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Juli-Killer 2023: 8 Krimis für die Ferien
Juli-Killer 2023: 8 Krimis für die Ferien
Juli-Killer 2023: 8 Krimis für die Ferien
eBook1.110 Seiten14 Stunden

Juli-Killer 2023: 8 Krimis für die Ferien

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Über dieses E-Book

Juli-Killer 2023: 8 Krimis für die Ferien

von Alfred Bekker, Pete Hackett, Frank Donovan

 

 

 

Dieses Buch enthält folgende Krimis:

 

Franklin Donovan: Trevellian und die roten Krallen des Todes

Alfred Bekker: Mörder mit Hut

Alfred Bekker: Der Leibwächter

Pete Hackett Die kein Gewissen haben 1 und 2

Alfred Bekker: Ein Ermordeter taucht unter

Pete Hackett: Trevellian und das Internat der Mörder

Pete Hackett: Trevellian und die Trucker-Mafia

Pete Hackett: Todesgruß an Jesse Trevellian

 

 

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Jack Raymond, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

SpracheDeutsch
HerausgeberAlfred Bekker
Erscheinungsdatum1. Jan. 2023
ISBN9798215524633
Juli-Killer 2023: 8 Krimis für die Ferien
Autor

Alfred Bekker

Alfred Bekker wurde am 27.9.1964 in Borghorst (heute Steinfurt) geboren und wuchs in den münsterländischen Gemeinden Ladbergen und Lengerich auf. 1984 machte er Abitur, leistete danach Zivildienst auf der Pflegestation eines Altenheims und studierte an der Universität Osnabrück für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen. Insgesamt 13 Jahre war er danach im Schuldienst tätig, bevor er sich ausschließlich der Schriftstellerei widmete. Schon als Student veröffentlichte Bekker zahlreiche Romane und Kurzgeschichten. Er war Mitautor zugkräftiger Romanserien wie Kommissar X, Jerry Cotton, Rhen Dhark, Bad Earth und Sternenfaust und schrieb eine Reihe von Kriminalromanen. Angeregt durch seine Tätigkeit als Lehrer wandte er sich schließlich auch dem Kinder- und Jugendbuch zu, wo er Buchserien wie 'Tatort Mittelalter', 'Da Vincis Fälle', 'Elbenkinder' und 'Die wilden Orks' entwickelte. Seine Fantasy-Romane um 'Das Reich der Elben', die 'DrachenErde-Saga' und die 'Gorian'-Trilogie machten ihn einem großen Publikum bekannt. Darüber hinaus schreibt er weiterhin Krimis und gemeinsam mit seiner Frau unter dem Pseudonym Conny Walden historische Romane. Einige Gruselromane für Teenager verfasste er unter dem Namen John Devlin. Für Krimis verwendete er auch das Pseudonym Neal Chadwick. Seine Romane erschienen u.a. bei Blanvalet, BVK, Goldmann, Lyx, Schneiderbuch, Arena, dtv, Ueberreuter und Bastei Lübbe und wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.

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    Buchvorschau

    Juli-Killer 2023 - Alfred Bekker

    Copyright

    Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

    Alfred Bekker

    © Roman by Author 

    © dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen 

    Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

    Alle Rechte vorbehalten.

    www.AlfredBekker.de

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    Juli-Killer 2023: 8 Krimis für die Ferien

    von Alfred Bekker,  Pete Hackett, Frank Donovan

    ––––––––

    Dieses Buch enthält folgende Krimis:

    Franklin Donovan: Trevellian und die roten Krallen des Todes

    Alfred Bekker: Mörder mit Hut

    Alfred Bekker: Der Leibwächter

    Pete Hackett Die kein Gewissen haben 1 und 2

    Alfred Bekker: Ein Ermordeter taucht unter

    Pete Hackett: Trevellian und das Internat der Mörder

    Pete Hackett: Trevellian und die Trucker-Mafia

    Pete Hackett: Todesgruß an Jesse Trevellian

    ––––––––

    Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Jack Raymond, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

    Trevellian und die roten Krallen des Todes

    von Franklin Donovan

    Sam O'Brien wurde vom Schmerz zerschnitten wie von einer rotglühenden Klinge. Er rang nach Atem, aber sein siebzigjähriger Körper versagte ihm den Dienst. Eine Handbreit vor ihm stand ein schlaksiger Teenager mit Sonnenbrille und Walkman-Kopfhörern. Beide waren eingequetscht zwischen Hunderten anderer Passagiere in diesem U-Bahn-Wagen, der mitten in der Berufspendler-Stoßzeit unter dem Häusermeer des New Yorker Stadtteils Queens hindurchfuhr. Es roch nach Schweiß, nach Parfüm und Aftershave. Und bald würde es nach Tod riechen.

    Der Hip-Hop-Sound aus der Musikanlage seines Gegenübers war das letzte Geräusch, das Sam O'Brien auf dieser Welt wahrnahm. Seine Augen brachen. Der Knochenmann warf sein schwarzes Tuch über den pensionierten FBI-Agenten.

    Niemand bemerkte sein Sterben. Die Leiche wurde durch die Körper der anderen Passagiere aufrecht gehalten. Erst an der Haltestelle Cleveland Street fiel auf, daß mit dem alten Herrn etwas nicht stimmte. Daß ein blutiger Stab in seinem Rücken steckte!

    ***

    Als ich mich am Morgen des 12. Juni hinter das Steuer meines roten Sportwagens schwang und die Tiefgarage verließ, hoffte ich auf einen nicht allzu stressigen Arbeitstag. Ein Wunsch, der für einen G-man leider nur selten in Erfüllung geht.

    Die Blechkarawane war nicht zähflüssiger als üblich. Noch ließ die große ›Fluchtwelle‹ auf sich warten, die viele New Yorker vor der Gluthölle des hiesigen Sommers entkommen läßt. Wer es sich leisten kann, bezieht von Juli bis September sein eigenes Ferienhaus in Connecticut oder Rhode Island. Andere, die jeden Dollar dreimal umdrehen müssen, lösen für 75 Cents ein U-Bahn-Ticket und machen einen Tagesausflug zu den Stränden von Coney Island.

    Mein Freund und Kollege Milo Tucker erwartete mich an unserer gewohnten Ecke. Als Zugeständnis an die steigenden Temperaturen trug er heute einen leichten Tropenanzug aus atmungsaktiver Baumw'olle, dazu ein weißes Hemd und eine Krawatte, deren Rot jedes Fire Department-Fahrzeug hätte neidisch werden lassen.

    »Hallo, Partner«, begrüßte ich ihn. »Willst du die Gangster mit psychologischer Kriegsführung kleinkriegen?«

    »Wie meinst du das?« fragte er verständnislos.

    »Die denken bestimmt, wer so einen geschmacklosen Schlips trägt, schlägt auch wehrlose Verdächtige!«

    »Wer im roten Sportwagen sitzt, sollte nicht über grelle Farben lästern!«

    Wir stimmten beide in ein freundschaftliches Gelächter ein. Wenn wir gewußt hätten, was uns an diesem Tag erwartete, wäre es uns garantiert im Hals steckengeblieben...

    Das Funkgerät knackte. Ich nahm das Mikrofon: »Trevellian!«

    »Haben Sie Tucker schon aufgesammelt?« wollte die Kollegin im FBI Headquarter an der Federal Plaza wissen.

    »Mein Kollege ist doch keine Mülltüte!« An diesem Morgen war ich wirklich albern. »Ja, er sitzt neben mir.«

    »Fahren Sie sofort zur Cleveland Street in Queens, zur U-Bahn-Station. In einem Zug der J Linie wurde ein Mann ermordet. Laut City Police soll es sich um einen FBI-Fall handeln.«

    ***

    Als Milo und ich an der U-Bahn-Station Cleveland Street die steilen Stufen hinuntereilten, wurden wir von einem heillosen Chaos empfangen. Der typische Subway-Geruch aus verbrauchter Atemluft, Menschenmasse und Imbißgestank war noch das vertrauteste. Wild gestikulierende Pendler redeten auf Cops der City Police und der Transport Authority ein. Ein Wagen des U-Bahn-Zuges stand offen. Die technische Abteilung war bereits bis über die Ellenbogen in Arbeit vertieft. Fotografieren, Lageskizze anfertigen, Vermessen - selbst der geringfügigste Aspekt würde den erfahrenen Beamten nicht entgehen.

    Wir hatten unsere FBI-Schilder an die Jacketts gesteckt und bahnten uns einen Weg durch die Menge. Unmittelbar vor der Leiche stand ein Cop, den ich kannte. Es war ein schwarzer, stämmiger Kollege mit der Figur eines Ringers. Er hieß Frank Hoskins.

    »Hallo, Frankie!« Ich nickte ihm zu. In seinen braunen Augen las ich den Ausdruck unendlichen Bedauerns, das weit über das hinausging, was selbst der abgebrühteste Polizist beim Anblick eines Ermordeten empfindet.

    »Hallo, Jesse!« erwiderte er mit stockender Stimme.

    »Läßt du mich einen Blick auf das Opfer werfen?« fragte ich, noch immer nichts Außergewöhnliches ahnend.

    Er zuckte mit den Schultern und drehte seinen massigen Körper zur Seite. Ich bewegte mich auf die Leiche zu - und prallte zurück!

    Dort lagen die sterblichen Überreste von Sam O'Brien. ›Uncle Sam‹, wie wir ihn auf der FBI-Akademie scherzhaft genannt hatten. Ein alter Hase des FBI, nun schon seit Jahren im wohlverdienten Ruhestand. Doch Sam war mehr als nur ein Kollege. Der alte Mann war seit meinem Eintritt in die Truppe einer meiner besten Freunde gewesen. Auch nach seinem Abschied hatte er immer noch den Kontakt zur Federal Plaza gehalten.

    Plötzlich hatte ich das Gefühl, mit einem Expreßfahrstuhl einen Wolkenkratzer hinunterzurasen. Mein Magen drehte sich um, meine Knie schienen nur noch aus Kaugummi zu bestehen.

    »Es tut mir so leid, Jesse...« brummte der Bierbaß von Frank Hoskins. Und Milo kam von der anderen Seite an mich heran. »Bist du okay? Dein Gesicht ist so weiß wie die Wand.«

    Ich nickte nur, war unfähig, auch nur ein Wort zu sagen. Plötzlich glaubte ich, einen Kloß im Hals zu haben, größer als der ganze Big Apple.

    »Wissen wir schon Details über die Todesursache?« wollte Milo wissen. Ich sah und hörte alles wie einen unwirklichen Film, der in Zeitlupe vorgeführt wird.

    »Irgendein Schwein hat dem G-man eine Fahrradspeiche in die Wirbelsäule getrieben!« Mit diesen Worten drängte sich ein kleiner und kantiger Mann in einem verknautschten Nadelstreifenanzug nach vorne. Sein Outfit sah aus, als hätte er darin geschlafen. Wahrscheinlich traf das sogar zu. Um diese Tageszeit war vermutlich noch die Nachtschicht der N. Y.P.D.-Kriminalabteilung im Einsatz.

    »Jeremy Waters!« stellte sich der Detective Sergeant vor. Er schüttelte unsere Hände. Ich reichte ihm meine, als wäre sie ein toter Kabeljau. So fühlte sie sich vermutlich auch an. Uncle Sams Tod hatte mich völlig aus der Bahn geworfen.

    Waters zog seine Aufzeichnungen zu Rate. »Um 7.45 Uhr traf der Zug Nr. 3278 planmäßig in der Haltestelle Cleveland Street ein. Einige Passagiere meldeten den Tod eines alten Mannes. Die Kollegen von der Transport Authority trafen um 7.55 Uhr ein und stellten fest, daß Gewaltanwendung vorlag. Unser erstes Team war um 8.10 Uhr am Tatort. Ich selber traf um 8.25 Uhr ein und habe darum gebeten, den Fall an den FBI zu übergeben.«

    »Warum meinen Sie, daß das Verbrechen in unsere Zuständigkeit fällt? Mal davon abgesehen, daß das Opfer einer von uns war?« Milo führte das Gespräch, wofür ich ihm sehr dankbar war. Ich brachte jedenfalls kein Wort heraus.

    »Wegen der Mordmethode, Mr. Tucker. Haben Sie jemals davon gehört, daß jemand durch eine angespitzte Fahrradspeiche ins Rückgrat abserviert wird?«

    Mein Freund schüttelte den Kopf.

    »Sehen Sie. In Südafrika hingegen ist diese Art‘des Tötens zumindest unter Straßengangs so alltäglich wie bei uns ein Kampf mit Baseballschlägern. Ich war nämlich vor kurzem auf einer Fortbildung in Johannisburg, im Rahmen eines Polizistenaustauschs. Da habe ich mir die Ghettos von Soweto mal genau angesehen. Seitdem weiß ich unser friedliches und idyllisches New York wieder richtig zu schätzen.« Er lächelte selbstironisch. Doch in seiner Flapsigkeit lag ein wahrer Kern. Seit die Stadt New York die Politik der ›zero tolerance‹ durchzieht, sind die Straßen wirklich sicherer geworden. Das bedeutet: auch das kleinste Verbrechen oder Vergehen wird verfolgt. Die Polizei drückt auch bei scheinbaren Lappalien kein Auge mehr zu.

    »Sie meinen also, daß der Täter mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Südafrikaner ist? Der FBI wird eingeschaltet, weil der Mörder ausländischer Herkunft zu sein scheint und Mitglied einer Bande sein könnte?«

    Detective Sergeant Waters hakte die Daumen hinter seine Hosenträger und nickte zustimmend. »Genau das war mein Gedankengang.«

    Plötzlich hatte ich meine Sprache wiedergefunden. »Ich kriege deinen Killer, Uncle Sam«, krächzte ich mit Blick auf die Leiche.

    ***

    Biffy Reuben schrie auf. Nie zuvor gekannte Wellen der Lust durchströmten seinen muskulösen Körper, ließen ihn seine Ekstase herausbrüllen. Er krallte sich in die seidenen Bettlaken, warf sich hin und her. Er konnte kaum glauben, was mit ihm geschah.

    Die Frau, die für seinen Ausbruch verantwortlich war, bewegte sich mit raffinierten Bewegungen und Drehungen ihres gertenschlanken Luxusbodys. Claire Cornell wußte, wie sie einem Mann die höchsten Freuden schenken konnte. Sie war aber auch bereit, jeden ins Jenseits zu befördern, der es ihrer Meinung nach verdient hatte. Erst vor wenigen Stunden war Sam O’Brien durch ihre Hand gestorben.

    Die brünette Schönheit mit der kessen Pagenfrisur hätte wohl niemand des Mordes an dem pensionierten G-man verdächtigt. Dabei hatte sie direkt hinter ihm gestanden in dem vollbesetzten U-Bahn-Waggon. Mit ihren anatomischen Kenntnissen, die sie während des Medizinstudiums an der Universität von Johannisburg erworben hatte, war es ein Kinderspiel gewesen, die Fahrradspeiche mit tödlicher Wirkung in O'Briens Wirbelsäule zu treiben.

    Niemand wäre auf die Idee gekommen, diese zierliche, doch gutgebaute Frau des Mordes zu verdächtigen. Sie brauchte sich nicht zu vergewissern, daß ihr feiger Anschlag Erfolg gehabt hatte. Daher war sie schon an der Norwood Avenue ausgestiegen, während die Leiche praktischerweise zwischen den Mitreisenden eingekeilt weitergereist war. Das perfekte Verbrechen, dachte Claire.

    Danach war sie mit einem Yellow Cab in ihr Apartment in der Wooster Street zurückgekehrt. Innerlich war sie so aufgewühlt, daß sie unbedingt einen Mann brauchte. Und daher rief sie...

    »Hey, Baby«, grinste Biffy Reuben, wodurch sein ohnehin nicht sehr intelligenter Gesichtsausdruck noch dümmlicher wurde, »du warst mal wieder spitze!« Und verschwand im Bad.

    Ja, und daher rief sie ihren neuen Lover an, der außer Muskelpaketen und einem halbwegs passablen Aussehen nur einen entscheidenden Vorteil hatte. Er arbeitete als Doorman in dem Apartmenthaus, wo Claires nächstes Opfer lebte...

    Die junge Frau lächelte teuflisch, während sie aufstand und sich vor dem Spiegel produzierte. Wohlgefällig betrachtete sie ihre festen apfelförmigen Brüste, die langen wohlgeformten Beine und - über die Schulter hinweg - ihren knackigen Po. Claire Cornell wußte genau, wie sie den Männern den Kopf verdrehen konnte. Meist reichte schon ein tiefer Blick aus ihren riesigen wasserblauen Augen...

    Aus der ›Naßzelle‹ drang der falsche Gesang von Biffy. Wie sollte sie einen Menschen ernstnehmen, der sich freiwillig ›Biffy‹ nannte? Aber die geistigen Fähigkeiten ihres Lovers waren ohnehin durch seinen Job ausgereizt. ›Guten Morgen, Sir‹ und ›Guten Morgen, Ma'am‹ sagen, die Tür aufhalten... mehr konnte man von diesem Trottel nun beim besten Willen nicht erwarten, dachte sie.

    Aber ich brauche dich noch, ›Biffy-Baby‹, flüsterte sie ihm innerlich zu. Du bist ein Werkzeug meiner Rache. Und wenn ich mein Ziel erreicht habe, dann werfe ich auch dich weg. So wie diese Fahrradspeiche...

    ***

    Ich nahm einen tiefen Zug aus meiner Zigarette. Milo gab der Kellnerin ein Zeichen. Wir saßen in einem Diner an der Cleveland Street, nur einen Steinwurf von der U-Bahn-Station entfernt. Dorthin hatte mich Milo verfrachtet und mich aufgefordert, ihm von Sam O'Brien zu erzählen. Er selbst hatte den Ex-Kollegen kaum gekannt.

    »Er war ein Menschenkenner, der wußte, wie man die Leute anpacken muß«, sagte ich mit belegter Stimme. »Kannst du dich noch an deinen ersten Selbstverteidigungskurs auf der FBI-Akademie erinnern?«

    Milo machte eine Handbewegung, als hätte er sich verbrannt. »Ich spüre noch jeden blauen Fleck. Wie habe ich meinen Ausbilder gehaßt.«

    »Ich auch, Milo. Mein Ausbilder war damals Sam O'Brien.«

    Ein pickeliges Teenagergirl in einer albernen Serviererinnen-Uniform kam an unseren Tisch und füllte die Kaffeetassen nach. Hier wie in den meisten amerikanischen Diners herrschte die schöne Sitte des ›refill‹ - man bestellt und bezahlt eine Tasse Kaffee und bekommt dann so oft nachgefüllt wie man will.

    Ich trank die Tasse halb leer. »Er nahm mich richtig ran«, fuhr ich fort. »Quälte mich mit schäbigen Bemerkungen über meine ländliche Herkunft aus Harper's Village.«

    »Klingt nicht gerade nach freundschaftlichen Gefühlen.«

    »Doch, Milo. Denn nach der Stunde nahm er mich beiseite und brachte mir meine wichtigste Lektion bei. Daß sich ein G-man nie reizen lassen darf. Daß er kaltblütig kämpfen muß.«

    »Das ist nicht immer leicht«, sinnierte mein Freund.

    »Ja. Als ich eben Uncle Sam in seinem Blut liegen sah, hätte ich beinahe vergessen, was er mir beigebracht hat. Aber wir werden seinen Mörder nur fangen, wenn wir einen kühlen Kopf bewahren.«

    »Das klingt schon wieder nach meinem alten Jesse«, grinste Milo.

    »Ich will den Killer auf jeden Fall haben. Aber Haß wird uns nicht auf seine Spur bringen.«

    »Da fällt mir ein: wir müssen uns im Headquarter melden«, meinte mein Freund. »Bist du wieder soweit okay?«

    Ich nickte. »Es ist immer hart, einen Freund zu verlieren. Aber hierfür wird jemand bezahlen, das schwöre ich dir!«

    Milo sah mich mit einem seltsamen Blick an. »Du wirst doch wohl keine Dummheiten machen, Jesse? Wir vertreten ja schließlich das Gesetz.«

    Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich bin nicht plötzlich zum Fan von Richter Lynch geworden, falls du das meinst. Ich will bloß dem Mann in die Augen sehen, der das getan hat. Und ihn dann vor Gericht bringen!«

    ***

    Blitzschnell glitt Claire Cornell in einen Hauseingang. Dort vorne, nur 20 Yard von ihr entfernt, schlenderte ein Todeskandidat den Broadway hoch. Er wußte es nur nicht. Ihm war nicht klar, daß die junge Ärztin aus Südafrika ihn mit unmenschlichem Haß verfolgte.

    Der Mann ging weiter Richtung Columbia University, die Aktentasche in der rechten Hand, anscheinend nichts Böses ahnend. Claire Cornell folgte ihm weiter äußerst vorsichtig.

    Eigentlich hätte sie sich ja vollkommen sicher fühlen können. Niemand würde sie mit dem Tod von Sam O'Brien in Verbindung bringen. Und wer konnte schon ahnen, daß dieser Mann dort vorne -Jeff Randall - das nächste Opfer sein würde?

    Plötzlich schien es so, als hätte Randall etwas bemerkt. Er drehte seinen Kopf, blickte über die Schulter zurück. Claire Cornell erschrak. Im selben Moment wurde sie von einem gewaltigen Stoß zu Boden geschleudert. Sie hörte nur das Surren von Rollerskates und spürte, wie ihr die Umhängetasche von der Schulter gerissen wurde.

    Ein rollender Dieb hatte sie von hinten überrumpelt! Hohnlachend beschleunigte der Kriminelle, als er plötzlich selbst von den Füßen gerissen wurde.

    Jeff Randall hatte alles beobachtet und sprang den Rollerskater an! Beide Männer gingen ächzend zu Boden, der höchstens gerade dem Teenageralter entwachsende Ganove und der mindestens fünfzig Jahre ältere Randall.

    »Was mischst du dich ein, Alter?«

    kreischte der Klauer aggressiv. Er glaubte anscheinend, leichtes Spiel mit dem alten Mann zu haben. Er schwang drohend seine Fäuste, zielte auf das bebrillte Gesicht über ihm. Doch schon traf Randalls Handkante seine Halsschlagader. Mit einem Schmerzensschrei krachte der Schädel des Skaters gegen die Gehsteigplatten.

    Randall hatte sich mittlerweile aufgerappelt und erwartete seinen Gegner in klassischer Karate-Pose. Da kniff der feige Schurke den Schwanz ein und rollte unter lästerlichen Flüchen davon. Die umstehenden Passanten spendeten kräftig Applaus. Selbst dazwischenzugehen wäre ihnen nie in den Sinn gekommen.

    Jeff Randall klopfte den Staub von seinem Anzug und sammelte seine Aktentasche sowie Claires Umhängetasche vom Pflaster auf. Die junge Frau stand mittlerweile auch wieder auf ihren Beinen, wenn auch leicht fluchend. Ihr mangofarbener Blazer hatte allzu offensichtlich mit dem vom Sommerregen feuchten Pflaster Bekanntschaft gemacht. Und unter dem Gehschlitz ihres schwarzen Minirocks hatte sich eine Laufmasche ihren Weg gebahnt.

    »Die gehört Ihnen, glaube ich.« Mit einem feinen Lächeln reichte der alte Herr Claire ihre Tasche.

    Das Gehirn der Mörderin arbeitete fieberhaft. Was für ein idiotischer Zufall! Ausgerechnet ihr nächstes Opfer rettete sie vor einem Straßenraub. Obwohl... war nicht diese Episode geradezu eine traumhaft unauffällige Möglichkeit, Randalls Bekanntschaft zu machen, sein Vertrauen zu gewinnen? So konnte sie in aller Ruhe ihre nächste Tat vorbereiten, um die Rache für ihren Vater fortzuführen...

    »Ich danke Ihnen ganz herzlich, Mister... Mister...« Claires falsches Lächeln hätte jedem Politiker im Wahlkampf gut zu Gesicht gestanden.

    »Randall ist mein Name, Miß. Jeff Randall. Pensionierter Angestellter des Department of Justice.« Der ehemalige G-man bot ihr mit einer leichten Verbeugung seine Hand.

    Claire streckte ihm ihrerseits ihre mit langen roten Fingernägeln versehene Rechte entgegen. »Jurist sind Sie? Ich hätte geschworen, es mit einem Karatekämpfer zu tun zu haben!«

    Randall lachte. »Genauer gesagt habe ich meine aktive Dienstzeit beim FBI verbracht, das ja dem Department of Justice zugeordnet ist. Noch heute unterrichte ich einige Stunden pro Woche an der Columbia University über Verbrechensbekämpfung.«

    Claire schlug sich in gut gespielter Überraschung die Hand vor den Mund. »Das klingt ja unglaublich interessant! Wie kommt es, daß mir dieser Kurs bisher entgangen ist? Ich studiere nämlich auch Jura, müssen Sie wissen. Mein Name ist übrigens Nora Higgins...«

    Wieder verzog sich Randalls offenes Gesicht zu einem lustigen Grinsen. »Dieser Tatbestand läßt sich leicht erklären, liebe Nora. Es handelt sich um einen Sommerkurs, der erst heute beginnt. Sie haben also ein Alibi dafür, daß Sie bisher durch Abwesenheit geglänzt haben. Aber vielleicht möchten Sie ja meiner Vorlesung gerne beiwohnen...?«

    »Sehr gerne, Mr. Randall. Ich habe sowieso gerade nichts besonderes vor.«

    ***

    »Mein aufrichtiges Beileid, Jesse.«

    Ich nickte dankbar. Milo und ich saßen im Dienstzimmer von Jonathan D. McKee im FBI Building an der Federal Plaza. Unser unmittelbarer Vorgesetzter hatte für uns alle den köstlichen Kaffee geordert, mit dem seine Sekretärin Mandy die G-men verwöhnte. Nun saß der Special Officer in Charge hinter seinem Schreibtisch und blickte forschend in mein verzweifeltes Gesicht. Milo und ich hatten auf zwei Stühlen vor der Arbeitsplatte Platz genommen.

    »Ich weiß, wie nahe Sie dem ehemaligen Kollegen Sam O'Brien gestanden haben. Natürlich trifft der feige Mord an einem G-man - ob pensioniert oder nicht -jeden hier im Hause ins Mark.« Mr. McKee hielt einen Moment inne, spielte versonnen mit seiner Krawattennadel, einem persönlichen Geschenk des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. In seinem dunklen Anzug mit Weste wirkte er so vertraueneinflößend wie ein Chefarzt am Bellevue Hospital.

    »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen zumuten kann, 'an diesem Fall mitzuarbeiten, Jesse.«

    Ich zündete mir eine Zigarette an. »Sir, Sam O'Brien hat mir auf der Akademie beigebracht, mit ganzem Herzen für die Gerechtigkeit und für das Gesetz zu kämpfen. Aber mit kaltem Blut.«

    Mr. McKee lächelte. »Ich habe nichts anderes von Ihnen erwartet.« Dann holte er eine Plastiktüte aus seiner Hängeregistratur. Sie beinhaltete verschiedenen Kleinkram des täglichen Lebens.

    »Dies«, sagte unser Chef, »ist der Tascheninhalt des Opfers. Das Labor hat bereits vergeblich Fingerabdrücke gemacht.«

    Er schüttete alles vorsichtig auf die Schreibtischplatte. Alle drei beugten wir uns über das Sammelsurium. Dort.lag eine Kaugummipackung. Ein Führerschein, den die meisten Amerikaner auch als Personalausweis benutzen. Ein Reklamekugelschreiber vom Kauflaus Macy's. Eine angefangene Packung Papiertaschentücher. Eine Postkarte von den Niagarafällen. 53 Dollar und 75 Cents, bestehend aus einer 50-Dollar-Note, drei einzelnen Dollarscheinen und drei Dimes, wie die 25-Cent-Stücke auch genannt werden. Ein Notizbuch.

    Milo griff sich die Postkarte. »Lieber Sam«, las er laut vor, »es ist hier so schön! Wir wünschten, die Flitterwochen gingen nie zu Ende. Wir melden uns bald wieder. Alles Gute, Sharon und Jonathan.«

    »Wir müssen die Identität der Personen überprüfen«, ordnete Mr. McKee an. Milo nickte und machte sich einen Vermerk. Ich hatte mittlerweile das Notizbuch durchgeblättert, was nicht sehr ergiebig war. Sam hatte es offensichtlich erst vor kurzem gekauft und kaum benutzt. Nur die erste Seite war beschrieben. Dort standen untereinander die Worte:

    Sheepshead Bay Channel Odessa

    79 Leonard Street Milo kratzte sich am Kopf. »Was will uns der Dichter damit sagen?«

    »Es ist offensichtlich eine Liste«, erwiderte ich, »und zwar keine Einkaufsliste. 7 9 Leonard Street ist wahrscheinlich eine Adresse. Mit Odessa könnte ebenfalls ein Ort gemeint sein. Entweder das Odessa Restaurant an der Avenue A oder die Brighton Beach Avenue, die ja von einigen Mitbürgern auch gerne als Little Odessa bezeichnet wird.«

    »O.k., Jesse, und Sheepshead Bay ist eine U-Bahn-Station und ein Stadtteil von Brooklyn. Aber was soll Channel bedeuten? Der Ärmelkanal zwischen England und Frankreich?«

    Mr. McKee schaltete sich ein. »Vielleicht hilft uns diese Liste dabei, den Mörder zu finden.«

    Wir sahen ihn verständnislos an. »Sam O’Brien war G-man wie wir auch. Er hatte gelernt, systematisch zu arbeiten«, erläuterte unser Chef. »Gehen wir nur einmal von der Annahme aus, daß bereits ein Mordanschlag auf unseren Ex-Kollegen verübt wurde. Dieses Attentat schlägt fehl. Sam bemerkt aber, daß ihm jemand nach dem Leben trachtet...«

    »Dafür kommen buchstäblich tausende in Frage!« warf mein Freund ein. »In einem langen Fed-Leben tritt man jeder Menge schwerer Jungs auf die Füße...«

    »Richtig, Milo«, sagte Mr. McKee. »Aber Sam hatte sich vielleicht diese Notizen gemacht, um einige Verdächtige zu überprüfen, deren Rachegelüste besonders stark sind.«

    »Aber warum hat sich Sam nicht an uns oder an das N. Y.P.D. gewandt, als man ihm nach dem Leben trachtete?« fragte Milo.

    Mr. McKee sah ihm in die Augen. »Versetzen Sie sich in seine Lage. Hätten Sie nicht zuallererst selbst versucht, den Fall zu lösen?«

    Mein Freund nickte. »Selbstverständlich.«

    »Wir müssen diese Ortsangaben mit den Fällen abgleichen, die Sam bearbeitet hat«, schlug ich vor. »Vielleicht finden wir da eine Übereinstimmung.«

    Milo sah mich zweifelnd an. »Wie weit willst du das denn zurückverfolgen, Jesse? Unser Kollege war über 30 Jahre beim FBI...«

    »Irgendwo müssen wir ja anfangen«, gab ich gereizt zurück.

    »Beginnen Sie mit der Liste aus dem Notizbuch«, ordnete Mr. McKee an. »Je länger wir zögern, desto größer ist die Chance des Mörders, zu entkommen...«

    ***

    Wilde Panik und Haß spiegelten sich auf den Gesichtszügen des Hünen. Er rammte Milo seinen Quadratschädel gegen den Solarplexus. Pfeifend entwich die Luft aus den Lungen meines Kollegen, und er krachte rückwärts auf einen Tisch, der unter seinem Gewicht den Geist aufgab.

    Ich fintete mit der rechten Faust, duckte mich unter einer linken Geraden meines Gegner durch und riß wieder die Deckung hoch. Schläge seiner riesigen Fäuste prasselten auf mich ein wie ein überraschendes Sommergewitter. Special Agent Pjotr Tamarow sprang auf den Rücken des Riesen, versuchte dessen Arme festzuhalten. Doch mit einem Wutschrei schüttelte der Muskelberg ihn ab wie ein lästiges Insekt. Wenige Yard neben Milo ging Tamarow ebenfalls zu Boden.

    Wir befanden uns im Restaurant Odessa. Nur wenige Stunden nach der Einsatzbesprechung mit Mr. McKee waren wir hierhergefahren, um eine mögliche Spur nach Sam O'Briens Mörder zu verfolgen.

    Vor vier Jahren war mein alter Freund noch im aktiven Dienst gewesen und hatte einem Boß der Russen-Mafia zu einem langjährigen Urlaub in dem amerikanischen Freizeitpark Rikers Island verholfen. Nur daß die Luft in diesem Ferienparadies ein wenig gesiebt war und die Animateure Gummiknüppel und Karabiner trugen. Victor Semjenko hatte noch im Gesichtssaal dem ›FBI-Bullen‹ auf seine poetische russische Art tausend Tode gewünscht.

    Damals unterhielt er im Restaurant ›Odessa‹ so eine Art Büro. Die Fäden seiner Organisation liefen hier zusammen. Ein Grund für Sam, diesen Ort in seinem Notizbuch zu verewigen? Das wollten wir überprüfen. Wir hatten noch unseren Kollegen Pjotr Tamarow mitgenommen, der als Sohn russischer Einwanderer zweisprachig aufgewachsen ist und eine unschätzbare Hilfe darstellt, wenn sich Verdächtigte nach der Verhaftung noch schnell auf Russisch zuraunen, wo der Stoff versteckt ist...

    Wir drei G-men brauchten jedenfalls nur das Restaurant ›Odessa‹ zu betreten und unsere Dienstausweise vorzuzeigen. Schon griff uns das rasende Riesenbaby an, als hätten wir etwas Schlimmes über seine Mutter gesagt.

    Ich stand fest mit beiden Beinen auf dem gebohnerten Fußboden und boxte mit dem Mut der Verzweiflung. Ich hätte zurückspringen und meinen Smith and Wesson ziehen können. Doch mein Angreifer kämpfte wie rasend. Ich bezweifelte, ob er sich durch die Bedrohung mit einer Schußwaffe besänftigen lassen würde. Und ich bin kein Mörder.

    Er landete einen rechten Haken auf meiner Nase, die zurückklappte, durch den Hinterkopf flog und gegen die Wand klatschte. Jedenfalls fühlte es sich so an. Sekunden nach seinem K.O. war Milo schon wieder auf den Beinen und kam jetzt von der Flanke an den Riesen heran.

    Ich schmeckte Blut auf meiner Zunge. Endlich brach auch mal einer meiner Hiebe durch die Deckung des Giganten. Leider schien es ihm überhaupt nichts auszumachen. Milos Faust krachte gegen sein Kinn, doch er schüttelte sich nur. Sein nächster Schlag riß mich von den Beinen. Ich torkelte rückwärts, riß eine Damasttischdecke herunter und wurde unter einer Ladung von feinstem Porzellan begraben. Scherben bringen Glück!

    Schon wollte ich mich wieder in die Schlacht stürzen, da fiel der Riese um wie vom Blitz gefällt. Pjotr Tamarow hatte sich von hinten an ihn herangeschlichen und ihm mit dem Knauf seines Smith and Wesson den Scheitel nachgezogen.

    Der Boden zitterte, als der Mann sich schlafen legte.

    »Ich hasse es, von hinten zu kommen«, murmelte Pjotr, während er seinem Kontrahenten Handschellen anlegte. »Aber der hätte uns alle drei totgeschlagen.«

    Ich nickte und warf einen Blick in die Runde. Außer dem ruppigen Riesen war absolut niemand zu sehen. War heute geschlossen? Unwahrscheinlich in einer Stadt wie New York, wo auch die Gastronomie niemals schläft und es kein Problem ist, auch um drei Uhr früh noch ein komplettes Dinner serviert zu bekommen.

    Ikonen von russischen Heiligen schmückten die Wände. Ein großes Fotoporträt von Michail Gorbatschow mit persönlicher Widmung war unweit des Eingangs plaziert. Die Speisekarte hatte man in Englisch und Kyrillisch abgefaßt. Ein Lokal der gehobenen Preisklasse, das offenbar sowohl für Exilrussen als auch für neugierige Amerikaner gedacht war.

    »Und die Boxeinlagen gibt's noch gratis dazu!« dachte ich laut.

    Milo grinste schief und rieb sich die Kinnpartie. »Nach unserer Begegnung mit der charmanten Gastfreundschaft dieses Schmalspur-Kosaken vermute ich stark, daß hier etwas oberfaul ist.«

    »Ja, anscheinend hat er uns erwartet«, bestätigte ich. »Und konnte uns gar nicht schnell genug in den Boden rammen.«

    »Wir werden sehen«, schaltete sich Pjotr ein. »Jedenfalls ist er gleich wieder da.«

    Und wirklich blinzelte unser Gefangener, schüttelte seinen gewaltigen Schädel und riß an seinen Armreifen, die zum Glück verdammt stabil konstruiert sind. Man müßte schon Superman sein, um sie sprengen zu können.

    Da er uns nun nicht mit seinen Pranken den Hals umdrehen konnte, fing er wenigstens mit einer wilden Schimpfkanonade an. Das vermutete ich aufgrund seines Gesichtsausdrucks und der Art, wie er uns seine russischen Wortfetzen um die Ohren knallte.

    Pjotr setzte sich umgedreht auf einen Stuhl und begann, ebenfalls in seiner Muttersprache ruhig auf den Mann einzureden. Nach und nach schien sich der Riese abzuregen und sogar halbwegs vernünftige Antworten zu geben. Mit einer Kopfbewegung forderte ich Milo auf, mit mir zusammen zur Seite zu gehen. Das konnte der Befragung nur nützen. Wir gingen zur Garderobe, setzten uns auf die Theke und steckten uns jeder eine Zigarette an.

    »Südafrika«, sagte ich. »Eine klassische Mordmethode aus Südafrika... Aber hier haben wir es mit Exilrussen zu tun. Sind wir da nicht völlig auf dem falschen Dampfer?«

    Milo schwieg eine Weile und sog nachdenklich an seinem Glimmstengel. »Die Moskauer Mafia wird international, Jesse. In den arabischen Golfstaaten ist beispielsweise die Prostitution schon fest in der Hand von russischen Gangs. Und von dort aus ist es ja auch nicht mehr so weit nach Afrika...«

    »Das stimmt. Und wenn wir mal davon ausgehen, daß Victor Semjenkos Kreaturen für den Tod von Uncle Sam verantwortlich sind - vielleicht haben sie ja dieses exotische Killerinstrument gewählt, um den Verdacht gleich von sich abzulenken?«

    Milo stieß mir den Zeigefinger vor die Brust. »Das könnte sein.«

    Plötzlich zerbarst die große Fensterscheibe zur Straße hin mit einem dramatischen Klirren. Reaktionsschnell rollten wir uns nach hinten ab und fanden Deckung durch das massive Holz der Garderobentheke. Ich zog meinen .38er. Doch das erwartete Mündungsfeuer blieb aus.

    »Gib mir Deckung, Milo!«

    Ich sprang vor und arbeitete mich geduckt an das Fenster heran. Mitten im Raum lag ein Ziegelstein, an dem jemand mit Gummiband sorgfältig einen Brief befestigt hatte.

    »Wohl zuviel alte Gangsterfilme reingezogen«, brummte ich und sah mir das Schreiben an. Kyrillische Buchstaben -ein Fall für Pjotr. Als hätte er meine Gedanken gelesen, tauchte der russischstämmige Kollege neben mir auf.

    »Laß mal sehen«, bat er.

    Nach flüchtigem Lesen gab er mir den Schrieb zurück. Milo und ich sahen ihn gespannt an.

    »Aus Frankensteins Monster habe ich nicht viel rausgekriegt«, begann er. »Er scheint wohl geistig etwas simpel gestrickt zu sein. Angeblich sollte er sich hier im Restaurant Odessa als Tellerwäscher vorstellen. Ist gerade einige Minuten vor uns eingetroffen. Sagt er.«

    »Und warum wollte er uns plattmachen?« fragte Milo.

    »Weil wir Bullen sind, Milo. Der gute Mann ist nämlich ein illegaler Einwanderer. Das hat er immerhin zugegeben. Ihr müßt euch seinen Gedankengang vorstellen. In Rußland hast du es mit zweierlei Arten von Polizei zu tun. Einerseits gibt es die Miliz. Das sind größtenteils Witzfiguren, bestechlich bis zum Mützenrand. Und andererseits gibt es die harten Burschen von Ommon, die Truppen des Innenministeriums. Die kannst du nicht kaufen.«

    »Und Riesenbaby hält uns für eine Art amerikanische Ommon?« riet ich.

    »Richtig, Jesse. Darum hat er uns sofort angegriffen. Wenn er uns für die örtliche Ausgabe der Miliz angesehen hätte, würde er wohl bloß seine Brieftasche gezückt haben.«

    »Reizende Sitten«, kommentierte Milo.

    »Und was ist mit dem Backstein-Brief?« hakte ich nach.

    Pjotr lachte. »Sinngemäß steht drin, daß die Moskauer feige Ratten sind und lieber wieder unter die Schürzen ihrer Mütter kriechen sollen.«

    »Klingt für mich wie eine gezielte Provokation im Bandenkrieg«, meinte ich. »Frag doch unseren russischen Mitbürger mal, ob er aus Moskau stammt und was er von dem Brief hält.«

    Tamarow kam meinem Wunsch nach. Kurz nachdem er den Gefangenen angesprochen hatte, antwortete dieser mit einem unmenschlichen Gebrüll.

    »Er kommt aus Moskau«, vermutete ich. »Und der Brief gefällt ihm gar nicht.«

    »Beeindruckend, wie schnell du fremde Sprachen lernst«, witzelte Milo.

    »Wie auch immer - hier kommen wir nicht weiter. Ich rufe mit dem Handy die Einwanderungsbehörde an. Danach können wir...«

    Eine Maschinenpistolensalve unterbrach mich. Das Restaurant verwandelte sich in ein Inferno.

    ***

    Verführerisch lächelnd schlug Claire Cornell die Beine übereinander. Der Seminarraum im Fachbereich Jura der ehrwürdigen Columbia University war mit einem guten Dutzend Studentinnen und Studenten belegt.

    Es gab keine Tische, sondern die in amerikanischen Hochschulen gerne benutzten Stühle mit einer kleinen herunterklappbaren Schreibfläche an der rechten Seite. Das bedeutete auch: keine Sichtblende für diejenigen, die Claires wohlgeformte Oberschenkel betrachten wollten. Und das taten alle männlichen Anwesenden - mehr oder weniger unauffällig.

    Die Mörderin grinste still in sich hinein, war sich ihrer überwältigenden Wirkung auf Männer durchaus bewußt. Das Schicksal hatte ihr einen Joker zugespielt, indem es sie auf so spektakuläre Art die Bekanntschaft von Jeff Randall machen ließ. Weggeblasen war der Vorsatz, ihr zukünftiges Opfer auszuspionieren.

    Nein, sie würde als Nora Higgins in sein Leben eindringen. Und es auf grausame Weise beenden. So wie O'Brien und Randall ihren Vater vernichtet hatten !

    Und bevor die New Yorker Polizei auch nur den leisesten Verdacht schöpfte, wäre sie schon wieder zurück in ihrer südafrikanischen Heimat.

    Obwohl Claire Cornell gebürtige Amerikanerin war, konnte sie mit ihrem Herkunftsland nichts anfangen. Sie war ganz und gar traditionell britisch erzogen worden, in einer traditionellen Klosterschule bei Pietermaritzburg. Auch ihr Medizinstudium hatte sie mit einem Stipendium für Hochbegabte am Kap der guten Hoffnung äußerst erfolgreich abgeschlossen.

    Und nun saß sie hier, in dem von ihr so verhaßten New York. Gab sich als angehende Juristin aus und würde gleich dem Vortrag des Mannes lauschen, der ihrer Ansicht nach ihren Vater auf dem Gewissen hatte...

    Jeff Randall betrat den Raum. Die Gespräche zwischen den Studenten verstummten.

    »Ladies and Gentlemen, ich wünsche einen guten Tag!« Mit diesen Worten ging er an die Tafel und schrieb mit Kreide einen Namen.

    Senator Joseph McCarthy.

    Claires Herz machte einen Sprung. Wie konnte er es wagen!

    »Ich möchte heute mit Ihnen über diesen Mann und seine Bedeutung für die amerikanische Justizgeschichte sprechen«, begann der ehemalige G-man.

    Die junge Ärztin spürte, wie ihr die Zomesröte ins Gesicht stieg. Nimm dich zusammen, verdammt! dachte sie.

    »Wer kann uns etwas über Mr. McCarthy sagen?«

    Claire hätte gerne eine Bombe gezündet, jetzt sofort. Und diesen verdammten FBI-Killer und seine ganzen verfluchten amerikanischen Studenten in Fetzen gerissen!

    Ein pickeliger Strebertyp hob die Hand. »Ja, Clyde?«

    Claire zitterte förmlich vor Wut. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie auffiel. Sie mußte sich zusammenreißen.

    Gute Miene zum bösen Spiel machen.

    »Senator Joseph McCarthy war der Vorsitzende des Un-American Activities Committee«, schnarrte der Junge.

    Er war ein Teufel! schrie es in Claire.

    »Richtig, Clyde«, nickte Randall. »Und was war die Aufgabe dieses Kommitees der Bundesregierung?«

    Terror, Gehirnwäsche und Verrat, dachte die junge Frau. Doch ein anderer Student sagte: »Er sollte die versteckten Aktivitäten von Kommunisten aufdecken, die die staatliche Ordnung bedrohten.«

    »Das war eigentlich die Aufgabe des Kommitees«, bestätigte der pensionierte Special Agent. »Doch oftmals war dies nur ein Vorwand für persönliche Abrechnungen, wobei manchmal die Existenz von unschuldigen Personen vernichtet wurde. Es wird Sie vielleicht überraschen zu hören, daß ich selbst damals als FBI-Beamter an den Ereignissen direkt beteiligt war...«

    Das weiß ich, du Bastard, dachte Claire, deren Wut sich mittlerweile in kalten Haß verwandelt hatte. Und dafür wirst du in der Hölle schmoren...

    ***

    Tamarow hatte seinen Gefangenen in Deckung gerissen. Milo und ich preßten uns flach auf den Fußboden des Restaurants, während uns die Maschinenpistolensalven um die Ohren sirrten.

    Milos Smith and Wesson bellte auf, als er das Feuer erwiderte. Ich griff zum Handy: »Zentrale? Tucker, Tamarow und Trevellian erbitten Verstärkung. Feuerüberfall mit automatischen Waffen im Restaurant Odessa an der Avenue A. Anzahl der Gegner unbekannt.«

    Die Salven hackten in die Wände. Wir mußten raus hier, und zwar schnell! Ich robbte vorwärts, in Richtung auf das zerborstene Panoramafenster zur Straße hin. Direkt vor dem Restaurant stand eine protzige schwarze Lincoln-Limousine mit sechs Türen. Zwei der dunkel getönten Fenster waren heruntergekurbelt, um Platz für jeweils ein AK-47 Sturmgewehr zu schaffen. In früheren Zeiten die klassische Waffe der Roten Armee, wurde nach dem Zusammenbruch des Sowjetreiches der schwarze Markt förmlich überschwemmt mit diesen unter der Bezeichnung Kalaschnikow bekannten Maschinenpistolen. Und russische Gangster saßen natürlich an der Quelle.

    Obwohl ich einen miserablen Schußwinkel hatte, versuchte ich mein Glück. Mit ausgestrecktem rechten Arm, die Schußhand mit der Linken stabilisierend. Ich drückte ab. Das Projektil streifte das Limousinendach und schwirrte dann als Querschläger irgendwo in den Dreck und Unrat der Avenue A.

    Eines der AK-47 schwenkte herum und zielte direkt auf mein Mündungsfeuer, auf mich. Wieder sprach der Smith and Wesson. Diesmal mit Erfolg. Ein Schmerzensschrei ertönte, und der Lauf der Kalaschnikow verschwand aus dem Fenster.

    Unser Widerstand schien den Kampfesmut der Autobesatzung zu schmälern. Sekunden später startete die Limousine mit durchdrehenden Reifen in Richtung Central Manhattan.

    Ich riß das Handy aus der Tasche: »Zentrale, Trevellian hier. Flüchtige in schwarzer Lincoln-Limousine, Kennzeichen unbekannt, vermutlich Staat New York. Fahren Avenue A hoch Richtung Norden. Meldung an City Police und sämtliche FBI-Einsatzkräfte!«

    Illusionen machte ich mir allerdings nicht, was diese Fahndung betraf. Das Fahrzeug war mit Sicherheit gestohlen. Die Kollegen vom N. Y.P.D. würden es in einigen Stunden irgendwo hier in der Gegend finden. In Alphabet City, wie das Quartier zwischen den Avenues A bis D genannt wird. Das Auto würde dann vermutlich ausgebrannt sein, und natürlich würde kein Mensch gesehen haben, wer es angezündet hatte. Zumal viele der Vögel, die sich hier tagsüber auf der Straße rumtrieben, ihr mieses Leben als Drogendealer oder Räuber finanzierten. Und sich daher bestimmt nicht darum reißen würden, als Zeugen aussagen zu dürfen.

    Ich biß die Zähne zusammen. Probleme sind dazu da, um gelöst zu werden!

    Mit quietschenden Reifen hielt ein grasgrüner Pontiac vor dem Restaurant Odessa. Jay Kronburg und unser indianischer Kollege Blackfeather stiegen aus. Ich grinste. Wenn der FBI Field Office New York den Preis für den bestangezogendsten Mann des Jahres zu vergeben hätte, würde Blacky ihn im Dauerabo bekommen. Er war stets wie aus dem Ei gepellt.

    Auch an diesem Sommer-Vormittag ging er wieder in bestem Zwirn. Der maßgeschneiderte Anzug aus Kammgarn war trotz der Hitze mit einer Weste versehen, die entsprechend der aktuellen Mode hochgeschlossen zu sein hatte. Zum Seidenhemd trug er eine dezent bestickte Krawatte. Seine Füße steckten in maßgefertigten Slippern aus Kalbsleder, die er sich von einem neunzigjährigen italienischen Schuhmachermeister auf der Lower East Side hatte machen lassen. Nach Blackys Aussage der letzte Künstler unter lauter stumpfsinnigen Besohlern.

    »Hat der Feind gekniffen?« fragte Jay. »Und dafür brechen wir alle Verkehrsregeln?«

    »Ihr kommt trotzdem gerade richtig«, meinte Pjotr Tamarow und schob den widerspenstigen Riesen an die Bordsteinkante. »Nehmt diesen Vogel mit zur Federal Plaza. Die Anklage lautet einstweilen auf tätlichen Angriff gegen Bundesbeamte im Dienst. Über seine Rechte ist er belehrt worden - auf Russisch natürlich.«

    Blacky drückte den illegalen Emigranten in den Fond des Pontiac. »Dawai, dawai«, rief er. Vielleicht, um uns seine beeindruckenden Fremdsprachenkenntnisse zu demonstrieren.

    »Es besteht der Verdacht, daß ein Bandenkrieg zwischen Exilrussen aus Moskau und einer anderen Stadt im Gang ist«, informierte ich Jay Kronburg. »Wir werden uns mit Pjotrs Hilfe hier noch ein wenig umhören. Unsere Vernehmungsspezialisten sollen sich schon mal den Verdächtigen zur Brust nehmen.«

    Wir verabschiedeten uns von Blacky und Jay. Warum war das Restaurant Odessa mitten am Tag menschenleer gewesen? Hatte der ›russische Pate‹ Victor Semjenko bei Sam O’Briens Tod die Killermarionetten geführt? Was hatte der innerrussische Bandenkrieg in Alphabet City zu bedeuten?

    Harte Nüsse, die wir jetzt würden knacken müssen...

    ***

    Irgendwie hatte Claire die Lektion über Senator McCarthy überstanden. Sie hoffte, sich nicht allzu auffällig verhalten zu haben. Aber daß Jeff Randall ausgerechnet diesen Politiker und sein Un-American Activities Committee zum Thema der Vorlesung machen mußte!

    Denn nach Claires Meinung trug niemand anders als der Kommunistenjäger McCarthy sowie der FBI die Schuld am Selbstmord ihres Vaters.

    Henry Cornell war in den fünfziger Jahren ein gefeierter Komödienschreiber am Broadway gewesen. Aus seiner Feder stammten Lacherfolge wie ›Komm vom Baum, Papa‹, ›Dorftrottel Dempsey in Manhattan‹ oder ›Heirate keinen Iren‹. Er schwamm im Geld, war beliebt und hatte jede Menge Freunde.

    Claire saß gedankenverloren in einer gemütlichen Nische des ›Manitoba Inn‹ unweit der Columbia University. Die Straßen um das Universitätsgelände wimmelten nur so von Clubs und Restaurants, Single Bars und Diskos. Jeff Randall hatte sie nach seiner Veranstaltung auf einen Kaffee hierher eingeladen.

    »Nicht wahr, Miß Higgins?«

    »Wie bitte?« Claire schrak auf. Der ehemalige G-man hatte ihr offenbar gerade etwas erzählt. Und sie hatte nicht zugehört, gefangen in den Gedanken an ihren Vater. Doch wenn sie Randalls Vertrauen erwerben wollte, mußte sie mit ihm reden. Und nicht vergessen, daß sie für ihn ›Nora Higgins‹ war.

    »Ich sagte gerade, daß die McCarthy-Zeit für junge Menschen ihrer Generation nicht mehr vorstellbar ist.«

    »Wie meinen Sie das, Mr. Randall?«

    »Wir waren damals mitten im Kalten Krieg. Viele Leute benahmen sich, als würden schon morgen russische Panzer über den Times Square fahren. Und jeder, der irgendwann mal auch nur kurzfristig Kommunist war, galt als Sowjetspion. Viele Menschen, die ich damals als FBI-Agent überwacht habe, stellten sich als völlig harmlos heraus.«

    So wie mein Vater, dachte Claire. Aber du und O'Brien mußtet ihn ja in die Mangel nehmen. Und sein Leben zerstören. Doch mit deinem damaligen Partner bin ich schon quitt. Und du bist auch bald dran...

    »Darum ist es so interessant, Ihnen zuzuhören«, flötete die Ärztin mit ihrem falschesten Flirtlächeln.

    Randall grinste geschmeichelt. »Vorträge machen mir nur Spaß, wenn mein Publikum so aufmerksam ist wie Sie«, gab er das Kompliment zurück. »Obwohl ich das Gefühl hatte, daß das Thema McCarthy Ihnen ungewöhnlich nahegeht.«

    Claire schrak auf. »Wieso?«

    »Nach einem ganzen Leben als G-man kenne ich die Menschen, Nora. Sie sind abwechselnd kreidebleich und puterrot geworden, schienen manchmal förmlich herausplatzen zu wollen. Was bewegt Sie so sehr an McCarthy?«

    »Nichts«, stammelte Claire. »Es ist wirklich nichts.« Hatte er Verdacht geschöpft? Ein Grund mehr, mit ihrem Plan nicht länger zu warten...

    ***

    Eulalio Sanchez war von Beruf Überlebensspezialist.

    Übelmeinende Mitmenschen hätten ihn wahrscheinlich eher als ›Penner‹, ›Strolch‹ oder ›Asozialen‹ bezeichnet. Doch solche Beleidigungen waren noch das kleinste Übel unter den vielen Härten, die das Leben auf der Straße bereithielt.

    Wenn man dort draußen nicht untergehen wollte, wurde man eben zum Überlebensspezialisten.

    An diesem Tag genoß Eulalio Sanchez den Manhattansommer im Tompkin’s Square Park. Er saß auf einer Parkbank und betrachtete wehmütig die Rasenflächen, die sich zwischen ihm und dem Kinderspielplatz befanden.

    Noch im letzten Winter hatte er hier im Tompkin's Square Park in einer selbstgebauten ›Papp-Villa‹ residiert. Die ganze Anlage hatte sich in ein richtiges Obdachlosen-Dorf verwandelt. Bis die Cops anrückten und alles niederwalzten.

    Eulalio war ein friedlicher Mensch. Er hatte sich nicht an den Schlägereien beteiligt, die seine Mitbewohner der Ordnungsmacht geliefert hatten. Seine Habseligkeiten paßten in eine Macy's-Plastiktüte. Und die hatte er schnell gepackt und sich wieder auf die löcherigen Socken gemacht.

    Leben und leben lassen, lautete Sanchez Motto. Bald hatte er sich einige Straßen weiter südlich an der Lower East Side mit einigen anderen Straßentypen angefreundet, deren Pennplatz in einem Abbruchhaus er mitbenutzen durfte. Das Wohlwollen seiner Schlafgenossen erkaufte er sich durch großzügiges Spendieren von ›California King‹-Wein aus dem Seven-Eleven-Supermarkt. Eine Marke, deren ›königlicher‹ Name in keinem Verhältnis zur Qualität stand. Das Zeug schmeckte angeblich wie Laternenpfahl ganz unten. Sanchez konnte das nicht beurteilen, denn er gehörte zu den wenigen ›Straßenmännern‹, die keinen Alkohol tranken. Er war eben Überlebensspezialist.

    Mit geschlossenen Augen döste der gebürtige Mexikaner in der Mittagssonne. Noch eine halbe Stunde, und er würde zu seiner ›Arbeit‹ zurückkehren. Zusammen mit anderen verwegenen Gestalten sprang Eulalio Sanchez an der Bowery vor Autos, die an Ampeln warteten. Mit einem schmierigen Lappen ›säuberte‹ er die Windschutzscheibe und kassierte dafür von verängstigten Autofahrern einige Cent.

    Plötzlich hörte er Stimmen, zusammen mit sich nähernden Schritten auf dem Kies des Parkwegs.

    »Nicht hier, du Idiot!«

    »Warum nicht? Ist doch niemand da. Nur der Meskin-Penner auf der Bank. Und der versteht uns sowieso nicht.«

    Sanchez schnaubte innerlich, rührte aber keinen Finger. Das Schimpfwort ›Meskin‹ für Mexikaner gehörte zu den ersten Vokabeln, die er in seiner neuen Heimat Amerika hatte lernen müssen. Bei seiner Sprachbegabung schnappte er schnell neue Begriffe auf. Er hatte ja auf der Universität von Mexiko City sogar Russisch gelernt, bevor der Ruin seines Vater ihn zur Auswanderung zwang. Und es mit ihm bergab gegangen war...

    Jedenfalls hielten die beiden Männer ihn für einen ungebildeten ›Bohnenfresser‹, in dessen Gegenwart sie unbesorgt auf Russisch Kriegsrat halten konnten. Doch Eulalio Sanchez verstand jedes Wort.

    »Grigori hat's erwischt.«

    »Tot?«

    »Njet. Armdurchschuß. Der eine Bulle hat ihn getroffen.«

    »Was ist mit dem Auto?«

    »Abgestellt und abgefackelt.« Ein dreckiges Lachen.

    »Und die Bullen?«

    »Nerven die Nachbarschaft beim Odessa. Aber da hält jeder dicht.«

    »Wann kommt der Chef? Wo treffen wir uns?«

    »Um vier. Im alten Pfandhaus.«

    »Da. Laß uns jetzt trennen, sonst kriegen uns die Kiew-Ärsche noch in die Finger.«

    »Bis wir sie endgültig fertiggemacht haben.«

    Lachend verschwanden die Männer.

    Eulalio Sanchez wartete noch ungefähr fünf Minuten. Dann schlug er die Augen auf und bewegte sich in Richtung Avenue A.

    Der Mexikaner ging grundsätzlich jedem Ärger aus dem Weg, aber die russischen Banden machten auch ihm das Leben schwer. Seit sie vor einigen Jahren in der Lower East Side erstmals aufgetaucht waren, hatte sich so mancher Obdachlose bei ihnen eine blutige Nase geholt. Auch Sanchez war von ihnen schon einmal zum Spaß durch die Mangel gedreht worden.

    Der einzige Vorteil hatte darin bestanden, daß er beim anschließenden Aufenthalt im Armenkrankenhaus zum ersten Mal seit Jahren wieder in einem Bett geschlafen hatte.

    Natürlich war dem fixen Überlebenskünstler nicht entgangen, daß früher am Tag beim Restaurant Odessa eine Schießerei stattgefunden hatte. Was hatte der eine Russe gesagt? La policia lief noch in der Gegend rum und suchte Zeugen? Da konnte er ja sicher für das soeben Gehörte dankbare Abnehmer finden.

    ***

    »Das geht nich', Claire! Echt nich'!«

    Biffy Reuben versuchte standhaft zu bleiben. Doch sein Widerstand schmolz wie eine Freiheitsstatue aus Vanilleeis in der Augustsonne Manhattans.

    Claire Cornell saß neben ihm auf dem billigen Versandhaus-Sofa von Sears, Roebuck Company. Als der Doorman vor einigen Wochen die junge Frau erstmals in sein winziges Apartment in der Orchard Street mitgenommen hatte, hätte Claire beinahe aufgekreischt angesichts der Geschmacklosigkeit ihres neuen Lovers.

    Die Wohnung sah aus wie der wahrgewordene Einrichtungstraum eines Plüschbären. Doch die Mörderin ging schließlich mit Biffy ins Bett, um ihre Ziele zu erreichen. Im Vergleich dazu war es keine große Sache, diesen Kitsch zu ertragen.

    »Aber Biffy!« Sie schmiegte sich an ihn und schnalzte ihre Zunge in sein Ohr. Der Doorman atmete heftiger. Die Erinnerung an seine Berufspflichten schien immer mehr zu verblassen.

    »Ich kann nich', Claire! Ich kann dich nich einfach ins Gebäude lassen!«

    Als Claire Cornell Biffy Reuben erstmals angesprochen hatte, gab sie sich als Fotografin aus. Als eine jener Künstlerinnen aller Art, die Jahr für Jahr zu tausenden in die Ostküstenmetropole strömen, weil sie Frank Sinatras Lied über New York im Kopf haben. Wer es hier schaffen kann, schafft es überall...

    Und nun versuchte die Killer-Ärztin dem naiven Doorman einzureden, wie hervorragend es sich von dem Dach des Gebäudes aus fotografieren ließe, in dem er arbeitete.

    »Ach bitte, Biffy-Darling!« flötete sie. »Man hat bestimmt einen ganz tollen Blick auf das Flatiron-Building!«

    Biffy grinste, als er an das seltsam aussehende Hochhaus aus dem Jahre 1902 denken mußte. Es erinnerte wirklich an ein Bügeleisen. Er hatte es ja als Doorman der Virginia Apartments ständig vor Augen. Eigentlich hatte Claire ihn schon überredet. Was sollte denn schon passieren, wenn er sie auf dem Dach Fotos machen ließ? Aber erst wollte er sich noch etwas bitten lassen.

    Als hätte sie seine Gedanken erraten, legte die Mörderin ihre feingliedrige Hand auf sein Knie und schob sie langsam an seinem Körper hoch. Biffy schluckte schwer. Claire schlug die Beine übereinander und gewährte ihm vollen Ausblick auf ihre Oberschenkel, die von einem schwarzen Stretchmini nur noch äußerst knapp bedeckt wurden.

    Der nicht sehr smarte Mann stand kurz davor, sein letztes bißchen Verstand zu verlieren.

    »Äh, gut, o.k. Mach deinö Fotos. Aber nur eine halbe Stunde, o.k.?«

    »Du bist ein Schatz!« juchzte Claire und küßte ihn leidenschaftlich. Was finde ich bloß an diesem Kerl, dachte sie, als sie seine Pranken auf ihrer Haut fühlte. Er ist ein Hengst, blitzte es durch ihren Kopf, während sie sein Hemd aufknöpfte. Und vor allem arbeitet er als Doorman in den Virginia-Apartments. Wo Jeff Randall wohnt...

    ***

    Mürrisch hockten Milo, Pjotr und ich in ›Max's Deli‹ und kauten an je einem Cornedbeef-Sandwich. Dazu aßen wir sauer eingelegtes Gemüse. Jene Lower East Side Pickles, für die der Stadtteil berühmt ist. Mindestens ebenso typisch für die Bewohner dieser Slumstraßen ist allerdings ihre Schweigsamkeit der Polizei gegenüber. Davon hatten wir uns gerade ausgiebig überzeugen können.

    Nachdenklich starrte ich in meine Kaffeetasse. Der Imbißbetrieb brummte um die Mittagszeit. Doch es war, als wäre eine unsichtbare Mauer zwischen den anderen Gästen und uns errichtet worden. Jeder sah, daß wir nicht hierhergehörten. Und jeder wußte wohl inzwischen, daß wir G-men waren.

    Ich wollte mir gerade mehr von der starken, dunklen Flüssigkeit genehmigen, als ich einen heftigen Stoß erhielt. Der Kaffee ergoß sich auf mein Jackett.

    »Paß doch auf!« knurrte ich. Direkt neben mir war plötzlich ein ziemlich abgeschabt aussehender Latino auf der Bildfläche erschienen. Sein Schädel kam bedrohlich näher.

    »Verhaften Sie mich!« zischte er mir zu, während er mein Revers packte. »Verhaften Sie mich, und Sie erfahren alles über den Bandenkrieg im Odessa!«

    Ich schaltete sofort. Dieser Mann lebte hier, konnte es sich nicht leisten, als Verräter zu gelten. Es war ihm nicht möglich, einfach zu uns zu kommen und seine Aussage zu machen'. Wir mußten ihn unter einem Vorwand mitnehmen.

    »Verdammter Gringo, paß doch selber auf!« schimpfte er nun laut. Ich sprang vom Barhocker, stieß ihn zurück. Nicht zu brutal, versteht sich.

    »Du Penner wagst es, einen Regierungsbeamten anzugreifen?« rief ich so laut, daß es auch noch der letzte Thekenhänger hören konnte.

    »Regierungsbeamter?« wiederholte der Latino und ging wieder auf mich los. »Wißt ihr, .was eure Regierung mich kann?« Und er sagte es uns. Daraufhin legte ich ihm Handschellen an und leierte das Mirandagesetz herunter: »Sie haben das Recht...«

    Die Stimmung um uns herum wurde allmählich richtig feindselig. Ich hätte wetten mögen, daß jeder in dem schmierigen Eßlokal mehr oder weniger Dreck am Stecken hatte. Es waren fast fünfzig Männer zwischen den ungeputzten Fensterscheiben und dem unaussprechlichen Gestank der Toilette versammelt. Wenn sie gemeinsam handelten, hätte das echte Probleme für uns bedeutet.

    Aber sie waren feige. Und jeder von ihnen kämpfte nur für sich allein. Jeder gegen jeden. Falls sie überhaupt kämpften. Die meisten sahen nicht aus wie richtige Kriminelle, sondern eher wie Schnorrer und Tagediebe.

    Darum beschränkten sie sich nur auf einige halblaute Bemerkungen über Polizeigewalt, als wir unseren Gefangenen in Richtung Ausgang schleiften.

    Unseren Chrysler aus dem FBI-Fahrzeugpark hatten wir circa 100 Yard weiter nördlich an der East 6th Street geparkt. Ein Auto, das schäbig genug aussah, um in dieser Gegend nicht sofort aufgebrochen zu werden.

    »Dir werden wir schon Benehmen beibringen!« sagte ich laut. Wir mußten alle unsere Rollen weiterspielen. Zumindest, bis wir im Auto saßen.

    Milo lief vor und schloß den Fonds auf. Ich drückte den schäbig gekleideten Mann routiniert hinunter und schob ihn auf die Rückbank. Setzte mich neben ihn und rammte die Tür zu. Milo und Pjotr stiegen vorne ein und fuhren los.

    »Unsere kleine Vorstellung scheint das Publikum überzeugt zu haben.« Mit diesen Worten befreite ich den Zeugen von seinen Handschellen.

    »Ich danke Ihnen, Mister«, sagte der Latino und rieb sich die Handgelenke. »Da ich auch weiterhin in der Lower East Side zu leben gedenke, war dies der einzig mögliche Weg, Sie zu kontakten.«

    »Sie klingen nicht gerade, als wären Sie in der Gosse aufgewachsen, Mister...«

    »Sanchez. Eulalio Sanchez, wenn Sie gestatten. Aber meine Pechsträhne reicht von Mexiko City bis Manhattan. Und deshalb nützt mir auch meine Bildung nichts. Immerhin«, lachte er bitter auf, »kann ich dank meiner Russischkurse wahrscheinlich eine wirklich wertvolle Aussage machen.«

    »Dann hätte wenigstens unsere Pechsträhne ein Ende«, kommentierte Milo über die Schulter hinweg. »Und wir können die Lower East Side ein Stückchen sicherer machen.«

    ***

    Im FBI Building an der Federal Plaza bestellten wir in der Kantine zunächst einen Berg Sandwiches sowie eine riesige Kanne Kaffee für unseren hungrigen Zeugen.

    Eulalio Sanchez widmete sich an diesem Mittwoch dem Essen mit einer Hingabe, als wäre es das erste in der Woche. Vielleicht war es das auch. Milo und ich hatten darauf verzichtet, ihn durch unsere Verhörspezialisten befragen zu lassen.

    Wir saßen in unserem gemeinsamen Büro und übten uns in Geduld, bis unser gieriger Gast auch den letzten Brotkrümel zwischen seinen Lippen hatte verschwinden lassen. Mein Gefühl sagte mir, daß dieser Mann uns nicht übers Ohr hauen wollte. Nach so langer Zeit im Polizeidienst entwickelt man einen sechsten Sinn für die Mitmenschen. Und dieser dort war eine ehrliche Haut.

    »Hat's geschmeckt?« fragte ich und hielt ihm meine Zigarettenpackung hin.

    »Ausgezeichnet«, meinte er und bediente sich. Milo gab ihm Feuer.

    Danach berichtete uns Eulalio Sanchez ausführlich von dem Gespräch, das er im Tompkins Square Park zwischen den beiden Russen belauscht hatte.

    »Um vier wollte sich die Bande im alten Pfandhaus treffen«, betonte der Zeuge. »Ich vermute, daß damit vier Uhr nachmittags gemeint ist.«

    »Und was ist das alte Pfandhaus?«

    »Damit dürfte ein halb verfallenes Gebäude am Szold Place gemeint sein, das früher wirklich mal ein Pfandhaus war. Es dient jetzt als Treffpunkt für die Moskauer Gang. Das weiß jeder in der Lower East Side. Deshalb traut sich auch niemand dorthin.«

    Ich verschränkte die Arme und lehnte mich nachdenklich auf meinem Bürostuhl zurück. »Da sind also zwei Banden. Eine aus Moskau, eine aus Kiew. Beide haben Ansprüche auf das Restaurant Odessa, richtig?«

    »Was Sie bisher gesagt haben, weiß jeder Obdachlose, Mr. Trevellian«, warf Sanchez ein.

    »In Ordnung. Aber warum war das Restaurant wie ausgestorben? Heute, an einem Sommertag, wo die Touristen sich sogar bis nach Alphabet City wagen?«

    Die Schultern in dem zerrissenen Sweatshirt zuckten.

    Ich stand auf. »Sie haben uns sehr geholfen, Mr. Sanchez. Vielleicht kann ich Ihnen auch unter die Arme greifen.«

    Er sah mich hoffnungsvoll an. »Ein Freund von mir betreibt einen Versandhandel für Autozubehör«, fuhr ich fort. »Einer seiner Männer ist verunglückt, und er braucht Ersatz - und zwar sofort.«

    Sanchez war hin- und hergerissen zwischen Freude und Enttäuschung. »Momentan sehe ich nicht gerade aus wie ein Arbeiter-Denkmal, Mr. Trevellian«, murmelte er.

    Ich wischte seinen Einwand mit einer Handbewegung weg. »Wenn ich ihn anrufe, dann haben Sie den Job, Mr. Sanchez. Und danach bekommen Sie einen Vorschuß und können sich Kleidung kaufen und ein Zimmer mieten.«

    Er schüttelte meine Hand, als wollte er sie abreißen.

    »Danke, tausend Dank, Mr. Trevellian. Vielleicht geht ja mein amerikanischer Traum doch noch in Erfüllung!«

    »Rufen Sie mich heute abend an«, sagte ich und gab ihm die Nummer und eine Telefonkarte. »Dann sage ich Ihnen, wo Sie sich vorstellen können.«

    Als Eulalio Sanchez unser Büro verließ, schien er beinahe zu schweben.

    »Da hast du einen glücklich gemacht«, grinste Milo.

    Ich nickte. »Er brauchte eine Chance. Die habe ich ihm gegeben. Viele der Obdachlosen hatten früher normale Jobs wie du und ich. Sie sind eben irgendwann zu Boden gegangen. Und schaffen es oft nicht, allein wieder aufzustehen.«

    Obwohl das ein unerschöpfliches Thema war, brach ich ab. Wir würden eine Entscheidung wegen der Moskauer Bande treffen müssen. Ich griff zum Telefonhörer.

    ***

    ›Dressed to kill‹, dachte Claire und drehte sich vor dem Spiegel hin und her. Sie mußte an den gleichnamigen Film denken. Verführung oder Tod?

    Sie sah zwar ungemein sexy aus in den schwarzen Leder-Hot Pants und dem bunten Folklore-Top, das ihren Bauchnabel freiließ. Doch wer angesichts ihrer beeindruckenden Erscheinung Atembeklemmungen bekam, hatte diese Beschwerde vielleicht nicht unbedingt wegen ihrem Sex Appeal. Denn der vergiftete Dolch, den sie in einer kleinen Scheide hinten am Gürtel trug, konnte jede Lunge im Handumdrehen lähmen.

    Ein Pflanzengift, dessen geringste Menge im Blut zum Atemstillstand und zum qualvollen Tod des Opfers führte. Claire Cornell hatte diese Substanz zufällig während ihres Studiums gefunden, als sie ein fast vergessenes Buch über natürliche Gifte der Bantu-Medizinmänner entdeckt hatte.

    Schon damals war ihr Interesse am Töten größer gewesen als ihr Gewissen. Sie hatte die Mixtur nachgekocht und an einigen Katzen und Hunden ausprobiert. Die Wirkung war verheerend gewesen. Und nun wollte sie ihr Dschungelgift am lebenden Menschen anwenden. An Jeff Randall...

    Die Virginia Apartments befanden sich in einem typischen New Yorker Brownstone-Haus des 19. Jahrhunderts. Erst vor wenigen Jahren hatte man das Gebäude liebevoll restauriert, mit all den Schnörkeln und Verspieltheiten des Jahres 1898, als so etwas als letzter Schrei der Architektur galt.

    Sogar die Uniformen der Doormen waren sympathisch altmodisch, was nach Claires Ansicht das dämliche Aussehen ihres Liebhabers Biffy nur noch verstärkte.

    »Guten Morgen, Ma'am«, sagte der hünenhafte Kerl und blinzelte Claire unauffällig zu, als sie an ihm vorbei über den etwas abgeschabten roten Läufer in die kühle Vorhalle rauschte. Die Kamera pendelte lässig über ihrer Schulter. Biffy tippte mit den Fingern an seinen grünen Halbzylinder und kam sich Weißgott wie verwegen vor, weil er sie ins Haus ließ.

    Wie in New York üblich, bestand seine Aufgabe darin, Besucher abzufangen und sie den Hausbewohnern telefonisch anzumelden. Dadurch sollte sichergestellt sein, daß Einbrecher keine Chance hatten und unliebsamer Besuch bereits in der Halle zurückgeschickt werden konnte.

    Claire grinste, als sie sich Biffys Gesicht vorstellte, wenn man die Leiche von Jeff Randall finden würde. Wenn ihr stumpfer Stier noch solange leben sollte. Denn er stand als nächster auf ihrer Todesliste.

    Auch an diesem hellen Sommertag waren die langen Flure des alten Gebäudes in ein unheimliches Halbdunkel gehüllt. Die Gummibäume wirkten wie grimmige Wächter, die auf Eindringlinge nur zu warten schienen. Das durch Glasdecken hereinflutende Licht brach sich in den verwinkelten Ecken. Ein gelblicher Schimmer war alles, was vön den Sonnenstrahlen im Inneren des Hauses noch übrigblieb.

    Claire schlich einen Korridor im ersten Stock entlang. Sie suchte Nummer 110. 105, 106, 107, 108, 109... da war es! Sie hatte sich gestern bei Jeff Randall möglichst unauffällig nach seinem Tagesablauf erkundigt. Um diese Zeit mußte er in der Universität sein. Sie würde ihm in seinem Apartment auflauern. Und dann...

    Die größte Schwierigkeit war der Einbruch. Claire hielt sich zwar für technisch nicht unbegabt und hatte sich auch einige Werkzeuge besorgt, aber wie sie das Schloß nun knacken sollte, wußte sie nicht genau.

    In Gedanken versunken nahm sie den Drehknopf in die Hand und drückte dagegen. Die Tür sprang auf!

    Mißtrauisch blieb die Mörderin vor dem Apartment 110 stehen. Konnte das ein Zufall sein? Ließ wirklich jemand im mißtrauischen New York seine Wohnungstür unabgeschlossen? Andererseits: Jeff Randall war ein alter Mann. Vielleicht vergaß er ja schon mal die eine oder andere Sache.

    Claire .faßte sich ein Herz und schlich durch die Tür. Wie in amerikanischen Apartments üblich, gab es keinen Flur. Sie stand sofort in dem Zimmer, das offenbar als Wohnraum diente. Wuchtige Bücherschränke waren an den Wänden aufgereiht. Den meisten Platz nahm eine Sitzgruppe aus Ledermöbeln ein. Dazu gehörte auch ein Ohrensessel, der etwas abgerückt von den anderen Sitzgelegenheiten in einer Ecke stand.

    Und in diesem Sessel saß Jeff Randall, einen Revolver auf sie gerichtet.

    »Machen Sie ruhig die Tür hinter sich zu, Miß Higgins«, begrüßte er sie fast schon fröhlich. »Oder sollte ich Miß Cornell sagen - Miß Claire Cornell?«

    ***

    »Wir greifen an!«

    Dieser klare Befehl von unserem Chef Jonathan D. McKee war für uns das Kommando zum Ausheben der Gangsterfestung in der alten Pfandleihe. Zuvor hatten wir alle Details wieder und wieder besprochen.

    Wie stark würde die Moskau-Bande sein? Welche Fluchtwege waren in dem Abbruchhaus zu vermuten? Von welcher Bewaffnung konnten wir ausgehen?

    Wir entschlossen uns zu einem gemeinsamen Vorgehen mit der City Police. Nachdem sich Mr. McKee mit dem Boß der Special Squad kurzgeschlossen hatte, stand unser Schlachtplan.

    Die alte Pfandleihe wurde von allen vier Himmelsrichtungen gleichzeitig gestürmt. Beamte im Kampfdreß mit Maschinenpistolen sowie eine Hundestaffel konnten'einige hundert Yard zurücklegen, bevor in dem Gebäude Alarm gegeben wurde. Salven aus automatischen Waffen ratterten los. Über Megaphon meldete sich der N. Y.P.D.-Einsatzleiter zu Wort: »Hier spricht die Polizei! Werfen Sie die Waffen weg und kommen Sie mit erhobenen Händen heraus!«

    Erwartungsgemäß war niemand von dieser Aufforderung beeindruckt. Als Antwort kamen lediglich einige Flüche, deren Übersetzung unserem Kollegen Pjotr Tamarow vermutlich die Schamröte ins Gesicht getrieben hätte. Es folgte ein wahrer Kugelregen auf die Kollegen.

    Milo und ich bekamen diese Szene lediglich über Sprechfunk mit. Denn wir beobachteten den Angriff von einem wahrhaftig erhabenen Standpunkt aus. Wir hockten in einem Hubschrauber der City Police und warteten darauf, auf das Dach der Pfandleihe zu springen! Neben unserem war noch ein weiterer Helikopter im Einsatz. Clive Caravaggio, Blacky, Jay Kronburg und Pjotr Tamarow hielten sich ebenfalls bereit. Genau wie wir waren sie durch kugelsichere Westen geschützt, durch FBI-Einsatzjacken als Bundesbeamte gekennzeichnet und mit kurzläufigen MPs der deutschen Marke Heckler & Koch bewaffnet.

    »Ich drücke den Vogel soweit runter wie möglich!« schrie mir der Kopter-Pilot ins Ohr. Ich nickte und machte mich zum Aussteigen bereit.

    Ünter uns war das löcherige Dach der alten Pfandleihe zum Greifen nah. Wie bei vielen älteren Gebäuden New Yorks wies es keine Schrägen auf. In früheren Zeiten hatten auch in der Lower East Side die Menschen heiße Sommernächte gerne auf dem Flachdach ihrer Mietskasernen verbracht, wenn es in den engen Wohnungen zu stickig wurde. Heute trauten sie es sich wegen der Kriminalität nicht mehr.

    Ich seufzte und sprang in die Tiefe. Mit beiden Füßen nahm ich Kontakt mit den schmierigen Teerpappen auf und rollte mich seitwärts ab. Eine Manneslänge neben mir landete Milo. Kurz darauf flankte Pjotr aus der Kopter-Luke. Unsere Riesenlibelle drehte ab und machte Platz für den anderen Hubschrauber.

    Ich horchte auf den Gefechtslärm, der aus dem Haus drang. Das N. Y.P.D.-Kommando hatte es noch nicht geschafft, in die Gangsterzentrale vorzudringen. Wir waren zwar auf dem Dach, konnten aber nicht mehr auf einen Überraschungseffekt hoffen. Dafür war unser Transportmittel doch etwas zu laut gewesen.

    Geduckt schlichen wir zum Treppenaufgang. Ich fluchte. Der Weg nach unten war mit Brettern vernagelt!

    »Versuchen wir die Feuertreppe!« meinte Milo. Dieser an jedem New Yorker Gebäude des 19. Jahrhunderts vorgeschriebene Fluchtweg aus Metall erwies sich allerdings als ziemlich wacklig und verrostet.

    »Wir müssen es riskieren«, sagte ich und tastete mich vor. Mit der linken Hand hielt ich mich fest, die rechte hatte meine Heckler & Koch im Anschlag. Die alte Pfandleihe war ein dreistöckiges Haus. Um die Banditen

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