Mami hat einen neuen Chef: Mami 1984 – Familienroman
Von Lisa Simon
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Über dieses E-Book
Wie betäubt starrte Doris Siebrecht die beiden Polizisten an, die verlegen vor ihr standen und gerade erklärt hatten, daß Edgar bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war. »Sie müssen sich irren«, hauchte sie schließlich mit fremder Stimme. »Mein Mann ist ein äußerst umsichtiger Autofahrer.« Die beiden Männer wechselten einen vielsagenden Blick. Einer der Beamten räusperte sich und erwiderte sanft: »Ihr Mann hatte keine Schuld an dem Unfall. Ein anderer hat ihm die Vorfahrt genommen...« Kraftlos ließ sich Doris in den nächsten Sessel fallen. Die Polizisten schickte sie fort, sie wollte niemanden sehen. Zum Glück schliefen der achtjährige Tim und die vierjährige Sabine, kurz Bienchen genannt, bereits. Doris hätte nicht gewußt, wie sie ihren Kindern erklären sollten, daß ihr Papa niemals wieder kommen würde. Sie schluckte. Noch konnte sie nicht weinen, noch weigerte sich ihr Verstand, die traurige Wahrheit aufzunehmen. Flüchtig dachte sie an den Abschied von Edgar am Morgen. Wie immer hatte sich das Ehepaar mit einem zärtlichen Kuß getrennt, bevor Edgar zur Arbeit gefahren war. Nichts hatte darauf hingewiesen, daß dieser Tag alles verändern würde. Ein anderer Autofahrer hatte Edgar die Vorfahrt genommen und mit seiner Unvorsicht eine glückliche Familie zerstört. Doris schluchzte, und endlich konnte sie weinen. Sie blieb die ganze Nacht im Wohnzimmer sitzen, an Schlaf war ohnehin nicht zu denken. Erst im Morgengrauen schleppte sie sich zum Telefon, um Eltern und Schwiegereltern zu informieren.
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Mami hat einen neuen Chef - Lisa Simon
Mami
– 1984 –
Mami hat einen neuen Chef
… und wir haben endlich keine Sorgen mehr
Lisa Simon
Wie betäubt starrte Doris Siebrecht die beiden Polizisten an, die verlegen vor ihr standen und gerade erklärt hatten, daß Edgar bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war.
»Sie müssen sich irren«, hauchte sie schließlich mit fremder Stimme. »Mein Mann ist ein äußerst umsichtiger Autofahrer.«
Die beiden Männer wechselten einen vielsagenden Blick. Einer der Beamten räusperte sich und erwiderte sanft: »Ihr Mann hatte keine Schuld an dem Unfall. Ein anderer hat ihm die Vorfahrt genommen...«
Kraftlos ließ sich Doris in den nächsten Sessel fallen. Die Polizisten schickte sie fort, sie wollte niemanden sehen. Zum Glück schliefen der achtjährige Tim und die vierjährige Sabine, kurz Bienchen genannt, bereits. Doris hätte nicht gewußt, wie sie ihren Kindern erklären sollten, daß ihr Papa niemals wieder kommen würde. Sie schluckte. Noch konnte sie nicht weinen, noch weigerte sich ihr Verstand, die traurige Wahrheit aufzunehmen. Flüchtig dachte sie an den Abschied von Edgar am Morgen. Wie immer hatte sich das Ehepaar mit einem zärtlichen Kuß getrennt, bevor Edgar zur Arbeit gefahren war. Nichts hatte darauf hingewiesen, daß dieser Tag alles verändern würde.
Ein anderer Autofahrer hatte Edgar die Vorfahrt genommen und mit seiner Unvorsicht eine glückliche Familie zerstört. Doris schluchzte, und endlich konnte sie weinen.
Sie blieb die ganze Nacht im Wohnzimmer sitzen, an Schlaf war ohnehin nicht zu denken. Erst im Morgengrauen schleppte sie sich zum Telefon, um Eltern und Schwiegereltern zu informieren.
*
Bienchen begriff noch nicht die ganze Tragweite des Geschehens, doch Tim war alt genug, um zu verstehen, daß der Vater tot war. Der ansonsten aufgeweckte Junge wurde still und konnte sich nicht mehr auf die Schule konzentrieren. Natürlich hatten die Lehrer Verständnis für seine Situation, doch Doris brach es fast das Herz, wenn der Junge mit bleichem Gesicht lustlos im Essen herumstocherte.
Nur mit Grausen konnte Doris an die Beerdigung, die Fragen der Polizei und Versicherungen denken. Für sie war es ein Hohn, daß der betrunkene Unfallverursacher mit dem Schrecken davon gekommen war und noch nicht einmal einen Führerschein besaß. Der Wagen, den er gefahren hatte, war nicht angemeldet und somit nicht versichert.
Was das für Doris bedeutete, sollte sie wenig später erfahren. Ihr wurde lapidar mitgeteilt, daß sie keinerlei finanzielle Ansprüche erheben konnte, da die eigene Versicherung sich weigerte zu zahlen. Sicher, der andere Fahrer würde mit einer hohen Gefängnisstrafe rechnen müssen, und man könnte ihn auf Zahlung verklagen – aber Doris wußte genau, daß sie von diesem Mann nie einen Pfennig bekommen würde.
Als Doris den Bescheid über die Witwenrente bekam, hätte sie fast gelacht. Da Edgar noch recht jung gewesen war, fiel die Rente so mager aus, daß sie gerade zur monatlichen Tilgung des Darlehens für das Reihenhäuschen reichte.
Voller Stolz hatten die Siebrechts erst zwei Jahre zuvor das Haus bezogen. Im Gegensatz zu der engen Mietwohnung bekamen die Kinder hier ihre eigenen Zimmer, und in dem kleinen Garten konnten sie nach Herzenslust spielen.
Mit Tränen in den Augen dachte Doris daran, wie glücklich sie und Edgar sich in den Armen gelegen hatten, nachdem sie eingezogen waren. Sie wähnten sich auf dem Höhepunkt ihrer Träume und verschwendeten nicht einen Gedanken daran, wie schnell sich das Glück in einen Alptraum verwandeln konnte.
»Was hast du jetzt vor?« fragte Chrissy, eine Nachbarin, mit der sich Doris angefreundet hatte. »Von dem Geld, das dir zusteht, wirst du deine Kinder nicht ernähren können.«
Hilflos hob Doris die Schultern. »Ich habe nicht die geringste Ahnung, doch es wird mir nichts anderes übrig bleiben, als das Haus zu verkaufen.«
»Das kannst du doch deinen Kleinen nicht antun! Erst verlieren sie auf solch brutale Weise ihren Vater und dann auch noch ihr Zuhause!«
Doris holte tief Luft. »Weißt du eine bessere Lösung? Von dem Mann, der Edgar auf dem Gewissen hat, habe ich nichts zu erwarten, und die Behörden helfen mir auch nicht.«
Chrisy musterte die Freundin aufmerksam. »Und wenn du dich an das Sozialamt wendest? Sieh mich nicht so empört an; für viele Frauen in deiner Situation ist das der letzte Ausweg.«
»Niemals werde ich zum Bittsteller!« entgegnete Doris heftig. »In meinem ganzen Leben habe ich nie um etwas betteln müssen, und das wird sich auch nicht ändern!«
Chrissy schüttelte den Kopf. »Dein Stolz ist hier aber fehl am Platze. Schließlich mußt du an Tim und Bienchen denken, sie brauchen nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch zu essen und trinken.«
Nachdenklich betrachtete Doris ihre Hände, die sie im Schoß gefaltet hielt. Vielleicht hatte Chrissy gar nicht so unrecht – weshalb sollte sie nicht den einzigen Ausweg wählen, der ihr blieb, wenn er noch so unangenehm war?
*
»Ich kann leider nichts für Sie tun«, sagte die hagere Beamtin mit unbeweglichem Gesicht. »Solange Sie Eigentum besitzen, gibt es von uns keine Unterstützung.«
»Aber das Haus gehört zum größten Teil der Bank, und zwar für die nächsten zwanzig Jahre«, widersprach Doris schwach. »Selbst, wenn ich es verkaufe, sehe ich vom Erlös nicht eine Mark.«
Die Frau schob Doris mit spitzen Fingern den Rentenbescheid über die abgegriffene Schreibtischplatte. »Wenn Sie sich eine preiswerte Wohnung suchen und sparsam leben, sollten sie eigentlich mit Ihrer Rente zurecht kommen. Andere Menschen müssen mit wesentlich weniger Geld auskommen. Außerdem können Sie arbeiten gehen.«
Wütend stand Doris auf. »Was wissen Sie denn? Haben Sie eine Vorstellung davon, wie schwer es für eine alleinerziehende Mutter ist, eine Stelle zu bekommen?«
»Dann müssen Sie sich eben an das Arbeitsamt wenden.« Die Beamtin blickte auf ihre Uhr. »Draußen warten noch eine ganze Menge Leute, die mich sprechen wollen...«
»Schon gut, ich habe verstanden.« Doris steckte ihre Unterlagen in die Tasche. »Solange man brav seine Steuern zahlt, ist man gut genug – aber wehe, man möchte mal etwas vom Staat haben!«
»Guten Tag, Frau Siebrecht.«
Ohne Antwort stürzte Doris aus dem Amtszimmer, es störte sie nicht, daß man sie verwundert musterte, als sie mit Tränen der Wut aus dem Gebäude eilte.
*
»Die können dich doch nicht so einfach abwimmeln!« rief Chrissy entrüstet. »Du hast ein Recht auf Hilfe!«
Hart lachte Doris auf. »Wie du siehst, habe ich kein Recht. Denen ist es doch völlig egal, ob meine Kinder hungern müssen.«
Chrissy sprang entsetzt auf, als ihre Freundin schluchzend die Hände vor das Gesicht schlug. Doris und Edgar hatten eine überaus glückliche Ehe geführt, und Chrissy wußte, wie sehr Doris unter dem Verlust ihres Mannes litt. Vor Tim und Bienchen beherrschte sie sich einigermaßen, aber nun
schien die Verzweiflung so groß zu sein, daß sie nicht mehr an sich halten konnte, obwohl die Kinder in ihren Zimmern ihre Mutter weinen hören konnten.
Liebevoll umarmte Chrissy die junge Witwe. Wie gern hätte sie ihr etwas von dem Schmerz und der Hilflosigkeit abgenommen! Doch das war unmöglich.
*
Mit großen Augen sah