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PICKNICK AM WEGESRAND: Die beste Science-Fiction der Welt
PICKNICK AM WEGESRAND: Die beste Science-Fiction der Welt
PICKNICK AM WEGESRAND: Die beste Science-Fiction der Welt
eBook274 Seiten3 Stunden

PICKNICK AM WEGESRAND: Die beste Science-Fiction der Welt

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Über dieses E-Book

An sechs Stellen auf der Erde – den so genannten „Zonen“ – ist außerirdische Technologie zu finden, die eine extraterrestrische Zivilisation nach einem „Besuch“ der Erde dort zurückgelassen hat und die immer noch teilweise funktionsfähig ist. Diese Technologie bewirkt verschiedene und teils sehr gefährliche Effekte, die von den Menschen auch Jahre später immer noch nicht verstanden werden; deshalb wurden die Gebiete abgesperrt, werden wie militärische Sperrgebiete bewacht und der Handel mit den Artefakten wird unter Strafe gestellt. Trotz ihrer Gefährlichkeit sind die außerirdischen Artefakte heiß begehrt und werden mittlerweile, etwa als Schmuck oder Antriebsquellen immer mehr im alltäglichen Leben auf der Erde von Menschen eingesetzt, was sie zu einem wertvollen Schmuggelgut macht. Das Buch beschreibt Lebensepisoden einiger Bewohner der Stadt Harmont, die am Rande einer dieser Zonen liegt. Die verschiedenen Interessen – Wissenschaft, Militär, privates Gewinnstreben – prägen das Leben in Harmont im Allgemeinen und das Leben der Charaktere im Besonderen.
Die Hauptfigur des Romans ist Roderic Schuchart (im Original: „Redrick“, russisch „Рэдрик“, kurz „Red“), ein „Schatzgräber“ (Original: „Stalker“, russisch „Сталкер“), einer jener Männer, die unerlaubt unter Einsatz ihres Lebens in die Zone eindringen, dort Artefakte sammeln und sie auf dem Schwarzmarkt zu Geld machen. Nachdem im späteren Verlauf des Romans immer mehr Roboter in der Zone Bergungsarbeiten durchführen und aufgrund konsequenter Verfolgung und Todesfällen bei der „Bergung“ der Artefakte die Zahl der traditionellen Schmuggler immer stärker abnimmt, begibt sich Schuchart ein letztes Mal in die Zone, um die sagenumwobene „goldene Kugel“ zu bergen. Dieser Kugel wird nachgesagt, sie würde „alle Wünsche erfüllen“. Am Ende seines Weges setzt sich die Hauptfigur immer mehr mit ihrem Leben und Wünschen auseinander und offenbart ihre Selbstentfremdung. Angesichts seiner widersprüchlichen Emotionen muss Schuchart schließlich feststellen, dass er keinen ihm eigenen Wunsch formulieren kann, und wünscht, mit sich im Unreinen: „Glück für alle, umsonst, niemand soll erniedrigt von hier fortgehen.“

SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum3. Juni 2023
PICKNICK AM WEGESRAND: Die beste Science-Fiction der Welt

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    Buchvorschau

    PICKNICK AM WEGESRAND - Arkadi Strugatzki

    Arkadi Strugatzki, Boris Strugatzki

    PICKNICK AM WEGESRAND

    Die beste Science-Fiction der Welt

    PICKNICK AM WEGESRAND

    Arkadi und Boris Strugatzki

    Das Gute …

    Man muss es aus dem Schlechten machen.

    Weil es nichts anderes gibt,

    aus dem man es machen könnte.

    Robert Penn Warren

    AUSZÜGE AUS EINEM INTERVIEW, DAS DER SONDERKORRESPONDENT VON RADIO HARMONT MIT DR. VALENTIN PILLMAN ANLÄSSLICH DESSEN AUSZEICHNUNG MIT DEM NOBELPREIS FÜR PHYSIK IM JAHRE 19.. FÜHRTE

    »Doktor Pillman, als Ihre erste bedeutsame Entdeckung kann sicher der sogenannte Pillman-Radiant gelten, nicht wahr?«

    »Nein, das glaube ich nicht. Der Pillman-Radiant ist weder die erste noch eine bedeutsame noch überhaupt eine richtige Entdeckung gewesen. Zudem auch nicht ganz die meine.«

    »Das ist gewiss ein Scherz, Herr Doktor. Der Pillman-Radiant ist ein Begriff, der heute jedem Schüler geläufig ist!«

    »Das wundert mich nicht. Schließlich war es ein Schüler, der den Radianten entdeckt hat. Leider kann ich mich nicht mehr an seinen Namen erinnern. Aber schlagen Sie in Statsons ›Geschichte des Besuchs‹ nach - dort ist alles ausführlich beschrieben. Entdeckt wurde der Radiant von einem Schüler, veröffentlicht wurden die Koordinaten von einem Studenten, nur benannt wurde er sonderbarerweise nach mir.«

    »Nun ja, es ist wahr … Mit Entdeckungen geschehen mitunter die seltsamsten Dinge. Könnten Sie, Doktor Pillman, unseren Hörern vielleicht dennoch erklären …«

    »Natürlich. Der Pillman-Radiant ist etwas ganz Simples: Stellen Sie sich vor, Sie brächten einen großen Globus zum Drehen und feuerten aus einem Revolver Schüsse auf ihn ab. Die Löcher auf dem Globus werden dann eine Art fließende Kurve bilden. Der Pillman-Radiant, den Sie als meine erste bedeutende Entdeckung bezeichnen, ist durch diesen einfachen Vergleich erklärbar: Alle sechs Besuchszonen auf unserem Planeten sind nämlich genauso angeordnet, als hätte jemand sechs Pistolenschüsse auf die Erde abgegeben, und zwar von einem beliebigen Standort auf der Linie Erde-Deneb. Der Deneb ist der Hauptstern des Sternbildes Schwan. Und den Punkt am Firmament, von dem aus ›geschossen‹ wurde, bezeichnet man als Pillman-Radianten.«

    »Ich danke Ihnen, Herr Doktor. Liebe Harmonter! Endlich haben wir knapp und verständlich erklärt bekommen, was es mit dem Pillman-Radianten auf sich hat. Bei dieser Gelegenheit möchte ich daran erinnern, dass vorgestern vor dreizehn Jahren der Besuch stattgefunden hat. Dürfte ich Sie bitten, Doktor Pillman, Ihren Landsleuten ein paar Worte zu diesem Ereignis zu sagen?«

    »In welcher Hinsicht? Sie müssen bedenken, dass ich damals nicht in Harmont war …«

    »Umso interessanter wäre es zu erfahren, welche Gedanken Sie bewegten, als Sie erfuhren, dass sich in Ihrer Heimatstadt eine Invasion einer außerirdischen Superzivilisation ereignet hatte …«

    »Ehrlich gesagt, hielt ich die Meldung zunächst für eine Ente. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass in unserem kleinen, alten Harmont etwas Derartiges passieren könnte. Ostsibirien, Uganda, der Südatlantik - das ging noch an, aber Harmont …«

    »Schließlich mussten Sie es aber glauben.«

    »Ja, das musste ich.«

    »Und was geschah weiter?«

    »Ich stellte überrascht fest, dass Harmont und die übrigen fünf Besuchszonen - pardon, zu diesem Zeitpunkt waren erst vier bekannt -, dass diese Besuchszonen eine sehr gleichmäßige Kurve bildeten. Ich errechnete die Koordinaten des Radianten und schickte sie an Nature.«

    »Und das Schicksal Ihrer Heimatstadt hat Sie nicht beunruhigt?«

    »Sehen Sie, obwohl ich inzwischen wusste, dass der Besuch stattgefunden hatte, konnte ich den von Panik erfüllten Berichten einfach nicht glauben - zu sensationell wurde da über brennende Stadtviertel berichtet, über Ungeheuer, die sich Kinder und alte Leute zum Fraß aussuchten, über blutige Kämpfe zwischen den unverwundbaren Gästen aus dem All und den sehr verwundbaren königlichen Panzereinheiten, die sich aber dennoch wacker schlugen …«

    »Und Sie haben Recht behalten. Denn unsere Kollegen haben damals eine Menge durcheinandergebracht … Aber zurück zur Wissenschaft. Die Entdeckung des Pillman-Radianten war Ihr erster, doch gewiss nicht Ihr letzter Beitrag zur Erforschung des Besuchs?«

    »Mein erster und letzter.«

    »Zweifelsohne aber haben Sie seither die internationalen Forschungen in den Besuchszonen aufmerksam verfolgt?«

    »Nun ja. Hin und wieder überfliege ich die ›Mitteilungen‹.«

    »Sie sprechen von den ›Mitteilungen des Internationalen Instituts für Außerirdische Kulturen‹?«

    »So ist es.«

    »Und was war Ihrer Meinung nach in diesen dreizehn Jahren die wichtigste Entdeckung?«

    »Die Tatsache des Besuchs selbst.«

    »Wie darf ich das verstehen?«

    »Die Tatsache, dass ein Besuch stattgefunden hat, ist für uns die bedeutendste Entdeckung nicht nur der vergangenen dreizehn Jahre, sondern der Menschheitsgeschichte überhaupt. Es ist gar nicht so wichtig, was das für Wesen waren, woher sie kamen und warum. Vergleichsweise unwichtig ist auch, weshalb sie sich nur so kurze Zeit bei uns aufhielten und wohin sie verschwanden. Wichtig dagegen ist: Die Menschheit weiß jetzt ganz sicher, dass sie nicht allein im Universum ist. Ich fürchte, es wird dem Internationalen Institut für Außerirdische Kulturen nicht vergönnt sein, noch eine bedeutendere Entdeckung zu machen.«

    »Das ist ungeheuer interessant, Doktor Pillman, doch zielte meine Frage mehr auf Entdeckungen technischer Natur. Auf Entdeckungen, die unserer irdischen Wissenschaft und Technik zugutekommen. Viele angesehene Gelehrte sind der Meinung, die in den Besuchszonen gemachten Funde könnten den Lauf der gesamten Geschichte verändern.«

    »Nun, ich gehöre nicht zu den Anhängern dieser Theorie. In Bezug auf die Funde bin ich allerdings kein Spezialist.«

    »Aber Sie sind seit zwei Jahren Berater der UNO-Kommission für Fragen des Besuchs …«

    »Das stimmt, aber mit der Erforschung außerirdischer Kulturen habe ich nichts zu tun. In der von Ihnen erwähnten Kommission vertrete ich gemeinsam mit anderen Kollegen die internationale wissenschaftliche Öffentlichkeit, wenn es darum geht, die Umsetzung des UNO-Beschlusses zur Internationalisierung der Besuchszonen zu kontrollieren. Vereinfacht gesagt: Wir wachen darüber, dass außer dem Internationalen Institut niemand über die außerirdischen Wunderdinge verfügt, die in den Zonen zutage gefördert werden.«

    »Gibt es denn jemand anderen, der diese Dinge für sich in Anspruch nehmen will?«

    »Ja.«

    »Sie sprechen von den ›Stalkern‹?«

    »Ich weiß nicht, was Sie damit meinen.«

    »So nennen wir in Harmont die Abenteurer und Hasardeure, die auf eigenes Risiko in die Zone eindringen und alles herausschleppen, was sie dort finden. Direkt ein neuer Beruf ist das!«

    »Aha, verstehe. Nein, das liegt außerhalb unserer Kompetenzen.«

    »Natürlich! Mit dieser Angelegenheit befasst sich die Polizei. Aber wir würden gerne erfahren, Doktor Pillman, was genau in Ihren Kompetenzbereich fällt?«

    »Aus den Besuchszonen verschwinden immerzu wichtige Materialien, die in die Hände gewissenloser Personen und Organisationen geraten. Wir befassen uns mit den daraus entstehenden Folgen.«

    »Könnten Sie das ein wenig genauer erklären, Herr Doktor?«

    »Lassen Sie uns lieber über die Kunst sprechen. Oder sollte die Hörer nicht interessieren, wie sehr ich die unnachahmliche Gwady Miller bewundere?«

    »Doch, natürlich! Allerdings möchte ich Sie, um den wissenschaftlichen Teil unseres Gesprächs abzuschließen, noch fragen, ob es Sie als Wissenschaftler nicht reizt, sich selbst mit den außerirdischen Wunderdingen zu befassen?«

    »Ja, was soll ich da sagen … gewiss.«

    »Dann können die Einwohner von Harmont also hoffen, eines schönen Tages auf heimischen Straßen ihrem berühmten Landsmann wiederzubegegnen?«

    »Das ist nicht ausgeschlossen.«

    RODERIC SCHUCHART, 23 JAHRE, UNVERHEIRATET, LABORANT IN DER HARMONTER FILIALE DES INTERNATIONALEN INSTITUTS FÜR AUSSERIRDISCHE KULTUREN

    Am Abend davor … Da standen wir noch zusammen im Depot. Es war kurz vor Dienstschluss. Wir brauchten eigentlich nur noch unsere Schutzanzüge auszuziehen, schon hätten wir losziehen können. Ins »Borsch«. Um zu trinken. Schnaps, egal, irgendetwas Hartes … Ich stand einfach da und tat nichts. Hielt die Wand fest. Mit der Arbeit war ich fertig, die Zigarette hielt ich schon in der Hand. Ich wollte mir endlich eine anzünden, zwei Stunden hatte ich keine geraucht. Aber Kirill konnte sich einfach nicht von seinen Schätzen trennen. Einen Safe hatte er schon vollgestopft, ihn verschlossen und versiegelt. Jetzt war er beim zweiten. Er nahm die »Nullen« vom Förderband, schaute sich jede von ihnen ausgiebig und von allen Seiten an (dabei ist so eine »Null« wahnsinnig schwer, sie wiegt fast sechseinhalb Kilo), bevor er sie ächzend, aber sehr sorgfältig im Regal ablegte.

    Großer Gott, wie lange sich Kirill schon mit diesen »Nullen« herumschlug - und das meiner Meinung nach ohne jeden Nutzen für die Menschheit. Ich an seiner Stelle hätte es längst aufgegeben und mich für das viele Geld mit etwas anderem beschäftigt. Obwohl diese »Nullen« wirklich sehr merkwürdig sind. Wie viele hatte ich davon schon auf dem Buckel rausgeschleppt und war trotzdem jedes Mal aufs Neue verblüfft, wenn ich eine zu Gesicht bekam. Eine »Null« besteht im Grunde nur aus zwei Kupferscheiben - so groß wie eine Untertasse und ungefähr fünf Millimeter dick. Der Abstand zwischen den beiden Scheiben beträgt etwa vierzig Zentimeter. Außer diesem Abstand aber gibt es nichts dazwischen, absolut nichts - nur Leere. Man kann die Hand in den Zwischenraum stecken, ja, sogar den Kopf, wenn man unbedingt will, aber da ist nichts als Luft. Und doch muss es etwas zwischen den Scheiben geben, irgendeine geheimnisvolle Kraft. Denn soweit ich weiß, ist es bisher noch niemandem gelungen, sie zusammenzudrücken oder auseinanderzuziehen.

    Wirklich, es ist verdammt schwer, jemandem eine »Null« zu beschreiben, wenn er noch nie eine gesehen hat. Sie sieht ja eigentlich nach nichts aus, besonders, wenn man sich an ihren Anblick gewöhnt hat. Es ist genauso, als müsste man einen Becher beschreiben oder, sagen wir, ein Schnapsglas - Gott bewahre, schon bei den ersten Worten würde ich aufgeben und losfluchen … Aber gut, wir nehmen an, ich hätte mich verständlich ausgedrückt. Wenn es jemand trotzdem nicht verstanden hat, braucht er ja nur die »Mitteilungen« aufzuschlagen und wird in jeder x-beliebigen Ausgabe einen Artikel über die »Nullen« finden, mit Fotos …

    Doch zurück zu Kirill. Fast ein Jahr lang schlägt er sich schon mit den »Nullen« herum, und ich, der vom ersten Tag an mit ihm zusammengearbeitet hat, habe bis heute nicht verstanden, worauf er eigentlich hinauswill. Ehrlich gesagt, habe ich auch nicht unbedingt versucht, es zu verstehen. Soll er erst einmal selbst begreifen, worum es ihm geht, dann lasse ich’s mir vielleicht erklären. Im Augenblick weiß ich nur eins: Er wird erst dann zur Ruhe kommen, wenn es ihm gelingt, so eine »Null« auseinanderzunehmen, sie mit Säuren zu bearbeiten, unter der Presse breit zu stampfen oder im Ofen zum Schmelzen zu bringen. Hat er das Geheimnis der »Nullen« gelüftet, wird ihm Ruhm und Ehre zuteil, und die internationale Fachwelt bricht in Entzücken aus. Doch wenn ich’s recht verstehe, ist es bis dahin noch ziemlich weit. Bisher hat er so gut wie nichts erreicht, hat sich im Gegenteil bis zur Erschöpfung verausgabt. Augen hat er wie ein kranker Hund, sie tränen sogar. Ist richtig schwermütig geworden. Wäre er jemand anderer - ich würde ihm eine Flasche Schnaps einflößen und ein Mädchen besorgen, das ihn auf andere Gedanken bringt. Und am nächsten Tag dasselbe noch einmal: Schnaps und Mädchen, ein neues. Nach einer Woche wäre er wie ausgewechselt - ein neuer Mensch! Doch leider ist das keine Medizin für Kirill. Das brauche ich ihm gar nicht erst vorzuschlagen. Es passt nicht zu ihm.

    Wir standen also im Lagerraum, und als ich ihn so ansah, fiel mir auf, wie sehr er sich verändert hatte, seine Augen waren eingefallen, und er tat mir plötzlich leid. Da entschloss ich mich. Das heißt, genaugenommen war nicht ich es, der sich da entschloss, sondern ein anderer, der mir die Worte in den Mund legte. »Hör mal, Kirill …«, sagte ich.

    Er stand da, die letzte der »Nullen« in der Hand, und mit einem Gesichtsausdruck, als würde er am liebsten in das Ding hineinkriechen.

    »Hör mal, Kirill«, wiederholte ich. »Was würdest du sagen, wenn du eine ›volle Null‹ bekämst?«

    »Eine ›volle Null‹?«, fragte er und runzelte die Stirn, als redete ich Kauderwelsch.

    »Ja … Du weißt schon, diese hydromagnetische Falle … Objekt 77b … Nur, dass da innen noch was Blaues ist.«

    Langsam schien er zu verstehen. Er schaute mich blinzelnd an.

    »Halt mal«, sagte er, »eine volle? Ein Ding wie das hier, nur voll?«

    »Ja.«

    »Und wo soll ich die herkriegen?«

    Kirill war augenblicklich geheilt und trug den Kopf wieder oben.

    »Komm«, sagte ich, »rauchen wir erst mal eine.«

    Hastig packte er die »Null« in den Safe, schlug die Tür des Panzerschranks zu und verschloss sie mit dreieinhalb Umdrehungen. Dann gingen wir zurück ins Labor. Für eine leere »Null« zahlt mir Ernest vierhundert bar auf die Hand, für eine volle könnte ich ihm das ganze stinkige Blut aus dem Körper saugen. Doch ob man’s mir glaubt oder nicht: In diesem Augenblick dachte ich nicht ans Geld - so munter war Kirill auf einmal, so gespannt und voller Energie. Er nahm vier Stufen auf einmal; ans Rauchen war gar nicht zu denken. Und dann erzählte ich ihm alles ganz genau: wie das Ding beschaffen war, wo es lag und wie man am besten rankam. Er holte sofort die Karte heraus, suchte die Garage, die ich ihm beschrieben hatte, hielt den Finger drauf und sah mich eine Weile aufmerksam an. Er hatte verstanden, aber das war auch kein Kunststück …

    »Junge, Junge!«, sagte er, lächelte mich aber an. »Dann lass uns mal hingehen. Gleich morgen früh. Um neun bestelle ich die Passierscheine und eine ›Galosche‹, um zehn schlagen wir das Kreuz und gehen los. Abgemacht?«

    »Abgemacht. Aber wer ist der Dritte?«

    »Wieso brauchen wir einen Dritten?«

    »Komm«, sagte ich, »das ist kein Picknick mit hübschen Mädchen. Was ist, wenn dir etwas zustößt? Ist immerhin die Zone, da muss Ordnung sein.«

    Er setzte ein spöttisches Grinsen auf und zuckte mit den Schultern: »Na schön, wie du willst. Du musst es ja wissen.«

    Und ob ich’s wusste! Ich begriff natürlich, dass Kirill mir einen Gefallen tun wollte: Ein dritter Mann war eher störend, zu zweit hätten wir’s auf die Schnelle machen können, und niemand hätte davon Wind gekriegt. Aber ich wusste auch, dass die Leute vom Institut nie zu zweit in die Zone gingen. Sie zogen immer zu dritt los: Zwei erledigten die Arbeit, der Dritte hielt Wache und konnte danach, falls Fragen auftauchten, über alles berichten.

    »Ich persönlich würde Austin mitnehmen«, sagte Kirill. »Aber mit dem wirst du nicht einverstanden sein, oder?«

    »Nein«, antwortete ich. »Jeden - nur nicht Austin. Den kannst du ein andermal mitnehmen.«

    Austin ist gar nicht schlecht - Mut und Furcht stehen bei ihm im richtigen Verhältnis, nur ist er meiner Meinung nach bald dran … Kirill werde ich das nicht erklären können, ich aber sehe es ganz klar: Austin bildet sich ein, die Zone durch und durch zu kennen - und genau das bedeutet, dass er sich bald den Hals brechen wird. Bitte, soll er. Aber ohne mich.

    »Also gut«, sagte Kirill. »Und wie sieht’s mit Tender aus?«

    Tender war sein zweiter Laborant - ziemlich ruhig, aber sonst in Ordnung.

    »Ist nicht mehr der Jüngste«, sagte ich. »Außerdem hat er Kinder.«

    »Das macht nichts«, erwiderte Kirill. »Er war schon öfters in der Zone.«

    »Einverstanden, von mir aus Tender.«

    Kirill blieb noch sitzen, weiterhin über seine Karte gebeugt, und ich machte mich auf den Weg zum »Borsch«; ich hatte schrecklichen Hunger, und meine Kehle war schon ganz ausgetrocknet …

    Am nächsten Morgen kam ich wie immer gegen neun zur Arbeit und zeigte dem wachhabenden Sergeanten meinen Passierschein. Es war der Schwede - ein langer Kerl, der sich im vorigen Jahr besoffen an Gutta herangemacht hatte. Gutta war mein Mädchen, und ich hatte ihn mir damals ganz schön vorgeknöpft …

    »Morgen, Rotfuchs«, sagte er. »Du wirst schon im ganzen Institut gesucht …«

    Hier unterbrach ich ihn höflich: »Für dich bin ich noch lange nicht der Rotfuchs, du Bohnenstange. Kriech jemand anderem in den Hintern.«

    »Meine Güte, was ist dir denn über die Leber gelaufen? Alle nennen dich doch so!« Er tat bass erstaunt.

    Vor dem Gang in die Zone bin ich stets auf das Äußerste angespannt, sehr reizbar und zu allem Überfluss nüchtern - also packte ich ihn am Schulterriemen und setzte ihm in allen Einzelheiten auseinander, was für ein mieser Typ und Hurensohn er sei. Er spie verächtlich aus, gab mir meinen Passierschein zurück und sagte sehr förmlich: »Roderic Schuchart, Sie sollen sich unverzüglich beim Sicherheitsbevollmächtigten Hauptmann Herzog melden.«

    »Na siehst du«, erwiderte ich, »das ist schon was ganz anderes. Wenn du dich anstrengst, Sergeant, bringst du’s bald zum Leutnant.«

    In Wirklichkeit aber beschäftigte mich die Frage, was das Ganze zu bedeuten hatte. Wieso rief mich der Hauptmann während der Arbeitszeit zu sich? Abwarten, sagte ich mir, abwarten. Erst einmal hingehen. Sein Zimmer befand sich im dritten Stock, kein schlechtes Zimmer, sogar mit Gittern vor dem Fenster, wie bei der Polizei. Willi saß am Tisch vor der Schreibmaschine, zog genüsslich an seiner Pfeife und las dabei irgendeinen Wisch. In der Ecke machte sich ein Bubi von Sergeant am Panzerschrank zu schaffen. Der war sicher neu, ich kannte ihn jedenfalls nicht. Von diesen Jungs gab es im Institut mehr als in einer Division, alle wie Milch und Blut, mit rundem Gesicht und dicken Backen - man merkte gleich, dass sie nie in die Zone mussten und auf die Probleme in der Welt pfiffen.

    »Guten Tag«, sagte ich. »Sie haben mich rufen lassen?«

    Willi sah mich an, als wäre ich Luft, schob die Schreibmaschine beiseite, legte einen dicken Hefter vor sich und begann darin zu blättern.

    »Sie sind Roderic Schuchart?«, fragte er.

    »Jawohl«, antwortete ich. Das Ganze kam mir lächerlich vor. Ich hielt es kaum aus und wurde innerlich von einem nervösen Kichern geschüttelt.

    »Wie lange arbeiten Sie schon im Institut?«

    »Das dritte Jahr.«

    »Familienstand?«

    »Ich lebe allein«, sagte ich. »Bin Waise.«

    Er wandte sich an den Milchbart und befahl barsch: »Sergeant Lummer, gehen Sie ins Archiv, und bringen Sie mir die Akte einhundertfünfzig.«

    Der Milchbart salutierte und verschwand. Willi klappte den Hefter zu und fragte mich finster: »Fängst du wieder mit den alten Sachen an?«

    »Mit was für alten Sachen?«

    »Du weißt sehr gut, wovon ich spreche. Ich habe diesbezügliche Informationen auf dem Tisch.«

    Ich überlegte.

    »Von wem stammen die Informationen?«, fragte ich.

    Er zog die Brauen zusammen und begann, ärgerlich mit seiner Pfeife gegen den Aschenbecher zu klopfen.

    »Das geht dich nichts an«, antwortete er. »Aber ich möchte dich aus alter Freundschaft warnen: Lass die Finger davon, und zwar für immer. Wenn sie dich ein zweites Mal schnappen, kommst du nicht mehr mit sechs Monaten davon. Außerdem wird man dich augenblicklich und unwiderruflich entlassen. Ist dir das klar?«

    »Natürlich«, sagte ich. »Und ob mir das klar ist. Nur eins verstehe ich nicht: welches Schwein mich verpfiffen hat …«

    Doch er sah mich schon wieder mit ausdruckslosen Augen an, lutschte an seiner leeren Pfeife und blätterte gedankenlos in dem Hefter. Das hieß, dass Sergeant Lummer mit Akte einhundertfünfzig zurückgekehrt war.

    »Danke, Schuchart«, sagte Hauptmann Willi Herzog mit Spitznamen Eber. »Das war’s, was ich klären wollte. Sie können gehen.«

    Ich ging zur Garderobe, streifte den Schutzanzug über und steckte mir eine Zigarette an. Meine Gedanken drehten sich im Kreis: Woher wehte diesmal der Wind? Vom Institut kann das unmöglich kommen, dachte ich, hier weiß niemand auch nur das Geringste von mir - und kann nichts wissen. Wenn aber das Schreiben von der Polizei gekommen ist, bleibt es ebenso unklar - denn auch die Polizei weiß nichts Neues über mich, sie kennt nur die alten Geschichten. Ob sie Aasgeier gefasst haben? Dieser Schweinehund ist imstande, jeden ans Messer zu liefern, nur um heil aus dem Schlamassel rauszukommen. Aber auch Aasgeier weiß zurzeit so gut wie nichts über mich. Ich grübelte und grübelte, kam jedoch zu keinem Ergebnis. Deshalb beschloss ich, nicht weiter darüber nachzudenken. Es lag bereits drei Monate zurück, dass ich das letzte Mal nachts in der Zone gewesen war; die Beute hatte ich fast abgesetzt, und das Geld war auch verjubelt. Ach was, ich war gerieben

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