Die ungleichen Zwillinge: Kinderärztin Dr. Martens Classic 61 – Arztroman
Von Britta Frey
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Über dieses E-Book
Kinderärztin Dr. Martens ist eine weibliche Identifikationsfigur von Format. Sie ist ein einzigartiger, ein unbestechlicher Charakter – und sie verfügt über einen liebenswerten Charme.
Alle Leserinnen von Arztromanen und Familienromanen sind begeistert!
Vom Fenster ihrer im zweiten Stock gelegenen Wohnung spähte die junge Frau hinunter auf die Straße. Als sie zwei Jungen von dreizehn Jahren eilig um die Straßenbiegung näher kommen sah, legte sich ein weiches mütterliches Lächeln um ihre Lippen. Sie trat zurück und schloß das Fenster. Wenige Minuten später klingelte es an der Wohnungstür, und sie ließ die beiden Jungen ein. Die Frau war Norma Günter, eine hübsche junge Frau mit langen blonden Haaren. Sie war seit ein paar Jahren Witwe und lebte mit ihren dreizehnjährigen Söhnen Sascha und Ingo in einer großen, hübsch eingerichteten Viereinhalbzimmerwohnung in Lüneburg. Im Augenblick führte Norma ein zufriedenes und ausgeglichenes Leben mit ihren Zwillingen. Dabei hatte es sehr lange gedauert, bis sie sich mit dem Verlust ihres Mannes abgefunden hatte. Nach dem Tod ihres Mannes hatte sie sich sehr abgekapselt, und es war nicht ausgeblieben, daß sich nach und nach die alten Freunde völlig von ihr zurückgezogen hatten. Obwohl Sascha und Ingo ihr kaum Kummer gemacht hatten und auch in der Schule sehr fleißig waren, war sie selbst sehr einsam gewesen. Erst seit einigen Monaten nahm sie wieder mehr Anteil an dem Leben um sich herum. Hin und wieder erlaubte sie sich einen Kinobesuch, ein Konzert oder auch andere Veranstaltungen. So war sie zu dem zufriedenen Menschen geworden, der sie im Augenblick war. Liebevoll begrüßte Norma Günter ihre beiden Jungen und fragte lächelnd: »Nun, ihr beiden, wie war es denn heute in der Schule? Alles in Ordnung?« »Na, klar doch, Mutsch, wie immer«, gab Sascha keß zurück und warf seine Schultasche mit einem Schwung in eine Ecke. »Nicht so wild, Sascha«, tadelte Norma sanft und wandte sich danach an Ingo. Überhaupt, ihre beiden Buben waren zwar Zwillinge, aber in ihrem Wesen so verschieden wie Tag und Nacht.
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Kinderärztin Dr. Martens Classic
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Buchvorschau
Die ungleichen Zwillinge - Britta Frey
Kinderärztin Dr. Martens Classic
– 61 –
Die ungleichen Zwillinge
Britta Frey
Vom Fenster ihrer im zweiten Stock gelegenen Wohnung spähte die junge Frau hinunter auf die Straße.
Als sie zwei Jungen von dreizehn Jahren eilig um die Straßenbiegung näher kommen sah, legte sich ein weiches mütterliches Lächeln um ihre Lippen. Sie trat zurück und schloß das Fenster.
Wenige Minuten später klingelte es an der Wohnungstür, und sie ließ die beiden Jungen ein.
Die Frau war Norma Günter, eine hübsche junge Frau mit langen blonden Haaren. Sie war seit ein paar Jahren Witwe und lebte mit ihren dreizehnjährigen Söhnen Sascha und Ingo in einer großen, hübsch eingerichteten Viereinhalbzimmerwohnung in Lüneburg. Im Augenblick führte Norma ein zufriedenes und ausgeglichenes Leben mit ihren Zwillingen. Dabei hatte es sehr lange gedauert, bis sie sich mit dem Verlust ihres Mannes abgefunden hatte. Nach dem Tod ihres Mannes hatte sie sich sehr abgekapselt, und es war nicht ausgeblieben, daß sich nach und nach die alten Freunde völlig von ihr zurückgezogen hatten. Obwohl Sascha und Ingo ihr kaum Kummer gemacht hatten und auch in der Schule sehr fleißig waren, war sie selbst sehr einsam gewesen. Erst seit einigen Monaten nahm sie wieder mehr Anteil an dem Leben um sich herum. Hin und wieder erlaubte sie sich einen Kinobesuch, ein Konzert oder auch andere Veranstaltungen. So war sie zu dem zufriedenen Menschen geworden, der sie im Augenblick war.
*
Liebevoll begrüßte Norma Günter ihre beiden Jungen und fragte lächelnd: »Nun, ihr beiden, wie war es denn heute in der Schule? Alles in Ordnung?«
»Na, klar doch, Mutsch, wie immer«, gab Sascha keß zurück und warf seine Schultasche mit einem Schwung in eine Ecke.
»Nicht so wild, Sascha«, tadelte Norma sanft und wandte sich danach an Ingo. Überhaupt, ihre beiden Buben waren zwar Zwillinge, aber in ihrem Wesen so verschieden wie Tag und Nacht. Sascha war lebhaft, manchmal ein wenig wild und immer zu irgendwelchen Streichen aufgelegt. Ingo hingegen, dem Norma nun einen Arm um die Schultern legte, war ein stiller, scheuer, man konnte sogar sagen, ein überängstlicher Bub. Sie liebte beide sehr, denn sie waren ihr ein und alles, waren das Einzige, was ihr von einem großen Glück geblieben war.
»Bei dir auch alles in Ordnung, mein Junge?« fragte sie weich und fuhr Ingo über das strohblonde Haar.
»Ja, Mutsch, ich habe heute sogar meinen Aufsatz mit einer Eins zurückbekommen.«
»Fein, darüber freue ich mich natürlich sehr.«
»Hach, Mutsch, der Ingo ist ja auch ein Streber. Ich habe nicht so gut abgeschnitten, dafür bin ich auch nicht so ein Angsthase wie der Ingo.«
»Keinen Streit, wenn ich bitten darf. Ihr sollt euch vertragen. Er ist eben in einem Fach besser, und du in einem anderen. Jetzt ab ins Bad, Hände und Gesicht gewaschen, damit wir anschließend zu Mittag essen können.«
»Wenn es doch wahr ist, daß Ingo ein Angsthase ist. Heute beim Schwimmen hat er sich noch nicht einmal ins Wasser getraut. Alle haben ihn ausgelacht«, sagte Sascha maulend und verschwand im Badezimmer.
»Mach dir nichts draus«, sagte Norma tröstend zu Ingo. »Einmal wirst du es schon schaffen. Wenn ihr eure Hausaufgaben fertig habt, unterhalten wir zwei uns mal in aller Ruhe. Einverstanden…?«
»Na, Mutsch, ich kann doch nichts dafür, wenn ich Angst habe, ins Wasser zu gehen. Die Mali und der Lars trauen sich auch nicht. Sie lachen mich auch nicht aus.«
»Nun, wir reden nachher darüber. Nun ab ins Bad, sonst wird das Essen kalt.«
Nachsichtig lächelnd sah Norma Ingo nach, der nun ebenfalls hinter der Badezimmertür verschwand. Sie war diese kleinen Streitereien ihrer Buben gewohnt. Es war bei der Verschiedenheit ihrer beiden Charaktere etwas ganz Normales, daß sie nicht immer einer Meinung waren. Beide hatten ja auch ihren eigenen Freundeskreis.
Schon wenige Minuten später saßen die beiden Jungen ihrer Mutter friedlich am Mittagstisch gegenüber und langten kräftig zu.
Nach dem Essen, Sascha und Ingo waren in ihrem Zimmer, um ihre Hausaufgaben zu erledigen, brachte Norma Günter zuerst die Küche wieder in Ordnung, danach hatte sie etwas Zeit, um Kleidungsstücke ihrer Jungen auszubessern. Vor allen Dingen von Sascha kam immer so einiges zusammen. Bei seinem Temperament gab es so manchen Riß in den Jeanshosen zu flicken und auch häufiger ein Loch zu stopfen als bei Ingo.
Während ihrer Beschäftigung gingen Normas Gedanken plötzlich eigene Wege. Vor ihrem inneren Auge tauchte ein gutaussehendes Männergesicht auf, und ihr Herz pochte plötzlich ein paar Takte schneller.
Vor einiger Zeit, während eines Konzertes, das sie besuchte, hatte sie ihn kennengelernt. Jonas Carlson, vierzig Jahre alt, ein großer, breitschultriger, sehr gut aussehender Mann. Seit ihrem ersten Kennenlernen waren sie schon einige Male zusammengetroffen. Und es war schon recht seltsam, denn mit jedem Treffen fühlte sie sich mehr zu Jonas Carlson hingezogen. Eine innere Scheu hatte sie bisher davon abgehalten, ihren Jungen von Jonas Carlson zu erzählen. Sascha und Ingo hatten beide sehr an ihrem Vater gehangen, hatten ihn über alles geliebt. Norma hatte ganz einfach Angst davor, wie die beiden reagieren würden, wenn sie erfuhren, daß ein anderer Mann in das Leben ihrer Mutter getreten war und darin schon eine Rolle spielte. Sie spürte als Frau, daß Jonas ihr inzwischen mehr als nur Freundschaft entgegenbrachte. Schon in zwei Tagen würde sie mit Jonas wieder ein Konzert in der Stadthalle besuchen. Sie freute sich schon sehr darauf.
»Mutsch, ich bin fertig, darf ich jetzt nach draußen?« riß Saschas helle Stimme sie aus ihren Gedanken heraus.
»Wo willst du denn hin?«
»Wir wollen Fußball spielen, Mutsch. Alle aus unserer Klasse.«
»Alle, Sascha? Und was ist mit Ingo?«
»Ingo ist noch nicht fertig, und er spielt auch nicht Fußball. Der Ingo hängt nur mit der Mali und dem Lars zusammen. Kann ich nun gehen?«
»Ja, aber zuerst müssen wir beide uns noch einen Augenblick unterhalten.«
»Worüber denn, Mutsch?«
»Über dich und deinen Bruder, mein Junge. Du sagtest vorhin, daß man Ingo in der Schule ausgelacht hat. Kannst du ihm denn in solchen Dingen nicht ein bißchen zur Seite stehen und helfen? Ihr seit doch Brüder und sollt zusammenhalten. Mit dreizehn Jahren solltet ihr eigentlich vernünftig genug sein.«
»Wenn er doch nie mitmacht, Mutsch. Ich bin schließlich nicht Ingos Kindermädchen. Er hat doch seine Freunde, mit denen er immer zusammen ist.«
»Trotzdem, Sascha. Wenn es mal zu arg wird, hilf ihm. Er ist schließlich dein Bruder. Ich würde mich sehr darüber freuen. Er ist dir ja auch bei deinen Matheaufgaben behilflich oder?«
»Schon gut, Mutsch, meinetwegen. Ich verspreche es dir. Ich verstehe sowieso nicht, warum er sich immer nicht traut.«
»Die Menschen sind verschieden, mein Junge. Ingo ist nun mal genau das Gegenteil von dir. Mit der Zeit wird er bestimmt auch etwas mutiger. So, und nun lauf schon. Ich sehe ja, daß du ganz kribbelig bist. Und bitte sei nicht so wild! Zum Abendbrot bist du wieder hier?«
»Ja, Mutsch, kannst dich darauf verlassen.«
Einen Augenblick später klappte hinter Sascha die Wohnungstür zu.
Norma Günter wartete noch ungefähr eine Viertelstunde, danach ging sie ins Kinderzimmer hinüber, um nach Ingo zu sehen, denn sie wunderte sich darüber, daß er mit seinen Hausaufgaben noch nicht fertig war.
Der Dreizehnjährige war jedoch schon fertig, als Norma den Raum betrat. Sie fand ihn mit einer Bastelarbeit beschäftigt vor.
»Was ist los, Ingo? Warum gehst du nicht auch an die frische Luft?« Sie trat hinter ihn und legte eine Hand auf seine Schulter.
»Ich hab keine Lust, Mutsch. Außerdem hast du doch gesagt, daß du dich mit mir unterhalten willst.«
»Ich habe es nicht vergessen. Wir können es sofort machen, denn der Sascha ist ja draußen. Wir sind also ungestört.«
Mit viel liebevollem Verständnis versuchte Norma nun, ihrem Jungen zu erklären, daß er es leichter haben würde, wenn er sich vor seinen Mitschülern nichts von seiner Angst anmerken lassen würde.
»Du mußt dagegen ankämpfen, mußt die Zähne zusammenbeißen, dann kann dich auch niemand hänseln oder auslachen.«
»Ich versuche es ja, Mutsch, aber ich kann manchmal nichts dagegen tun. Es überkommt mich einfach.«
Norma mußte sich wohl oder übel mit der Antwort ihres Jungen zufrieden geben. Es hatte zwischen ihnen schon mehrfach solche Gespräche gegeben. Die Frage war nur, wann würden sie wenigstens die ersten kleinen Früchte tragen? Ob sich in seinem Verhalten überhaupt jemals etwas ändern würde? Sie glaubte nicht so recht daran. Sie wußte nur eines ganz genau. Sie liebte ihn nicht weniger als Sascha. Sie mußte halt versuchen, ihn in kritischen Momenten besser zu schützen.
*
Als Sascha und Ingo am Samstag nach dem Mittagessen die Wohnung verlassen wollten, um zu ihren Freunden zu gehen, mahnte Norma Günter: »Gut,