom tiefen Süden, ohne es zur Groteske zu treiben, und ohne jede Bitterkeit!, dachte Brinkley. Wie er die Rolle zum eigenen Vergnügen und – ja, auch zu meinem – Spielt! Und weiß doch ganz genau, dass ich genau weiß, dass er in New Jersey geboren wurde, dort zur Volksschule gegangen ist und – sobald er das Komödienspielen sein lässt – genauso spricht wie andere in New Jersey geborene und aufgewachsene Leute. Eine interessante Abweichung übrigens, der typische Akzent von New Jersey...

    »Yäss, Ssö-e?«, wiederholte Harry Washington duldsam. Er war groß und hager, seine Hautfarbe mittelbraun. Was der Professor dachte, wusste er sehr wohl, denn der schwieg manchmal, gerade wenn er etwas sagen wollte, ganz plötzlich und verfolgte stumm einen bestimmten Gedanken. Sehr interessanter Mann, sein Professor.

    »Harry«, sagte Brinkley, »ich habe mich entschlossen, eine Party zu geben.«

    »Eine Party?«, gab Harry zurück, ehrlich erstaunt. Und verbesserte sich rasch, indem er nun sagte »Ein Paahti?«

    Das war ja was ganz Neues! Zwei oder drei Personen abends zum Essen, ja, das kam vor. Aber eine Party – nein. Das war in den fünf Jahren, seit er Butler bei Professor Brinkley war, noch nie vorgekommen. Als Mrs. Brinkley noch lebte, sicherlich. Doch das lag vor seiner Zeit.

    »Sie mein’ ein richtiges Paahti, Professoh?«, fragte Harry, teils um sich vom Ernst der Sache zu überzeugen, und teils, um wieder in seine Rolle zurückzugleiten, aus der er vor Verwunderung für einen Moment gefallen war.

    »Cocktailparty«, erwiderte Brinkley. »Für Mr. und Mrs. Craig. Die bewohnen jetzt das große Herrenhaus wieder.«

    »Wa’haffig wah’?«, sagte Harry, ein bisschen zu dick auftragend.

    Er wusste ja ganz genau, dass Mr. Paul Craig den riesigen Bau mit den braunen Ziegeldächern und den vielen Türmchen, an der Craig Lane, wieder geöffnet hatte, dass Mr. Craig sich wieder verheiratet hatte und mit seiner zweiten Gattin zunächst ein Jahr in der Welt umhergereist war. Wusste auch, dass die jetzige Mrs. Craig um allerhand Jahre – zwanzig, oder noch mehr – jünger war als ihr Mann. Dass sie groß und schlank war, schwarzes dichtgelocktes Haar hatte – ein Bild von Weib, sagten die Leute – und dass das Ehepaar sich eine weiße Köchin und zwei ebenfalls weiße Hausmädchen mitgebracht hatte. Dass Ellen White, die Weiß hieß, es aber nicht war, fünf Tage in der Woche, täglich sechs Stunden, für eindreiviertel Dollar die Stunde, zum gründlichen Reinemachen ins Haus kam; dass sie aber außerdem Joe Parks als Hilfskraft für Garten und Park behalten und dessen Frau verpflichtet hatten, gegebenenfalls auch im Hause auszuhelfen.

    »Sie mein’ das groß braune Haus an die Straße nach Brewster?«, fragte Harry Washington wieder in seiner normalen Sprechweise. »Das große alte, ist es dem, was Sie mein’, Professor?«

    Ich muss wohl lernen, mich präziser auszudrücken, dachte Brinkley, innerlich wieder lachend. »Ganz recht, Harry, das meinte ich«, antwortete er. »Das alte Haus der Familie Craig.«

    »Ach, das!?«, sagte Harry.

    Wahrscheinlich, dachte Brinkley, gibt er die Rolle im Moment auf, weil er bei Party zuerst versagt hat. Er wartete auf mehr.

    »Wann?«, fragte Harry, der jetzt auch innerlich lachte, äußerlich aber vollkommen ernst blieb.

    »Mal überlegen«, sagte Brinkley. »Heute ist Dienstag.«

    »Nein, Sir«, antwortete Harry. »Mittwoch, Professor. Mittwoch der achtzehnte.« Er machte eine Pause, dann setzte er hinzu: »Juni.«

    »Oh«, meinte Brinkley, aber nicht zweifelnd, denn in diesen Dingen hatte Harry stets recht. »Dann also... nächsten Sonntag?«

    »Wie Sie’s beliebt, Professor.«

    Demnach also lieber nicht Sonntag. Brinkley schlug den Samstag vor, und Harry wiederholte seinen höflichen Satz. »Also schön, Harry«, sagte Brinkley, »wann geben wir also die Party?«

    »Wann Sie’s beliebt, Ssö-e. Samstag in ein’ Woche möchte sein richtig. Müssen gleich einladen die Leute. Und jemand dazu, mich zu helfen. Gewiss werden Zwanzig, dreißig Pesohnen...«

    »Oh nein«, sagte Brinkley, »eigentlich wollte ich nur...«

    »Nein, Ssö-e, wa’scheinlich fünfunddreißig«, sagte Harry.

    Brinkley hatte allerdings, noch ein bisschen unbestimmt, an etwa nur ein Dutzend Gäste gedacht. Aber sicher sah Harry die Sache wieder richtig – wie immer bei dergleichen. Brinkley erinnerte sich daran, dass früher – wie betrüblich, und doch im Grunde auch erwärmend, an die alten Zeiten zu denken! – dass früher die Partys jedes Mal größer geworden waren, als er in seiner Arglosigkeit vorausgesetzt hatte. Sobald man daranging – nein: sobald Grace daranging, eine Liste aufzustellen. Na ja. Warm erfüllte der Kummer das Herz Walter Brinkleys, der seine Frau geliebt hatte. Er machte stumm kehrt, um wieder in sein Arbeitszimmer zu gehen, jetzt aber gar nicht federnd.

    »Eis schon im Glas, Professoh«, sagte Harry ganz sanft, so sanft, dass Brinkley gerührt, wieder ans Treppengeländer ging.

    »Ist beinah schon eins Uhr, Professoh«, ergänzte Harry. »Wünsch, dass ich den Ma’tini jetzt mixen? Und, wenn’s Sie recht ist, Ssö-e, v’leicht ein Omelett? Mit Pilz’ in Sahne? Heute mo’gen ich habe ein schönes Kopf Salat geschneiden. Ist jetzt schön knuspig, Ssö-e.«

    Geht so sanft mit mir um, wie mit einem kleinen Kind, dachte Brinkley. Gar nicht wie mit einem alten Mann, der sich in einem zu großen Hause einsam fühlt.

    Er begann, die Treppe hinunterzugehen. Harry blieb unten noch ein Weilchen stehen und blickte zu ihm empor, dann nickte er einmal, als sei er zufrieden, und als Brinkley dasselbe getan hatte, begab er sich zur Küche, während der Professor – der viel lieber mit Mr. angeredet sein wollte, was jedoch fast nie geschah – ins Parterre herabkam und durch den Flur und das Wohnzimmer auf die schattige Terrasse hinausging, zuletzt wieder mit dem gewohnten federnden Schritt.

    Harry brachte ihm den Martini in einem kleinen Krug mit viel Eis darin und dazu ein hohes, dünnes, vom Stehen im Eisschrank noch beschlagenes Glas. Rasch, bevor die Frostschicht wegschmolz, schenkte er ein.

    »Schönen Dank, Harry«, sagte Brinkley, und Harry gab zurück »Yäs, Ssö-e, Professoh. Sie nun machen Ihr’ Liste, Ssö-e.«

    »Wer ist eigentlich Walter Brinkley?«, fragte Margo Craig, indem sie eine Einladungskarte hochhielt. »Er wünscht uns zum Cocktail bei sich zu sehen, am« – sie blickte wieder auf die Karte – »heute in acht Tagen.«

    Es war Samstag nachmittags und die Post soeben eingetroffen, heraufgeholt vom Briefkasten der Landpost an der Craig Lane, wo der lange, gewundene Fahrweg von dem großen braunen Haus, dem mächtigen Herrenhause mit den Türmen, in die nach mehreren Generationen der Craigs benannte Seitenstraße mündete. Die Post kam spät, weil das Haus am Ende der langen Strecke lag, die der Fahrer vom Postamt in North Wellwood zurücklegen musste.

    Margo Craig sprach weich, aber jedes Wort hob sich so ab, als mache es ihr Freude, sie alle einzeln ganz exakt zu formen. Wie sie da saß, unter dem Zeltdach auf der Terrasse des riesigen Hauses – als sie es vor zwei Wochen zum ersten Male gesehen hatte, war ihr ganz unerwartet der Vergleich mit einem großen Bären eingefallen, einem plumpen, beinah monströsen, aber in seiner Zottigkeit doch sympathischen Bären – wie Margo Craig dort saß, waren alle Linien ihrer Gestalt klar und rein. Sie sieht eigenartig vornehm aus, dachte Paul Craig, der sie beobachtete.

    So rank und schlank, mit den langen unbestrumpften Beinen von dem besonders getönten, in einem sonnigen Winter erzeugten Braun, das so schön aussah, wenn etwas Sonnenlicht darauf fiel, bot sie einen sehr hübschen Anblick. Paul Craig betrachtete sie beifällig, und er gehörte nicht zu den Leuten, die leicht mit etwas zufrieden sind. Die meisten Frauen, dachte er, würden, säßen sie in einem so niedrigen Sessel, nachlässig wirken. Margo nicht. Gute Rasse, dachte er. Habe klug gewählt. Es war durchaus angemessen, dass er diese körperlich und geistig untadelige junge Frau gewissermaßen zu einer Craig gemacht hatte.

    »Ein Professor für Englisch«, beantwortete er ihre Frage. »Jetzt im Ruhestand, glaube ich. Die Brinkleys haben hier in der Gegend schon seit der Revolution gewohnt. Tatsächlich sogar beinah so lange wie wir Craigs. Von der Party erwähnte er kürzlich etwas, gestern oder vorgestern – im Dorf. Soviel ich verstand, sind wir, meine Liebe, eigentlich die Veranlassung zu dieser Party. Die Ehrengäste.«

    Margo sagte nur »Oh!«

    »Ein Willkommen zu meiner Rückkehr«, ergänzte Craig. Auch er war groß von Gestalt, hager und ergraut, und wirkte sogar in den weißen Strandhosen und Polohemd adrett und korrekt gekleidet. Er saß in einem bequemen Sessel. Es ist gar nicht leicht, an einem Sommernachmittag auf einer Terrasse würdevoll und ernst auszusehen, vor allem nicht, wenn man eine Frau bei sich hatte, deren schlanke Beine in kurzen Sporthosen dargeboten, von beunruhigend schöner Symmetrie waren – doch Paul Craig gelang die erhabene Miene ganz gut. Keineswegs aber war er unempfänglich für Margos Reize, weder für ihre hübschen Beine, noch für das Gesicht mit den großen Augen oder ihre Büste, die sich in der Hemdbluse zart abhob, oder die feinen Bewegungen ihrer Finger, die Brinkleys Einladung hielten. Er war stolz auf sie, sehr stolz. Wahrhaftig ein Glücksfall, so eine Frau zur zweiten Ehe gefunden zu haben. Im Grunde passte sie sogar besser zu ihm als die arme Helen gepasst hatte. Helen war, das ließ sich nicht abstreiten, ziemlich leicht erregbar gewesen, zuweilen auch recht übellaunig.

    »Vermutlich werden wir also zu Professor Brinkleys Party gehen?«, fragte Margo Craig.

    »Ich denke, ja«, erwiderte ihr Mann. »Ist eigentlich recht aufmerksam von Walter.«

    »Könnte mir vorstellen, dass es eine – eine ziemlich intellektuelle Gesellschaft wird, hm?«, fragte Margo.

    Craig lächelte dünn, trank einen Schluck und schüttelte den Kopf. »Soviel ich seinen Worten entnahm, hauptsächlich Leute aus der näheren Umgebung. Einige, die schon immer hier Wohnten – die Sands, die Farnleys bestimmt, und – möglicherweise – auch ein paar von den neu Zugezogenen.«

    »Die von den neuen Ranchhäusern auch?«

    Er lächelte wieder, ganz schwach, und sagte, auch das sei durchaus möglich. »Walter ist ein recht geselliger Mensch«, erklärte er. »War er schon immer. Tolerant sollte man’s vielleicht nennen. Oder – weltfremd.«

    Margo nickte, und sie schwiegen eine Weile, bis sie wieder begann: »Der Ort hat sich wohl sehr verändert seit – in den letzten Jahren?«

    Eigentlich hatte sie sagen wollen seit der alten Zeit. Paul war ja, was ihren Altersunterschied betraf, nicht übertrieben empfindlich – ließ sich’s jedenfalls nicht merken –, aber in dem Hinweis auf die alte Zeit hätte er vielleicht eine gewisse Nebenbedeutung gefunden. Deshalb hatte sie ihren Satz geändert.

    Er schien das nicht bemerkt zu haben. Nichte und gab zurück, dass sich zwar vieles verändert habe, weiß der Himmel, aber das sei ja wohl typisch für alle die Gemeinden, die sich so wie diese rings um North Wellwood ausbreiteten.

    »Während ich hier aufwuchs«, sprach er dann weiter, »gab es nur die bedeutenden Familien und Häuser. Wie unseres hier.« Er machte eine Pause. »Na ja, vielleicht nicht genauso gebaut wie dieses. Großvater – na ja, Großvater hat sich im Stil ein bisschen vergriffen, nachdem das alte Haus abgebrannt war. Und für Grundstücke war eine Größe von zwanzig Morgen eigentlich wohl das Minimum. Und heutzutage? Parzellen von zwei Morgen! Und imitierte Ranchhäuser. Seitdem es für Berufstätige möglich geworden ist, morgens mit der Bahn über Brewster rechtzeitig nach New York zum Beruf zu kommen und abends zurück.« Er zündete sich eine Zigarette an. »Fortschritt nennt man das ja wohl«, betonte er, sich davon deutlich distanzierend.

    »Keine anderen?«, fragte sie, die Augenbrauen hebend. »Ich meine, in deiner Kindheit hier? Farmer. Leute, die noch Land bestellen und so?«

    »Ach so. Solche Leute auch, natürlich«, antwortete er. »Es gab sogar ein Gebiet, das allgemein Budenstadt genannt wurde. Heute würde man es gewiss als dörfliches Slum bezeichnen. Nein, ich hatte an die Leute aus unseren Kreisen gedacht.«

    »Natürlich«, sagte Margo, jetzt in ganz höflich sachlichem Ton. »Gehen wir schwimmen?«

    Paul Craig war ein sehr guter Schwimmer. Und was er gut konnte, tat er auch gern. Das hatte Margo Craig in den elf Monaten ihrer Ehe mit ihm gemerkt, wie auch sonst mancherlei.

    Sie war klein und sehr flink und hatte das intensiv dunkelrote Haar aller Camerons – Haar, das manche, vielleicht missgünstige Frauen skeptisch betrachteten, gewiss mit dem Gefühl, selber von der Natur unerhört schlecht behandelt worden zu sein. Sie trug weiße Shorts und ein weißes Hemd, auf dessen Brusttasche ein kleiner grüner Drache gestickt war. Sie blickte durch ein offenes Fenster zur Hayride Lane hinab und sagte: »Heute kommt er sogar noch später als – ah, da erscheint er gerade!« Sie sagte das zu ihrer Cousine, eilte aus dem Hause und den Fahrweg hinab, um die Post zu holen.

    Caroline Wilkins, die soeben das Geschirr vom späten Samstagmittagessen abgespült hatte, trocknete ihre Hände, trat in die Tür und sah zu, wie ihre Cousine schnell, mit beinahe überschwänglichen Bewegungen zum Postkasten am Tor ging. So voller Hoffnung, begreiflicherweise, auf einen Brief von ihrem Alan wie ich auf einen von meinem Brady, dachte sie. Und dann, was im Moment eigentlich gar nicht passte: Ach, die verflixte Marine!

    Doch Caroline Wilkins verfluchte natürlich nicht im Ernst die Marine. Auch die Familie kann einen irritieren, aber deshalb verflucht man sie ja nicht im Ernst. Vor drei Jahren – nein, beinahe vier schon – hatte Caroline die Marine geheiratet, in Gestalt des Lieutenant Captains, damals First Lieutenants z. S., Brady Wilkins. Also war sie nun eine Marinefrau. Doch davor war sie – außer in drei Monaten, die nicht mitgezählt, nie wieder ins Gedächtnis kommen sollten – eine Marinetochter gewesen, Tochter des Vizeadmirals a. D. Jonathan Bennett. Als Vierjährige war sie in China gewesen, als Sechsjährige in Singapur, und von ihrem zehnten bis zum zwölften Lebensjahr in Frankreich. Marinefamilien mussten sich ja oft zeitweise, versuchsweise, an neuen Wohnorten einrichten. Wie auch jetzt wieder.

    In diesem Fall war die Dauer des Verweilens vielleicht noch ungewisser als früher. Als Lieutenant Captain Brady Wilkins von Norfolk zur Dienststelle des Kommando Seeküste Ost in New York, Church Street Nr. 90, versetzt wurde, schien dem Ehepaar ein gemietetes Haus im Nordteil von Westchester als zeitweilige Residenz ganz vernünftig. Caroline hatte angenommen – das heißt, sie hatten beide angenommen, dass für etwa zwei Jahre – weiter voraus plante man bei der Marine nicht – Lieutenant Captain Wilkins ein Leben führen würde, das dem anderer in New York arbeitender und auswärts wohnender Leute sehr ähnelte. Als ob er vielleicht jeden Morgen mit dem Zug hin- und an den meisten Abenden – sofern er nicht über Nacht Offizier vom Dienst war – auch mit dem Zug heimfahren werde.

    So jedoch verliefen die Dinge dann nicht, und das hätten sie sich eigentlich schon denken müssen. Dass Wilkins zum Admiral Seeküste Ost kommandiert wurde, erwies sich – wie eigentlich auch zu erwarten gewesen – in der Hauptsache als ein Vorwand. Er konnte in dem Hause an der Church Street seinen Wehrsold kassieren und seine Gesundheitsatteste aufbewahren lassen, und die Marinepersonalverwaltung konnte mit amtlichem Finger auf den Stadtplan tippen und erklären: »Dort ist er.« Aber dort war er selten. Vielmehr in Alaska, in Florida, oder womöglich sogar in London. Das hatten dem Lieutenant Captain Wilkins seine zwei Jahre fleißigen Studiums an der Technischen Hochschule in Boston eingebracht. Dass er nun ständig, und zeitlich immer unvorhersehbar, unterwegs war, vom Hauch des Geheimnisvollen umhüllt.

    Und infolgedessen kam sich Caroline schon seit dem vorigen Sommer, nachdem sie die weiße Villa an der Hayride Lane

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