Ganz alltäglicher Wahnsinn
Von Michael Bodmer
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Über dieses E-Book
Michael Bodmer
Michael Bodmer, 1984 in Gossau (Schweiz) geboren, in Frauenfeld zur Schule gegangen. 2004-2009 Studium der Jurisprudenz an der Universität Zürich. Von 2010-2012 arbeitete er als Jurist in einer Kanzlei in Bern. 2013 Reise nach New York, Aufgabe der beruflichen Tätigkeit und Rückzug in ein kleines, von seiner Großmutter geerbtes Haus im Vorderrheintal (Kanton Graubünden), wo er Geschichten zu schreiben beginnt. 2015 Umzug nach Zürich zusammen mit seiner Lebenspartnerin Anna Derungs. Geburt der Tochter Isabelle. Im Herbst Reise nach Schottland, anschließend erneute Reise nach New York, wo er Reportagen schreibt und seine alte Leidenschaft, die Musik, wiederentdeckt. 2016 Veröffentlichung seiner ersten Musik-CD The New York Recordings. Der vorliegende Kurzgeschichtenband Ganz alltäglicher Wahnsinn ist seine erste Buchpublikation.
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Buchvorschau
Ganz alltäglicher Wahnsinn - Michael Bodmer
Die Wirklichkeit der Literatur
Ein Vorwort von Gianni Kuhn
Bei unserer ersten Begegnung am Tresen im Dreiegg in Frauenfeld, der Stadt, in der ich seit mehr als dreissig Jahren wohne, hatte ich schon einige Bücher geschrieben – und einige Gläser Bier getrunken – und wunderte mich, wie intensiv sich der angehende Jurist für Literatur interessierte und mich sogar fragte, wie ich denn zu meinem Stoff komme. Beobachten und beschreiben, vom Ort ausgehen, sich erinnern – das sei meine Grundlage des Schreibens. Hinzu käme die Phantasie, man müsse sich etwas vorstellen können, ausmalen, wenn er verstehe, was ich meine, antwortete ich, ohne ihm wirklich erklären zu können, woher gewisse Einfälle letztendlich kommen. Auf meine Frage, ob er auch einmal Geschichten schreiben wolle, antwortete er, das würde ihn sehr wohl interessieren, ebenso die Musik, doch er habe mit dem Studium viel zu tun, vielleicht würden ihn später einmal gewisse Gerichtsfälle inspirieren. Das wäre gut möglich, antwortete ich, erwachse das Schreiben doch oft aus der praktischen Erfahrung. Dort kenne man sich aus, müsse sich keine Details ersinnen, sondern sei ein eigentlicher Fachmann.
»Sie meinen aber nicht Mordgeschichten und dergleichen?«, wollte er wissen.
»Das habe ich nicht gesagt. Sie müssen selbst entscheiden, ob Sie ein Krimiautor werden wollen oder ob Sie auch ohne Leichen auskommen.«
»Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Ich weiss ja nicht einmal, ob ich je auch nur eine einzige Geschichte schreiben werde, das steht in den Sternen.«
»Ja, die Sterne«, spann ich weiter, »auch die können beschrieben werden. Manchmal sind es aber auch die alltäglichsten Dinge, die einem den Stoff liefern. Es können sich selbst in der Strassenbahn, auf dem Nachhauseweg, auf dem Spielplatz, im Treppenhaus, ja selbst hier in dieser Bar Dinge ereignen, die es durchaus wert sind, beschrieben zu werden.«
»Zum Beispiel?«, wunderte sich der Jurist in spe etwas erheitert. »Etwa die Frau dort hinten, die einer anderen, so wie es aussieht, das Herz ausschüttet, von ihren Sorgen erzählt? Oder jener ältere Herr mit den grauen Haaren, der meiner Meinung nach etwas gar tief in die Zeitung guckt? Vielleicht weil er uns zuhört? Meinen Sie, das wäre es wert, beschrieben zu werden?«
»Sicherlich ist es wert, beobachtet zu werden. Ob später daraus etwas wird, ist eine andere Sache. Aber es kann noch viel einfacher, viel naheliegender sein«, fuhr ich fort, »selbst unser Gespräch könnte in einem gewissen Zusammenhang wichtig werden.«
Er lachte hell auf. »Das kann ich mir allerdings nicht vorstellen«, skandierte er, »und wenn das je der Fall sein sollte, dann bitte ich Sie, mir die Stelle zu zeigen, wo Sie das in einen Text einbauen.«
Und ehe ich mich’s versah, erhob er sich mit den knappen Worten, dass er jetzt wirklich los müsse. Ich sass noch eine Weile allein am Tresen, bevor ich mich auf den Nachhauseweg machte.
Auf jeden Fall ist der Kurzgeschichtenband, zu dem ich hier das Vorwort schreiben darf, nach den drei kurzen Erzählungen, die ich von Michael Bodmer im ersten Teil meiner Trilogie des Verschwindens abdrucken liess, sein erstes Buch. Als ich die neuen Geschichten zum ersten Mal las – der Verleger hatte sie mir, da ich für ihn immer mal wieder Manuskripte lektoriere, zur Durchsicht zugeschickt – sah ich sogleich, dass der junge Mann in der Zwischenzeit sehr viel und sehr genau beobachtet hatte und dass er präzis formulieren konnte. Als Jurist ist ihm das ja vertraut. Kein Wort zu viel, keines zu wenig, alles muss sitzen. Ich kenne mich bei kurzen literarischen Formen gut aus, wurde von Kritikern für meine Kurz- und Kürzestgeschichten, meine Aphorismen und Kurzgedichte sogar schon als »Meister der Verknappung«, als »Meister der literarischen Kurzform« gelobt, so dass ich in aller Bescheidenheit glaube sagen zu können, dass diese kurzen Geschichten, die Michael Bodmer hier vorlegt, den meinen in keinster Weise nachstehen; mehr noch, ich sehe mit Erstaunen und Bewunderung, wie Bodmer in Gebiete vordringt, über die ich bis anhin noch nichts geschrieben habe, Gebiete, die mir sogar fremd sind, so dass Bodmer mich als Leser inspiriert. Autoren sind neben dem Beobachten, dem Beschreiben, dem Erfinden ja vor allem auch Leser, Mitglieder des grossen Chors. Und ich glaube, wir können uns glücklich schätzen, im Chor der Autoren einen Neuen willkommen zu heissen.
Inhalt
Beginnen
Zugfahrt
Vorsehung
Unbemerkt
Fahrtenschreiber
Der Brutplatz
Kunststück
Der Zeitungsleser
Die Krankheit
Planetenbahnen
Die Madonna im Zug
Am Ufer
Ihr Liebling
Eine alte Bekannte
Stare
Wo die Toten wohnen
Die Eisprinzessin
Der Blumenstrauss
Ein lächerlicher Mensch
Karawanenmusik
Grossmutter
Gewitteraugen
Der erste Kuss
Eine beliebte Lehrerin
Die Japanerin
Lachend aufwachen
Ganz alltäglicher Wahnsinn
Die Kunstgiesserin
Die schwarze Madonna
Hochwasser
Wo Grossvater ist
Der Postbote
Das Tal
Das Haus am Fluss
Der Schulfreund
Der Offizier
Eine einzige Chance
Kreislauf
Schlafende Schmetterlinge
Prüfungstermin
Blutroter Fuchs
Regenwetter
Eine verrückte Woche
Ganz natürlich
Der blaue Anzug
Der Flaneur
Thénards Blau
Unversehens Linkshänder
Jugendliebe
Weibliche Logik
Beginnen
Als sie im neuesten Prosaband einer von ihr sehr geschätzten Autorin bemerkt habe, dass alle darin