Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Mittag, 22. Jahrhundert: Besten Science Fiction
Mittag, 22. Jahrhundert: Besten Science Fiction
Mittag, 22. Jahrhundert: Besten Science Fiction
eBook227 Seiten2 Stunden

Mittag, 22. Jahrhundert: Besten Science Fiction

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Gesellschaft des Mittagsuniversums
Die Strugazkis haben die Gesellschaft ihrer Mittagswelt einmal wie folgt beschrieben:[4]
„Wir haben eine Welt dargestellt, von der wir träumen, eine Welt, in der wir gern leben und arbeiten würden, eine Welt, für die zu leben und zu arbeiten wir uns heute bemühen. Wir haben versucht eine Welt zu zeigen, die den Menschen unbegrenzte Möglichkeiten zur geistigen Entfaltung und zum Schöpfertum bietet.“


– Arkadi und Boris Strugazki: Vorwort zu „Mittag, 22. Jahrhundert“


Die häufig im Konflikt mit der sowjetischen Zensur stehenden Autoren haben dabei darauf verzichtet, ihre Linientreue durch marxistisches Vokabular herauszustellen. Ihre „Helden“ sind auch nie fehlerlose „Übermenschen“, wie sie die sowjetische Propaganda der Entstehungszeit ihrer frühen Werke gerne prognostizierte, obwohl ihre Zukunftsgesellschaft recht eindeutig Züge einer kommunistischen Gesellschaft trägt: Es gibt keine Geldwirtschaft mehr, die Menschen sind frei von materiellen Sorgen und ihr Antrieb zu arbeiten besteht im Erkenntnisinteresse oder in schöpferischen oder pädagogischen Neigungen. Hierarchien existieren jedoch weiter und das Schicksal des Lew Abalkin in „Ein Käfer im Ameisenhaufen“ verdeutlicht, dass es Institutionen gibt, die z. B. die Möglichkeiten zu studieren und einen bestimmten Beruf zu ergreifen regeln – nach allen Regeln der hoch geschätzten pädagogischen Wissenschaft. Erik Simon hat die Welt des Mittags daher sogar als „Erziehungsutopie“ bezeichnet:[5] Im Verlauf der schriftstellerischen Ausformung der Welt des Mittags scheinen Hierarchien ausdrücklich zuzunehmen: So spricht Maxim Kammerer in Ein Käfer im Ameisenhaufen Rudolf Sikorski nicht nur als Chef an, sondern als „Exzellenz“.

SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum10. Juni 2023
Mittag, 22. Jahrhundert: Besten Science Fiction

Mehr von Arkadi Strugatzki lesen

Ähnlich wie Mittag, 22. Jahrhundert

Ähnliche E-Books

Science-Fiction für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Mittag, 22. Jahrhundert

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Mittag, 22. Jahrhundert - Arkadi Strugatzki

    Arkadi Strugatzki, Boris Strugatzki

    Mittag, 22. Jahrhundert

    Besten Science Fiction

    Mittag, 22. Jahrhundert

    Arkadi und Boris Strugatzki

    Nacht auf dem Mars

    Als der rötliche Sand unter den Raupenketten des Crawlers plötzlich nachgab, legte Pjotr Alexejewitsch Novago den Rückwärtsgang ein.

    »Spring ab!«, rief er Mandel zu.

    Der Crawler begann heftig zu rucken, wirbelte Wolken von Sand und Staub auf und kippte dann mit dem Heck vornüber. Novago blieb nichts anderes übrig, als den Motor abzustellen und sich aus dem Fahrzeug fallen zu lassen. Er landete auf allen vieren und kroch eilig, ohne sich aufzurichten, zur Seite, während der Sand unter ihm immer weiter nachgab. Schließlich gelang es ihm, festen Grund zu erreichen, er setzte sich hin und zog die Beine zu sich.

    Da erblickte er auch Mandel, der am gegenüberliegenden Rand des Kraters kniete, und sah das Heck des Crawlers, das, von Dampf eingehüllt, aus dem sandigen Grund des Kraters aufragte. Theoretisch durfte so etwas mit einem Fahrzeug vom Typ »Eidechse« nicht passieren. Zumindest nicht hier, auf dem Mars. Die »Eidechse« war leicht und schnell und besaß eine fünfsitzige offene Plattform auf vier gesonderten Chassis mit Raupenketten. Dennoch sackte sie jetzt langsam zu dem schwarzen Loch hin ab, in dem zähflüssiges Wasser glitzerte. Vom Wasser her, das sehr tief sein musste, stieg auch der Dampf auf.

    »Eine Kaverne«, stellte Novago mit belegter Stimme fest. »So ein Pech …«

    Mandel wandte ihm das Gesicht zu; die Sauerstoffmaske ließ nur die Augenpartie frei.

    »Ja«, sagte er. »Wir haben verdammtes Pech.«

    Es war völlig windstill. Die Dampfschwaden aus der Kaverne stiegen senkrecht zum dunkelvioletten Himmel auf, an dem unzählige große Sterne leuchteten. Tief im Westen stand die Sonne – eine kleine, gleißend helle Scheibe über den Dünen. Von dort zogen sich schwarze Schatten über die rötliche Ebene. Es war sehr still, man hörte nur das leise Rascheln des Sandes, der in den Krater hinabrieselte.

    »Gut«, seufzte Mandel und erhob sich. »Was sollen wir jetzt machen? Ihn da rauszuschleppen«, er nickte zum Krater hin, »ist unmöglich. Oder?«

    Novago schüttelte den Kopf.

    »Wir beide werden es nicht schaffen, Lazar Grigorjewitsch«, erwiderte er.

    Plötzlich hörten sie einen langgezogenen, schmatzenden Laut, und das Heck des Crawlers war in der Krateröffnung verschwunden. Auf der dunklen Wasseroberfläche bildeten sich nach und nach mehrere Blasen, die dann wieder platzten.

    »Tja«, meinte Mandel. »Rausholen können wir ihn jetzt nicht mehr. Wir müssen schon zu Fuß weiter, Pjotr Alexejewitsch. Dreißig Kilometer sind nicht der Rede wert, die schaffen wir in etwa fünf Stunden.«

    Novago blickte zum schwarzen Wasser hin, auf dem sich bereits ein feines Eismuster gebildet hatte. Mandel sah auf die Uhr.

    »Achtzehn Uhr zwanzig«, sagte er. »Um Mitternacht sind wir dort.«

    »Das ist es ja«, erwiderte Novago nicht sonderlich begeistert. »Erst gegen Mitternacht.«

    Noch dreißig Kilometer, dachte er. Zwanzig davon müssen wir im Dunkeln zurücklegen. Wir sind zwar mit Infrarotbrillen ausgestattet, aber es ist trotzdem dumm. Dass uns so was passieren musste … Mit dem Crawler wären wir noch vor Anbruch der Dunkelheit dort gewesen. Ob es vielleicht besser wäre, zum Stützpunkt zurückzukehren und ein neues Fahrzeug zu nehmen? Aber bis dahin sind es fast vierzig Kilometer und die Fahrzeuge womöglich alle im Einsatz. Wir würden erst gegen Morgen auf der Plantage ankommen – und dann wäre schon alles vorbei. Was für eine dumme Geschichte!

    »Keine Bange, Pjotr Alexejewitsch«, sagte Mandel und klopfte sich auf die Hüfte, wo unter dem Fellmantel das Koppel mit der Pistole hing. »Wir werden es schon schaffen.«

    »Und wo sind die Instrumente?«, fragte Novago.

    Mandel schaute um sich.

    »Ich habe sie heruntergeworfen«, antwortete er. »Aha, da sind sie ja.«

    Er ging ein paar Schritte und hob eine kleine Tasche vom Boden auf.

    »Da sind sie«, wiederholte er und wischte mit dem Mantelärmel den Staub von der Tasche. »Also los, gehen wir?«

    »Gehen wir«, sagte Novago, und sie setzten sich in Marsch.

    Sie durchquerten die Talsenke, erklommen eine Düne, stiegen dann wieder bergab. Das Laufen fiel ihnen nicht schwer, denn selbst Novago mit seinen rund achtzig Kilo und dem zusätzlichen Gewicht – Sauerstoffflaschen, Wärmesystem, Pelzkleidung und Bleibeschläge unter den Fellstiefeln – wog hier ganze vierzig Kilo. Mandel, der klein und schmächtig war, sah aus, als ginge er spazieren, und schwenkte dabei lässig die Ledertasche. Der Sand hier war abgelagert und fest, ihre Schritte zeichneten sich kaum darauf ab.

    »Für den Crawler wird mir Iwanenko eine kräftige Standpauke halten«, bemerkte Novago nach längerem Schweigen.

    »Was können Sie denn dafür?«, entgegnete Mandel. »Woher hätten Sie wissen sollen, dass sich dort eine Kaverne befindet? Und was auch nicht ganz unwichtig ist: Wir sind auf Wasser gestoßen!«

    »Genauer gesagt – das Wasser auf uns«, erwiderte Novago. »Trotzdem, für den Crawler gibt es eine Standpauke. Ich höre Iwanenko schon: ›Für das Wasser vielen Dank, aber ein Fahrzeug werde ich Ihnen nicht mehr anvertrauen.‹«

    Mandel lachte. »Ach was, es wird halb so schlimm. Außerdem kann es nicht allzu schwierig sein, den Crawler herauszuholen … Sehen Sie mal dort – was für ein Prachtexemplar!«

    Auf dem Kamm einer nahe gelegenen Wanderdüne saß ein Mimikrodon – eine zwei Meter große Echse. Es war rötlich gesprenkelt wie der Sand und wandte ihnen den furchterregenden dreieckigen Kopf zu. Mandel warf einen kleinen Stein nach ihm, traf aber nicht. Die Echse saß mit abgespreizten Füßen unbeweglich da, als wäre sie aus Stein.

    »Prächtig, stolz und unerschütterlich«, stellte Mandel fest.

    »Irina sagt, es gebe auf den Plantagen sehr viele dieser Tiere«, erzählte Novago. »Sie füttert sie dort heraus …«

    Ohne sich vorher abgesprochen zu haben, legten sie beide einen Schritt zu.

    Die Dünen lagen hinter ihnen. Sie gingen jetzt über flachen Salzboden, und ihre Bleisohlen schlugen laut gegen den gefrorenen Sand. In den Strahlen der weißen Abendsonne blitzten große Salzflecken, und um sie herum gruppierten sich runde gelbe Kakteen mit langen Stacheln. Diese seltsamen Gewächse ohne Wurzeln, Blätter und Stiele wuchsen hier zuhauf.

    »Armer Slawin«, sagte Mandel. »Gewiss ist er schon sehr beunruhigt.«

    »Ich bin es nicht weniger«, murmelte Novago.

    »Nun, immerhin sind wir Ärzte«, erwiderte Mandel.

    »Was heißt das schon? Sie sind Chirurg, ich Internist. Ich habe bisher nur eine einzige Entbindung durchgeführt, und die vor zehn Jahren in der besten Klinik von Archangelsk, mit einem Professor neben mir …«

    »Macht nichts«, versuchte ihn Mandel zu beruhigen. »Dafür habe ich schon des Öfteren Geburtshilfe geleistet. Wir müssen nur die Ruhe bewahren, dann wird alles gut gehen.«

    Einer der Stachelbälle geriet Mandel vor die Füße. Der Chirurg versetzte ihm einen gekonnten Tritt, sodass er einen langen Bogen in der Luft beschrieb, aufschlug, mehrere Sprünge machte und dabei einen Teil seiner Stacheln verlor.

    »Ein Stoß«, sagte Mandel, »und der Ball geht in freien Flug über. Mich beunruhigt im Augenblick aber etwas anderes: Wie wird sich das Kind bei der verminderten Schwerkraft hier entwickeln?«

    »Davor habe ich nun gar keine Furcht«, erwiderte Novago nach wie vor verstimmt. »Ich habe schon mit Iwanenko darüber gesprochen. Man könnte eine Zentrifuge entwickeln.«

    Mandel dachte nach.

    »Ja, das wäre eine Idee«, sagte er.

    Als sie den letzten Salzmorast umgingen, hörten sie ein durchdringendes Pfeifen. Ungefähr zehn Schritt von Novago entfernt stieg einer der Kaktusbälle steil in den Himmel auf, flog, einen weißlichen, feuchten Lufthauch hinter sich lassend, über die beiden Männer hinweg und landete mitten im Sumpf.

    »Verdammt!«, rief Novago erschrocken.

    Mandel lachte.

    »Unverschämtheit!«, beklagte sich Novago. »Jedes Mal wenn ich durch eine Salzgegend komme, erschreckt mich so ein Ding …«

    Er rannte zum nächsten Ball und versetzte ihm einen ungeschickten Tritt. Der Ball krallte sich mit seinen Stacheln an seinem Mantelsaum fest.

    »Unverschämtes Biest!«, zischte Novago und löste den Ball im Laufen mit einiger Mühe zunächst vom Mantel, dann von seinen Handschuhen.

    Der Ball fiel plump in den Sand. Eine Weile würde er so liegen bleiben, absolut reglos, die dünne Marsluft in sich aufnehmen, komprimieren und die Luft dann unvermittelt und mit ohrenbetäubendem Pfeifen wieder ausstoßen, um dann, einer Rakete gleich, zehn bis fünfzehn Meter durch die Luft zu sausen.

    Mandel blieb plötzlich stehen, sah zur Sonne und führte die Uhr an die Augen.

    »Neunzehn Uhr fünfunddreißig«, murmelte er. »In einer halben Stunde geht die Sonne unter.«

    »Was sagten Sie, Lazar Grigorjewitsch?«, fragte Novago.

    Er war, mit einem Blick auf Mandel, ebenfalls stehen geblieben.

    »Das Blöken des Zickleins lockt den Tiger an«, warnte Mandel. »Sprechen Sie nicht so laut vor Sonnenuntergang.«

    Novago drehte sich zur Sonne um. Sie stand schon ganz tief. In der Ebene hinter ihnen waren die Flecken der Salzsümpfe verblasst, die Dünen schimmerten dunkel, und im Osten war der Himmel jetzt schwarz wie chinesische Tusche.

    »Sie haben recht«, meinte Novago und ließ seinen Blick umherschweifen. »Wir sollten tatsächlich nicht so laut sprechen. Es heißt, sie hat ein ausgezeichnetes Gehör.«

    Mandel zwinkerte ein paarmal mit den reifbedeckten Wimpern und fingerte mit einiger Mühe die körperwarme Pistole aus dem Koppel. Er entsicherte sie und steckte sie in den rechten Stiefelschaft. Auch Novago holte seine Waffe hervor, steckte sie aber in den linken Stiefelschaft.

    »Sie schießen mit der Linken?«, fragte Mandel.

    »Ja«, erwiderte Novago.

    »Das ist gut.«

    »So sagt man wenigstens.«

    Sie sahen einander an, konnten aber einer vom andern kaum noch den schmalen Streifen zwischen Maske und Fellkapuze entdecken.

    »Also weiter«, sagte Mandel.

    »In Ordnung. Allerdings sollten wir jetzt im Gänsemarsch gehen.«

    »Einverstanden«, erwiderte Mandel fröhlich. »Ich gehe voran.«

    Sie setzten ihren Weg fort: vorne Mandel mit der Instrumententasche in der linken Hand, und fünf Schritte hinter ihm Novago. Wie schnell es dunkelt, dachte Novago. Noch fünfundzwanzig Kilometer, vielleicht auch etwas weniger. Fünfundzwanzig Kilometer durch die Wüste, und das bei völliger Finsternis … Jeden Augenblick kann sie über uns herfallen, dort hinter der Düne hervorkommen, zum Beispiel. Oder auch hinter der anderen, die etwas weiter entfernt liegt … Novago fröstelte bei dieser Vorstellung. Wir hätten schon am Morgen losfahren sollen, überlegte er. Aber wer konnte ahnen, dass sich auf der Trasse eine Kaverne verbirgt. Ausgesprochenes Pech. Dennoch, es wäre in jedem Fall besser gewesen, am Morgen zu starten. Wenn nicht sogar am Vortag mit dem Geländewagen, der die Windeln und Apparaturen zur Plantage brachte. Doch nein, gestern wäre es ja gar nicht gegangen, da hat Mandel noch operiert … Jetzt wird es dunkler und dunkler; Mark ist bestimmt schon sehr unruhig – er wird dauernd zum Aussichtsturm laufen, um nachzusehen, ob die Ärzte nicht endlich in Sicht sind. Während wir uns zu Fuß und bei Nacht durch die Wüste schleppen. Irina wird ihm gut zureden, aber natürlich genauso aufgeregt sein. Es ist ihr erstes Kind, das erste Kind auf dem Mars überhaupt, der erste Marsianer … Irina ist zwar eine gesunde und ausgeglichene Frau, dachte Novago weiter, eine bewundernswerte Frau sogar, aber ich hätte anstelle der beiden vorerst auf ein Kind verzichtet. Aber was soll’s, es wird sicher alles gut gehen. Hauptsache, wir kommen nicht zu spät …

    Novago sah unentwegt nach rechts, zu den dunklen Dünenkämmen hinüber. Mandel schaute in die gleiche Richtung, und so bemerkten sie nicht gleich die zwei Fährtensucher, die von links kamen.

    »Hallo, Freunde!«, rief der Größere der beiden.

    Der andere war klein und wirkte fast quadratisch; er warf den Karabiner über die Schulter und winkte.

    »He«, sagte Novago erleichtert. »Das sind doch Opanassenko und der Kanadier Morgan. Guten Abend, Freunde!«, grüßte er erfreut.

    »Na, das ist ja eine Begegnung«, sagte der hochaufgeschossene Humphrey Morgan, als sie herangekommen waren. »Guten Abend, Doktor.« Er drückte Mandel die Hand. »Guten Abend, Doktor«, wiederholte er, und schüttelte auch Novagos Rechte.

    »Guten Tag, Genossen«, dröhnte Opanassenko.

    »Was führt euch denn hierher?«

    Noch ehe Novago etwas erwidern konnte, erklärte Morgan plötzlich: »Danke, es ist alles bestens verheilt!« Dabei streckte er Mandel abermals seine lange, schmale Hand hin.

    »Was ist verheilt?«, fragte Mandel verblüfft. »Na trotzdem, es freut mich.«

    »Nein, nein, er ist noch im Lager«, sagte Morgan. »Aber er ist auch schon fast wieder gesund.«

    »Was sind das für eigenartige Reden, Humphrey?«, fragte Mandel verwirrt.

    Da packte Opanassenko Humphrey Morgan am Kapuzenaufschlag, zog ihn zu sich heran und schrie ihm ins Ohr: »Siehst du, Humphrey: falsch! Du hast die Wette verloren!« Dann wandte er sich zu den Ärzten und erklärte, der Kanadier habe vor einer Stunde versehentlich die Geräuschmembranen in seinen Kopfhörern beschädigt und höre jetzt nichts mehr. Er beharre aber auf seiner Meinung, dass er in der Marsatmosphäre auch ohne akustische Hilfe zurechtkäme.

    »Er hat behauptet, genau zu verstehen, was man ihm sagt. Darauf haben wir gewettet, und er hat verloren. Jetzt wird er fünfmal meinen Karabiner reinigen müssen.«

    Morgan lachte und versicherte, Galja vom Stützpunkt tue hier absolut nichts zur Sache. Opanassenko winkte resigniert ab und fragte: »Sie wollen zu den Plantagen, zur Biostation?«

    »Ja«, sagte Novago. »Zu den Slawins.«

    »Das ist gut«, erwiderte Opanassenko. »Die beiden erwarten Sie bestimmt schon sehnsüchtig. Aber wieso sind Sie zu Fuß?«

    »Wie ärgerlich!«, gestand Morgan plötzlich schuldbewusst. »Ich höre überhaupt nichts.«

    Opanassenko zog ihn ein weiteres Mal zu sich heran und brüllte: »Wart’s ab, Humphrey, ich erzähl es dir später!«

    »Well«, seufzte Morgan, ging einen Schritt beiseite, blickte sich um und nahm den Karabiner von der Schulter. Die Fährtensucher waren mit schweren doppelläufigen Halbautomatikgewehren ausgerüstet, in deren Magazin fünfundzwanzig Sprenggeschosse passten.

    »Unser Crawler ist abgesoffen«, erzählte Novago.

    »Wo?«, erkundigte sich Opanassenko hastig. »Eine Kaverne?«

    »Genau. Mitten auf der Trasse, ungefähr bei Kilometer vierzig.«

    »Eine Kaverne!«, rief Opanassenko erfreut. »Hast du gehört, Humphrey, noch eine Kaverne!«

    Morgan stand mit dem Rücken zu ihnen und wandte seinen kapuzenbedeckten Kopf mal hierhin, mal dorthin und betrachtete die dunklen Dünenkämme.

    »Na schön«, sagte Opanassenko. »Dazu später. Sie sind also Ihren Crawler los und haben beschlossen, zu Fuß weiterzugehen. Haben Sie wenigstens Waffen bei sich?«

    Mandel klopfte gegen sein Bein.

    »Natürlich«, bestätigte er.

    »Tja …«, murmelte Opanassenko. »Dann werden wir Sie also begleiten müssen. Humphrey! Ach verdammt, der hört ja nichts …«

    »Moment«, stutzte Mandel. »Weshalb müssen Sie das?«

    »Sie ist irgendwo in der Nähe«, erklärte Opanassenko. »Wir haben ihre Spur entdeckt.«

    Mandel und Novago wechselten einen Blick.

    »Sie können das natürlich besser beurteilen, Fjodor Alexandrowitsch«, sagte Novago unschlüssig. »Aber ich dachte … Immerhin sind wir bewaffnet.«

    »Ihr seid verrückt«, sagte Opanassenko entschieden. »Ihr müsst schon entschuldigen, aber auf dem Stützpunkt seid ihr alle ein bisschen … na ja … Wir reden uns den Mund fusselig, warnen euch – und ihr? Geht mitten in der Nacht durch die Wüste. Mit einer Pistole! Reicht euch Chlebnikow nicht?«

    Mandel zuckte mit den Schultern. »Ich denke, in der gegebenen Situation …« Er kam nicht weiter, denn in dem Moment rief Morgan: »Psst!« Opanassenko riss in Sekundenschnelle den Karabiner von der Schulter und stellte sich neben den Kanadier.

    Novago gab ein leises Krächzen von sich und zog seine Pistole aus dem Stiefelschaft.

    Die Sonne war inzwischen fast untergegangen – über der schwarz gezackten Silhouette der Dünen schimmerte ein schmaler grünlich gelber Streifen. Der gesamte Himmel wurde schwarz, und es blinkten viele Sterne. Ihr Licht fiel auf die Karabinerläufe; man sah, wie sie sich langsam nach rechts und links bewegten.

    Schließlich sagte Humphrey: »Ich habe mich geirrt, sorry«, und alle rührten sich wieder.

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1