Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

ANGST VOR KATZEN: Der Krimi-Klassiker!
ANGST VOR KATZEN: Der Krimi-Klassiker!
ANGST VOR KATZEN: Der Krimi-Klassiker!
eBook301 Seiten4 Stunden

ANGST VOR KATZEN: Der Krimi-Klassiker!

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Miss Howell, die geistesabwesend das weiche Fell des Katers streichelte, musste sich eingestehen, dass eine düstere Vorahnung sie quälte, als ob diese Angelegenheit noch lange nicht abgeschlossen wäre. Sie konnte sich des Gefühls nicht erwehren, etwas übersehen zu haben – und zwar etwas, das sich als sehr bedeutungsvoll und folgenschwer erweisen konnte...

 

Der Roman Angst vor Katzen von F. R. Lockridge (eigentlich Richard Orson Lockridge; * 26. September 1898 in Missouri; † 19. Juni 1982 in South Carolina) erschien erstmals im Jahr 1964; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum3. Juni 2022
ISBN9783755415077
ANGST VOR KATZEN: Der Krimi-Klassiker!

Mehr von F. R. Lockridge lesen

Ähnlich wie ANGST VOR KATZEN

Ähnliche E-Books

Mystery für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für ANGST VOR KATZEN

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    ANGST VOR KATZEN - F. R. Lockridge

    Das Buch

    Miss Howell, die geistesabwesend das weiche Fell des Katers streichelte, musste sich eingestehen, dass eine düstere Vorahnung sie quälte, als ob diese Angelegenheit noch lange nicht abgeschlossen wäre. Sie konnte sich des Gefühls nicht erwehren, etwas übersehen zu haben – und zwar etwas, das sich als sehr bedeutungsvoll und folgenschwer erweisen konnte...

    Der Roman Angst vor Katzen von F. R. Lockridge (eigentlich Richard Orson Lockridge; * 26. September 1898 in Missouri; † 19. Juni 1982 in South Carolina) erschien erstmals im Jahr 1964; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr.

    Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

    ANGST VOR KATZEN

    Erstes Kapitel

    Es kam immer darauf an, von welchem Gesichtspunkt aus man die Sache betrachtete. Einerseits hatte er der alten Dame schon eine Menge Schwierigkeiten zu verdanken. Andererseits war sie es schließlich, die ihm zu verstehen gegeben hatte, dass es die ganze Mühe wert war. Ganz abgesehen davon – allzu schlimm würde es schon nicht werden. Eigentlich erwartete er sich einen ziemlich reibungslosen Ablauf. Für einen Mann seines Formats war dieser Fall doch ein kleiner Fisch. Da hatte er schon ganz andere Dinger gedreht – oho!

    Mein Gott, all dies Geschwätz der alten Jungfer über gesetzliche Vorschriften. Er hörte sie direkt noch. Vom obersten, heiligsten Gesetz hatte sie geschwafelt. Der reinste Eiertanz, das Ganze. Dabei hatte er von ihr nichts weiter wissen wollen, als einen Namen und eine Adresse. Er war da ganz bestimmt auf der richtigen Spur – aber sie hatte ihm die Auskunft unerbittlich verweigert. Stattdessen war sie ihm mit ihren Vorschriften gekommen. Als ob Vorschriften nicht dazu da wären, umgangen zu werden. Wen interessierte es schon, zum Teufel, ob die Unterlagen streng vertraulich waren oder nicht. Absolut geheim für jedermann. Ja, hatte die alte Jungfer gesagt, das gilt auch für Sie! So lautet nun einmal die Vorschrift. Das ist bei uns heiligstes, oberstes Gesetz.

    Jetzt stand er im Eingang eines Restaurants, das bereits geschlossen war. Hier schien alles zu schlafen. Die ganze, leer daliegende Straße. Die endlose Häuserfront. Jedes einzelne Fenster. Aber das spielte für ihn keine Rolle. Er stand unbeweglich im Schatten, wartete und ließ die gegenüberliegende Straßenseite nicht aus den Augen. Eine der beiden Flügeltüren des Hauses war offen. Drinnen saß der Alte, hell von einer Lampe beschienen, an seinem Pult, vor sich das unvermeidliche Buch. Das Buch, in das sich jeder eintragen musste, der nach Dienstschluss noch ins Haus wollte. Trotz der immer noch drückenden Schwüle hatte der alte Mann seine Schirmmütze nicht abgesetzt. Wahrscheinlich bedeutete sie eine Art Uniform für ihn, das äußere Zeichen seines Amtes. Sicher verlieh sie ihm ein Bewusstsein der Würde und Wichtigkeit. Selbst wenn – wie jetzt – niemand da war, es gebührend zu respektieren.

    Der Mann im dunklen Torbogen warf einen Blick auf die Leuchtziffern seiner Armbanduhr. Eigentlich war es jetzt Zeit. Zumindest, wenn er sich nach gestern richten wollte. Höchstwahrscheinlich spielte sich dort drüben alles jeden Tag nach dem gleichen Rhythmus ab. Wenn ja, dann konnte es sich nur noch um Minuten handeln, bis der Alte hinter seinem Pult umständlich in der Tasche herumzuwühlen begann, seine altmodische Uhr zutage beförderte, den Deckel aufspringen ließ und sie prüfend betrachtete. Und dann...

    Da, hatte er’s nicht gewusst! Der Alte zog die Uhr heraus und musterte sie stirnrunzelnd. Dann nahm er seine Schirmmütze ab, fuhr sich mit dem Taschentuch über die Stirn und rieb anschließend auch noch gründlich das Lederband im Inneren der Mütze trocken. Genau wie gestern Abend. Dann setzte er das Attribut seiner Würde wieder auf, schritt gravitätisch zur Eingangstür, machte den offenen Flügel zu und schloss die Tür vernehmbar ab. Sorgfältig rüttelte er noch einmal daran. Sodann schaltete er das Licht bis auf die eine Lampe über dem Pult, an dem er bis jetzt gesessen hatte, aus und verschwand im Hintergrund der Halle – aus dem Blickfeld des Mannes draußen auf der Straße.

    Punkt zehn – genau wie gestern Abend. Wahrscheinlich wohnte der Bursche im Haus. Im Keller vielleicht. Der Mann im Schatten beschloss, noch eine Viertelstunde zu warten. Es lohnte nicht, es zu riskieren, dass er dem Alten in die Arme lief. Wo es sich vermeiden ließ, ging er Gewalttätigkeiten aus dem Wege. Schließlich – der Alte hatte ihm ja nichts getan.

    Die alte Jungfer ebenso wenig, wenn man es genau nahm. Diese – wie nannte man sie doch gleich? Ach ja – diese Sozialhelferin, oder so ähnlich. Ihr Titel, wenn man so wollte. Vielleicht war sie ebenso stolz darauf, wie der Alte auf seine Uniformmütze. Jeder Mensch hat nun einmal seine Ideale, seine persönlichen Götzen, die er anbetet. Und es ist ein sinnloses Unternehmen, diese von ihrem Podest stoßen zu wollen. Sicher bedeuteten der Alten ihre heiligen Gesetze auch so etwas Ähnliches. In gewisser Beziehung mochten diese sogar ihre Berechtigung haben, wie alles im Leben. Sie existierten nun einmal und zogen unüberschreitbare Grenzen. Was – so hinderlich es ihm im Augenblick auch war – in anderen Fällen ganz gut sein konnte.

    Trotzdem hatte die alte Jungfer ihm, ohne es zu wollen, allerhand verraten. Genug jedenfalls, um sein Interesse noch anzuspornen. Den Worten der Fürsorgerin nach, schien die Kleine ja das Große Los gezogen zu haben.

    Ein Taxi kam langsam die Straße herauf. Er wartete, bis es vorbei war, dann schaute er abermals auf seine Uhr. Zwanzig nach zehn. Man sollte annehmen, dass der Alte inzwischen tief und fest schlief.

    Lautlos glitt er aus seinem Versteck heraus und überquerte die Straße. Dicht presste er sich gegen die Haustür. Flüchtig glitt sein Blick die Fassade empor. Die gegen den dunklen Nachthimmel aufragenden fünf Stockwerke mussten gut und gerne ihre hundert Jahre auf dem Buckel haben. Hier, am äußersten Ende der 23. Straße, scherte sich kein Mensch darum. Die Stadt nahm sich nicht die Mühe, diese alten Kästen abzureißen, sondern überließ sie gleichgültig dem langsamen Verfall.

    Vor der eigentlichen Eingangstür lag eine kleine Vorhalle. Manchmal hatte diese altmodische Pracht, diese mitleiderregend hässlichen Gemäuer, schon etwas für sich. Zum Beispiel erleichterte es jetzt erheblich seine Arbeit. Das Schloss war offensichtlich seit Bestehen des Hauses noch nicht erneuert worden. Ein vorsintflutliches, riesiges Schlüsselloch gähnte ihm entgegen. Die Sache ließ sich tatsächlich noch besser an, als er gehofft hatte. Eigentlich rührend – das alles hier. Die alte Dame, der gebrechliche Hausmeister mit seiner Schirmmütze und nun dieses altersschwache, primitive Schloss. In einer Welt wie der heutigen hatten alle diese Requisiten – seiner Überzeugung nach – keine Daseinsberechtigung mehr. Sie waren doch nichts als eine leere Fassade und beeindruckten nur den, der noch an derartige Überbleibsel einer vergangenen Epoche glaubte.

    Nun, er gehörte nicht dazu. Hatte gar keine Zeit, sich in derartige Sentimentalitäten zu verlieren. Bei ihm zählte das Leben, das harte, nackte, unbarmherzige Leben. Ein Schloss sollte das sein? Dutzende von Schlüsseln würden dazu passen. Ihm genügten die paar, die er bei sich hatte. Schon der zweite fasste.

    Behutsam zog der Mann die Tür hinter sich zu. Sekundenlang stand er da, den Rücken dagegen gelehnt, und lauschte. Totenstille. Rasch schlich er durch die Halle zu den beiden uralten Aufzügen und der linoleumbelegten Treppe daneben. Mannhaft widerstand er der Versuchung, sich das Treppensteigen zu sparen. Wer weiß, was für einen Lärm diese Fahrstühle machten, wenn man sie in Bewegung setzte. Es war bestimmt sicherer, bis zum dritten Stock hinaufzusteigen.

    Also machte er sich auf den Weg. Bis zur ersten Etage, zur zweiten und schließlich zur dritten. Puh, fast ging ihm die Luft dabei aus. Wie in allen alten Häusern hatten die Räume auch hier sehr hohe Decken. Und dementsprechend steil waren auch die Stufen.

    Der Flur war schmal. Ein Gemisch von muffiger Luft und Bohnerwachs schlug ihm entgegen. Unter dem fadenscheinigen Linoleum knarrten die Dielen. Schließlich blieb er vor einer Tür stehen. Er war am Ziel.

    Die Tür war verschlossen. Diesmal handelte es sich um ein modernes Sicherheitsschloss. Hier würde er länger brauchen. Aber er hatte ja Zeit genug. Wenn es gar nicht anders ging, konnte er immer noch die Scheibe eindrücken und die Tür von innen öffnen. Dabei war natürlich ein gewisser Lärm nicht zu vermeiden. Aber der alte Hauswart schnarchte bestimmt schon lange, vermutlich irgendwo unten im Kellergeschoss. Kaum anzunehmen, dass er nächtliche Runden machte. Was hätte in diesen armseligen Büros hier schon gestohlen werden sollen?

    Da – ein feines Knacken. Die Tür war auf. Er brauchte die Scheibe also nicht einzuschlagen. Das Schloss sollte ihm mal einer zeigen, das er nicht aufbekam!

    Er zog die Tür leise, aber nachdrücklich, zu und ließ seine Taschenlampe aufflammen. Höchstwahrscheinlich war der ganze Zauber überflüssig, und er hätte unbesorgt das Licht anknipsen können. Aber Vorsicht ist besser als Nachsicht, auch wenn die Dinge dadurch etwas umständlicher werden. Diesmal wollte er sich nicht den Vorwurf machen, aus Leichtsinn die Sache vermasselt zu haben. Diesmal nicht!

    Er befand sich in einem kleinen Korridor, auf den eine erstaunliche Anzahl von Türen führte. Es war nicht zu übersehen, dass es sich um eine beachtliche Organisation handelte. Der Laden schien nicht schlecht zu laufen. Der Umsatz an ihrem speziellen Material musste beträchtlich sein. Und wo gehobelt wird, fallen Späne. Für sie würde dabei schon genug herausspringen, wenn sie es geschickt genug anfingen. Und wenn er sich so umsah, hatte es ganz den Anschein. Das war wohl auch der Grund, weshalb die alte Jungfer ihn so hatte abblitzen lassen.

    Es dauerte eine Weile, bis er sich zum Archiv durchgearbeitet hatte. Es war der letzte Raum, hinten am Ende des Korridors. Angesichts der langen Reihen von Aktenschränken überlegte der Mann abermals kurz, ob er es nicht doch wagen sollte, Licht zu machen. Aber, besser doch nicht. Zwei große Fenster führten auf die Straße hinaus, und die Tür mündete auf den äußeren Hauptflur. Sicher schloss das alte Ding nicht dicht, und ein feiner Strahl könnte durch die Ritzen hinausdringen.

    Mein Gott, Aktenschränke – nichts als Aktenschränke! Da – der dort drüben war es. D – E stand auf dem Zettel in dem kleinen Metallrahmen. Der Schrank war nicht einmal verschlossen. Nicht, dass es ein bemerkenswertes Hindernis für ihn bedeutet hätte. Aber das Öffnen eines Stahlschrankes ist nun mal unweigerlich mit Lärm verbunden.

    Der gesuchte Ordner war dick angefüllt. Wenn solche Leute einmal anfingen, Berichte abzulegen, gab es nichts, was sie für zu unwichtig hielten, miteingeheftet zu werden. Das meiste war vollkommen uninteressant für ihn. Er suchte nach etwas Bestimmtem. Zwei, drei Unterlagen nur. Doch er machte sich seufzend klar, dass es nötig sein würde, alles durchzublättern und zumindest zu überfliegen.

    Der Strahl seiner Taschenlampe wurde merkbar schwächer. Dabei hatte er, bevor er von zu Hause fortging, extra zwei neue Batterien hineingetan. Verdammter Mist! Heutzutage war auch alles Schund, was man kaufte. Na ja, schließlich musste jeder sehen, wie er zu seinem Geld kam.

    Aber so, bei dem kläglichen Licht, konnte er unmöglich diesen Wälzer durchsehen. Also blieb ihm gar keine andere Wahl – er musste ihn eben mitnehmen. Eigentlich war das gar nicht seine Absicht gewesen. Sicher nahmen sie hier ohnehin die einzelnen Ordner nur alle Jubeljahre einmal in die Hand. Aber wie das Unglück es wollte – dieses eine Mal könnte ausgerechnet morgen sein. Und wenn die alte Jungfer hörte, dass ausgerechnet diese Akten nicht aufzufinden waren, kam ihr womöglich ein naheliegender Verdacht. Also – was tun? Den Ordner mit in seine Wohnung nehmen, heraussuchen, was er benötigte, und ihn dann schleunigst wieder an Ort und Stelle schaffen? Das würde ziemlich umständlich sein und brachte eine Menge Unannehmlichkeiten, mit sich. Ach, Unsinn. Die Chancen, dass der Verlust bemerkt wurde, standen hundert zu eins.

    Es gab natürlich auch noch eine andere Möglichkeit. Er konnte den Ordner mit hinunternehmen und versuchen, im Licht über dem Pult des Hausmeisters das Gewünschte herauszufinden. Vielleicht hatte der Alte seine Mütze auf dem Tisch liegengelassen, sodass er diese aufsetzen konnte. Als oberflächliche Tarnung sozusagen, falls jemand von draußen hereinsah. Jeder würde dann annehmen, der gewissenhafte Hausmeister macht eben noch Nachtschicht. Wenn er dem Alten, weiß Gott, auch nicht gerade ähnlich sah.

    Den Ordner unter den Arm geklemmt, ging der Mann auf die Tür zu, welche auf den Hauptflur führte. Er hatte die Hand bereits auf der Klinke, als er das Näherkommen schlurfender Schritte hörte. Nicht einmal das wohlbekannte, leise Knarren der Dielenbretter unter dem abgetretenen Linoleumbelag entging dem angespannt Lauschenden. Zum Teufel, also machte der alte Idiot doch nächtliche Runden. Damit hatte er allerdings nicht gerechnet.

    Nicht, dass er sich gefürchtet hätte. Es war ihm im Grunde genommen vollkommen gleichgültig. Hier, in dem kleinen Büro, würde er schon nicht aufgestöbert werden. Aber die Notlösung mit dem Pult unten beim Eingang fiel damit aus.

    Regungslos wartete er, bis die Schritte sich entfernt hatten und das Ächzen des morschen Holzes verklungen war. Scheppernd schloss sich eine Tür, vermutlich die Tür des altersschwachen Aufzugs. Steher konnte man es natürlich nicht wissen, aber vermutlich war der Alte wieder nach unten gefahren, um schleunigst in die warmen Federn zurückzukriechen.

    Lautlos öffnete der Mann die Tür und zog sie hinter sich ins Schloss. Dann schlich er die Treppe hinunter. Bevor er sich in die Halle hinauswagte, blieb er noch einmal stehen, um angestrengt zu lauschen. Tatsächlich, der Fahrstuhl war ratternd in Bewegung gesetzt worden und verursachte dabei genauso viel Lärm, wie er vorhin vermutet hatte.

    Hastig eilte der Mann durch die Halle auf die Straße hinaus. Hier hielt er aufatmend einen Moment an und ging dann, sich zu Langsamkeit zwingend, weiter. Den Ordner fest unter den Arm geklemmt, schritt er in der lauen Sommernacht dahin. Als er endlich die 23. Straße erreicht hatte, meinte er, weit genug entfernt zu sein, um ohne Risiko ein Taxi nehmen zu können. Nicht, dass überhaupt ein irgendwie geartetes Risiko bestanden hätte. Trotzdem, Vorsicht war immer besser als Nachsicht. So winkte er einen Wagen heran, stieg ein und nannte dem Fahrer die Adresse Ecke achte Avenue und 12. Straße. Von dort aus war es nicht mehr weit bis nach Hause. Und doch lag es nicht so nah, dass es ihm im Fall der Fälle hätte gefährlich werden können. Sollte der Chauffeur diese Anschrift ruhig in sein Fahrtenbuch eintragen. Ganz abgesehen davon, dass sich ja ohnehin niemand für das Fahrtenbuch interessieren würde.

    Diese Sache würde ohne Komplikationen abgehen. Hübsch glatt und reibungslos. Alles war nahezu ein Kinderspiel. Es wurde ja auch Zeit, dass das Glück einmal auf seiner Seite war. In letzter Zeit war ja wirklich alles schiefgelaufen. Er war geradezu vom Pech verfolgt gewesen. Wer konnte denn auch ahnen, dass ausgerechnet ein Bursche, dem man sachte eins über den Schädel gab, nur, um ihn für eine Weile unschädlich zu machen, eine alte Kopfverletzung hatte und gleich dabei draufgehen würde. Du meine Güte, der Krieg war schließlich jetzt fast zwanzig Jahre vorbei. Und obendrein, wer eine derart empfindliche Schädeldecke hatte, sollte eben keinen Job als Nachtwächter annehmen. Das hieß das Schicksal doch geradezu herausfordern! Dumm nur, dass ausgerechnet er das Werkzeug dieses Schicksals hatte sein müssen.

    Ach, du lieber Himmel, was hatte diese Geschichte Staub aufgewirbelt. Was für ein Geschrei deswegen. Alle Zeitungen waren voll davon gewesen, als ob in der großen, weiten Welt nichts Wichtigeres passieren würde. Die Daily News vor allem, die hatte den Fall am ärgsten ausgeschlachtet. Dummerweise war der Bursche auch noch Vater von vier kleinen Kindern gewesen. Na, und wenn schon. Viele Leute hatten Kinder. Und Kriegsveteran war der Kerl auch gewesen. Dem Lamento nach zu urteilen, hatten die Reporter schon lange darauf gelauert, ihre Federn an einem erschlagenen Kriegsveteranen mit unversorgt zurückbleibender Familie zu wetzen. Sie weideten sich geradezu daran, dieses Thema gründlich auszuschlachten und die Tränendrüsen ihrer Leser anzuregen.

    So was las man alle Tage in der Zeitung. Aber nicht alle Tage war ausgerechnet er in den Mist verwickelt.

    Nun, diesmal lagen die Dinge anders. Diesmal würde es keine Zwischenfälle geben. Niemand würde dabei auf der Strecke bleiben. Er würde herausholen, was herauszuholen war. Und dann würde er sich für eine Weile aus dem Staube machen. Sich absetzen, sozusagen. Heraus aus der Stadt, irgendwohin – weit weg. Nicht, dass das verdammte Bild ihm besonders ähnlich gewesen wäre. Er sah darauf aus, wie hunderttausend andere auch. Eine Skizze des Täters, angefertigt nach den Aussagen der Zeugen, hatte darunter gestanden. So ein Quatsch! Einen Dreck war die Zeichnung wert! Trotzdem, Vorsicht...

    »Guten Abend, Joe«, grüßte Miss Eleanor Howell freundlich. »Wie geht es denn Ihrer Frau?«

    »’n Abend, Miss Howell«, gab Joe zurück und erklärte, dass es seiner Frau unverändert ginge. Dann schloss er die Fahrstuhltür und drückte auf den zweiten Knopf. Oben angekommen, öffnete er zuvorkommend die beiden Flügel und sah ihr nach, bis sie in ihrer Wohnung verschwunden war.

    Es muss ungefähr halb acht sein, überlegte Joe und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Richtig, auf die Minute halb acht. Nach Miss Eleanor Howell hätte man eine Uhr stellen können. Mit eintöniger Regelmäßigkeit kam sie jeden Tag gegen halb acht vom Sonnenblumen-Tea-Room zurück, wo sie ihr Abendessen einzunehmen pflegte. Es tat Joe jedes Mal direkt wohl, Miss Howell zu sehen. Er wusste selbst nicht recht, warum. Es sei denn, dass ihr Anblick, wie sie so ruhig und zielbewusst die Straße heraufkam und später den Flur hinunterschritt, einem ein Gefühl der Kontinuität verlieh und allen Dingen eine gewisse Ordnung und Beständigkeit.

    Nicht, dass er es in Gedanken so klar formuliert hätte. Er empfand lediglich heute, wie jeden Tag, ein wohltuendes Gefühl der Wärme und Geborgenheit, wenn er sie sah.

    Joe versank jedes Mal in Erinnerungen, wenn sich die Tür hinter Miss Howell geschlossen hatte. Er erinnerte sich an jene Tage, als das Haus in der 20. Straße noch neu und prächtig gewesen war, und er selbst noch jung und rüstig. Das war jetzt fast zwanzig Jahre her. Ja, damals, vor zwanzig Jahren, hatten noch eine Menge feiner Leute hier gewohnt, Leute wie Miss Howell. Und er war damals der Überzeugung gewesen, dass sein Dasein als Fahrstuhlführer lediglich der Anfang einer Karriere sein würde, die erste Sprosse auf der Leiter zum Erfolg. Jedem der Gebäude, die zusammen den Chelsea Block bildeten, stand damals ein Hausmeister, fast schon ein Verwalter, vor. Und mit fünfundzwanzig ist man noch so davon überzeugt, dass die ganze Welt offen vor einem liegt und dass man sich leichtfüßig emporschwingen wird, von Sprosse zu Sprosse. Mit fünfundvierzig sieht man weiter. Man begräbt seine Träume, kennt seine Grenzen und findet sich mit dem Alltag ab.

    Jetzt gab es nicht mehr viele Mieter wie Miss Howell hier im Haus. Die Pracht war verblichen, das Ganze machte einen ziemlich heruntergekommenen Eindruck. Von Verwaltern, Hausmeistern oder Portiers war schon lange keine Rede mehr. Und gleichzeitig waren nach und nach alle ordentlichen Mieter ausgezogen, einer nach dem anderen. Wenn man Joe fragte, lag das, seiner Meinung nach, an den Portorikanern. Diese waren in rauen Scharen in diesen Stadtteil gezogen und bevölkerten die ganze Nachbarschaft. Und die soliden Mieter empfanden ihre Nähe vermutlich als beunruhigend und hielten die Gegend nicht mehr für sicher. Was ihn anbetraf, so hegte Joe keinen persönlichen Groll gegen die Portorikaner. Im Gegenteil, sicher waren auch unter ihnen ganz ordentliche Leute, und im Großen und Ganzen machten sie wenig Scherereien. Nur waren sie einfach anders; fremdartig und dadurch vielleicht ein bisschen unheimlich. Wenn man Miss Howell so sah, hätte man gedacht, dass sie als eine der ersten das Feld geräumt hätte. Aber nein. Sie blieb. Sie war immer noch da.

    Miss Howell war überhaupt ein Rätsel. Man hätte denken können, sie müsste schon lange verheiratet sein, glücklich verheiratet, müsste Kinder haben, die längst schon auf die höhere Schule gingen oder gar schon studierten. Sie war wie geschaffen dafür. Ihr Leben müsste ausgefüllt sein von einem Mann, Kindern, ja in absehbarer Zeit sogar Enkelkindern. Aber nichts von alledem. Sie war allein. Alle ihre Anlagen und Talente verkümmerten ungenützt. Was wieder einmal bewies – dachte Joe –, dass nicht alles im Leben so zu kommen pflegt, wie man es eigentlich erwarten würde.

    Miss Howell war eine gesunde, zierliche Frau mit einem runden, hübschen Gesicht. Sie hatte eine feine, rosa getönte Pfirsichhaut. Nur unter den Augen zeigten sich die ersten Fältelten, unter Augen von strahlendem Blau, nebenbei bemerkt. Das weich gewellte, weiße Haar bildete einen leuchtenden Kontrast dazu.

    Während Joe so seinen Gedanken über sie nachhing, betrat Miss Howell ihre kleine Zweizimmerwohnung, zu der noch ein Bad und eine winzige Küche gehörten. Die ganze Wohnung hätte eine Überholung nötig gehabt. So gut wie alle der mehr als hundert Wohnungen im Chelsea Block bedurften dringend einer Renovierung. Miss Howells kleines Reich strömte eine persönliche, anheimelnde und gemütliche Atmosphäre aus, wenn auch die Lehnen des kleinen, zweisitzigen Sofas und der Sessel verschlissen waren und teilweise bereits die Federn zum Vorschein kamen. Das war Tobys Werk, jetzt sprang er lautlos und graziös von einem der beschädigten Sessel herunter und kam schnurrend auf Miss Howell zu. Dicht vor ihr blieb der schwarze Kater erwartungsvoll stehen, bis sie sich bückte, um ihn hinter dem Ohr zu kraulen. Dann schmiegte er sich wohlig schnurrend an ihre Beine und strich daran entlang. Er hatte ihr großzügig vergeben, dass sie ihn den ganzen Tag über alleingelassen hatte.

    »Nun, Toby? Wie geht’s? Wie hast du den Tag verbracht?«, erkundigte sich Miss Howell zärtlich. Toby antwortete mit einem kurzen, aber unmissverständlichen Laut, um ihr zu zeigen, wie albern diese Frage war. Natürlich war der Tag endlos gewesen. Es war ihm schlecht ergangen, äußerst schlecht. Sein Frauchen hatte leider am Morgen, bevor sie ging, daran gedacht, das auf die Feuerleiter hinausgehende Fenster zu schließen. Das Fenster, das für ihn zur Freiheit führte. Toby hatte einen nicht enden wollenden, langweiligen Tag hinter sich.

    Miss Howell sah sich in ihrem kleinen Salon um und seufzte. Toby hatte sich eine

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1