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Wächterin: The Hidden Folks
Wächterin: The Hidden Folks
Wächterin: The Hidden Folks
eBook539 Seiten6 Stunden

Wächterin: The Hidden Folks

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Über dieses E-Book

Die Forensikerin Dr. Valea Noack verbindet eine lange Freundschaft mit Roman Rothenstein. Es ist ein Schock für sie, als sie erfährt, dass dieser kluge und faszinierende Mann ein Vampir ist, der seine eigenen Pläne mit ihr hat. Ihr neues Wissen um die Geheimen Völker und ihre eigenen Gaben entpuppen sich als äußerst wertvoll bei der Jagd nach brutalen Mördern. Doch ihr Wirken findet nicht bei jedem Zustimmung und schon bald wird sie selbst zur Gejagten.

Die Buchreihe "The Hidden Folks" spielt in der heutigen Zeit, in der neben den Menschen auch andere Völker existieren. Diese versuchen mit allen Mitteln ihre Existenz geheim zu halten und leben nach unerbittlichen Regeln. Doch dann werden in den USA einige ihrer Kinder entführt und es kommt zu brutalen Todesfällen. Das Geheimnis der "Hidden Folks" droht aufzufliegen und es beginnt die verzweifelte Suche nach den Verrätern und deren Verbündeten.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum5. Juli 2020
ISBN9783752902891
Wächterin: The Hidden Folks

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    Buchvorschau

    Wächterin - Ana Marna

    Inhalt

    Buchbeschreibung:

    Die Buchreihe The Hidden Folks spielt in der heutigen Zeit, in der neben den Menschen auch andere Völker existieren. Diese versuchen mit allen Mitteln ihre Existenz geheim zu halten und leben nach unerbittlichen Regeln. Doch dann werden in den USA einige ihrer Kinder entführt und es kommt zu brutalen Todesfällen. Das Geheimnis der Hidden Folks droht aufzufliegen und es beginnt die verzweifelte Suche nach den Verrätern und deren Verbündeten.

    Band 4: Wächterin

    Die Forensikerin Dr. Valea Noack verbindet eine lange Freundschaft mit Roman Rothenstein. Es ist ein Schock für sie, als sie erfährt, dass dieser kluge und faszinierende Mann ein Vampir ist, der seine eigenen Pläne mit ihr hat. Ihr neues Wissen um die Geheimen Völker und ihre eigenen Gaben entpuppen sich als äußerst wertvoll bei der Jagd nach brutalen Mördern. Doch ihr Wirken findet nicht bei jedem Zustimmung und schon bald wird sie selbst zur Gejagten.

    Bereits erschienen:

    Fellträger

    Aschenhaut

    Seelenfresserin

    Über die Autorin:

    Ana Marna, geboren 1966, studierte und promovierte im Fach Biologie, bis sie sich neben Ehemann, Kindern und Hund der Musik zuwendete. Schon als Kind las sie sich quer durch die städtische Bibliothek und ließ dabei kein Genre aus. Am liebsten waren ihr immer Fantasy und Science-Fiction Romane. Es lag nahe, dass sie sich irgendwann auch eigene Geschichten ausdachte und zu Papier brachte. Doch erst in den letzten Jahren beschloss sie, diese Erzählungen auch zu veröffentlichen. The Hidden Folks ist ihre erste Real-Fantasy Serie.

    Wächterin

    The Hidden Folks

    Von

    Ana Marna

    Gewidmet allen Forensikern,

    die den Angehörigen von Opfern Gewissheit verschaffen.

    1. Auflage. Auflage, 2020

    © Ana Marna – alle Rechte vorbehalten.

    Umschlaggestaltung: © Karen Zillmann – Ana Marna

    Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH, Berlin

    anamarna@web.de

    www.ana-marna.de

    www.facebook.com/ana.marna.92372

    April bis November 1997

    chapter2Image1.jpeg

    Ulm, Deutschland

    Rosa, wohin man nur sah.

    Rosa Kleidchen, rosa Hosen, rosa T-Shirts, pinkfarbene Schuhe, Söckchen, Unterwäsche. Rosa Jacken, rosa Bettwäsche, rosa Trinkflaschen, rosa, rosa, rosa.

    Valea Noack schloss die Augen und versuchte, den Gruseleffekt abzuschütteln. Irgendwann wagte sie es, wieder zu blinzeln, und stellte fest, dass sie immer noch in dem Horrorkabinett Mädchenabteilung stand.

    „Um Himmels willen, murmelte sie. „Wann kommt endlich mal wieder die Zeit, wo es auch normale Farben für Mädchen gibt?

    In ihrer Verzweiflung griff sie reflexartig nach dem Ärmel einer vorbeihuschenden Verkäuferin.

    „Bitte, flehte sie. „Sagen Sie mir, dass es noch andere Farben außer Rosa in diesem Geschäft gibt.

    Die Verkäuferin lächelte sie leicht genervt an.

    „Natürlich. Wir haben auch Weiß, Pastellrot und Rotkäppchenrot."

    „Blau oder Grün?", fragte Valea hoffnungsvoll.

    Die Verkäuferin schüttelte den Kopf.

    „Das ist zurzeit nicht so aktuell."

    Valea stöhnte verzweifelt und ließ den Ärmel los. Die Verkäuferin entfloh sofort und ließ eine ratlose Mutter zurück.

    Wie sollte sie für Mara ein gescheites Kleid finden?

    Ihre Tochter hasste Rosa, und das konnte sie sehr gut verstehen. Und Weiß war mit Sicherheit auch nicht das Richtige. Maras Lieblingsbeschäftigung war es, in schlammigen Sandkästen herum zu robben. Da waren eher Erdfarben angesagt. Aber die gab es anscheinend nur in der Jungenabteilung.

    Nach langem Hin und Her entschied sie sich für ein dunkelrotes Kleid. Dann trat sie erleichtert den Rückweg an. Geschafft. Jetzt musste sie nur noch ihre beiden Helden finden und nach Hause fahren.

    Daniel hatte vorgeschlagen, dass sie sich bei der Eisdiele im Erdgeschoss treffen sollten. Vermutlich saßen sie bereits seit einer Stunde da und Mara schlug sich den Bauch mit ihrem geliebten Schoko-Eis voll.

    Fröhlich betrat sie die Rolltreppe, um nach unten zu fahren. Auf halber Höhe sah sie die Eisdiele in Sicht kommen. Tatsächlich, da saßen die beiden. Daniel mit seinem sanften Lächeln und die fröhliche kleine Mara, die trotz ihrer knapp zwei Jahre begeistert einen riesigen Eisbecher vernichtete.

    Valea beobachtete liebevoll, wie ihre Tochter den langen Löffel mit beachtlichem Geschick in die Eiscreme tauchte.

    Die bellenden Schüsse registrierte sie nur am Rande. Erst die Schreie der Leute schreckten sie aus ihren Gedanken.

    Panisch drängten die Menschen vor ihr die Rolltreppe wieder nach oben. Erschrocken versuchte Valea zu erkennen, was sich unter ihr abspielte. Leute rannten kreischend dem Hauptausgang zu.

    Valea wurde von den Flüchtenden eingekeilt, die nach oben drängten, und stemmte sich verzweifelt dagegen. Dabei verlor sie den Blick auf ihre Familie.

    Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis die fliehenden Leute sich an ihr vorbeigequetscht hatten. Tatsächlich konnte es sich nur um wenige Sekunden gehandelt haben, bis Valea endlich unten ankam.

    Und alles was sie wahrnahm, war rot.

    Rotkäppchenrot. Blutrot.

    Schreiend rannte sie los. Hin zu den umgefallenen Tischen und Stühlen. Daniel lag verrenkt am Boden. Offenbar hatte er versucht, sich schützend vor die kleine Mara zu werfen. Sein Gesicht war ein blutroter Klumpen. Explodiert. In Fetzen gerissen.

    Das kleine Mädchen lag an seiner Seite. Mit einem röchelnden Laut fiel Valea neben ihr auf die Knie. Der Bauch ihrer Tochter war eine riesige klaffende Wunde. Blut floss in Strömen aus ihr heraus, unaufhaltsam.

    „Mami?"

    Valea keuchte auf als der klagende Laut an ihr Ohr drang. Panisch riss sie sich die Bluse vom Leib und drückte sie auf das blutende Loch.

    „Mami?"

    Valea schluchzte auf und beugte sich über das Gesicht ihrer Tochter.

    „Ich bin hier, meine Süße", flüsterte sie und blickte in die weitaufgerissenen grauen Augen.

    „Es tut weh, Mami."

    Die Worte wehten wie ein leiser Hauch an ihr Ohr.

    „Ich weiß, mein Schatz, weinte Valea. „Du musst jetzt tapfer sein. Bestimmt kommt bald Hilfe. Sei tapfer, mein kleiner Sonnenschein.

    „Mami, mir ist so kalt."

    „Das ist das viele Eis, Süße."

    Valeas Stimme brach, als sie gewahrte, wie die Kinderaugen erstarrten.

    „Nein!"

    Ihr Schrei gellte durch das Kaufhaus und ließ so manchen Schritt stocken. Sie nahm nicht mehr wahr, wie vermummte, schwer bewaffnete Männer an ihr vorbeirannten und weitere Schüsse erklangen. Sie registrierte nicht, wie kurze Zeit später ein Mann in Handschellen an ihr vorbeigezerrt wurde. Erst als ein Sanitäter neben ihr kniete und behutsam versuchte ihre Hände vom Bauch ihrer Tochter zu lösen, blickte sie hoch und sah ihn flehend an.

    „Bitte helfen Sie ihr. Bitte!"

    Er legte seinen Arm um sie und zog sie von dem Mädchen fort.

    „Kommen Sie, sagte er leise. „Ich werde alles Nötige in die Wege leiten.

    Valea blickte zurück und sah, wie ein weiterer Mann eine Decke über das weiße Gesicht zog.

    Ein weißes Gesicht in einem Meer aus Blut.

    Pressemitteilung

    Gestern Nachmittag wurde ein gesuchter Mörder in einem Einkaufszentrum in Stuttgart gestellt und verhaftet. Dabei kam es zu einer Schießerei, bei der vier Menschen, darunter ein zweijähriges Kind, zu Tode kamen.

    „Es tut mir so leid."

    „Sie sind jetzt in einer besseren Welt!"

    „Es ist besser, wenn Sie sie nicht mehr sehen."

    Braune Erde und darunter ein blutroter See, in dem kalte Leiber treiben.

    Pressemitteilung

    Der mutmaßliche Serienmörder Pierre Leblanc konnte gefasst werden und wird vor Gericht gestellt. Ihm werden sieben ungewöhnlich grausame Morde sowie vier Tote während seiner Verhaftung zur Last gelegt. Die Staatsanwaltschaft hält die Beweislage für erdrückend und rechnet mit einer lebenslangen Haftstrafe.

    „Frau Noack, warum wollen Sie nicht aussagen? Er hat doch Ihre Familie auf dem Gewissen."

    „Du musst darüber reden!"

    „Wir sind für dich da."

    „Können Sie nicht doch ein Interview geben?"

    Kalte Leiber, kalte Messer, Ströme von Blut, die zu einem See fließen. Einem rotkäppchenfarbenen See in dunkelbrauner Erde.

    „Frau Noack! Können Sie mich hören? Wir haben Ihren Magen ausgepumpt."

    „Du musst darüber reden!"

    „Wir sind für dich da."

    „Warum lässt du dir nicht helfen?"

    „Selbstmord ist Todsünde!"

    Pressemitteilung

    Der Serienmörder Pierre Leblanc wurde rechtskräftig zu einer lebenslangen Haftstrafe mit anschließender Sicherheits-verwahrung verurteilt.

    Eine Welt ohne Inhalt.

    Verzweiflung, Einsamkeit. Zielloses Dahintreiben. Nichts interessiert. Nichts ist wichtig. Nur ein rotes Kleid auf einem Kinderbett, der Duft eines Aftershaves auf dem Kopfkissen. Erinnerungen, noch mehr Verzweiflung. Unendliche Schmerzen. Herzschmerzen. Kopfschmerzen. Haltloses Schreien. Noch mehr Verzweiflung. Aussichtslosigkeit.

    Dezember 1997

    Ulm, Deutschland

    „Mami? - Mami, ich bin hier. Wir sind hier."

    „Mara, mein Herz. Wo seid ihr?"

    „Hier, bei Dir. Vor Dir."

    „Mein Herz, ich kann euch nicht sehen."

    „Wir sind tot, Mami. Wir sind tot und können nicht gehen!"

    „Bleibt bei mir, mein Sonnenschein. Mein Held. Bitte verlasst mich nicht. Ich brauche euch. Ich liebe euch so sehr."

    „Es ist kalt hier, Mami. Es ist kalt und macht mir Angst. Bitte lass uns gehen, Mami. Bitte lass uns los."

    „Mein Herz, ich kann nicht. Ich liebe euch so sehr. Ich brauche euch so sehr."

    „Valea!"

    „Daniel, Liebster. Bitte lasst mich nicht allein zurück."

    „Das werden wir nicht. Wir sind immer bei dir. In dir und um dich herum. Doch zunächst musst du uns loslassen. Liebste, lass uns ziehen."

    „Ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll. Ohne euch."

    „Du bist eine starke Frau, Valea. Dafür lieben wir dich. Wirf diese Stärke nicht fort. Andere werden sie brauchen. Lass los, damit wir bei dir bleiben können."

    „Mami, mir ist kalt."

    „Mein Herz, mein Liebster!"

    Das dunkelrote Kleid lag auf der geblümten Bettdecke und schwieg.

    Valea kniete vor dem Kinderbett und konnte den Blick nicht von dem Kleidungsstück wenden.

    Wie oft hatte sie schon hier gesessen?

    Zehnmal? Zwanzigmal? Hundertmal? Die Zeit war verschwunden. Nicht mehr existent. Nicht relevant.

    Ihre Hand berührte zögernd das Kleidungsstück und strich zart darüber. Dann faltete sie es sorgfältig zusammen und erhob sich.

    Der Feuerkorb stand schon lange im Garten. Wie lange? Die Zeit war irrelevant. Daniel hatte ihn mit Holz gefüllt. Sie hatten einen gemütlichen Abend geplant mit Feuerschein, Wein und guten Gesprächen.

    Vorsichtig legte sie das Kleid in den Feuerkorb und zündete ein Streichholz an.

    Es dauerte, bis der Stoff Feuer fing. Schwarzer Rauch stieg nach oben und der scharfe Geruch nach verbranntem Plastik drang ihr in die Nase.

    Valea Noack stand still vor dem brennenden Feuerkorb, bis alle Glut erloschen war.

    Dann drehte sie sich um und ließ ihr verbranntes Leben zurück.

    Januar bis Oktober 1998

    Ulm, Deutschland

    „Können Sie mir helfen, wieder lebendig zu werden?"

    Dr. Alexander Schönfeld betrachtete seine Patientin nachdenklich.

    Valea Noack war eine junge Frau, gerade mal zwanzig Jahre alt, mit langen mahagonifarbenen Haaren. Sie war hübsch, aber über ihr lag die Aura einer großen Traurigkeit.

    „Frau Noack, Sie sind lebendig."

    Ihre grauen Augen blickten ihn an. Sie waren unstet, verzweifelt.

    „Vielleicht körperlich. Aber seelisch nicht. Ich fühle mich wie tot."

    „Glauben Sie mir, Frau Noack, widersprach Alexander Schönfeld. „Wenn Sie sich wirklich tot fühlen würden, säßen Sie jetzt nicht hier. Sie sind traurig, sie sind verzweifelt, aber sie sind nicht tot.

    „Was soll ich jetzt tun?"

    „Was haben Sie bis jetzt getan?"

    „Geweint. Versucht, mich umzubringen. Mit Mara und Daniel geredet. - Glauben Sie an Geister, Dr. Schönfeld?"

    „Geister? Nein. Innere Stimmen gibt es sicherlich. Vermutlich sind es eigene Gedanken, die sich verselbstständigen. Neuronenspielereien."

    „Vielleicht. - Aber es war nicht nur in meinem Kopf. Es war im ganzen Raum. Ich konnte sie nicht sehen, aber ihre Stimmen waren leise. In jedem Winkel des Zimmers."

    „Worüber haben Sie gesprochen?"

    „Sie ... sie haben mich gebeten loszulassen. Sie ziehen zu lassen."

    „Haben Sie es getan?"

    Valea Noack schwieg nachdenklich.

    „Ja", sagte sie dann.

    Dr. Schönfeld lauschte auf ihre Stimme. Es war eine angenehme sanfte Altstimme, der man stundenlang zuhören konnte.

    „Ja, das habe ich. Sie haben so gelitten. Ich habe das Kleid verbrannt, das ich Mara gekauft habe."

    „Das dunkelrote Kleid, welches Sie ihr zum Geburtstag schenken wollten?"

    Sie nickte. Dr. Alexander Schönfeld lehnte sich zurück und legte die Fingerspitzen aufeinander.

    „Dann haben Sie bereits die ersten Schritte zu den Lebenden getan, Frau Noack. Das freut mich sehr."

    „Aber es tut noch so weh. Und ich fühle mich innerlich so zerrissen. Die Zeit zerfließt und ich kann nichts halten. Meine Gedanken sind wie Blätter im Wind. Ich weiß nicht mehr, wie ich sie fassen kann."

    „Hm, haben Sie es schon einmal mit Meditation versucht?"

    „Sie meinen, sowas wie autogenes Training?"

    „Ja, etwas in der Art. Es gibt da die verschiedensten Möglichkeiten. Vielleicht sollten Sie es tatsächlich mal probieren. Wenn Sie möchten, gebe ich Ihnen ein paar Adressen."

    Valea Noack hob die Schultern kurz an.

    „Sie sind mein Therapeut. Wenn Sie es für richtig halten, werde ich es versuchen."

    „Gut. Aber dann hätte ich noch eine andere Aufgabe für Sie. Die wird etwas schwieriger sein und möglicherweise auch länger dauern."

    Er beobachtete ihre Reaktion. Doch Valea Noack sah ihn nur aus ihren traurigen, grauen Augen an. War es vielleicht doch zu früh? Er betreute sie jetzt seit einem Dreivierteljahr, und heute war das erste Mal, dass sie mehr als zwei Sätze geredet hatte. Vor ihm saß ein anderer Mensch. Aus einer starren, sprachlosen Frau war eine traurige Person geworden, die es von sich aus geschafft hatte, den ersten Schritt nach vorne zu gehen. Und zwar einen bemerkenswert Großen. Es war wohl nicht zu früh.

    „Ich möchte, dass Sie sich ein Ziel suchen. Etwas, von dem Sie glauben, dass Sie es erreichen wollen. Das kann eine handwerkliche Tätigkeit sein, ein Beruf, ein Hobby, eine Sportart. Bedingung ist, dass es etwas ist, das Sie nicht in zwei Tagen erledigen können."

    Sie überlegte kurz. „Beschäftigungstherapie?"

    Er lächelte zufrieden. „Genau."

    „Habe ich eine Frist, bis ich mich entschieden haben muss?"

    „Nein. Aber ich werde in bestimmten Abständen nachfragen."

    *

    „Ihr seid völlig entspannt und eure Arme und Beine liegen schwer auf dem Boden. - Stellt euch vor, wie die Fingerspitzen der rechten Hand anfangen zu kribbeln. Sie werden langsam warm. - Und jetzt wandert die Wärme über die Handfläche und den Handrücken langsam bis zum Handgelenk."

    Valea lag mit geschlossenen Augen auf der Gummimatte und lauschte auf die sanfte Stimme. Es war angenehm, entspannt auf dem Rücken zu liegen. Schwieriger war es, die Gedanken nach den Anweisungen auf ihren Körper zu richten. Sie war erst skeptisch gewesen, doch jetzt, wo sie in sich hineinhorchte, spürte sie tatsächlich eine gewisse Ruhe in sich einkehren. Langsam breitete sich die erdachte Wärme in ihrem Körper aus und ließ sie noch mehr entspannen.

    „Stellt euch vor, ihr liegt an einem Strand, unter euch den warmen Sand. Ihr könnt die Sandkörner unter eurer Haut fühlen. Ihr hört das beruhigende Plätschern der Wellen und richtet euren Blick auf das Meer. Ihr seht das blutrote Wasser, wie es sanft über den Sand fließt, rote Schlieren hinterlassend, wie es steigt und auf euch zufließt. Rot und dick, und es wird immer mehr. Ich liege auf dem Rücken und kann mich nicht bewegen. Das rote Meer umfließt mich und hält mich gefangen. Es will nicht weichen. Es fließt über mich hinweg, es lässt mich nicht los. Die Welt ist rot. Blutrot."

    „Valea, bitte wachen Sie auf. Um Himmels willen! Valea! Gott sei Dank, sie kommt wieder zu sich."

    Valea sah das ängstliche Gesicht der Kursleiterin vor sich. Monika, erinnerte sie sich.

    „Was ist passiert", fragte sie leise.

    „Sie - sie waren nicht mehr bei sich. - Himmel, Sie haben mir wirklich einen Schrecken eingejagt."

    Valea richtete sich auf und sah um sich die anderen Teilnehmer stehen. Sie blickte in lauter verstörte, teils ängstliche Gesichter.

    „Was habe ich getan?"

    „Nichts, aber, Monika holte tief Luft. „Sie waren wie hypnotisiert. Normalerweise schlafen die Leute eher ein, aber Sie - ich habe noch nie erlebt, dass jemand beim ersten Mal in eine so tiefe Trance gefallen ist. Geht es ihnen gut?

    Valea spürte in sich hinein. Blutrote Gedanken.

    Nein, gut fühlte sie sich nicht.

    „Ich glaube schon", log sie und setzte ein zaghaftes Lächeln auf. Die Leute um sie herum wirkten erleichtert, einige ein wenig verärgert. Aber das konnte Valea ertragen. Sie hatte auf den Rat ihres Therapeuten gehört, und dieser Rat war leider nicht der Beste gewesen. Blutrote Träume waren sicher nicht das Therapieziel. Sie würde darüber nachdenken müssen.

    *

    Die Bilder waren verstörend, so wie sie es in Erinnerung hatte. Fernsehnachrichten hatten Valea schon immer abgeschreckt. So viel Gewalt, Krieg und Verzweiflung in dieser komprimierten Fassung konnte einen nur depressiv werden lassen. Darin waren sich Daniel und sie immer einig gewesen.

    Und auch seit Daniels Tod war die Bildröhre still geblieben.

    Doch sie sollte sich ja auf die Welt der Lebenden zubewegen und dazu zählte wohl auch, dass sie wieder anfing wahrzunehmen, was um sie herum geschah.

    Dr. Schönfeld hatte ihr empfohlen, jeden Abend einen Nachrichtensender anzusehen. Heute hatte sie entschieden, es zu versuchen.

    Krieg, Gewalt, Mord. Eine blutrote Welt. Anscheinend unterschied sie sich nicht wesentlich von ihrer Eigenen.

    War das gut? Oder schlecht? Es war traurig.

    Wo waren die schönen Bilder? Lachende Kinder, liebende Hände, freundliche Gesichter? Gab es sie nicht mehr?

    Die anschließende Reportage: Ein Bericht über ein Kriegsgebiet in Afrika. Zerschossene Körper, weinende Kinder, fiebernde Gesichter, offene Wunden und verzweifelte Menschen.

    Valea saß wie gebannt vor dem Bildschirm und spürte nicht die Tränen, die in dicken Bahnen über ihre Wangen tropften.

    So viel Elend, so viel Traurigkeit. Eine blutrote Welt.

    Nur langsam gewahrte sie die andere Seite. Freundliche Gesichter, die Verbände wechselten, weinende Mütter trösteten und traurige Kindergesichter zum Lachen brachten.

    Schmerz brach sich in ihr Bahn. Der Schmerz, nicht selbst helfen zu können. Hilflos zuzusehen, wie das Blut in Strömen floss und die Welt in ein tiefes Rot tauchte.

    *

    Am zehnten Februar 1998 bewarb sich Valea Noack an der Universität Heidelberg für ein Medizinstudium. Aufgrund ihres ausgezeichneten Abiturs wurde sie sofort zugelassen und begann ihr erstes Semester im Herbst des gleichen Jahres.

    Dr. Alexander Schönfeld beendete die Therapie.

    Seine Patientin hatte die Welt der Lebenden endgültig betreten.

    April bis Dezember 1999

    Heidelberg, Deutschland

    „Valea, kommst du heute Abend mit in die Altstadt? Das Wetter ist fantastisch und einige Biergärten haben schon auf."

    Valea zögerte. Wenn sie sich ihren Kommilitonen anschloss, würde sie erst spät in ihre Wohnung kommen. Dann wäre nur wenig Zeit zum Lernen übrig.

    „Ich überlege es mir", antwortete sie mit einem freundlichen Lächeln. Der junge Mann verzog das Gesicht.

    „Das heißt bei dir immer nein. - Na gut, aber vielleicht überlegst du es dir ja tatsächlich. Mach‘s gut."

    Sie sah ihm nach und fragte sich, ob diese Absage ein Fehler war. Bisher war sie erst einmal mit einigen ihrer Mitstudenten losgezogen und hatte gleich gemerkt, dass diese Art von Ablenkung nicht die ihre war. Ihr fehlte die Fröhlichkeit, die Unbeschwertheit, die alle anderen um sie herum besaßen. Und leider hatte sie das Gefühl, dass Sie diese Unbekümmertheit trübte.

    Niemand beschwerte sich. Im Gegenteil. Wer einmal mit ihr ins Gespräch kam, suchte auch weiterhin ihre Nähe. So war es schon immer gewesen. Daniel hatte es den Valea-Effekt genannt. Sie hatten oft darüber gelacht. Offenbar hatte sie immer noch diese Wirkung, obwohl sie nicht mehr lachen konnte.

    Valea verließ das Universitäts-Gebäude und schlenderte langsam durch die Grünanlagen. Es stimmte, das Wetter war warm und angenehm. Vielleicht sollte sie noch einen kleinen Spaziergang einlegen, bevor sie sich wieder über die Bücher beugte.

    Ihr Weg führte sie zu den Neckarwiesen, wo noch andere Menschen das schöne Wetter nutzten, um die ersten Sonnenstrahlen in diesem Frühjahr zu tanken.

    Am Neckarufer war eine große Bühne aufgebaut, vor der eine kleine Schar Menschen stand. Rhythmische Trommelklänge drangen an ihr Ohr. Neugierig ging Valea darauf zu. Sie erblickte einige Trommelspieler, die in schwarze weite Beinkleider und weiße Oberteile gekleidet waren. Es wirkte sehr kampfsportmäßig.

    Die Rhythmen gefielen ihr. Sie waren schlicht und eingängig.

    Mit geschlossenen Augen blieb sie stehen und ließ sich von den Klängen durchpulsen. Erst ein hölzernes Klacken veranlasste sie, wieder aufzuschauen.

    Zwei Männer hatten die Bühne betreten und bewegten sich beim Klang der Trommeln aufeinander zu. In den Händen hielten sie Holzschwerter. Fasziniert beobachtete sie die aufeinander abgestimmten Bewegungen. Sie waren klar und strukturiert. Effektiv und doch schlicht. Die Trommeln pulsten durch sie hindurch und flossen in die Bewegungen der Männer ein. Die Zeit schien sich zu dehnen, zusammengehalten nur durch die Trommelschläge und das Klackern der Holzschwerter. Als die Trommeln schwiegen und vereinzeltes Klatschen aufklang, stand Valea immer noch da und kämpfte sich in die Wirklichkeit zurück.

    Nur langsam nahm sie wahr, dass einer der Männer immer noch auf der Bühne stand und auf sie herunterblickte. Er war schon älter, Valea schätzte ihn auf etwa sechzig Jahre, und seine Gesichtszüge wiesen einen asiatischen Einschlag auf.

    Er stand auf der Bühne und sah sie an, als wäre nichts anderes wichtig. Seine Augen strahlten eine Ruhe und Gelassenheit aus, die sie schwindelig machten.

    Wieder schien die Zeit zu zerfließen, während er sich von der Bühne herab und auf sie zu bewegte.

    Als er vor ihr stand, waren ihre Augen auf gleicher Höhe, doch Valea fühlte sich klein und unbedeutend.

    „Frau mit den traurigen Augen."

    Er legte die Handflächen vor der Brust zusammen und neigte den Kopf. Valea folgte seiner Geste automatisch. Als sie ihren Kopf wieder hob, lächelte er sie an.

    „Du fühlst den Puls des Mugai Ryū. Das ist in diesem Land eine seltene Gabe. Wer ist dein Lehrer?"

    „Niemand, Meister des Mugai Ryū. Ich wusste bis heute nicht, dass es so etwas gibt", gab Valea zu und neigte beschämt den Kopf. Sie wusste nicht, woher diese Scham kam.

    „Erklärt Ihr es mir?"

    Sein Lächeln vertiefte sich.

    „Frau mit den traurigen Augen. Mugai Ryū ist ein Stil des japanischen Schwertkampfs. Er lehnt sich an ein Gedicht des Zen-Meisters Sikitan: „Ippo jitsu mugai, Kenkon toku ittei Sumo hono mitsu Dochaku soku kosei."

    „Ich verstehe leider kein Japanisch. Darf ich erfahren, wie dieses Gedicht übersetzt werden kann?"

    „Es gibt nichts außer der einen Wahrheit, sie ist allumfassend und ewig; die vom Wind getragene Feder ist dieser habhaft; Eintracht zu erfahren, inmitten von Verwirrung, bedeutet Erleuchtung".

    Valea spürte, wie ihr das Blut aus den Wangen wich.

    „Die Zeit zerfließt und ich kann nichts halten. Meine Gedanken sind wie Blätter im Wind. Ich weiß nicht mehr, wie ich sie fassen kann", flüsterte sie.

    Überraschung zeichnete sich in seiner Miene ab. Wieder legte er die Hände aneinander und neigte den Kopf.

    „Es wird mir eine Freude sein, dich zu unterrichten."

    *

    Sie kam jeden Abend.

    Still kniete sie an der Seite und lauschte auf die Anweisungen, die Meister Seno Kunihiko an seine Schüler weitergab. Sie nahm den Klang seiner Stimme in sich auf, seine Bewegungen, seine Schwingungen. Sie suchte nach seiner Ruhe, seiner Gelassenheit.

    Zwei Stunden saß sie jeden Abend im Dojo und lernte.

    Sie lernte, ihre Gedanken ziehen zu lassen. Zeit spielt keine Rolle. Sie erspürte das Hier und Jetzt.

    Sie lernte loszulassen.

    Die erste Trance war blutrot, doch eine ruhige Stimme führte sie durch die Untiefen, hinaus aus dem Meer.

    Viele Trancen zogen durch die Wochen, durch die Monate. Sie hinterließen Spuren, manchmal blutrot, doch manchmal auch farblos, leise. Sie schlugen Wunden und heilten diese wieder.

    An dem Tag, an dem das Meer blau war, ergriff Valea zum ersten Mal das Laitō.

    Sie hatte gut zugesehen. Erstaunt beobachteten die Schüler, wie Valea ihrem Meister gegenüberstand und seine Anweisungen fehlerfrei befolgte. Ihre Bewegungen waren fließend und folgten dem Rhythmus des Mugai Ryū, als hätte sie nie etwas anderes getan.

    Nach dem traditionellen Görei verkündete Seno Kunihiko:

    „Ab jetzt bist du nicht mehr Valea mit den traurigen Augen. Du bist Valea, die ihren Weg geht. Sei willkommen. Nun wirst du lernen, wie das Schwert und der Geist zu einer Einheit werden."

    Juni 2005

    Kongo, Afrika

    Die Hitze war kaum zu ertragen.

    Valea wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn. Ihre Hände steckten in Latexhandschuhen und betasteten sanft den Unterleib eines kleinen Mädchens. Große dunkle Kinderaugen sahen sie aus einem schokoladenbraunen Gesicht an. Sie lächelte der Kleinen beruhigend zu und wandte sich dann an den Übersetzer.

    „Anang, sag der Mutter, dass ihre Tochter vermutlich eine Blinddarmentzündung hat. Sie muss operiert werden. Und zwar so schnell wie möglich. - Tad!"

    Sie winkte einem der Pfleger zu und gab ihm ein Zeichen.

    Dann lächelte sie die Frau an.

    „Tad, wird sich um die Kleine kümmern. Sie soll sich keine Sorgen machen."

    Während Anang der besorgten Mutter alles erklärte, erhob sich Valea und streifte die Handschuhe ab. Dann griff sie in ihre Kitteltasche und holte einen einzeln verpackten Keks heraus, den sie dem Mädchen reichte. In den dunklen Augen leuchtete es auf, als die kleinen braunen Finger nach dem Keks griffen.

    Valea wandte sich dem nächsten Patienten zu. Es war ein alter Mann, der ein dickes Geschwür am Bein trug. Stoisch ertrug er die Untersuchung der Ärztin und lauschte aufmerksam den Worten des Übersetzers. Doch seine Augen verfolgten jede ihrer Bewegungen.

    Dr. Valea Noack verlor ihre Gelassenheit nicht. In den letzten Monaten hatte sie erlebt, dass ihre Ruhe sich schnell auf die Patienten übertrug. Nie hatte sie Schwierigkeiten. Es kam selten vor, dass die Kranken und Verletzten von sich aus laut wurden. Langmütig, beinahe apathisch warteten sie darauf, untersucht zu werden. Doch wenn sie an der Reihe waren, achteten sie sehr genau auf das, was geschah. Und sie hörten zu.

    Manchmal dachte sie an die Patienten, die sie in Deutschland erlebt hatte. Was für ein Unterschied.

    So geduldig und tapfer diese Menschen hier im Kongo waren, so fordernd und wehleidig verhielten sich viele der europäischen Patienten.

    Die Bedingungen hier in Afrika waren gruselig. Es fehlte an beinahe allem: Medikamenten, Wasser, Nahrung und kompetenter medizinischer Betreuung. Und trotzdem hatte sie manchmal das Gefühl, mehr zu bewirken als zu Hause in Deutschland.

    Wieder wischte sie sich den Schweiß von der Stirn. Es war erst früher Nachmittag und sie hatte noch einige Stunden Arbeit vor sich. Die Schlange der Wartenden war lang.

    Unruhe kam auf. Vereinzelte Rufe, ein paar schrille Schreie ließen sie aufhorchen.

    Eine Gruppe Menschen drängte sich durch die Warteschlange auf sie zu. In ihrer Mitte trugen sie in einer alten Decke eine schlaffe Gestalt.

    Blut tropfte durch das Tuch hindurch und hinterließ eine dünne Spur im Sand.

    Alle machten der Gruppe Platz, drängten zur Seite. Vor ihr blieben die Neuankömmlinge stehen und redeten auf sie ein. Valea registrierte nur am Rande, dass es sechs Leute waren, die vor ihr standen. Ihr Blick galt dem Mann, der jetzt vor ihr abgelegt wurde.

    Er lebte noch. Seine Augen waren offen, aber glasig vor Schmerz.

    Valea holte tief Luft, als sie die Verletzungen sah. Der Hals war aufgerissen, die Luftröhre und die Speiseröhre lagen frei, schienen aber noch intakt zu sein. Von einem der Oberarme war das Fleisch gerissen worden und ein langer Riss zog sich von seiner Brust quer nach unten bis tief in den Bauch.

    Valea ignorierte das Geschrei um sie herum. Hier war schnelle Hilfe angesagt. Wenn sie nicht schon zu spät kam. Im Bauch hatte sich eine riesige Blutlache angesammelt und die Gedärme waren offenbar nur grob in die Bauchhöhle zurückgeschoben worden.

    Laut, aber mit ruhiger Stimme rief sie nach Hilfe und wandte sich an Anang.

    „Was erzählen sie?"

    Der Übersetzer sah leichenblass aus.

    „Also, ich glaube, das wird Ihnen nicht gefallen. Sie sagen, dass ein Anioto ihn angegriffen habe. Als Leute dazu kamen, ist er geflohen."

    „Ein Anioto? Wer ist das?", fragte Valea, während sie half den Verletzten auf eine Trage zu heben.

    „Äh, also eine Art Fabelwesen", murmelte Anang, und vermied es, ihr in die Augen zu sehen.

    „Ach du je, meinte Valea. „Und wie soll dieses Wesen aussehen?

    „Nun, sie sehen eigentlich aus wie Menschen, aber sie können sich angeblich in Leoparden verwandeln."

    „Also war es doch ein Tier?"

    „Die Leute behaupten, dass es ein Mann war, der zum Tier wurde. Als er gestört wurde, lief er als Leopard weg.‘

    ,Also ein Leopard‘, dachte Valea und bemühte sich, mit der Trage Schritt zu halten, während sie dem Verletzten eine Blutdruckmanschette umlegte.

    Endlich hatten sie das OP-Zelt erreicht, und in den nächsten Stunden versuchten sie, ein weiteres Leben zu retten.

    Es war schon später Abend, als Valea das Zelt verließ.

    Sie hatten den Kampf verloren. Der Mann war ihnen schlichtweg unter den Händen verblutet. In Europa hätte man ihm vielleicht mit modernerer Technik helfen können, doch hier, mitten im Kongo, war er chancenlos gewesen.

    Seufzend steuerte sie auf ihr eigenes kleines Zelt zu, das sich nahebei befand. Heute würde sie ausnahmsweise einmal früh schlafen gehen. Morgen stand eine Fahrt ins Hinterland an, wo es einige abgelegene Dörfer gab, die viel zu weit von ihrer Basis lagen, als dass die Kranken hierherkommen konnten. Die Fahrt würde anstrengend werden, das wusste sie aus Erfahrung. Jede Stunde Schlaf war daher wertvoll.

    Vier Tage später schreckte Dr. Valea Noack aus dem Schlaf hoch. Blinzelnd versuchte sie, sich zu orientieren.

    Sie lag in ihrem Zelt und es war noch dämmrig. Also musste es sehr früh morgens sein. Sie erinnerte sich.

    Gestern Abend waren sie in diesem kleinen Dorf angekommen und hatten dem Dorfältesten erklärt, wer sie waren und was sie wollten. Hier, mitten im Busch, hatte noch niemand von „Ärzte ohne Grenzen" gehört. Doch nach etlichen Erklärungen hatte der alte Mann begriffen und eifrig genickt. Ja, sie hatten einige Kranke hier, und er wollte allen sagen, dass sie hier Hilfe finden konnten.

    Valea lauschte auf die Geräusche, die von draußen in ihr Zelt drangen. Offenbar wurden immer mehr Leute wach und laute Rufe gelangten verstärkt an ihr Ohr.

    Irgendetwas war passiert.

    Hastig griff sie nach ihren Schuhen und schüttelte sie aus, bevor sie hineinschlüpfte. Dann kroch sie nach draußen und folgte den Stimmen.

    Auf dem Dorfplatz hatte sich anscheinend das ganze Dorf versammelt. Jung und Alt. Als Valea näherkam, machten ihr die Leute respektvoll Platz, so dass sie ungehindert bis zum Ausgangspunkt der Unruhe kam.

    Auf dem Boden kniete eine alte Frau, die schrille Rufe von sich gab und sich vor und zurück wiegte. Vor ihr lag eine verrenkte Gestalt am Boden. Hinter sich hörte sie Anangs Stimme.

    „Dr. Noack, was ist hier los? - Oh Herr im Himmel. Heilige Jungfrau Maria!"

    Das galt der Gestalt vor ihnen auf dem Boden.

    Valea starrte fassungslos auf die Frau, oder besser das, was von ihr übrig geblieben war. Der aufgerissene Hals bestand nur noch aus Knochen und Sehnensträngen, genauso wie weite Teile der Arme und Beine. Und der Oberkörper ...

    Unwillkürlich dachte sie an den Schwerverletzten vor einigen Tagen. Er hatte die gleichen Verletzungen am Torso aufgewiesen, nur dass die Frau, die vor ihr lag, regelrecht ausgeweidet worden war.

    Anang entfernte sich hastig. Nur am Rand registrierte Valea seine Würgegeräusche, als er sich in einen der Büsche übergab.

    Sie hockte sich neben die wehklagende Frau und legte sachte eine Hand auf den dürren Rücken. Die Trauernde schien es erst nicht zu bemerken, doch nach und nach wurde ihr Wiegen langsamer.

    Valea wandte die Augen nicht von der Toten. Konzentriert ließ sie ihren Blick über die Wunden gleiten und versuchte zu erkennen, was dieser armen Frau geschehen war.

    „Anioto, Anioto", flüsterte die Frau neben ihr und krallte ihre Hand in Valeas Bein.

    „Dr. Noack!"

    Anang tauchte wieder auf. Er wirkte leicht grün im Gesicht, was bei seiner dunklen Hautfarbe bemerkenswert aussah. Doch jeder Humor war hier fehl am Platz. Hinter ihm drängten sich zwei weitere Mitglieder ihres Teams: Bob Sutter und Linda Sterling.

    „Oh mein Gott", flüsterte Linda und schlug die Hand vor den Mund. Sie war Krankenschwester von Beruf und hatte sicherlich schon viele grauenhafte Dinge gesehen. Aber dieser Anblick konnte selbst dem Abgebrühtesten unter ihnen zusetzen, da war sich Valea sicher. Auch Bob holte tief Luft und trat unwillkürlich wieder einen Schritt nach hinten.

    Valea erhob sich langsam.

    „Anang, kannst du fragen, was hier passiert ist?"

    Anang wandte sich sofort an die nächsten Dorfbewohner, die sogleich auf ihn einredeten.

    Schließlich erklärte er: „Sie haben die Frau nicht weit von hier gefunden. Sie ging, um ihre Morgentoilette zu verrichten, und kam nicht wieder. Sie haben sie hierhergetragen, damit ihre Mutter sich von ihr verabschieden kann."

    „Das muss ein großes Raubtier gewesen sein", murmelte Bob.

    „Anioto, Anioto", flüsterte die Trauernde wieder und sah zu Valea empor.

    Anang verzog das Gesicht.

    „Hören Sie nicht auf die Frau. Hier im Busch glauben sie noch an Geister und Dämonen."

    „Die Wunden gleichen denen des Mannes vor vier Tagen, sagte Valea nachdenklich. „Es muss die gleiche Vorgehensweise gewesen sein. Was für ein Raubtier tut so etwas?

    Anang zuckte die Schultern.

    „Vermutlich ein Löwe, oder vielleicht ein Leopard."

    „Hm." Valea war nicht überzeugt. Sie meinte gelesen zu haben, dass zumindest Leoparden ihre Opfer eher von hinten angriffen. Und sie ließen ihre Beute nicht einfach so herumliegen, sondern versteckten sie auf Bäumen. Aber sicher konnte sie sich natürlich nicht sein. Bisher hatte sie sich noch nie mit so etwas beschäftigt. Ihre Aufgabe war bislang das Heilen gewesen, nicht die Forensik.

    Doch je länger sie das Opfer betrachtete, desto seltsamer kam ihr alles vor. Wer oder was auch immer diese Frau umgebracht hatte, war systematisch vorgegangen. Das Gesicht war völlig unversehrt, ebenso die Hände und Füße. Genau wie bei dem Mann von vor zwei Tagen. Dass eine Raubkatze so vorging, kam ihr eher unwahrscheinlich vor. Aber die Fraßspuren waren offensichtlich.

    Langsam entfernte sie sich von der Leiche, um sie der trauernden Mutter zu überlassen. Hier konnte sie nicht mehr helfen.

    Drei Wochen lang zogen sie von Dorf zu Dorf und halfen, wo es notwendig und möglich war. Nicht immer wurden sie mit offenen Armen empfangen, doch geduldiges Erklären und Abwarten brachten meistens jedes Misstrauen zum Erliegen.

    Als sie ins Basiscamp zurückkehrten, waren jegliche Medikamente und Nahrungsvorräte aufgebraucht. Ebenso all ihre Kräfte.

    Dr. Valea Noack war für gewöhnlich kein Mensch, der Urlaubstage in Anspruch nahm, doch auch ihr war klar, dass sie zumindest ein paar Tage benötigte, um wieder zu Kräften zu kommen. Dafür war aber Abstand zum Camp nötig. Aus Erfahrung wusste sie, dass sie sonst doch wieder einspringen würde, wenn es nötig war.

    Und eigentlich war es das immer.

    Juli 2005

    Kinshasa, Kongo

    Valea Noack reiste nach Kinshasa und nistete sich für eine Woche in einem Hotel ein, das relativ zentral gelegen war. Zumindest hatte sie hier Internetanschluss und konnte sich Zugang zu den wichtigsten Bibliotheken verschaffen.

    Das Hotel war groß und nicht gerade günstig, bot aber einen hygienischen Standard, den sie lange vermisst hatte. Es besaß ein gutes Restaurant und ein großes Schwimmbad, sowie andere Zerstreuungsmöglichkeiten.

    Valea nutzte lediglich das Restaurant. In den ersten Monaten ihrer Tätigkeit hier im Kongo hatte sie ihre freie Zeit dazu verwendet, um die Stadt zu erkunden und ein Gespür für die Menschen zu bekommen. Doch mittlerweile war der Reiz des Neuen verflogen und sie minimierte ihre Aktivitäten. Sie benötigte Ruhe, und die fand sie nicht auf den lärmenden Straßen von Kinshasa.

    Endlich bekam sie Gelegenheit, ihr Kata-Training wieder aufzunehmen. Im Camp langte die Zeit und natürlich auch der Platz nur für kurze Meditationsphasen. Diese verhalfen ihr immerhin zu mehr Gelassenheit und Ausdauer.

    Hier in dem großen Hotelzimmer konnte sie auch mit ihrem Katana Übungen absolvieren.

    Die ersten zwei Tage verbrachte sie mit Mugai Ryū, viel Schlaf und regelmäßigen Mahlzeiten im Hotelrestaurant.

    Doch dann setzte sie sich an ihren Laptop.

    In den letzten Wochen hatte sie häufig an die bedauernswerten Opfer des Leoparden gedacht. Bisher hatte sie zwar schon Tierbisse behandelt, doch eine solch brutale Tierattacke war ihr noch nie untergekommen.

    Neugierig durchforstete sie die Literatur zu solchen Fällen und stieß dabei auf Bilder, die

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