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Elfenkind: Das Geheimnis des Raben
Elfenkind: Das Geheimnis des Raben
Elfenkind: Das Geheimnis des Raben
eBook434 Seiten6 Stunden

Elfenkind: Das Geheimnis des Raben

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Über dieses E-Book

Ein geheimnisvoller Rabe begleitet das Waisenmädchen Kristina schon seit ihrer Geburt vor etwa acht Jahren. In der Nähe des Waisenhauses, in dem sie lebt, lernt sie Gaagi kennen. Er ist der Häuptling einer kleinen Gruppe Diné, wie sich die Navajo selbst nennen. Sie sind auf der Flucht vor Soldaten und gelangen mit Hilfe von Kristina und dem Raben in eine geheimnisvolle Welt, in der sie allerlei Abenteuer erleben und einen schweren Kampf bestehen müssen, bis sie schließlich das Geheimnis des Raben lüften können.
Auf ihrer Reise durch Kalima, diese andere Welt, in die sie gelangen, treffen sie auf Elfen, magische Wölfe, Elementare und viele verschiedene, fantastische Wesen. Außerdem auf einen Zauberer, der diese Welt seit Jahren unterdrückt, immer mit dem Ziel, noch mehr Macht zu erlangen. Letztendlich erkennen Gaagi und Yas, wie die Diné das Mädchen Kristina nennen, dass sie erst den Zauberer vernichten müssen, bevor sie ihre gefangenen Stammesmitglieder retten können. Werden die magischen Wesen, die sie dort treffen, ihnen helfen? Und können sie am Ende das Geheimnis des Raben tatsächlich lüften?
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum9. Feb. 2021
ISBN9783753161099
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    Buchvorschau

    Elfenkind - Daniela Baumann

    Elfenkind - Das Geheimnis des Raben

    Section 1

    1. Ein seltsames Baby

    2. Unfall am Fluss

    3. Bei den Navajo

    4. Flucht in eine neue Welt

    5. Lagerleben

    6. Gaagis Rückzug

    7. Eine schicksalhafte Begegnung

    8. Der verschwundene Stamm

    9. Yáhzí

    10. Spuren im Schnee

    11. Adlerklaue

    12. Der Häuptling und der Grizzly

    13. Die Suche geht weiter

    14. Unerwartete Hilfe

    15. Der Spiegel aus Eis

    16. Neue Hoffnung

    17. Das unterdrückte Dorf

    18. Auf dem Weg zum Zauberschloss

    19. Ein Plan geht schief

    20. Die Elfenkönigin

    21. Ins Schloss hinein

    22. Der Zauberer Carimo

    23. Der Kampf gegen Carimos Anhänger

    24. Befreiung

    25. Zu den Diné

    26. Die Geschichte von Alemie und Tsé

    27. Die Befreiung der Diné

    28. Der Beginn eines neuen Lebens

    29. Bei den Kentauren

    30. ‘Ahé’éské – Hochzeit

    31. Verwandlung

    32. Ein neues Leben beginnt

    Worterklärungen – Übersetzungen

    Section 1

    Abschnitt 1

    Daniela Baumann

    Elfenkind

    Elfenkind - Band 1

    Daniela Baumann

    Elfenkind

    Das Geheimnis des Raben

    Fantasy, Western

    Eindruck

    Texte:         © 20 19 Copyright by Daniela Baumann

    Umschlag: © 20 21 Copyright by Daniela Baumann

    Verantwortlich

    für den Inhalt:     Daniela Baumann

    Wiesenmühle 7

    95632 Wunsiedel

    elfenkind.rabe@gmail.com

    Druck:         epubli - ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

    Für meine Söhne, weil Ihr mir immer wieder neue Ideen geliefert und die Geschichte hart kritisiert habt!

    Für meinen Mann, der mich in den beiden Jahren der Entstehung mehr als einmal mit den Charakteren dieser Geschichte teilen musste, aber dennoch an mich geglaubt hat!

    Ich liebe Euch!

    www.elfenkind.de.to

    Facebook: Daniela Baumanns Ideenwelt

    1. Ein seltsames Baby

    Es war schon spät, als Mrs. Duncan, die Heimleiterin, ihren letzten Kontrollgang des Tages machte. Wie immer waren die Kinder in ihren Betten und schliefen tief und fest. Das Waisenhaus war stark überbelegt, fast doppelt so viele Kinder wie Betten hatte sie inzwischen hier, sodass sich immer öfter zwei Kinder ein Bett teilen mussten. Der Krieg war an den meisten Familien nicht spurlos vorübergegangen und daher hatten viele Kinder nun keine Eltern mehr und landeten bei ihr. Nicht wenige dieser Kinder hatten indianische Wurzeln, was es ihr sicher nicht leichter machen würde, diese zu vermitteln. Sie seufzte. Natürlich liebte sie die Kinder, aber am liebsten war es ihr, wenn sie sie vermitteln konnte und die Kleinen eine neue Familie bekamen. Dennoch, Kinder mit indianischen Wurzeln würden so schnell nicht genommen werden.

    Die meisten Menschen in dieser Gegend waren den Indianern gegenüber sehr ablehnend. Wenn nicht sogar hasserfüllt. Obwohl in vielen Familien auch indianisches Blut war. Das war hier in Arizona nicht selten, aber es wurde abgestritten. Der Krieg zwischen den Siedlern und den Indianern war blutig gewesen, auf beiden Seiten, und nun waren die Indianer zurückgedrängt worden, als die Armee eingegriffen hatte. Sie wurden in Reservaten zusammengetrieben und ihre Freiheiten deutlich eingeschränkt. Noch gab es einzelne Widerstandskämpfer unter ihnen, aber sie hatten wohl kaum eine Chance. Mrs. Duncan seufzte wieder. Sie verstand nicht, was alle gegen die Indianer hatten, die Meisten waren freundlich und zuvorkommend, wenn man ihnen die Chance gab, sich zu öffnen. Natürlich gab es auch dort welche, die gegen Recht und Gesetz verstießen, aber wo gab es solche Menschen nicht?

    Sie horchte auf. Was war das eben gewesen? Ihre Runde hatte sie gedankenverloren beendet und war zurück in ihre eigenen Räume gegangen. Die Kinder wussten, dass sie sie jederzeit wecken konnten, wenn etwas sein sollte. Das kam relativ häufig vor, da die meisten von ihnen die Schrecken des Krieges mit eigenen Augen erlebt hatten und nun unter Alpträumen litten. Doch das war keines der Kinder gewesen. Nein, es kam von unten. Mrs. Duncan stand auf und wollte nachsehen gehen. Sie war unruhig, hatte das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Doch das Geräusch, das sie irritiert hatte, war inzwischen weg. Es war still. Zu still. Normalerweise konnte man in der Nacht hier viele verschiedene Geräusche hören, doch außer den einzelnen Schnarchern der Kinder konnte sie nichts hören. Absolut nichts.

    Unruhig verließ sie ihr Zimmer und lief nach unten. Ein Instinkt sagte ihr, dass sie nach draußen sehen musste. Als sie die Tür öffnete, stockte ihr der Atem. Vor ihr auf der Treppe lag ein Baby. Eingewickelt in ein paar Tücher und auf eine Decke gebettet. Dabei war es kalt, eiskalt. Auch wenn sie in Arizona waren, der Winter konnte selbst hier tödlich enden, vor allem für ein Neugeborenes. Es war kurz vor Weihnachten und es sollte Schnee geben. Das Baby sah sie mit großen, dunklen Augen an. Die Haut war extrem hell, die wenigen Haare, die zu sehen waren, wirkten schwarz, aber in der Nacht konnte das täuschen.

    Schnell sah sie sich um, doch sie konnte niemanden entdecken. Das Waisenhaus stand an einem Hügel, vor ihr fiel das Gelände ab, ein Weg führte in den Ort, doch kein Mensch war zu sehen. Wer hatte dieses Baby hier abgelegt? Die Stadt war klein, sie wusste nur von wenigen schwangeren Frauen in der Gegend, aber diese Babys dürften noch nicht so weit sein. Mrs. Duncan wandte sich wieder dem Baby zu. Das Kleine war ihr mit Blicken gefolgt und sah sie durchdringend an. Es wirkte unheimlich, so von einem Baby angesehen zu werden. Die Heimleiterin besann sich auf ihre Aufgabe und hob das Bündel vorsichtig hoch. In dem Moment, als sie das Baby im Arm hatte, schloss es seine Augen und schlief ein. Ein paar Meter weiter flatterte lautlos ein Rabe davon, der auf dem Treppengeländer gesessen und das Baby beobachtet hatte.

    Mrs. Duncan eilte nach drinnen in den Waschraum. Darin war es immer so warm wie möglich, damit vor allem die Kleinsten nicht froren. Dort wickelte sie das Bündel auseinander. Schnell stellte sie fest, dass es sich um ein Mädchen handelte, das höchstens ein paar Stunden alt sein konnte. Die Nabelschnur war noch ganz frisch und es sah aus, als wäre der kleine Körper direkt nach der Geburt schnell in ein paar Tücher gewickelt und dann bei ihr abgelegt worden. Vorsichtig säuberte sie die Kleine und wickelte sie, bevor sie ihr ein paar saubere aber abgetragene Babysachen anzog. Das Mädchen wachte nicht auf. Daher legte sie sie in ein Gitterbett, das in der Ecke des Schlafraumes stand und zog es in ihr Zimmer. Da die Kleine immer noch tief und fest schlief, wandte sie sich den Tüchern zu, vielleicht konnten die ihr helfen, herauszufinden, wer das Baby war, und möglicherweise auch etwas über seine Eltern.

    Die Tücher waren indianisch, das war eindeutig. Diese Webarbeiten stammten nicht von einem Stamm hier in der Nähe, das bunte Muster verriet selbst ihr so viel. Mrs. Duncan kannte sich nicht besonders gut aus mit den verschiedenen Stämmen, aber da einige der nahe wohnenden Indianerstämme immer wieder einen Markt im Ort abhielten, kannte sie deren Muster, und das hier war vollkommen anders. Die Tücher waren abgetragen und die Farben ein wenig ausgeblichen, als wären sie schon älter, aber sauber und gepflegt. Sie legte sie auseinander und ein Blatt Papier fiel heraus.

    Das ist Kristina. Bitte kümmern Sie sich um sie. Ich kann es nicht tun.

    Mehr stand nicht auf dem Papier. Einige Male drehte sie es hin und her, in der Hoffnung, mehr zu entdecken, aber da war einfach nichts. Seufzend ging Mrs. Duncan wieder in ihr Zimmer, noch immer grübelnd über diesen Fund. Als ihr Blick auf die Uhr fiel entschied sie, jetzt auch zu schlafen. Es war kurz nach drei Uhr morgens. Gedanken könnte sie sich später machen.

    Am nächsten Morgen war Mrs. Duncan ziemlich unausgeschlafen. Das kleine Mädchen ging ihr nicht aus dem Kopf. Sie hatte so zart und verletzlich gewirkt, als sie in der Nacht auf dem Tisch gelegen hatte. Ihr weniges Haar, noch feucht von der Geburt, war kohlrabenschwarz, was die Theorie unterstützte, dass sie ein Indianerkind war. Ihre Augen waren von einem dunklen blau, wenn man nicht genau hinsah, wirkten sie schwarz, allerdings hatten sie kleine, helle Sprenkel darin, was sie geheimnisvoll aussehen ließ. Aber ihre Haut war so hell, das hatte die Heimleiterin noch nie gesehen. Sie wirkte fast so weiß wie Porzellan, aber das Kind sah dennoch absolut gesund aus. Und sie konnte auf jeden Fall einschätzen, ob ein Kind einen Arzt brauchte oder nicht. Nicht dass ein Arzt da gewesen wäre, wenn sie denn einen brauchten. Der Ort war einfach zu klein und zu ärmlich, um für einen Arzt interessant zu sein. Supai hatte fast weniger Einwohner, als Kinder in dem Waisenhaus waren.

    Die Indianer nicht mitgezählt hatte der Ort etwas über 300 Einwohner, vor dem Krieg waren es etwas über 400 gewesen. Carol Duncan kannte jeden Einzelnen. Rund um den Ort hatte es früher viele verschiedene Indianerdörfer gegeben, doch jetzt, nach diesem verheerenden Krieg gegen die Indianer, waren die Meisten in die Reservate zurückgedrängt worden. Einzelne Indianer wehrten sich noch dagegen und streunten wild umher, aber die Soldaten machten Jagd auf sie und wollten auch die letzten freien Rothäute in die Reservate drängen. Immer wieder kamen Soldaten durch den Ort und befragten die Menschen, ob sie wilde Indianer gesehen hätten, doch hier in der Nähe gab es ein Reservat, von dem aus viele indianische Frauen Waren auf dem örtlichen Markt verkauften. Gehörte das Mädchen zu ihnen? Doch der Name sprach gegen diese Theorie, er klang eher nordisch, vor allem die Schreibweise. Auch wenn das Aussehen zumindest zum Teil für die Indianer-Theorie sprach. Es war verwirrend.

    Was sollte sie nun mit dem Baby machen? War es ein Indianerkind, so würde sich niemand groß kümmern, was mit ihr wurde. Doch ihre Haut sah so untypisch für diese Rasse aus, dass sich die Heimleiterin unsicher war.

    In dem Moment öffnete das Mädchen die Augen und sah sie an. Die Augen waren dunkel, fast schwarz. Solche Augen hatte Carol Duncan noch nie bei einem Baby gesehen. Die Kleine musste langsam Hunger haben, aber sie weinte nicht. Schnell machte die Heimleiterin eine Flasche fertig. Sie musste unbedingt sehen, dass sie eine Leihmutter für das Baby fand, da sie selber mit ihren fünfzig Jahren schon aus dem Alter raus war, in dem sie Kinder gehabt hatte, sie konnte keine Milch geben. Ihre eigenen Kinder waren schon erwachsen, ihre Töchter beide verheiratet und weg gegangen in die Städte im Westen, ihr Sohn war in den Krieg gezogen und bisher nicht wiedergekommen. Sie befürchtete, dass er nicht mehr lebte, ihr Jüngster. Das Abbild seines Vaters und sein ganzer Stolz.

    Als die Kleine ihre Flasche trank, drängte sie den Gedanken an ihren Sohn zurück. Sie brauchte nun ihre ganze Aufmerksamkeit für das Mädchen. In einer halben Stunde würden auch die anderen 45 Kinder aufstehen und dann war es vorbei mit der momentanen Ruhe. Bis dahin wollte sie die kleine Kristina versorgt haben, damit sie sich um die anderen Kinder kümmern konnte. Sie hatte zwar zwei Mädchen, die ihr halfen, aber Susannah und Deborah kamen immer nur für ein paar Stunden tagsüber. Sie waren von ihren Eltern geschickt worden, um zu lernen, wie man Kinder erzog. Sie müssten jeden Moment kommen, um das Frühstück mit ihr zusammen vorzubereiten. Die größeren Kinder hatten dabei ihre eigenen Aufgaben. Jeder musste mithelfen, sonst konnten sie nicht zurechtkommen. Die meisten Bewohner von Supai halfen ihr, wo sie konnten, spendeten Lebensmittel, Brennmaterial und Kleidung. Dennoch war sie zumeist auf verlorenem Posten. Vor vielen Jahren, als ihre Kinder anfingen, eigene Wege zu gehen, hatte sie dieses Waisenhaus gegründet, damals noch gemeinsam mit ihrem Mann, der kurz danach in den Krieg ziehen musste und nicht zurückkam. Sie hatten Kindern ohne Eltern eine Perspektive bieten wollen, doch im Moment fühlte sie sich ein wenig überfordert mit der Masse an Kindern. Ausgelegt war das Haus auf fünfzehn bis zwanzig Kinder, gerade hatte sie mehr als doppelt so viele. Es war schwer, sie gut zu versorgen, es gab selten wirklich genug zu essen und Kleidung hatte jedes Kind auch nur wenig. Und doch wies sie kein Kind ab, das Hilfe brauchte. Sie konnte es einfach nicht.

    Kristina hatte inzwischen die Flasche leergetrunken und nun wurde sie unruhig. Wahrscheinlich war ihre Windel voll. Carol Duncan brachte sie in den Waschraum, wo die ältesten Kinder schon dabei waren, sich zu säubern. Erstaunt sahen sie zu dem Baby in den Armen ihrer Heimleiterin. „Das ist Kristina. Ich habe sie heute Nacht vor unserer Tür gefunden. Rebecca, Emma, ich werde eure Hilfe brauchen bei ihrer Versorgung.", erklärte sie den beiden ältesten Mädchen.

    Die beiden 13-jährigen Mädchen nickten ihr zu. Sie waren gezwungen, sehr erwachsen zu sein, konnten ihre Kindheit nicht genießen. Sie waren in ihrem Heim, seit sie sechs Jahre alt waren. Beide hatten ein ähnliches Schicksal hinter sich, waren aber nicht verwandt miteinander. Sie waren Kinder von einem weißen Vater und einem indianischen Mädchen. Diese Kinder wurden oft verstoßen und kaum einer wusste, wer der Vater war. Die meisten Männer vergnügten sich mit den roten Mädchen und ließen sie anschließend alleine. Wenn dann ein Baby geboren wurde, hatte es selten eine Chance. Das vermutete Carol Duncan auch bei Kristina, aber der Brief, den sie bei dem Mädchen gefunden hatte, deutete auf einen anderen Hintergrund hin. Die wenigsten Indianer konnten schreiben, vor allem nicht in Englisch. Die Frauen der Indianer noch weniger, die meisten von ihnen konnten noch nicht einmal Englisch sprechen. Auch der Name des Mädchens passte nicht dazu. Sie würde mit dem Sheriff reden. Sheriff Carlsen und vielleicht auch Mayor Grant würden sicher einen Weg wissen, um ihr zu helfen. Sobald sie diesen Entschluss gefasst hatte, war sie ruhiger.

    Direkt nach dem Frühstück, das sie immer mit den Kindern zusammen einnahm, gab sie das Baby in die Obhut von Rebecca und Emma. Die beiden Mädchen machten das nicht zum ersten Mal, sie wussten, wie sie mit einem Baby umgehen mussten. Dann ging sie die kürzeste Strecke bis zum Rathaus, direkt am Fluss entlang. Es war ein Gebäude wie jedes andere in Supai, aber es war eines von zwei Häusern, an denen die amerikanische Flagge hing. Das andere war das Büro des Sheriffs. Mayor Grant hatte wie immer ein offenes Ohr für die Heimleiterin. Er konnte ihr nicht viel helfen, aber was er tun konnte, das tat er auch. Er rief sofort den Sheriff hinzu, der ein paar Minuten später kam. In einer Kleinstadt wie Supai gab es relativ wenig für ihn zu tun. Sie erzählte ihnen kurz die Geschichte, wie sie das Mädchen gefunden hatte, und zeigte Beiden den Brief.

    „Ich stimme ihrer Theorie zu, dass es eher unwahrscheinlich ist, dass eine Indianerin die Verfasserin dieses Briefes ist, aber vielleicht war die Mutter trotzdem eine. Sie kann ja immerhin Hilfe gehabt haben. Ich würde das Kind gerne einmal sehen.", erklärte Mayor Grant, als er die wenigen Worte gelesen hatte.

    „Auch ich denke, es könnte dennoch eine Indianerin gewesen sein. Aber ihre Erzählung hat mich ebenso neugierig gemacht. Wenn sie schon sagen, dass das Kind ungewöhnlich aussieht. Und sie haben es wirklich schon mit vielen Kindern zu tun gehabt.", stimmte Sheriff Carlsen zu.

    „Vielleicht haben sie beide gleich Zeit, mit mir zu kommen?, fragte Mrs. Duncan. „Dann könnten wir vielleicht auch kurz darüber sprechen, dass ich Hilfe bräuchte, damit das Dach wieder dicht wird, der letzte Sturm hat Spuren hinterlassen.

    „Natürlich, Mrs. Duncan. Wir werden sehen, was wir da tun können. Ich werde mit den Männern im Ort reden, es findet sich sicherlich eine Lösung. Auch wenn die Kinder niemanden haben, wir müssen dennoch tun, was wir können. Die Kinder können schließlich nichts für ihre Eltern. Sie werden es nicht leicht haben in ihrem Leben, aber wir werden alles tun, um ihnen den Start dennoch zu erleichtern. Sie tun so viel für diese armen Kinder, da ist es auch an uns, sie zu unterstützen!", versprach Mayor Grant.

    Mrs. Duncan nickte ihm zu. Solche Versprechungen hatte sie schon viele von ihm bekommen. Doch ob sie dann die Hilfe auch bekam, war oft mehr als fraglich. Ihr war klar, dass es in einem so kleinen Ort nicht einfach war, als Bürgermeister zu bestehen, dennoch erhoffte sie sich mehr Hilfe, als sie bisher gehabt hatte, die Kinder hatten sich das wirklich verdient. Sie würden es nie einfach haben in ihrem Leben, dennoch hatten auch sie ein Recht auf eine unbeschwerte Kindheit. Doch alleine konnte sie das den Kindern nicht bieten. Es überstieg einfach ihre Möglichkeiten. Schnell gingen sie zu dritt den Weg auf den Hügel zurück zum Waisenhaus. Mrs. Duncan ließ sich die kleine Kristina von Rebecca geben und brachte sie in den Aufenthaltsraum, wo die Kinder normalerweise zum Essen saßen, oder bei schlechtem Wetter lernten und spielten. Dort blickten Mayor Grant und Sheriff Carlsen sie genau an.

    „Wenn ihre schwarzen Haare nicht wären, würde ich ganz sicher sagen, dass sie kein Indianerkind ist. Aber die Haare sehen wirklich indianisch aus. Und auch die Augen sind dunkel wie bei den Indianern. Aber die Haut, sie sieht aus wie jemand aus dem nördlichsten Europa.", überlegte Mayor Grant nach ein paar Minuten.

    „Ja, die Hautfarbe irritiert auch mich, ich habe noch nie so helle Haut gesehen. Das ist ja fast wie ein Albino. Ich habe mal einen Mann gesehen, der war ein sogenannter Albino, aber er hatte rote Augen.", wusste Sheriff Carlsen.

    „Ich glaube nicht, dass sie ein Indianerkind ist, aber sicher bin ich mir nicht.", erklärte der Bürgermeister schließlich.

    Kristina hatte sie die ganze Zeit aus großen Augen angeblickt, als wüsste sie, dass hier etwas Wichtiges stattfand. Mrs. Duncan war fasziniert von diesem Baby, wie sie noch nie eines erlebt hatte. Sie würde Kristina auf jeden Fall hierbehalten. Der Sheriff entschied, dass er eine Vermisstenmeldung herausgeben und nach der Mutter suchen werde, war sich aber sicher, dass das wohl nichts bringen würde. Sie war schließlich bewusst vor dem Kinderheim ausgesetzt worden. Also war klar, dass dieses Mädchen das neue Kind von Mrs. Duncan wurde.

    2. Unfall am Fluss

    Kristina lachte. Sie hielt sich den Mund zu, damit die anderen Kinder ihr Lachen nicht hören konnten. Wo sie nun schon mitspielen durfte, da wollte sie sich nicht gleich verraten. Meist ließen die anderen Kinder sie links liegen. Doch heute hatten die beiden Anführer, der zehnjährige Lucas und der 14-jährige Steven, sie gefragt, ob sie mit ihnen Verstecken spielen wollte.

    Die achtjährige Kristina hatte sich im Wald unter eine Tanne gehockt und die Zweige so natürlich wie möglich um sich herum drapiert, damit sie nicht entdeckt wurde. Schon seit einigen Minuten suchten nun mehrere der anderen Heimkinder nach ihr. Nur zwei andere fehlten noch, Jessica und Eric. Die beiden waren offenbar auch noch versteckt. Der Wald nahe dem Waisenhaus bot sich für derartige Spiele an. Der Hügel, an dem das Haus angelehnt war, wurde von ihnen bepflanzt, die Sonne schien hell darauf und Obst und Gemüse wuchsen dort gut. Manchmal, wenn es wenig regnete, mussten sie Wasser aus dem Fluss holen und ihre Felder gießen. Noch waren die Früchte nicht reif, aber die Blätter und die Nadeln der verschiedenen Bäume sehr dicht. Bienen und Hummeln summten von Blüte zu Blüte, die Vögel zwitscherten fröhlich. Die ersten Früchte wuchsen bereits und es schien ein ertragreiches Jahr zu werden. Noch hatten sie kaum Arbeit damit, daher hatten sie Zeit zum Spielen.

    Das Haus selbst war zweistöckig, der Eingangsbereich etwas höher als der Boden auf dieser Seite, daher gab es eine Treppe mit zehn Stufen, damit es nach hinten hin noch über der Erde lag. In der unteren Etage gab es ein kleines Zimmer für Vorräte, eine Küche und den großen Speisesaal, dazu ein Zimmer, in dem die älteren Mädchen nähen und stricken konnten, damit sie alle genug zum Anziehen hatten. Die Jungen hatten im Keller einen Bereich, in dem sie Regale und andere Möbel zusammenbauten, meist unter Anleitung eines Mannes aus dem Ort. Im oberen Stockwerk waren die Schlafräume und das Bad untergebracht. Dort hielten sich die Kinder eigentlich nur nachts auf, denn die Schlafsäle waren sehr karg eingerichtet. Es gefiel niemandem so recht. Nur das Bad war warm, ansonsten war es relativ kühl im Haus, zumindest im Winter. Im Sommer war es so heiß, dass viele der Kinder nicht gut schlafen konnten.

    Die meisten Kinder fanden Kristina seltsam, sie sprach fast nie, dazu ihre dunklen Augen und Haare und die helle Haut. Doch sie bekam nie Sonnenbrand, auch wenn sie eigentlich die ganze Freizeit, die sie hatte, im Freien verbrachte. Sie liebte Tiere, brachte immer wieder verletzte Vögel oder Eidechsen mit ins Heim. Ein Rabe schien ihr sogar fast auf Schritt und Tritt zu folgen. Anfangs hatte Mrs. Duncan es ihr immer wieder verboten, doch Kristina hatte sich stets über das Verbot hinweggesetzt. Sie konnte einfach nicht anders, musste den Tieren helfen. Es tat ihr beinahe körperlich weh, wenn sie den Schmerz der Tiere sah.

    Da entdeckte Steven sie. Er schob die Zweige auseinander und klatschte Kristina ab. Lachend befreite sie sich aus ihrem Versteck. Ein wenig traurig war sie, dass sie gefunden worden war, hoffte aber, dass es noch weiter ging. Sie genoss die wenigen Tage, an denen sie mitmachen durfte und die Gemeinschaft sie aufnahm. Es war, als wäre sie ein Teil der Gemeinschaft.

    „Gut gemacht, ich hab dich nur gefunden, weil die Zweige anders waren als sonst. Das hier ist mein Lieblingsbaum!", erklärte Steven grinsend. Kristina war stolz auf das Lob. Sie war glücklich, dass sie einfach mittendrin sein durfte. Ein dankbares Lächeln traf Steven, der nicht anders konnte, als sie kurz in den Arm zu nehmen. Zusammen mit den anderen Kindern halfen sie nun, Jessica und Eric zu suchen. Kristina hatte eine Idee, dass sie sich in der kleinen verlassenen Höhle am Fluss versteckt haben könnten. Schnell lief sie mit Steven dorthin. Schon von weitem hörte sie ein Geräusch, das so nicht hierher passte. Sie blieb stehen und lauschte.

    Als Steven etwas sagen wollte, hob sie abwehrend die Hand und schloss die Augen, um sich noch mehr auf ihr Gehör zu konzentrieren. Nach einem Moment winkte sie Steven und lief voran, auf den Bach zu. Zwischen den Bäumen war es dämmrig, die mächtigen Kronen und das dichte Laub schluckten die Sonnenstrahlen. Die Ruhe hier genoss sie normalerweise, doch heute hatte sie keinen Blick dafür, es ging um zwei Kinder, die Angst aussandten, die in der Ruhe deutlich spürbar für Kristina war. Nur ein gelegentlicher Ruf eines Vogels war zu hören, und die Schritte der beiden Kinder. Kristina lief wie immer barfuß, trug nur eine ausgeblichene, helle Leggins und darüber eine Tunika in einem dunklen Gelb, die ihre zierliche Figur umspielte. Ihre Haare waren offen und fielen ihr in schwarzen Locken weit über den Rücken hinab bis fast zur Hüfte. Sie bewegte sich anmutig und beinahe lautlos durch den Wald. Steven hingegen trug alte Lederschuhe und seine Schritte waren deutlich schwerer. Er war groß für sein Alter, schon über 5,6 Fuß, und trug wie fast immer ausgeblichene Jeans, die ihm zu kurz waren, und ein dunkelblaues T-Shirt. Seine kurzen braunen Haare standen wild vom Kopf ab, egal was er tat. Die braunen Augen sprühten vor Lebensfreude.

    Auch er hatte fast sein gesamtes Leben im Waisenhaus verbracht, seine Eltern waren schon lange tot. Seine Mutter war im Kindbett am Fieber gestorben und sein Vater fiel den Kriegswirren zum Opfer. Mit knapp vier Jahren war er dann von dem Vorgänger des jetzigen Sheriffs zu Mrs. Duncan gebracht worden. Seitdem lebte er hier, da keine Verwandten gefunden worden waren. Er war einer der Wenigen, die Kristina akzeptierten. Der Vierzehnjährige wusste, dass sie ein unheimliches Gespür dafür hatte, wie es anderen ging. Daher kam es häufig vor, dass sie zu denen kam, denen es nicht gut ging, und versuchte, sie aufzumuntern. Doch einige der Kinder im Waisenhaus mochten das nicht. Sie kamen sich so durchschaut vor, oder sogar überwacht. Doch Kristina schien sich einfach nicht wohlzufühlen, wenn es negative Gefühle in ihrer Umgebung gab.

    Jetzt hielt das Mädchen an und bedeutete Steven, ebenfalls zu lauschen. Auch er konnte nun etwas hören, das wie Hilfeschreie klang, und es kam eindeutig vom Fluss. Er nickte Kristina zu und sie rannten dann auf die Rufe zu. Nach und nach konnte er die Stimme von Jessica erkennen. Sie hörte sich panisch an. Obwohl sie sechs Jahre jünger war, rannte Kristina ihm fast davon. Sie wusste anscheinend genau, wohin sie musste, ließ sich von ihren Instinkten leiten. Steven musste sich anstrengen, um ihr zu folgen, obwohl sie keine Schuhe trug und somit mehr auf ihren Weg achten musste als er.

    Zwei weitere Minuten später hatten sie den Fluss erreicht. Sie konnten Jessicas kinnlange rote Haare entdecken. Mitten im Fluss hing sie mit dem Bein unter einem Stein fest und nur ihr Kopf war noch über Wasser. Der Strudel um sie herum drohte, sie mit hinunterzuziehen, aber noch kämpfte sie. Eric konnten sie nirgendwo sehen, doch Kristina spürte, dass auch er hier sein musste. Steven stürzte sich sofort in das Wasser und lief vorsichtig auf Jessica zu. Beruhigend redete er auf sie ein, während er sich immer näher an sie herankämpfte. Die Kraft des Wassers war hier deutlich zu spüren, sie waren in der Nähe des Wasserfalles und konnten bereits den Sog fühlen. Als er etwa die halbe Strecke überwunden hatte, konnte er über den Stein sehen, unter dem Jessica feststeckte. Dort hing Eric, auch er schien sich nicht zu bewegen. Steven machte sich Sorgen, als einer der Älteren fühlte er sich verantwortlich für die jüngeren Kinder. Auch Mrs. Duncan erinnerte ihn regelmäßig daran, dass er Verantwortung übernehmen musste. Er wusste, sie machte das nicht gerne, aber es war nötig. Bald würde er sicherlich zum Militär gehen müssen, ihm blieben vielleicht noch zwei Jahre, maximal drei. Doch diese Gedanken schob er nun beiseite, er musste den beiden Verunglückten helfen.

    „Jessica, was ist mit Eric?", rief Steven dem Mädchen zu.

    „Er wollte über den Fluss, ist aber auf dem Stein ausgerutscht. Beim Sturz ist er mit dem Kopf aufgekommen und hat sich nicht mehr bewegt. Ich wollte nach ihm sehen und bin auch weggerutscht und jetzt stecke ich fest. Sei vorsichtig, Steven!, keuchte Jessica atemlos. Nach den Regenfällen in den letzten Tagen war das Wasser deutlich höher als sonst und die Strömung reißender. Obwohl es hier in Arizona heiß war, wirkte das Wasser immer eiskalt. Schritt für Schritt kämpfte sich Steven vorwärts, sich auf jeden Tritt konzentrierend. Er wollte verhindern, auch im Wasser zu landen, dann könnte er den beiden Unglücksraben nicht helfen. Das Wasser riss und zerrte an seinen Beinen, die Kälte machte seine Füße langsam aber sicher gefühllos. Dennoch ging er immer weiter, wenn auch langsamer. Er war eigensinnig, starrköpfig, aber dabei immer umsichtig. „Kristina!, rief er nach hinten. „Bitte hole Hilfe aus dem Heim oder dem Ort." Doch Kristina antwortete nicht. Es war zu still, aber Steven konnte nicht nachsehen.

    „Sie ist nicht mehr da, ist schon weggelaufen, als du ins Wasser bist.", erklärte ihm Jessica. Das wiederum verwunderte Steven sehr, kannte er Kristina doch als eine stets überlegende Person. Wieso lief sie einfach davon? Oder war sie selber auf die Idee gekommen, Hilfe zu holen? Das würde zu ihr passen, aber warum hatte sie dann nichts gesagt? Um ihn nicht abzulenken? Plötzlich fiel ihm im Augenwinkel eine Bewegung am anderen Ufer auf. Er blickte auf, als er einen festen Stand hatte, und sah sich Auge in Auge mit Kristina. Wie kam sie an das andere Ufer? Sie schien trocken zu sein, also nicht durch das Wasser.

    „Kristina, was tust du denn da? Wie kommst du da rüber? Lauf bitte und hole Hilfe!", befahl Steven.

    Kristina schüttelte energisch den Kopf. „Eric schafft es nicht bis dahin. Von hier aus kann ich an ihn herankommen.", antwortete sie mit ihrer sanften, ruhigen Stimme. Ja, sie war näher an Eric, die Steine, auf denen sich Jessica und Eric befanden, waren deutlich näher am anderen Ufer, doch er wollte nicht, dass Kristina sich in diese Gefahr begab. Sie war gerade mal acht Jahre alt, und er fühlte sich für sie in besonderem Maße verantwortlich. Ihr durfte einfach nichts passieren. Von Anfang an hatte er einen enorm starken Beschützerinstinkt gegenüber diesem Mädchen entwickelt. Sie kletterte inzwischen über die Steine und kam dabei Eric immer näher. Bisher hatte sie noch nicht einen Fuß ins Wasser gesetzt, aber gleich musste sie ein Stück überqueren, in dem sie keine Steine zum Klettern hatte. Kristina schob ihre Hosenbeine nach oben und setzte ihren rechten Fuß ins Wasser.

    „Sei vorsichtig!", bat Steven, als er sah, dass er sie nicht aufhalten konnte. Er hatte Angst um das seltsame Mädchen. Sie reagierte nie so, wie man dachte, war immer für eine Überraschung gut. Das war es, was die anderen Kinder abschreckte, warum sie nicht mit ihr umgehen konnten. Sie war einfach unberechenbar, dabei aber immer sanft und ruhig. Er hatte noch nie ein lautes Wort von ihr gehört.

    Dennoch wirkte sie gerade so sicher, als würde sie auf einer normalen Straße gehen. Sie setzte einen Fuß vor den anderen, ohne ihre Schritte erst lange abzuwägen. Mit einer unglaublichen Sicherheit fand sie die Stellen, auf denen sie sicher stehen konnte, und näherte sich dem bewusstlosen Eric, der glücklicherweise über Wasser lag, nur ab und zu von Spritzern getroffen wurde. Nach nur zwei Minuten war sie bei ihm angekommen, kniete sich auf den Stein neben seinem Kopf und begann, ihn mit den Händen vorsichtig abzutasten. Eric zuckte kurz zusammen und stöhnte, wachte aber nicht auf.

    „Sch, ganz ruhig., murmelte Kristina Eric zu. Sie legte ihm die Hand auf den Kopf und schloss die Augen. Ein paar Momente passierte gar nichts, dann schlug Eric die Augen auf. Verwirrt sah er sich um. „Wo bin ich? Was ist passiert?, fragte er.

    „Ganz ruhig, bleib liegen, du hast dir den Kopf ganz schön heftig angestoßen. Aber nicht wieder einschlafen, hörst du?, beruhigte ihn Kristina. Sie richtete sich auf. „Wir brauchen Hilfe, dass wir ihn in die Stadt bringen können. Er hat bestimmt eine Gehirnerschütterung, da kann er nicht laufen. Steven nickte zustimmend. Er war inzwischen bei Jessica angekommen und versuchte, ihr Bein zu befreien. Nach ein paar erfolglosen Versuchen ging er ein Stückchen um den Stein herum und probierte es an einer anderen Stelle nochmals. Diesmal schaffte er es unter Aufwendung aller seiner Kräfte, den großen Stein ein wenig zu bewegen, sodass Jessica ihr Bein hervorziehen konnte. Sie keuchte vor Schmerz auf, als das Blut wieder bis in den Fuß schoss. Steven half ihr hoch, doch sie konnte das rechte Bein, das eingeklemmt gewesen war, nicht belasten. Der Knöchel war verdreht, scheinbar gebrochen. Steven setzte sie erst einmal auf den Stein und überlegte, was sie nun machen sollten. Einer von ihnen musste Hilfe holen.

    „Kristina, bitte lauf zurück in die Stadt und alarmiere Sheriff Carlsen. Er wird sicher kommen und uns helfen. Du bist schneller als ich und besser orientiert. Aber beeile dich, das Wasser ist kalt und die Beiden sind komplett durchnässt. Ich werde sehen, dass ich sie hier raus bekomme und ein wenig aufwärme. Wie bist du eigentlich dort rüber gekommen?", sagte Steven.

    „Über den Baumstamm dort hinten!, erklärte Kristina und deutete nach rechts. „Der Rabe hat mir den Weg gezeigt.

    Etwa dreihundert Fuß flussaufwärts lag ein gefallener Baum quer über dem Fluss, auf dem ein Rabe saß und sie aus seinen dunklen Augen beobachtete. Kristina lief schon auf den Stamm zu und kletterte behände darüber. Als sie wieder am anderen Ufer war, winkte sie Steven kurz zu und rannte dann los, auf kürzestem Weg in die Stadt zurück. Nicht erst zum Waisenhaus, dort war im Moment wohl nur die Heimleiterin, die alleine konnte ihnen nicht helfen. Die beiden Frauen, die sonst halfen, waren mit zwei anderen Kindergruppen unterwegs auf einem Ausflug, sie wollten einige Hasen fangen, um sie im Waisenhaus zu halten, damit sie Fleisch bekamen. Nein, sie musste in die Stadt, dort gab es genügend Männer, die ihr helfen konnten. Sie wusste, dass die Stadt ein wenig weiter im Osten lag als das Waisenhaus und schlug die Richtung ein, die ihr richtig erschien. Es war nur ein Gefühl, aber sie ahnte, dass dies der kürzeste Weg war. Der Rabe flog über ihr und krächzte ab und zu, als wolle er ihr den Weg weisen.

    Doch sie spürte nach kurzer Zeit, dass sie nicht alleine war, jemand außer dem Raben war in ihrer Nähe. Und wer auch immer mit ihr hier unterwegs war, derjenige wusste, dass auch sie hier war. Weglaufen hatte keinen Sinn, also wartete Kristina ruhig. Nach nur wenigen Momenten erkannte sie, dass links hinter ihr jemand war, aber derjenige hielt sich im Schatten der Bäume. Das Mädchen drehte sich in die Richtung und hielt die offenen Hände vor sich. „Ich will niemandem etwas tun, ich suche nach Hilfe für zwei Freunde.", erklärte sie ruhig.

    Hinter den Bäumen kam nun langsam ein Mann hervor. Er hatte dunkle Augen, schwarze Haare, sein Gesicht und die bloßen Arme waren bronzefarben. Seine langen Haare waren von einem roten Tuch zusammengehalten. Er trug ausgefranste, lederne Hosen und ein verblichenes, früher mal rotes, T-Shirt. Die Füße waren nackt, genau wie Kristinas. Sein Gesicht zeigte keine Regung, aber seine Augen blickten warm auf das Mädchen, das vor ihm stand. Er musterte Kristina. Das junge Mädchen verwirrte ihn. Ihre Augen. Sie wirkten so viel älter als ihr Körper. Er schätzte sie auf sechs oder sieben Jahre. Auf den ersten Blick wirkte sie indianisch, so wie er, aber wenn man genauer hinsah, dann erkannte man, dass dies nur wegen ihrer dunklen Haare und Augen war. Sie wirkte so andersartig, fremd. Und doch irgendwie vertraut. Die Art, wie sie ihn ansah. Es erinnerte ihn an… Er riss sich aus seinen Gedanken. „Was ist mit deinen Freunden?", wollte er schließlich wissen.

    „Jessica und Eric sind am Fluss, Jessicas Bein war eingeklemmt, aber Steven konnte es befreien. Eric ist mit dem Kopf auf einen Stein geschlagen und war bewusstlos. Beide sind komplett durchnässt.", erzählte Kristina hektisch.

    „Zeig es mir."

    Kristina sah ihn nur kurz durchdringend an und lief dann voran zum Fluss. Sie spürte instinktiv, dass sie ihm vertrauen konnte. „Ich bin übrigens Kristina.", stellte sie sich noch vor.

    „Gaagi. Oder Raven.", war seine kurze Antwort.

    Nur Minuten später waren sie

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