Mordakte Rosslyn
Von Logan Kenison
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Buchvorschau
Mordakte Rosslyn - Logan Kenison
Impressum
04/2018
Copyright dieser Ausgabe: 10/2021 by Logan Kenison
Lektorat: Carola Lee-Altrichter
Abdruck auch auszugsweise nur mit Genehmigung des Autors.
Cover: »Dammit, M7, I'm still here, you know, I'm M6« by PJ3DART 2015
Kontakt: logan.kenison@gmx.de
Mordakte Rosslyn
Ein Spacewestern
von Logan Kenison
Russac-Ide-Genijom 3 war kein netter Planet.
Keine Welt, die ein Mensch sich aussuchen würde, um Urlaub zu machen. Keine Welt für Nacktbader, Sonnenanbeter, Chiller und Relaxer. Keine Welt für Rucksacktouristen, Wintersportler, Sommerfrischler und Brückentagebucher. Keine Welt für Adrenalinjunkies, Basejumper, Paraglider, Freeclimber, Parcoursläufer, Skater, Blader, Rockmusiker, Jodler, Chorsänger, Konzertpianisten und Notenblattwender.
Denn Russac-Ide-Genijom 3 war ein radioaktiv verstrahlter Planet, Rad-Wert 11,6.
Die Anziehungskraft, die er dennoch ausübte, verdankte er gigantischen Vorkommen von Pluto-Ratonium und Titan, die vor einiger Zeit unter der Oberfläche entdeckt worden waren – und dem wirtschaftlichen Interesse, das anderer Planeten daran hatte.
John Guilfoyle Rosslyn stand am Fenster seiner Suite und sah durch die vierzehn Zentimeter dicke Scheibe auf den Planeten hinaus. Durch die Dicke des Kunstglases erschien draußen alles in einem türkisfarbenen Farbton, doch er wusste, dass dies nicht die wirklichen Farben der Dinge waren. Die sandigen Hügel waren tatsächlich ockerfarben, der Himmel von einem schmutzigen Grün und die merkwürdigen Pflanzen, die wie riesige Pilze in den Himmel ragten oder wie kugelige, löchrige Haufen am Boden hockten, waren dunkelviolett, schwarz, dreckig-braun. Dazwischen sprangen die seltsamsten Tiere herum, die er je gesehen hatte. Manchmal hatte man das Gefühl, sie glühten von innen heraus durch Augen und Zähne; sicherlich ein Nebeneffekt des Lebens bei 11,6 Rad.
John Guilfoyle Rosslyn seufzte. Er war froh, nicht da draußen zu sein. Dies war kein Ort, an dem er sich gern aufhielt, doch welche Wahl hatte man, wenn die Geschäftsleitung einen schickte und Profite in Milliardenhöhe winkten.
Im Innern der Suite herrschten angenehmste Bedingungen. Hierher drang keine radioaktive Strahlung. Hier gab es frische Luft, eine gesicherte Sauerstoffzufuhr, angenehm geregelte Temperaturen und sogar Zitronenduft. Überall waren Detektoren angebracht, die sofort Alarm schlugen, wenn sich irgendwo ein Leck auftat, sich die Temperatur senkte oder erhöhte oder der Sauerstoffgehalt unter sechzehn Prozent fiel – aus welchen Gründen auch immer. Auch Luftfeuchtigkeit, Luftdruck, Staubbelastung und alle möglichen anderen Werte wurden permanent überwacht, um im Falle einer definierten Abweichung sofort Maßnahmen ergreifen zu können.
Doch hier und heute gab es keine Abweichungen.
Rosslyn wandte sich von der Aussicht ab und wieder dem Tisch zu, auf dem ausgebreitet die Akten lagen, die er gerade durcharbeitete. Die Mengen, die die Saleeh zum Verkauf anboten, waren astronomisch. Er hatte sich nicht vorstellen können, dass ein Volk unter diesen Bedingungen so viel fördern konnte, und doch hatten sie ihm diesen Vorschlag unterbreitet.
Seine Aufgabe war es nun, den Abtransport dieser Mengen möglich zu machen.
Wie konnte er das schaffen? Sein Unternehmen hatte insgesamt nicht so viel Transportschiffe, um die angebotene Menge zu bewegen. Zusätzlichen Frachtraum zu chartern bedeutete eine Schmälerung des Profits, was in Kreisen der Geschäftsleitung nicht gern gesehen wurde.
Er aktivierte seinen Elektronischen Datenspeicher und ließ sich eine Karte aller in der Nähe befindlichen Handelsposten und Umschlagszentren anzeigen.
Wie viele Transporter gab es überhaupt auf dem freien Markt? Wie viel Frachtraum konnten diese zur Verfügung stellen? Wenn er einen Aufruf in anderen Handelszentren startete? Gewiss würden viele weitere Transporteure sich bereitfinden, hierher zu kommen und Ladung zu übernehmen. Der Ansturm könnte so groß werden, dass die Frachtpreise sanken … was ihm nur recht sein konnte. Sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren, und es machte ihm Spaß, mit Zahlen, Möglichkeiten, Daten, Fakten zu jonglieren; mit Ladungen, Volumina, Abholungen, Anlieferungen zu spielen; das Unmögliche möglich zu machen – zumindest in Gedanken.
Er war so in Gedanken versunken, dass er gar nicht bemerkte, wie sich die Tür seiner Suite öffnete. Es gab keinen Luftzug, kein Geräusch. Die Person, die sich in den Raum schob, war eine Saleeh. Wie alle ausgewachsenen Saleeh besaß sie vier Arme und war zweieinhalb Meter groß. Die Haut, die sich über den langgezogenen, schmalen Körper spannte, war gräulich, pergamentfarben. Bläuliche Adern zeichneten sich unter ihr deutlich ab. Langgezogene Gesichter saßen auf schmalen Schädeln, die mehr in die Tiefe wuchsen als sie breit waren. Die Augen meist groß und hervortretend, blickten starr vor sich hin und schienen ihr Gegenüber zu durchdringen, anstatt es anzusehen.
Die Saleeh waren keine schönen Wesen, doch übten sie einen seltsamen Reiz auf Menschen aus. Sie trugen lange Gewänder aus fließenden Stoffen, unter denen sich ihre knochigen Körperformen abzeichneten. Die meisten weiblichen Saleeh wiesen kleine Knubbel auf, Brüste, die kaum eine solche Bezeichnung verdienten; die männlichen hingegen Ausbeulungen im Schritt, die Erdmänner vor Neid erblassen ließen.
Die Bedingungen, unter denen sie existierten, konnten nur als erstaunlich bezeichnet werden. Sie existierten auf der Oberfläche des Planeten mit all seinen Giftstoffen und der radioaktiven Strahlung ebenso wie im Innern der zum Teil recht weitläufigen Unterkünfte, die sie für die Besucher anderer Spezies geschaffen hatten.
Die Saleeh näherte sich John Guilfoyle Rosslyn von hinten. Erst als ihr Fuß leicht über den dicken Teppich schabte, hörte er, dass jemand im Raum war. Er fuhr herum, doch da packten ihn bereits zwei kräftige Hände. Eine dritte Hand legte sich ihm über den Mund und verhinderte, dass ein Laut herausdrang.
Eine weibliche Saleeh, dachte Rosslyn. Er roch einen feinen Ginsterduft.
Und bevor ihm klarwurde, was vor sich ging, schoben ihn die kräftigen Arme in Richtung Außentür.
Diese war zwar verriegelt, aber mit dem vierten freien Arm, der um Rosslyn herumgriff, wurden nacheinander und in ziemlicher Geschwindigkeit alle Sicherheitsriegel gelöst.
Die Alarmsirene heulte los, verstummte jedoch wieder abrupt, als lange Finger den Entwarnungscode eingaben.
Und ein lautes Klacken und das folgende saugende Geräusch, was beides von der Zimmertür her erklang, kündigte an, dass diese Tür nun verriegelt und hermetisch abgeschlossen war.
Rosslyn begann zu schreien, als er erkannte, worauf das alles hinauslief, doch durch die Hand der Saleeh drangen seine Laute nur gedämpft. Er wehrte sich, begann zu zappeln und wand sich in der Umklammerung, doch die Angreiferin hielt ihn spielend unter Kontrolle.
Mit einem zischenden Geräusch fuhr die Außentür auf – und Rosslyn erhielt einen Stoß zwischen die Schulterblätter. Der Stoß war so heftig, dass er ins Freie taumelte, ohne etwas dagegen tun zu können. Er machte vier, fünf Schritte, dann verlor er das Gleichgewicht und fiel auf den hartgefrorenen Sand.
Sofort spürte er ein Beißen und unerträgliches Jucken auf den Handflächen und im Gesicht, und mit jedem Atemzug, den er machte, auch in seiner Lunge.
In Panik sprang er auf, wandte sich um und rannte schreiend zur Tür zurück.
Doch die war inzwischen wieder zugefahren, und er sah die Saleeh sie gerade wieder verriegeln. Unbeteiligt blickten die Fischaugen der Kreatur durch die Scheibe, während er wild schreiend an der Tür riss, bis seine Fingernägel blutig waren.
Er hatte natürlich keine Chance, die Tür wieder zu öffnen, und als ihm das nach viel zu langen Sekunden klarwurde, und er begann, um das Gebäude herumzurennen, um an der Vorderseite eine Schleuse zu finden, durch die er wieder hineingelangen konnte, hämmerte es in seinem Gehirn, dass es bereits zu spät war.
Er wagte nicht, an sich hinabzublicken, denn die Auflösungserscheinungen mussten bereits eingesetzt haben. Aus welchen Körperöffnungen er jetzt schon blutete, wollte er sich nicht einmal vorstellen. Er hätte sich genauso gut auf den Boden setzen können, um das Ende abzuwarten, doch in einem Anflug panischer Lebenserhaltung versuchte er das Äußerste.
Schreiend lief er um die festgefügten Wände herum, trommelte gegen die Wände und Fenster, doch es gab keine Reaktion; der Sand schluckte seine Laute. Nur sein wildes Keuchen dröhnte laut in seinen Ohren.
Irgendwann wollten seine Beine nicht mehr. Er stolperte und fiel. Ein letztes Mal schlug er lang und hart auf den Boden und kam nicht wieder hoch. Sein letzter Gedanke galt, wie er mit leichtem Befremden feststellte, seiner Mutter, die vor über zwanzig Jahren gestorben war.
Dann erlosch alles Leben in ihm.
*
Owen Richter hob die Hand und spreizte drei Finger ab – ein Zeichen für den Barkeeper, dass er drei Fingerbreit von dem Echten Kentucky Moonshine ins Glas laufen lassen sollte. Richter lachte und langte der Schwarzhaarigen, die neben ihm stand, um die Taille. Durch den Trubel, der hier herrschte, konnte er kaum verstehen, was sie sagte – und sie sagte pausenlos irgendetwas –, aber das war egal, denn ihre gewichtigsten Argumente begannen zwei Handbreit unterhalb ihres Mundes.
Der Barkeeper schob Richter das Glas zu, und er reichte ihm mit der freien Hand seine Kreditkarte. Der Barkeeper zog sie durch das Lesegerät, und 200 weitere Qubits wurden abgebucht. Ein ziemlich teures Etablissement, wie Richter schnell festgestellt hatte, aber was war nicht teuer hier im Orbit über Brexilla? Zudem … er konnte es sich leisten: Vor wenigen Stunden hatte er eine ganze Schiffsladung Chrysolit in der Orbitalen Handelsstation verkaufen können und einen satten Gewinn eingestrichen. Also raus mit den Moneten, der Rubel musste wieder unter die Leute.
Die Schwarzhaarige – wie war gleich ihr Name? Una? Yuma? Anita? – lehnte sich an ihn und quasselte im