Miss Mannings sinnliche Erweckung
Von Amanda McCabe
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Über dieses E-Book
Nie konnte Mary Lord Barretts Kuss vergessen – und niemals die Demütigung, als sie erfuhr, dass es ihm nur um eine Wette ging. Umso entsetzter ist sie, den ruchlosen Lord im fernen Brasilien wiederzutreffen. Denn in tropischen Nächten erwacht ihre Leidenschaft erneut …
Amanda McCabe
Amanda McCabe schrieb ihren ersten romantischen Roman – ein gewaltiges Epos, in den Hauptrollen ihre Freunde – im Alter von sechzehn Jahren heimlich in den Mathematikstunden. Seitdem hatte sie mit Algebra nicht mehr viel am Hut, aber ihre Werke waren nominiert für zahlreiche Auszeichnungen unter anderem den RITA Award. Mit einer Menagerie von zwei Katzen, einem Mops und einem dickköpfigen Zwergpudel, lebt sie in Oklahoma. Sie nimmt Tanzunterricht, sammelt kitschige Reiseandenken und schaut sich gerne Kochsendungen an, obwohl sie gar nicht selber kocht.
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Buchvorschau
Miss Mannings sinnliche Erweckung - Amanda McCabe
IMPRESSUM
Miss Mannings sinnliche Erweckung erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© 2015 by Ammanda McCabe
Originaltitel: „The Demure Miss Manning"
erschienen bei: Harlequin Enterprises, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL SAISON, Band 38
Übersetzung: Mira Bongard
Umschlagsmotive: Getty Images / Sviatlana Lazarenka, Olga, ProVectors
Veröffentlicht im ePub Format in 10/2021
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751512985
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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1. KAPITEL
London 1805
Er soll der schönste Mann sein, der je gesehen wurde!"
Mary Manning bemühte sich, nicht über die überschwänglichen Worte ihrer Freundin Lady Louisa Smythe zu lachen. Stattdessen lächelte sie nachsichtig, spazierte weiter an der Seite der Freundin durch den Park und nickte den Leuten zu, die sie kannte. Um sich vor der Nachmittagssonne zu schützen, hielt sie den Sonnenschirm aus Spitze gegen das grelle Licht. Lady Louisa hatte die Angewohnheit, sich sehr für Klatsch und Tratsch zu interessieren – insbesondere, wenn es sich dabei um attraktive Männer drehte.
Und da es in diesem Fall noch dazu um einen schönen jungen Mann ging, der sich als neuester Held im Kampf gegen Napoleon Ruhm erworben hatte, wunderte sich Mary, dass ihre Freundin noch nicht vor Begeisterung in Ohnmacht gefallen war.
Allerdings musste sogar sie selbst zugeben, dass sie von den heroischen Geschichten, die über Lord Sebastian Barrett, den dritten Sohn des Marquess of Howard und Captain des 3. Husarenregiments, erzählt wurden, fasziniert war. Zumindest ein ganz klein wenig.
Louisa hakte sich bei ihr unter, als sie den schmalen gewundenen Weg betraten, der am See entlangführte. Aufmerksam beobachtete Mary die Menschen, die das Ufer bevölkerten – schlendernde Paare und lachende Vierergruppen, die sich am Wasser unterhielten, dessen Oberfläche im Sonnenlicht glitzerte.
Mary ließ ihre Gedanken in die Vergangenheit schweifen. Ihr Vater hatte stets in diplomatischen Diensten gestanden, und sie hatte ihn begleitet und nach besten Kräften unterstützt, nachdem ihre wundervolle portugiesische Mutter viel zu früh gestorben war. Seit ihrem sechzehnten Lebensjahr führte sie für ihn ganz eigenständig den Haushalt, egal, wohin er geschickt wurde.
Anfangs war sie im Grunde zu jung gewesen, um Empfänge und festliche Abendgesellschaften zu geben, bei denen ausländische Gesandte, begleitet von ihren eleganten Gattinnen, Bündnisse mit Vertretern der englischen Krone schmieden sollten. Doch es war niemand sonst da gewesen, um die Rolle der Gastgeberin auszufüllen. Mary hatte schon sehr früh eine Menge über Diplomatie gelernt, indem sie ihrer liebenswürdigen und kultivierten Mutter zugesehen, den Gesprächen ihrer Eltern gelauscht und Fragen dazu gestellt hatte. Sie schätzte es, im Gegensatz zu anderen jungen Damen, eine echte Aufgabe zu haben. Es reizte sie, immer wieder Neues kennenzulernen. Sie war mit ihrem Vater in Italien und Österreich gewesen, hatte lange in Russland gelebt und war erst vor wenigen Monaten nach England zurückgekehrt.
Manchmal wünschte sie sich allerdings, sie könnte auch so unbedarft kichern und flüstern wie die anderen und sich ebenso von wilden Schwärmereien und Vernarrtheiten mitreißen lassen. Wenigstens für einen Moment. Das war auch der Grund, weshalb sie es aufrichtig genoss, mit Lady Louisa befreundet zu sein.
„Der schönste Mann, der je gesehen wurde?, fragte Mary lächelnd nach. Sie blieb mit Louisa im Schatten einiger Bäume stehen. Von dort aus hatten sie einen guten Blick auf die Spaziergänger, Reiter und die Kinder, die ihre Spielzeugschiffe auf dem Wasser treiben ließen. „Noch attraktiver als dieser italienische Graf? Letzte Woche hast du noch geschworen, du habest dein Herz für immer an ihn verloren.
Louisa lachte fröhlich. „Ach, er! Er heiratet demnächst eine dickliche kleine Erbin. Zweifellos ist er ein begnadeter Tänzer, aber er ist kein Held wie Lord Sebastian. Ein Mann in Uniform hat schon etwas, meinst du nicht, Mary? Davon geht einfach eine wundervolle männliche Ausstrahlung aus."
Ein Marineoffizier in blauer Uniform ging gerade an ihnen vorbei und verbeugte sich lächelnd. Louisa kicherte und winkte ihm mit dem Taschentuch zu.
Mary biss sich auf die Unterlippe, um ihre Belustigung zu verbergen. Offenbar war Louisa von jeder Uniform fasziniert.
Sie dachte an eine der vielen Geschichten, die sie über Lord Sebastian gehört hatte – dass er allein gegen zehn Franzosen gekämpft und sie in die Flucht geschlagen habe, obgleich man sein Pferd unter ihm weggeschossen habe. Sie war sich sicher, dass nicht alles wahr sein konnte, fand aber dennoch Gefallen an diesen Erzählungen. Märchen hatten sie schon in ihrer Kindheit fasziniert, als ihre Mutter ihr vor dem Einschlafen portugiesische Sagen von ruhmreichen Schlachten, tapferen Rittern und holden Maiden erzählt hatte.
Louisa beugte sich vor, um Mary etwas ins Ohr zu flüstern: „Selbstverständlich kann ich mir nicht vorstellen, dass Lord Sebastian noch attraktiver als sein Bruder Lord Henry ist. Was das betrifft, musst du dir bestimmt keine Sorgen machen."
Mary sah die Freundin überrascht an. Woher wusste Louisa davon, dass Lord Henry ihr in wenig überzeugender Form den Hof machte? „Lord Henry Barrett?"
Louisa lächelte verschwörerisch. „Aber ja. Ist er etwa nicht dein größter Bewunderer?"
Mary spürte, dass sich ihre Wangen röteten. Sie sah zur Seite und konzentrierte sich auf einen Knaben, der wild einen Reifen schwingend, gefolgt von seinem Kindermädchen, vorbeihüpfte. „Das kann ich nicht bestätigen. Wir sind uns nicht oft begegnet und haben kaum miteinander gesprochen."
„Wirklich nicht? Louisas Aufmerksamkeit schien bereits durch einen Gentleman zu Pferde abgelenkt, der in einiger Entfernung vorbeiritt. „Bist du dir sicher? Ihr würdet ganz gewiss hervorragend zueinanderpassen. Mein Onkel meint, Lord Henrys große Karriere als Diplomat sei vorgezeichnet. Er hält es sogar für möglich, dass er bald nach Russland geschickt wird wie zuvor dein Vater.
Hervorragend zueinanderpassen … Das würden sie wohl. Lord Henry Barrett war in letzter Zeit zu einer Art Günstling ihres Vaters geworden. Sir William Manning hatte sich nie beschwert nur eine Tochter zu haben. Doch sie wusste, wie sehr er sich immer einen Sohn gewünscht hatte, der in seine Fußstapfen trat und dem er im Pulverfass der Politik, des Krieges und der höfischen Intrigen Anleitung und Rat hätte erteilen können.
In den vergangenen Wochen hatte ihr Vater sie häufig aufgefordert, Lord Henry zum Dinner einzuladen, und meistens hatten die beiden Männer im Anschluss an das Essen noch stundenlang in der Bibliothek miteinander geredet. Die wenigen Worte, die Lord Henry mit ihr gewechselt hatte, fand Mary dagegen nicht weiter erwähnenswert.
Er ist in der Tat ein vielversprechender junger Mann, meine liebe Mary. Das hatte ihr Vater noch an diesem Morgen gesagt, kurz bevor sie mit Louisa zum Spaziergang aufgebrochen war. Er ist zuverlässig und besonnen, genau solche Männer braucht dieses Land in den heutigen Krisenzeiten …
Mary seufzte, als sie sich an die Worte erinnerte. Sie drehte den Sonnenschirm zwischen den Fingern und dachte über Lord Henry Barrett nach. Zweifellos sah er gut aus mit seinem blonden Haar und dem höflichen Lächeln. Er schien der vollkommene Diplomat zu sein – selbstsicher, nichts von sich preisgebend und so zurückhaltend, dass er selbst beim Tanzen kaum ihre Hände berührte.
Wahrscheinlich war ihr Vater ebenso gewesen, bevor er ihrer bezaubernden Mutter in Lissabon begegnet war. Gewiss würde er es schätzen, wenn sie einen solchen Mann heiratete und sich weiter als Gastgeberin betätigte. Sie selbst war inzwischen eine Diplomatin durch und durch, wenngleich ohne den Titel einer Botschafterin.
Mary wusste, dass dieser Weg im Leben für sie der beste wäre – wenn nicht gar der einzige. Jedenfalls konnte sie sich im Augenblick kaum etwas anderes vorstellen.
Ja, Lord Henry Barrett würde einen passenden Ehemann abgeben. Die fantastischen Berichte über seinen verwegenen und heldenhaften Bruder aus der Armee waren eben nichts weiter als aufregende Märchen.
„Lord Henry ist ein ehrenwerter Mann, erwiderte Mary zögerlich. „Aber ich kenne ihn nicht gut genug, um zu sagen, ob er mich bewundert oder nicht.
„Wirklich nicht? Ich bin mir sicher, dass er das tut. Ein Diplomat könnte sich keine bessere Gattin wünschen. Louisa klopfte anmutig mit dem zusammengefalteten Fächer gegen ihre rosa und weiß gestreiften Röcke und beobachtete die Passanten, als ob sie nach einem neuen attraktiven Gesicht Ausschau hielte. „Außerdem ist er immerhin der zweitgeborene Sohn, wohingegen Lord Sebastian erst an dritter Stelle kommt. Lord Henry könnte sogar eines Tages Marquess werden.
„Louisa, sagte Mary lachend. „Bei allen Vorzügen, die Lord Henry haben mag, das dürfte wohl höchst unwahrscheinlich sein. Ich habe gehört, dass die Gattin des ältesten Bruders guter Hoffnung ist.
„Oh! Louisa zog einen Schmollmund. „Wie enttäuschend. Ich wäre sehr gern die Busenfreundin einer Marchioness geworden. Dann nehme ich mal an, dass du dich damit abfinden musst, Lady Henry zu sein. Und vielleicht werde ich dann Lady Sebastian! Dann wären wir Schwägerinnen!
Mary lachte noch herzlicher. Genau deshalb genoss sie es, mit Louisa befreundet zu sein. Alle Menschen, die das Haus ihres Vaters betraten, benahmen sich so fürchterlich ernst. Louisa hingegen brachte sie zum Lachen. „Du bist Lord Sebastian doch noch nie begegnet, Louisa. Wie kannst du da wissen, ob du ihn magst, geschweige denn, dass du ihn heiraten würdest?"
„Manchmal weiß eine Frau solche Dinge eben! Louisa lächelte verträumt. „Er soll attraktiv, tapfer und schneidig sein. Genau das, wonach ich suchen sollte, oder nicht?
Mary nickte. Waren dies nicht die Eigenschaften, die sich jede junge Frau von einem Mann ersehnte? Jede, außer den vernünftigen und pflichtbewussten Damen wie sie selbst natürlich. Von ihr wurde erwartet, dass sie jemanden suchte, dem sie zur Seite stehen konnte und zu dessen Familie sie gut passte. Dennoch konnte sie nicht anders, als sich hin und wieder einen großen, schlanken und geheimnisvoll anziehenden Offizier vorzustellen, der ein Regiment kommandierte. Der Stoff, aus dem die Heldengedichte gemacht sind …
Mary folgte Louisa, die unablässig über einen hübschen Hut redete, den sie in einem Schaufenster erblickt hatte, durch ein Tor aus dem Park.
„Wir sind ganz in der Nähe von Lady Alnworths Haus, sagte Louisa plötzlich. „Wir sollten ihr einen Besuch abstatten. Sie hat mir versprochen, dass sie mir ihr Amethystarmband leiht, damit ich es beim morgigen Ball bei den Seetons zu meinem fliederfarbenen Abendkleid tragen kann.
Lady Alnworth galt als eine der größten Gastgeberinnen Londons – und als eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Gesellschaft. „Ich weiß nicht, Louisa. Mein Vater wird bald wieder zu Hause sein und darauf warten, dass ich mit ihm esse."
„Es wird gar nicht lange dauern. Überdies weißt du doch, dass Lady Alnworth immer auf dem neuesten Stand ist. Möglicherweise ist ihr bekannt, welche Bälle Lord Sebastian besuchen wird."
Mary lachte. Lady Alnworth war zwar keine unumstrittene Person, doch ein paar Neuigkeiten zu erfahren, war immer willkommen. „Nun gut, aber nur ganz kurz."
Sie näherten sich Lady Alnworths Haus, einem strahlend weißen Gebäude am Rand des Parks. Wie immer standen die Türen für Besucher weit geöffnet, und heitere Stimmen und Gelächter fluteten aus dem Gesellschaftszimmer in das verschwenderisch geschmückte Vestibül. Mit einem Mal freute sich Mary, dass sie sich von Louisa hatte überreden lassen.
„Ist Lady Alnworth zugegen?", fragte Louisa den Butler.
„Ja, in der Tat ist sie hier, Lady Louisa, Miss Manning, antwortete er und verbeugte sich. „Eine größere Gesellschaft ist kurz vor Ihnen hier eingetroffen, darunter Ihre Gnaden, die Duchess of Thwaite.
Louisa riss die Augen auf, und selbst Mary war beeindruckt. Die Duchess kam nur selten in die Stadt, da sie es bevorzugte, beinahe ununterbrochen ihre eigenen Festgesellschaften in Thwaite Park zu geben. Wann immer sie London doch mit ihrem Besuch beehrte, wurde sie von einer ganzen Schar berühmter Freunde begleitet. Normalerweise kam sie nur nach London, um den eigenen jährlichen Ball auszurichten.
„Die Duchess ist hier?", fragte Mary ungläubig nach.
„Ja, in Begleitung von einigen Freunden, Miss Manning, gab der Butler würdevoll, aber mit einem Funkeln in den Augen Auskunft. „Heldenhafte Freunde.
„Heldenhaft?, rief Louisa mit sich beinahe überschlagender Stimme. „Oh, Mary! Was, wenn Lord Sebastian darunter ist? Wie überaus aufregend! Ich wusste, dass es eine gute Idee war, Lady Alnworth einen Besuch abzustatten.
„Louisa, bestimmt ist es nicht …", versuchte Mary sie zu beruhigen, doch die Freundin ging bereits zügig auf die halb geöffneten Türen des Gesellschaftszimmers zu.
Mary ließ sich nicht von Louisas Hektik anstecken, sondern schritt langsam weiter. Nach den jahrelangen Besuchen an verschiedenen königlichen Höfen war ihr diese würdevolle Haltung in Fleisch und Blut übergegangen. Als sie schließlich das Zimmer erreichte, näherte sich Louisa bereits der Gruppe, die sich rund um die großen geöffneten Fenster mit Blick auf den Park versammelt hatte. Mary blieb einen Moment stehen, um die Leute zu betrachten und die Situation genauer einzuschätzen – fast als ob sie beabsichtigte, die Szenerie in einem Gemälde festzuhalten.
Die Duchess befand sich in der Mitte der Gruppe. Sie war nach der neuesten Mode gekleidet. Lady Alnworth, in einem klassischen roten Kleid, hatte es sich auf einem Sessel neben dem der Duchess bequem gemacht. Sie sah Louisa mit großen Augen an, die mit wehenden blonden Locken auf sie zueilte, um sie zu begrüßen. Ein Teetisch mit einem glänzenden Silberservice stand vor der Gastgeberin und der Duchess, die von scherzenden Gentlemen umgeben waren. Die drei Männer schienen um die Aufmerksamkeit der beiden berühmten Damen zu wetteifern.
Plötzlich wurde Mary ganz schüchtern. Zwar hatte man ihr beigebracht, sich in völlig unterschiedlichen Kreisen zu bewegen und mit egal wem eine höfliche Unterhaltung zu führen, doch diese Gentlemen waren gewandte Gesellschaftslöwen. Mr. Nicholas Warren, Lord Paul Gilesworth und Lord James Sackville zählten nicht nur zu den gefragtesten Junggesellen Londons, sie galten auch als ausgesprochen geistreich und anspruchsvoll. Nur einen der Männer, der halb im Schatten der Fenstervorhänge stand und hinaus auf den Park blickte, kannte sie nicht.
„Miss Manning!, rief Lady Alnworth ihr zu. „Kommen Sie doch zu uns und helfen Sie uns, eine Frage zu klären. Sie sind in allem so klug und belesen. Lord James hat eben behauptet, dass Platon kein Heide gewesen sein könne, da er für die Unsterblichkeit der Seele eintritt. Mr. Warren indes ist vom Gegenteil überzeugt. Das bringt mich ganz durcheinander.
„Ich fürchte, meine bisherige Lektüre zu diesem Thema ist nicht umfangreich genug, Lady Alnworth. Ich habe nur gelesen, was Platon seinen Lehrer Sokrates im ‚Symposion‘ sagen lässt, entgegnete Mary, während sie mit strahlendem Lächeln auf die Gastgeberin zuging. „Leider kenne ich mich nicht gut genug aus …
Mit einem Mal bemerkte sie, dass der Mann, der am Fenster gestanden hatte, aus dem Schatten getreten war. Er trug eine prächtige rote Uniform, und Mary geriet bei seinem Anblick beinahe ins Straucheln.
Er war unglaublich attraktiv – beinahe wie aus einem Traum, oder als ob er plötzlich einem Roman entsprungen und zum Leben erwacht wäre. Er glich einem edlen Ritter aus früherer Zeit, nur dass er einen roten Uniformrock statt einer glänzenden Rüstung trug. An ihm wirkte die Uniform, die in diesen Tagen kein seltener Anblick war, anders … exotisch und verführerisch.
Er war größer als die meisten Männer, denen sie in London begegnet war, und hatte auffällig breite Schultern. Die hellen Breeches kontrastierten mit den blank polierten schwarzen Stiefeln.
Sein dunkelblondes Haar leuchtete golden, als ob er viel Zeit in der Sonne verbracht hätte. Einige Locken fielen ihm ungezähmt in die Stirn und über den hohen goldverzierten Kragen des Uniformrocks.
Er schien nicht wirklich in das prunkvoll eingerichtete Gesellschaftszimmer zu passen, obgleich seine Uniform makellos war und seine Haltung große Vornehmheit verriet. Mary stellte sich ihn eher an Deck eines Piratenschiffs vor, das durch stürmische See glitt, oder als tollkühnen Reiter, der auf einem temperamentvollen Hengst über ein offenes Feld galoppierte.
Oder sie sah ihn als heißblütigen Verführer vor sich, der eine seufzende und dahinschmelzende Dame in die Arme zog und sie leidenschaftlich küsste, bis sie ohnmächtig wurde.
Mary musste beinahe laut über die eigenen romantischen Fantasien lachen. Das passte eigentlich gar nicht zu ihr. Offensichtlich hatte sie in letzter Zeit zu viele Gedichte gelesen. Wenn dieser Mann in Uniform tatsächlich der berühmte Lord Sebastian Barrett war, schien der Ruf, der ihm vorauseilte, mehr als gerechtfertigt. Seine Schönheit ließ sich nur als vollkommen bezeichnen.
Sie dachte an Lord Henry Barrett, den Mann, von dem alle annahmen, er wäre der perfekte Ehemann für sie. Er war zwar höflich und sah gut aus, doch er verströmte eine Aura von Unnahbarkeit und Berechnung.
„Lady Louisa, Miss Manning, sagte die Duchess. „Ich freue mich, Sie beide zu sehen. Kommen Sie und setzen Sie sich zu uns, ganz gleich, ob Sie uns helfen können, den Streit zwischen Lord James und Mr. Warren zu schlichten. Im Grunde sind wir doch alle nur darauf aus, Lord Sebastian zu überreden, uns von einem seiner Abenteuer zu berichten. Vielleicht haben Sie mehr Glück dabei.
„Oh ja, Sie müssen uns unbedingt davon erzählen, Lord Sebastian!, bat Louisa ihn entzückt. „Es ist heldenhaft von Ihnen, uns alle mit derartigem Einsatz gegen den Feind zu verteidigen.
„Lady Louisa, Miss Manning. Vermutlich sind Sie dem Helden des Tages noch gar nicht vorgestellt worden, sagte Lady Alnworth. „Bedauerlicherweise war er so lange nicht in London. Lord Sebastian Barrett, darf ich Sie mit Lady Louisa Smythe und Miss Mary Manning bekannt machen?
Er nickte Louisa höflich zu und wandte sich dann mit einem Lächeln an Mary.
Sie musste sich ihre gesamte diplomatische Erfahrung in Erinnerung rufen, um in Erwiderung nur zurückhaltend zu lächeln und sittsam zu knicksen. Je