EIN WEBFEHLER IM ALIBI: Der Krimi-Klassiker!
Von F. R. Lockridge
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Über dieses E-Book
Als Professor Walter Brinkley nach einem Festessen in der New Yorker Dyckman-Universität zu seinem Wagen kommt, entdeckt er einen sonderbaren Fahrgast auf dem Rücksitz: General Philip Armstrong, den vielgehassten Vorsitzenden im Verwaltungsrat der Uni. Vor dem Gesicht trägt der General eine Schweinskopfmaske und in seinem Schädel klafft eine tiefe Wunde...
Der Roman Ein Webfehler im Alibi von F. R. Lockridge (eigentlich Richard Orson Lockridge; * 26. September 1898 in Missouri; † 19. Juni 1982 in South Carolina) erschien erstmals im Jahr 1970; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1971.
Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
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Buchvorschau
EIN WEBFEHLER IM ALIBI - F. R. Lockridge
Das Buch
Als Professor Walter Brinkley nach einem Festessen in der New Yorker Dyckman-Universität zu seinem Wagen kommt, entdeckt er einen sonderbaren Fahrgast auf dem Rücksitz: General Philip Armstrong, den vielgehassten Vorsitzenden im Verwaltungsrat der Uni. Vor dem Gesicht trägt der General eine Schweinskopfmaske und in seinem Schädel klafft eine tiefe Wunde...
Der Roman Ein Webfehler im Alibi von F. R. Lockridge (eigentlich Richard Orson Lockridge; * 26. September 1898 in Missouri; † 19. Juni 1982 in South Carolina) erschien erstmals im Jahr 1970; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1971.
Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
EIN WEBFEHLER IM ALIBI
Erstes Kapitel
Walter Brinkley suchte nach einem passenden Wort und fand es auch: dicklich. Das war ohne Zweifel der richtige Ausdruck und eine Tatsache, mit der er sich abfinden musste. Schließlich war er den größten Teil seines Lebens Professor für Englisch gewesen. Dass er jetzt emeritierter Professor war, befreite ihn nicht von seinen Verpflichtungen der Sprache gegenüber. An diesem Ausdruck konnte er nicht vorbei; dieses Wort war unvermeidbar, wenn er ehrlich sein wollte.
Sein Anzug ließ ihn dicklich erscheinen. Mit dem Anzug war irgendetwas nicht in Ordnung, obwohl Harry Washington ihm versichert hatte, er sehe darin blendend aus. Er hätte sich für diesen Anlass einen neuen kaufen sollen, denn was für den Alltag in North Wellwood genügte, reichte für den Empfang, der ihm zu Ehren im Faculty-Club der Dyckman University gegeben wurde, bestimmt nicht mehr aus. Natürlich würden einige der jüngeren Kollegen - falls überhaupt Gäste kamen - leger gekleidet erscheinen, aber von einem emeritierten Professor wurde ein gewisses Maß an Förmlichkeit erwartet, da immerhin die Möglichkeit bestand, dass ein Mitglied des Verwaltungsrats zu dem Empfang kam.
Ein weißhaariger Siebziger mit rosigem Teint, der in einem neuen Pontiac nach New York fuhr und einen Zweireiher trug, in dem er dicklich wirkte. Brinkley war intelligent genug, um zu erkennen, dass man sich mit manchen Dingen abfinden musste. Dazu gehörte auch die Tatsache, dass sein MG, der noch älter als der Zweireiher war, endgültig ausgedient hatte. Ein schwarzer Pontiac war für einen Professor zweifelsohne besser geeignet. Daran ist eben nichts zu ändern, dachte Walter Brinkley und fuhr mit über hundert Stundenkilometern die Schnellstraße am Saw Mill River entlang. Durch einen gelegentlichen Blick in den Rückspiegel überzeugte er sich, dass kein Streifenwagen hinter seinem Pontiac auftauchte.
Er brauchte sich nicht sonderlich zu beeilen, denn der Empfang war für sechs Uhr angesetzt, und die Gäste würden wahrscheinlich etwas später kommen - falls überhaupt welche kamen.
Wer ging schon in den Faculty-Club, um das Erscheinen eines Buchs mit dem Titel Regionale Verschiedenheiten in der Aussprache des Amerikanischen zu feiern? Außerdem waren die Drinks dort bekannt schlecht - besonders die Martinis schmeckten schauderhaft.
Um halb sechs bog er von der Hudson Bridge ab und befand sich wieder auf dem einst so vertrauten Weg zur Dyckman University. Er näherte sich schon dem ersten Gebäude, als er ein lautes Stimmengewirr hörte; er fuhr langsam weiter und musste vor Absperrungen halten, vor denen Polizei aufmarschiert war. Jenseits dieser Barrikade war die Straße voller lärmender junger Menschen. Auf einem Podest stand ein schwarzbärtiger Mann, der sich mit Hilfe eines Handlautsprechers verständlich zu machen suchte. »...bis unsere Forderungen erfüllt werden!«, verstand Brinkley gerade noch.
Dann sah er, dass ein junger Mann in einer der vordersten Reihen ein lebendes Ferkel hochhielt, was die Demonstranten zu dem Sprechchor Schweine! Schweine! Schweine! animierte.
Brinkley hatte von den Studentenunruhen an amerikanischen Universitäten gelesen. Er hatte die Demonstrationen in Berkeley und Columbia und Harvard im Fernsehen verfolgt, aber die Wirklichkeit unterschied sich doch sehr von dem, was er auf dem Bildschirm gesehen hatte. Er war überrascht darüber, dass man mit dieser Realität so unerwartet konfrontiert werden konnte, und er war besorgt, weil die Straße, die er benutzen musste, gesperrt war. Er hielt und kurbelte das Fenster herunter. Milde Frühlingsluft strömte herein.
Einer der Polizisten trat an den Wagen. Er war keineswegs mild gestimmt. Er fragte Brinkley: »Wohin wollen Sie, Mister?«
»In den Faculty-Club«, antwortete Walter Brinkley dem Beamten. »Er liegt auf der anderen Seite des Universitätsgeländes.«
»Bleiben Sie lieber hier«, riet ihm der Uniformierte. »Kein Mensch weiß, was diesem Gesindel als nächstes einfällt. Sind Sie hier Professor?«
»Nicht mehr«, erwiderte Brinkley. »Ich bin... ich lebe im Ruhestand.«
»Da haben Sie Glück, Mister!«, meinte der andere. »Die jungen Leute sind alle übergeschnappt. Vielleicht besetzen sie noch Ihren Faculty-Club. Gesindel, sage ich Ihnen! Warum müssen Sie dorthin? Haben Sie einen bestimmten Grund?«
»Ja«, antwortete Brinkley nur.
»Das Verwaltungsgebäude, die Bibliothek und die Jefferson Hall sind besetzt worden - und wir müssen hier herumstehen und uns beschimpfen lassen. Ein Mann wie Sie kennt die Ausdrücke, die sie uns an den Kopf werfen, bestimmt nicht einmal.«
Dicklich, dachte Brinkley wieder. Harmlos, alt und dazu noch dicklich. Ein alter Mann, der nicht weiß, welche Schimpfworte Leute sich an den Kopf werfen.
»Wie komme ich von hier aus zum Faculty-Club?«, erkundigte Brinkley sich.
»An Ihrer Stelle würde ich hierbleiben. Dort vorn sind schon etliche Autos umgekippt worden. Am besten fahren Sie nach Hause und...«
Fahr nach Hause, Alter, setz dich an den Kamin und trink deine warme Milch!, dachte Brinkley erbost. Das hat er nur nicht ausgesprochen.
»Ich möchte zum Faculty-Club«, stellte er energisch fest.
»Okay, wenn Sie unbedingt wollen, Mister«, antwortete der Polizist resigniert. »Fahren Sie drei, vier Straßen weit nach links und versuchen Sie’s dort noch einmal. Aber wenn Sie Pech haben, bildet sich gerade ein Demonstrationszug, von dem kein Mensch weiß, wohin er unterwegs ist.«
»Gut, dann versuche ich es dort«, entschied Brinkley.
»Das ist Ihre Sache«, meinte der andere und richtete sich auf. Er ging zu seinen Kollegen zurück, winkte sie zur Seite und ließ Brinkley nach links in eine Seitenstraße einbiegen.
»Schweine, Schweine! Zündet das Pentagon an!« hörte Brinkley die Studenten schreien. Dann ertönte wieder die Stimme des jungen Mannes mit dem Handlautsprecher: »Unsere Forderungen sind unabdingbar. Das R. O. T. C. muss aus der Universität verschwinden. Wir werden niemals...«
In der Nebenstraße war es ruhiger. Brinkley fuhr an endlosen Reihen parkender Wagen vorbei. Der Lärm verhallte. Er durfte erst an der vierten Kreuzung nach rechts abbiegen, fuhr dann fünf Straßen weiter und bog wieder nach rechts ab. Je näher er dem Universitätsgelände kam, desto lauter wurde erneut das Geschrei. Brinkley musste vor der nächsten Kreuzung halten, um die Demonstranten vorbeizulassen, die sich zu einem langen Zug formiert hatten.
Die Studenten marschierten im Gleichschritt und sangen dabei: We Shall Overcome. Zwei von ihnen trugen einen improvisierten Galgen, an dem eine Strohpuppe baumelte. Jemand hatte ihr eine Schweinemaske aufgesetzt, und auf ihrer Brust verkündete ein Schild: »Dow Chemical«.
Die Marschierer ignorierten den Pontiac und zogen weiter in Richtung Bibliothek, vor der die Bronzestatue des Reverend Isaac Dyckman stand. Brinkley wartete, bis die Kreuzung wieder frei war, fuhr dann langsam weiter und suchte eine Parklücke. Er sah einige, in die sein MG leicht gepasst hätte. Er fuhr kreuz und quer durch die umliegenden Straßen, entfernte sich weit vom Faculty-Club, kam dann wieder zurück und fand noch immer keinen Parkplatz. Er würde sich sehr verspäten. Er würde...
Ein weißer Sportwagen mit offenem Verdeck machte vor ihm eine Parklücke frei. Der Wagen war kein MG, aber Brinkley warf ihm trotzdem einen traurigen Blick nach, bevor er den Pontiac einparkte. Ein junger Mann in einem offenen Sportwagen... ein weißhaariger Alter in einer schwarzen Limousine... Brinkley stellte fest, dass er vor dem Haus einer Studentenverbindung parkte, und hatte unwillkürlich ein schlechtes Gewissen, weil er diesen Parkplatz belegte.
Es war schon nach sechs, als Brinkley den Pontiac abschloss und sich auf den Weg zum Faculty-Club machte. Für einen Aprilabend war es ziemlich warm, aber das mochte daran liegen, dass der Anzug nicht nur ein Zweireiher, sondern auch dick und schwer war. Ein dicklicher alter Mann, der sich mit einiger Verspätung zu einem Empfang schleppte, der wahrscheinlich eher die Bezeichnung Totenwache verdiente. Es wäre besser gewesen, wenn die Dyckman University Press das Erscheinen des Buches verschwiegen hätte, da Brinkleys Werk ohnehin bald in Vergessenheit geraten würde.
Vor dem Faculty-Club stieß er wieder auf die eine Gruppe von Demonstranten. Die Strohpuppe baumelte noch immer am Galgen. Brinkley blieb vor dem Eingang stehen, um einige der mitgeführten Plakate zu lesen. Weg mit dem R. O. T. C.! wurde auf einem verlangt. Fort mit den Pentagon-Schweinen! forderte ein anderes, dessen Träger noch darunter gekritzelt hatte: Und mit den Kinderverbrennern der Dow Chemical! Walter Brinkley nickte verständnisvoll, aber das nächste Plakat verblüffte ihn doch, weil es behauptete: General Armstrong ist ein Rassist.
Brinkley empfand keine besondere Vorliebe für General a. D. Philip Armstrong, der Vorsitzender des Verwaltungsrats der Dyckman University war. Er hatte sich sogar in einem Leserbrief an die Times kritisch zu einem Interview mit Armstrong geäußert. Aber es war bestimmt ungerecht, ihm Rassenvorurteile vorzuwerfen. Armstrong trat für Recht und Ordnung ein - notfalls sollten sie mit dem Schlagstock erzwungen werden aber er war kein Mann, der die eine Rasse mehr als andere geprügelt sehen wollte.
Eigentlich merkwürdig, dass ausgerechnet hier gegen General Armstrong demonstriert wird, überlegte Brinkley sich. Der General gehörte dem Faculty-Club nicht an, und obwohl er bestimmt eine Einladung bekommen hatte, war nicht zu erwarten, dass er sich veranlasst sehen würde, das Erscheinen eines 515 Seiten starken Buchs zu feiern, das ein emeritierter Professor geschrieben hatte. Brinkleys Buch würde Armstrong nicht interessieren, und ein Mann wie er, der sich einen luxuriösen Lebensstil leisten konnte, würde sich nicht von den Drinks und Canapés des Faculty-Clubs in die akademische Wildnis locken lassen.
Walter Brinkley dachte sehnsüchtig an die Martinis zurück, die Harry Washington ihm zu Hause mixte, und durchquerte das leere Foyer, um in das vermutlich ebenso leere Kaminzimmer zu gelangen. Aber zu seiner Überraschung war der Raum keineswegs leer. Myron Bracken war da. Als Werbeleiter der Dyckman University Press musste er unbedingt da sein. Auch Professor Symes hockte in einer Sofaecke. Sein Bart war weißer, als Brinkley ihn in Erinnerung hatte. Wirklich nett von dem alten Knaben, sich diese Mühe zu machen, dachte Brinkley, und stellte erst dann zu seinem Erstaunen fest, dass Symes nur ein Jahr vor ihm in den Ruhestand getreten war. Außer diesen beb den waren etwa zwanzig Männer anwesend, die Brinkley größtenteils unbekannt waren.
Bracken kam quer durch den Raum auf Brinkley zu, nahm sein Glas in die linke Hand und streckte ihm die Rechte entgegen.
»Endlich geschafft!«, rief er triumphierend, ohne zu erwähnen, dass es jetzt Viertel nach sechs war und dass Professor Walter Brinkley als Ehrengast zu spät erschienen war.
»Tut mir leid«, entschuldigte Brinkley sich, »aber ich habe lange keinen Parkplatz gefunden.«
»Überall diese Demonstranten«, meinte Bracken mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Nur bei schlechtem Wetter lässt sich keiner blicken. Manche Leute kommen extra hierher, um sie anzugaffen. Manche Leute werden dabei verprügelt, und andere amüsieren sich als Zuschauer.« Bracken sah sich um. »Ich bestelle Ihnen gleich einen Drink.«
Ein Mann in weißer Jacke schlurfte heran. Er ist auch schon vierzig oder fünfzig Jahre hier, dachte Brinkley.
»Hallo, John«, sagte er lächelnd.
»Guten Abend, Professor Brinkley«, erwiderte der Angesprochene. »Was darf ich Ihnen bringen?«
»Einen sehr trockenen Martini ohne Olive«, bestellte Brinkley. Der andere nickte und schlurfte davon.
»Da!«, sagte Bracken triumphierend und zeigte auf den großen Tisch in der Mitte des Raums, auf dem ein Dutzend dicke Bücher lagen. Brinkley staunte wieder einmal darüber, wie umfangreich sein Buch doch war.
»Mr. Carlbridge ist hier«, fuhr Bracken fort, bevor der Ehrengast sich danach erkundigen konnte, warum niemand
die Bücher in die Hand nahm. »J. Arthur Carlbridge, wissen Sie.«
»Ein Mitglied des Verwaltungsrats«, sagte Brinkley, um zu beweisen, dass er wusste,