Sophienlust 333 – Familienroman: Herumgeschubst und traurig
Von Anne Alexander
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"Guten Tag, ich bin mit einer Frau von Schoenecker verabredet", sagte der große, schlanke Mann, der eben die Halle des Kinderheimes Sophienlust betreten hatte. "Mein Name ist Holstein, Peter Holstein!" Fragend blickte er Schwester Regine an. "Ich komme doch nicht zu früh?" "Nein, Herr Holstein, Frau von Schoenecker erwartet Sie bereits", erwiderte die junge Kinder- und Krankenschwester und stellte sich ebenfalls vor. "Wenn Sie mir bitte folgen würden!" Sie machte eine einladende Geste. "Ist Besuch gekommen, Schwester Regine?" Die kleine Heidi polterte die Treppe herab. "Für wen ist denn Besuch gekommen?" Einen Finger im Mund, blieb sie vor Peter Holstein stehen. "Sind Sie Dieters Vati?" "Leider nicht, kleines Fräulein!" Peter, der es eben noch sehr eilig gehabt hatte, beugte sich zu dem kleinen blonden Mädchen hinab. "Wie heißt du denn?" "Heidi Holsten", gab die Fünfjährige bereitwillig Auskunft. "Und Sie?
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Sophienlust 333 – Familienroman - Anne Alexander
Sophienlust
– 333 –
Herumgeschubst und traurig
Das Glück währte nur kurz...
Anne Alexander
»Guten Tag, ich bin mit einer Frau von Schoenecker verabredet«, sagte der große, schlanke Mann, der eben die Halle des Kinderheimes Sophienlust betreten hatte. »Mein Name ist Holstein, Peter Holstein!« Fragend blickte er Schwester Regine an. »Ich komme doch nicht zu früh?«
»Nein, Herr Holstein, Frau von Schoenecker erwartet Sie bereits«, erwiderte die junge Kinder- und Krankenschwester und stellte sich ebenfalls vor. »Wenn Sie mir bitte folgen würden!« Sie machte eine einladende Geste.
»Ist Besuch gekommen, Schwester Regine?« Die kleine Heidi polterte die Treppe herab. »Für wen ist denn Besuch gekommen?« Einen Finger im Mund, blieb sie vor Peter Holstein stehen. »Sind Sie Dieters Vati?«
»Leider nicht, kleines Fräulein!« Peter, der es eben noch sehr eilig gehabt hatte, beugte sich zu dem kleinen blonden Mädchen hinab. »Wie heißt du denn?«
»Heidi Holsten«, gab die Fünfjährige bereitwillig Auskunft. »Und Sie? Wie heißen Sie?«
Peter machte eine übertrieben tiefe Verbeugung. »Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle? Mein Name ist Peter Holstein!« Heidi kicherte. »›Sie‹ hat noch nie jemand zu mir gesagt!« Es klang sehnsüchtig. »Wenn ich einmal groß bin, müssen alle Leute zu mir ›Sie‹ sagen!« verkündete sie. Dann legte sie das Köpfchen schief. »Holstein klingt fast wie Holsten«, stellte sie fest.
»Erraten, kleines Fräulein«, erwiderte Peter amüsiert. »Es fehlt nur im letzten Teil des Namens das i.«
»Haben Sie ein Kind?« fragte Heidi.
»Ja, einen kleinen Buben. Er heißt Tobias!«
»Wie alt ist er?« wollte Heidi wissen. »Kann ich mit ihm spielen? Aber er darf nicht so groß sein. Die Großen müssen immer zur Schule gehen, und dann machen sie Schularbeiten. Sie haben einfach nie Zeit!« Das kleine Mädchen zog eine Schnute.
»Tobias ist zehn Monate alt«, verriet Peter.
»Noch so klein!« staunte Heidi.
»So, Heidi, jetzt hast du aber genug gefragt«, meinte Schwester Regine freundlich. »Weißt du, Tante Isi wartet auf Herrn Holstein, und wir wollen sie doch nicht warten lassen.«
»Wollen wir nicht!« bestätigte Heidi. Zutraulich griff sie nach Peters Hand. »Wenn Tante Isi bald mit ihrer Arbeit fertig ist, dann spielt sie bestimmt noch mit mir«, verriet sie, laut flüsternd. »Darf ich mitkommen, wenn Sie mit Tante Isi sprechen?«
»Die Kinder nennen Frau von Schoenecker Tante Isi«, erläuterte Schwester Regine. Sanft löste sie Heidis Händchen aus Peters Finger. »Ab mit dir, Heidi! Schneeweißchen und Rosenrot warten bestimmt schon auf dich. Wolltest du nicht Justus helfen, wenn er den Käfig der Kaninchen sauber macht?«
»Dann lauf ich aber!« Heidi rannte aus der Halle. Sie war schon auf der Freitreppe, als sie noch einmal zurückkam und ihren Kopf durch das Portal steckte. »Wiedersehen, Herr Holstein!« rief sie.
»Wiedersehen, Heidi!« Peter Holstein winkte der Kleinen lächelnd nach. »Ein reizendes Kind«, meinte er.
»Sie haben Kinder wohl sehr gern?« sagte Schwester Regine und revidierte in Gedanken die Meinung, die sie sich anfangs von Peter Holstein gebildet hatte. Er war ihr wie einer dieser eiligen Geschäftsleute erschienen, die ihr Kind nur möglichst rasch und reibungslos versorgt haben wollten.
»Ja, sehr gern«, antwortete Peter Holstein. »Wenn wir jetzt zu Frau von Schoenecker gehen könnten…«
»Natürlich!«
Denise von Schoenecker, die Verwalterin des Kinderheimes, empfing den jungen Mann im büroähnlichen Empfangszimmer. Sie saß hinter dem riesigen Schreibtisch von Frau Rennert, der Heimleiterin, und sah gerade einige Akten durch. Zuvorkommend stand sie auf und ging dem Besucher entgegen, als er mit Schwester Regine das Büro betrat. Freundlich begrüßte sie ihn.
»Mit einem Ihrer Zöglinge habe ich schon Bekanntschaft geschlossen«, sagte Peter Holstein, nachdem er Platz genommen hatte und Schwester Regine wieder hinausgegangen war. »Einem entzückenden kleinen Mädchen namens Heidi.«
Denise von Schoenecker lächelte. »Heidi ist ein richtiger kleiner Sonnenschein. Sie hat uns schon viel Freude gemacht.«
»Ist sie in Pflege bei Ihnen oder für ständig hier?« erkundigte sich Peter. Er hatte gehört, daß in Sophienlust auch Kinder lebten, die nicht weitervermittelt wurden.
»Sie gehört zu unseren Dauerkindern«, antwortete Denise. »Das heißt sie wird bei uns bleiben, bis sie erwachsen ist.« Forschend sah sie den jungen Mann an. »Sie schrieben in Ihrem Brief, daß sie Ihren Sohn nur kurzfristig bei uns unterbringen möchten.«
»Ich hoffe, es ist nur für einige Wochen«, sagte Peter. Er lachte. »Ich habe keineswegs vor, aus Tobias eines Ihrer Dauerkinder zu machen. Dazu habe ich ihn viel zu lieb. Ich würde niemals auf ihn verzichten.« Er griff in seine Jackentasche und zog eine Farbfotografie heraus. »Das ist Tobias!« Stolz reichte er Denise das Foto.
»Was für ein herziges Kerlchen!« Denise konnte ihren Blick nicht von dem Foto wenden.
Tobias saß auf einem Sessel. Er hatte dicke Pausbäckchen und große dunkle Augen, die interessiert in die Welt schauten. Er trug ein rotes Höschen, ein kariertes Hemd und einen riesigen roten Hut. Im rechten Arm hielt er einen weiß-schwarzen Stoffhund, der fast genauso groß war wie er selbst.
»Er ist so lieb, wie er ausschaut«, sagte Peter Holstein. Der ganze Stolz eines Vaters sprach aus ihm. »Glauben Sie mir, Frau von Schoenecker, wenn es eine Möglichkeit gäbe, Tobias während der nächsten Wochen zu versorgen, ich würde ihn nicht weggeben.« Nervös strich er sich durch seine braunen Haare.
»Tobias wird es bei uns gut haben«, versprach Denise von Schoenecker. »Schwester Regine, die Sie hereingeführt hat, ist ausgebildete Kinder- und Krankenschwester. Bei ihr wird Ihr Sohn in den besten Händen sein.«
»Davon bin ich überzeugt«, erwiderte der junge Mann. »Ich habe bisher nur Gutes über Sophienlust gehört. Andernfalls hätte ich mich auch nicht an Sie gewandt.« Er steckte das Foto in die Jackettasche zurück.
»Ich brauche jetzt noch einige Angaben von Ihnen, Herr Holstein«, sagte Denise. »Sie wissen, der übliche Bürokram!« Sie griff nach einer Karteikarte.
»Eines Tages ersticken wir noch in Karteikarten«, meinte der junge Mann lachend und machte die geforderten Angaben über sich und seinen Sohn.
»Sie sind Witwer?«
Peter Holstein nickte. »Ja, meine Frau kam kurz nach Tobias’ Geburt bei einem Autounfall ums Leben.« Sein Gesicht verschattete sich. »Es geschah auf der Autobahn«, sagte er. »Carola saß am Steuer unseres Wagens. Wir waren bei Freunden gewesen, und ich hatte etwas getrunken. Deshalb fuhr Carola. Einer dieser Geisterfahrer kam uns entgegen. Meine Frau konnte nicht mehr ausweichen.«
»Schrecklich!«
»Ja, das war es auch!« Peter Holstein seufzte auf. »Ich habe meine Frau über alles geliebt. Wir hatten erst ein Jahr zuvor geheiratet, und da stand ich nun mit einem drei Wochen alten Jungen. Meine Schwester gab ihren Beruf auf und zog zu mir. Aber natürlich konnte es auf die Dauer nicht so weitergehen.«
»Sie schrieben mir, daß ihre Schwester nach England heiratet.« Denise von Schoenecker hob den Kopf.
»Eigentlich wollten David und Silvia schon vor fünf Monaten heiraten, aber wegen Tobias hatten sie die Hochzeit verschoben. Doch jetzt muß David unbedingt nach England zurück, und er möchte Silvia mitnehmen, was ich nur zu gut verstehen kann. Glauben Sie mir, ich habe mich während der letzten Wochen redlich bemüht eine Haushälterin zu finden, aber alle Damen, die sich meldeten, konnten nicht mit Kindern umgehen. Ich möchte nicht eine x-beliebige Person in mein Haus aufnehmen. Es soll jemand sein, der Tobias die Mutter ersetzen kann.«
Denise gefiel der junge Mann mit jeder Minute mehr. Sie trank noch eine Tasse Kaffee mit ihm, dann zeigte sie ihm das Kinderheim.
Peter Holstein stellte eine Menge Fragen. Man merkte ihm an, wie sehr ihm das Wohl seines Sohnes am Herzen lag.
»Und ich kann Tobias jederzeit besuchen?« erkundigte er sich, als er schon in seinen Wagen einsteigen wollte.
»Jederzeit, Herr Holstein«, versicherte die Gutsbesitzerin. »Uns ist es natürlich lieber, wenn Sie vorher anrufen, aber es muß nicht unbedingt sein. Falls Tobias bei Ihrer Ankunft gerade ausgefahren wird, müßten Sie eben etwas warten.«
»In Ordnung!« Peter ergriff Denises Hand. »Herzlichen Dank, Frau von Schoenecker. Ich bin überzeugt, daß mein Sohn bei Ihnen gut aufgehoben ist.« Er ließ sich hinter das Steuer fallen.
»Herr Holstein, warten Sie!« Heidi jagte die Freitreppe herab auf den Parkplatz zu. Nach Luft japsend blieb sie vor Peter stehen. Sie lehnte sich an die offene Wagentür.
»Na, was willst du denn, Heidi?« fragte Peter und zog die Kleine leicht an beiden Rattenschwänzen.
»Wann kommt denn Ihr Tobias?«
»Nächste Woche, Heidi«, sagte Peter. »Und weißt du, er wird jedem Kind von Sophienlust etwas mitbringen.«
»Was denn?« Heidis Augen strahlten.
»Wird nicht verraten«, scherzte der junge Mann und zwinkerte Denise zu. »So, und nun muß ich fahren. Ich habe heute noch einiges zu erledigen.« Er stupfte leicht auf Heidis Näschen.
»Ich mag Sie sehr gern!« Heidi beugte sich vor und küßte ihn. »Ganz schrecklich gern!«
»Ich dich auch, Heidi!« Der Geschäftsmann tätschelte die Wange der Kleinen. »So, aber jetzt muß ich wirklich fahren. Ich muß noch einen Kunden besuchen, und es ist schon ziemlich spät.«
»Wiedersehen, Herr Holstein!« Heidi gab brav die Hand und trat zurück. Sie schmiegte sich