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Rette mein Paradies
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eBook286 Seiten4 Stunden

Rette mein Paradies

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Über dieses E-Book

Südstaaten, 1863: Ein Feuer der Yankees verwüstet Shannas Baumwollplantage! Allein die zärtliche Liebe des Südstaaten-Offiziers Rafe Amberville vermag ihre bitteren Tränen jetzt zu trocknen. Doch dessen grausamer Stiefbruder schmiedet einen Plan. Er will Rafe nicht nur das Familienanwesen entreißen, sondern auch Shanna...

SpracheDeutsch
HerausgeberCORA Verlag
Erscheinungsdatum1. Aug. 2015
ISBN9783733764005
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    Buchvorschau

    Rette mein Paradies - Valentina Luellen

    IMPRESSUM

    Rette mein Paradies erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

    © by Valentina Luellen

    Originaltitel: „One Love"

    erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London

    Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

    © Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL

    Band 66 - 1994 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg

    Abbildungen: Harlequin Books S.A.

    Veröffentlicht im ePub Format in 04/2015 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

    E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

    ISBN 9783733764005

    Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

    CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

    Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:

    BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY, CORA CLASSICS

    Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de

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    1. KAPITEL

    In weniger als einer Stunde wird es ein Gewitter geben, dachte Shanna, als sie aus dem Fenster blickte. In der Ferne zuckte bereits ein greller Blitz über den schwarzen Himmel. Sie hasste diese Gewitter im Frühsommer … wenn das Grollen des Donners durchs Haus hallte, die Kristallprismen der Lüster klirrten und die Fensterläden klapperten. Sie zuckte jedes Mal zusammen, wenn ein Blitzstrahl bis in den letzten Winkel der Zimmer vordrang, als wolle er nach ihr greifen.

    Heute war es den ganzen Tag über schon schwül gewesen. Von den Reisfeldern und den dahinter liegenden Sümpfen, wohin sich Shanna noch nicht vorgewagt hatte, war die feuchtwarme Luft herübergezogen und hatte ihre ganze Energie aufgezehrt.

    Allerdings besaß sie davon zurzeit sehr wenig. Kurz nachdem sie vom Tod des geliebten Vaters erfahren hatte, war sie völlig zusammengebrochen. Erschreckend langsam war sie wieder zu Kräften gekommen. Erst jetzt, nach mehreren Woche Ruhe, wich die Schwäche aus den Gliedmaßen. Sie hatte keine Ahnung, was aus ihr geworden wäre, wenn Alexander Amberville, ein enger Freund der Familie, sie nicht in die Ruhe seines friedlichen Heims gebracht hätte.

    Shanna hatte erfahren, was es hieß, allein und schutzlos feindlichen Soldaten im Haus preisgegeben zu sein, als die Nordstaatler wie die Vandalen eingefallen waren und alles zerstörten und niedermachten. Keine Frau war vor ihnen sicher gewesen, die das Unglück gehabt hatte, in ihre Nähe zu geraten. Niemals wollte Shanna wieder einen derartigen Albtraum erleben.

    Hier in South Carolina schienen die Schrecken des Krieges so unwirklich zu sein. Das Land war friedlich, da die Truppen der Konföderierten alles unter Kontrolle hatten. Ja, hier würde sie im Lauf der Zeit gesunden und wieder zu Kräften kommen. Da war sie ganz sicher. Aber was würde sein, wenn der Krieg vorüber war? Shanna wollte darüber nicht nachdenken. Sie hatte kein Heim mehr, in welches sie zurückkehren konnte, keine Familie. Außer Tante Lea, der treu ergebenen Mulattin, welche seit ihrer Kindheit zu ihrem Leben gehörte, hatte sie niemanden mehr … und besaß nichts mehr außer einem tiefen, brennenden Hass auf die Soldaten in den blauen Uniformen, welche ihr alles und alle, die sie je geliebt hatte, genommen hatten.

    Shanna zog die Vorhänge vor die Fenster, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass diese fest geschlossen waren. Dann drehte sie sich um und betrachtete sich in dem hohen Pilasterspiegel neben der Frisierkommode. Bei dem Anblick verzog sie schmerzlich das Gesicht. Mit fast durchsichtiger Hand strich sie sich prüfend durch das lange Haar, welches über das Morgenkleid bis zur Taille herabfiel. Früher war ihr die schwarze Haarpracht, glänzend wie Rabenschwingen, wie eine seidige Kaskade über den Rücken gefallen, doch jetzt war alles glanzlos und strähnig. Auch die Haut war während der langen Krankheit matt und bleich geworden. Sie sah schrecklich aus! Wie ein Gespenst!

    Die großen grauen Augen, welche Shanna von ihrer Mutter geerbt hatte, verdunkelten sich vor Verzweiflung, als sie ihr Spiegelbild betrachtete. Wie sehr hatte sie sich verändert!

    Shanna verließ selten ihr Zimmer. Doch als es wärmer geworden war, hatte sie öfters auf dem Balkon gesessen. Dann brachte ihr Tante Lea auf einem Tablett etwas zu essen. Allerdings ließ sie meist alles fast unberührt stehen. Es gab jedoch auch Tage, an denen die Sonnenwärme ihr Gesicht aufleben ließ. Dann versprach sie sich, am nächsten Tag einen Ausritt zu wagen. Shanna war eine hervorragende Reiterin, und Alexander Amberville hatte ihr angeboten, sich von seinen prächtigen Pferden, meist Arabern, ein Tier auszuwählen.

    Doch es gab auch immer wieder Tage, an denen sie die Augen geschlossen hielt und das Buch auf ihrem Schoß ungeöffnet blieb. Dann wanderten ihre Gedanken zurück zum Herrenhaus der Plantage in Baton Rouge. Der Ansturm der Erinnerung brachte eine Tränenflut und Wut auf diesen sinnlosen, blutigen Krieg, welcher Familien zerriss und Bruder gegen Bruder kämpfen ließ. Danach fühlte sie sich nur noch einsamer und verlassener.

    Shanna war keineswegs arm. Tatsächlich hatte sie nach dem Tod ihres geliebten Vaters den gesamten Familienbesitz geerbt, welcher beträchtlich sein musste. Aber bis jetzt hatte sie es noch nicht über sich gebracht, nach Savannah zu fahren und herauszufinden, wie reich sie wirklich war. Spielte es denn noch eine Rolle? Was nützte ihr Geld? Sie konnte damit ihr Heim wieder aufbauen, falls die Yankees etwas stehen gelassen hatten, jedoch wozu? Um dort allein mit Tante Lea zu leben? Allein mit nichts als Erinnerungen? Nein, eine derartige Existenz fasste sie nicht ins Auge.

    Shanna würde niemals heiraten; denn sie hatte keine Liebe mehr, welche sie hätte verschenken können. Der junge Mann, mit dem sie verlobt gewesen war, wurde in den Krieg geschickt. Er ging mit tapferem Lächeln und einer Umarmung. Er war ein Teil ihres bisherigen, unbeschwerten Lebens gewesen. Wie bei den guten Familien in New Orleans üblich, hatte man die Heirat arrangiert, als sie erst zwölf gewesen war. All die Jahre, in denen sie sich auf ein Leben als Ehefrau und Mutter vorbereitet hatte, waren binnen zweier Monate zunichte gemacht worden. Der erste Schmerz über diesen Verlust war kaum gelindert, als ihr Bruder im folgenden Jahr ebenfalls sein Leben für den Süden gab.

    Der Tod hatte alle Mitglieder der Familie der de Lancel nacheinander ereilt! Diesen Furcht einflößenden Gedanken konnte Shanna nicht aus dem Kopf vertreiben. Er peinigte sie Tag für Tag, Nacht für Nacht. Jetzt hatte er auch ihren Vater geholt. Wann war sie an der Reihe?

    „Es ist vorbei, Kind. Glaubst du etwa, Tante Lea lässt zu, dass dir irgendetwas Böses geschieht? Habe ich nicht für dich in Baton Rouge gesorgt? Und in New Orleans?"

    Ein leises Lächeln huschte über Shannas blasse Wangen, als sie sich zu der Frau umdrehte, welche leise das Zimmer betreten hatte. Wie lange hatte Tante Lea schon da gestanden und sie beobachtet? Shanna wusste nur selten, was hinter diesen tiefschwarzen Augen vorging, welche ihr bis in die Seele schauen konnten.

    „Ich bin nicht allein, nicht wahr, Lea? Nie werde ich allein sein, solange du bei mir bist", sagte sie. Ihre Lippen bebten, wenn sie daran dachte, was sie seit ihrer Flucht aus New Orleans alles durchgemacht hatten. Tante Lea hatte sie dort vor den Yankee-Soldaten gerettet und später noch einmal auf der Plantage außerhalb von Baton Rouge, als der Trupp über den Rasen und durch die Gärten geritten war und sich Eingang ins Herrenhaus verschafft hatte. Wie hatten die Yankees gelacht, als sie feststellten, dass die Plantage nur von zwei Frauen und einer Handvoll Neger verteidigt wurde. Die Hälfte der Dienerschaft war beim Anblick der blauen Uniformen sofort weggelaufen. Tante Lea hatte für Shanna getötet. Wenn nicht, hätte sie diesen grauenvollen Tag wohl kaum überlebt.

    Die Mulattin nahm Shanna liebevoll in die Arme. Man hatte sie ins Heim der de Lancels gebracht, als sie zwanzig war. Das zitternde Mädchen in ihren Armen war damals zehn Jahre alt gewesen. Zwei Jahre später war Shannas Mutter gestorben. Danach war Lea Shannas ständige Begleiterin, Ratgeberin und Vertraute geworden.

    In den zehn Jahren ist Tante Lea überhaupt nicht gealtert, dachte Shanna, als sie jetzt ins Gesicht der Farbigen blickte. Keine Falte, kein Fleck verunstaltete die honigfarbene glatte Haut in dem lieben Gesicht. Lea trug eine leuchtend rote Bluse und einen ebensolchen eng anliegenden langen Rock, dazu Sandalen an den nackten Füßen. Das glänzende mahagonifarbene Haar steckte unter einem weißen Tuch, das vorn über der Stirn zu einem Knoten geschlungen war.

    Vielleicht stimmte es sogar, obwohl die Diener darüber nur zu flüstern wagten: Lea sei die Tochter einer Voodoo-Priesterin und habe das Geheimnis ewiger Jugend von ihrer Mutter erlernt. Lea verstand so viel von Heilkunst und war so weise, dass Shanna dieses Gerücht immer für wahr gehalten hatte.

    „Die Dunkelheit weicht dem hellen Tag. Lange, schlanke Finger strichen über Shannas Wange. Wie immer tröstete sie diese Berührung. „Es ist an der Zeit, dass du ein neues Leben beginnst. Du kannst die Vergangenheit nicht ungeschehen machen; aber jetzt musst du wieder anfangen zu leben – für dich!

    „Ja. Shanna akzeptierte die Weisheit dieser Worte, welche die Mulattin ihr während der vergangenen Woche jeden Tag gesagt hatte. „Ich war wirklich ein schlechter Gast. Was müssen die Ambervilles nur von mir denken?

    „Ab morgen wird alles anders, ma petite. Jetzt hole ich dir einen guten Kräutertrank, damit du schläfst. Morgen früh fangen wir ein neues Leben an, n’est-ce pas?"

    „Ja, Tante Lea. Morgen", versprach Shanna.

    Shanna wurde von einem Donnerschlag aus tiefem Schlaf gerissen. Trotz der geschlossenen Vorhänge konnte sie den darauf folgenden grellen Blitz sehen, der den Raum sekundenlang in ein fahlgelbes Licht tauchte. Das Gewitter tobte mit voller Macht. Sie zitterte und setzte sich auf. Dann schlang sie die Arme um die Knie. Solange das Unwetter nicht vorbei war, würde sie nicht mehr einschlafen können. Sie versuchte sich zu entspannen; aber es war unmöglich. Irgendwo unten schlug ein Fensterladen gegen die Wand. Das alte Haus stöhnte und ächzte unter dem Ansturm des Windes.

    Trotz des Unwetters draußen war es im Zimmer erstickend heiß. Shanna schlug die Decke zurück und überlegte, ob ein Glas warme Milch ihr wohl helfen würde. Vielleicht waren Hannah oder Abraham noch wach? Die beiden Schwarzen waren für den Haushalt zuständig. Aber als sie in die Pantöffelchen neben dem Bett schlüpfte, schüttelte sie den Kopf. Nein, wäre einer der beiden wach, hätte er längst den klappernden Fensterladen festgemacht.

    Shanna griff nach dem Morgenmantel am Fußende des Betts. Da hörte sie noch ein Geräusch. Es war ganz in der Nähe und nicht durch das Gewitter verursacht. Jemand hatte etwas im Nebenzimmer umgestoßen. Tante Lea! Natürlich war die Gute in der Nähe geblieben, da sie Shannas Angst vor Gewittern kannte. Sie brauchte also nicht zur Küche hinunterzugehen. Wie gut!

    Vorsichtig drehte Shanna die Lampe höher, die während der wenigen Stunden, in denen sie Schlaf fand, ständig brannte. Dann ging sie über den dicken Teppich und öffnete die Tür, welche in einen großen und gemütlich ausgestatteten Salon führte.

    Als man ihr bei ihrem Eintreffen in Wildwood diese Zimmer gab, hatte in diesem Raum ein schwerer Schreibtisch aus Mahagoni gestanden, dessen Platte mit rotem Leder bezogen war, außerdem standen damals noch zwei Ledersessel und reich geschnitzte Bücherschränke an zwei Wänden. Alles war durchaus geschmackvoll, aber nicht für den Komfort eingerichtet, den eine Frau nun einmal brauchte. Keine hübschen Vorhänge an den Fenstern, keine Sessel mit bunten, hellen Bezügen, kein Teppich auf dem Parkettboden. Shannas Gedanke beim ersten Blick war: Dies ist ein typisch männlicher Raum!

    Alexander Amberville hatte das Problem in einem einzigen Tag gelöst, indem er eine mit burgunderfarbenem Brokat bezogene Chaiselongue und zwei dazu passende Fauteuils hineinstellen ließ. Die ursprünglichen Möbel wurden auf den Speicher verbannt. Neue Vorhänge wurden an den Fenstern aufgehängt, und auf dem Boden lag nun ein dicker rosa-beiger Teppich.

    Shanna hatte eigentlich erst heute – nachdem der Schmerz über die Verluste etwas abebbte und sie akzeptiert hatte, dass sie weiterleben musste – bemerkt, wie viel Entgegenkommen man ihr im Hause des Freundes ihres Vaters und dessen Sohn erwiesen hatte. Beide besuchten sie täglich und hatten unzählige Male versucht, sie zu überreden, doch nach unten zu kommen oder eine Kutschfahrt zu machen, damit die Sonne ein bisschen Farbe auf die blassen Wangen malen könne. Niemals hatten sie jedoch versucht, Shanna ihren Willen aufzuzwingen, wenn sie stur alles ablehnte.

    Morgen wollte sie den beiden zeigen, wie dankbar sie ihnen war. Nicht nur, weil sie ihr ein Heim boten, sondern vor allem für die Fürsorge, welche sie ihr hatten angedeihen lassen. Sie hatte nicht nur sich selbst sträflich vernachlässigt, sondern auch die Menschen, die so freundlich zu ihr waren. Nein, das war wirklich ganz gegen die Erziehung, welche sie genossen hatte!

    Die Lampe im Salon warf einen unheimlichen Schein über den Boden. Als Erstes sah Shanna den kleinen Tisch, wo die unfertige Stickerei ordentlich zusammengefaltet in einem Körbchen lag, welche sie vor einer Woche angefangen hatte. Sie ging vorsichtig weiter und suchte nach dem Gegenstand, der umgefallen war.

    „Tante Lea? Bist du da? Ich habe ein Geräusch gehört und …"

    Ihr stockte die Stimme. Von hinten links, wo die Chaiselongue stand, hörte sie das unmissverständliche, grässliche Knacken, das entstand, wenn der Hahn einer Pistole gespannt wurde. Panik erfasste sie. Yankees! Nein, das war unmöglich. Sie waren Hunderte von Meilen entfernt. Ein Deserteur …

    „Umdrehen und die Lampe hochhalten, damit ich Ihr Gesicht sehen kann!", befahl eine Stimme. Shanna schlug das Herz in der Kehle, als sie gehorchte und sich langsam umdrehte. Der schwache Lichtschein fiel auf ihr blasses Gesicht. Das schwarze offene Haar glich den Schwingen eines Raben. Ihre Lippen zitterten, die Augen waren vor Angst geweitet.

    Der Mann, der sich vom Sofa erhob, war groß, mehr als einen Meter achtzig, und kraftvoll gebaut. Trotzdem bewegte er sich mit der Geschmeidigkeit einer Wildkatze. Blitzschnell stand er vor ihr. Die Augen waren verengt, sodass sie die Farbe zuerst nicht erkennen konnte. Er musterte sie von Kopf bis Fuß. Shanna spürte, wie ihre Wangen zu brennen begannen. Kein Mann hatte sie je so unverschämt angestarrt! Das hätte sie nie gestattet!

    Er trug die Uniform eines Offiziers der konföderierten Armee. Allerdings war die Uniform sehr schmutzig und stellenweise zerrissen. Die Jacke stand offen, und das halb geöffnete Hemd darunter ließ die Brust frei, auf der blondes Haar zu sehen war, welches die gleiche Farbe hatte wie das auf seinem Kopf. Das sonnengebräunte Gesicht wirkte abweisend durch den kalten Ausdruck der blauen Augen. Die staubigen Stiefel lagen auf dem Teppich vor dem Sofa, daneben war achtlos ein ebenso schmutziger Hut geworfen worden.

    „Wer sind Sie?" Shannas Stimme klang weniger fest, als es ihr lieb war.

    „Wer zum Teufel sind Sie?, stieß der Fremde hervor. Er starrte sie an, bis sie unter dem durchdringenden Blick die Augen niederschlug. Erst dann steckte er die Pistole zurück ins Holster. „Und was zum Teufel machen Sie in meinen Zimmern? Mit einem Willkommenskomitee hatte ich nun wirklich nicht gerechnet.

    „Ich bin Shanna de Lancel, Mr. Ambervilles Gast."

    Shanna war erleichtert, dass er die Waffe weggesteckt hatte. Seit Baton Rouge hatte sie schreckliche Angst vor Fremden – vor jedem Schatten, vor jedem unbekannten Geräusch …

    „Ich hatte keine Ahnung, dass er wieder auf Freiersfüßen wandelt. Ich gehe davon aus, dass Sie Alexander Amberville meinen und nicht Wayne … nein, mein Bruder versteckt seine Frauen lieber vor meinem Vater", fuhr er bitter fort.

    „Ihr Bruder … Vater …", stammelte Shanna. Jemand hatte ihr erzählt, dass Alexander Amberville zwei Söhne habe; aber da sie den anderen Sohn nie gesehen hatte und die beiden Männer ihn niemals erwähnt hatten, wenn sie zu Besuch kamen, hatte sie ihn ganz vergessen.

    Wäre Shanna vorher nicht so furchtbar erschrocken, hätte sie jetzt sicher gelacht, als der Mann einen Schritt zurücktrat und eine tiefe Verbeugung machte, wobei er in der einen Hand eine halb gegessene Hühnerkeule hielt. Dann schlug ihr der Whiskeygeruch ins Gesicht! Er hatte sich nicht nur über die Reste des Abendessens hergemacht, sondern auch noch über Alexanders Whiskey!

    „Ja, der Krieg hat mich nicht meiner guten Manieren beraubt. Das kann ich Ihnen versichern; aber das gute Essen und eine halbe Flasche haben meine Sinne leicht getrübt. Gestatten Sie mir, dass ich mich Ihnen vorstelle: Ich bin Rafe Amberville. Mit Sicherheit haben Sie schon von mir gehört, oder?"

    „Nein, Mr. Amberville, habe ich nicht." Shanna machte einen Schritt rückwärts.

    Rafe Amberville ging zur Chaiselongue, ließ sich darauf fallen und legte die langen Beine über die Seitenlehne.

    „Aus den Augen, aus dem Sinn! Mein lieber Vater und mein lieber Bruder haben mich offenbar sehr vermisst!"

    Hörte sie eine Spur von Lachen in seiner Stimme? Aber kein Lächeln lag auf diesem Gesicht. War es Traurigkeit? Ja, es war eine Bitterkeit, welche ihr zuvor bereits aufgefallen war und die sie nicht verstehen konnte. Rafe Amberville war aus dem Krieg zurückgekehrt, und sie hatte seine Räume belegt! Wie konnte sein Vater so gedankenlos sein?

    „Ich werde Hannah wecken und mir ein Bett in einem anderen Zimmer machen lassen. Morgen werden Sie Ihre Suite zurückhaben, das versichere ich Ihnen. Ich hatte ja keine Idee …"

    Aus der Richtung des Sofas kam keine Antwort. Shanna blieb einen Augenblick stehen und überlegte, warum er plötzlich so still war. Dann ging sie zögernd ein paar Schritte näher. Er hatte die Augen geschlossen! Rafe Amberville schlief! Wie albern von ihr, dass sie nicht daran gedacht hatte, wie erschöpft er war!

    Shanna ging zur Tür. Plötzlich wurde ihr klar, dass sie noch nie unten gewesen war und nicht wusste, in welchem Raum Hannah schlief. Aber sie wusste, dass ein großer Wäscheschrank auf dem Korridor in der Nähe ihres Zimmers war. Tante Lea hatte ihn erst neulich inspiziert und ihr erzählt, wie viel Bettwäsche, Gardinen und andere Dinge darin ordentlich zusammengefaltet und aufgestapelt seien. Offenbar benutzte man ihn selten.

    Dort fand sie bestimmt etwas Passendes. Aber sie konnte Rafe nicht umbetten! Er musste hierbleiben bis zum Morgen. Der Gedanke gefiel ihr gar nicht; aber was konnte sie tun? Vorsichtig schlich sie den dunklen Korridor hinunter. Drei Türen öffnete sie, bis sie fand, was sie suchte. Hinter jeder Tür war ein leerer unbenutzter Raum gewesen. Wildwood war viel größer, als sie gedacht hatte. Endlich fand sie eine dicke Steppdecke und ging zurück in den Salon.

    Rafe Amberville lag in voller Länge sehr unbequem auf dem Sofa, wie sie feststellte, als sie versuchte, ihn in die Steppdecke zu wickeln. Doch schließlich hatte sie Erfolg. Voller Mitleid betrachtete sie das unrasierte Gesicht. Sie hatte einiges vom Krieg gesehen, und das hatte genügt, um ihr tiefes Grauen einzuflößen. Was für schreckliche Gedanken gingen wohl jetzt durch den Kopf dieses Mannes, der soeben aus blutigen Schlachten zurückgekehrt war, wo er täglich dem Tod hatte ins Auge sehen müssen? Er war offenbar einige Jahre älter als Wayne, allerdings nicht so alt, wie die Bartstoppeln ihn aussehen ließen. Rasiert sah er bestimmt sehr gut aus.

    Rafe murmelte etwas im Schlaf. Dann stieß er mit geballten Fäusten die Steppdecke weg. Der Krieg hinterlässt bei allen seine Spur, dachte Shanna verbittert, als sie die Decke wieder hochzog. Auch ihre Träume waren nicht mehr friedlich. Anstatt ihrer Familie, ihres Verlobten, sah sie jetzt blaue Uniformen, hörte Gewehrfeuer und Kanonendonner. Wie viel schlimmer musste es ihm ergehen, der an Schlachten teilgenommen und die Schmerzensschreie der verwundeten Kameraden vernommen hatte.

    Plötzlich schlossen sich seine schmalen gebräunten Finger wie Stahlfesseln um ihr Handgelenk und hielten es fest.

    „Bleib!" Nur dieses einzige Wort kam ihm über die Lippen.

    „Bitte, lassen Sie mich los. Es ist unmöglich …", sagte Shanna, ehe ihr klar wurde, dass er sie nicht hörte.

    An wen klammerte er sich wie ein kleines Kind, das mitten in der Nacht aus einem Albtraum erwacht und nach etwas oder jemandem sucht, wo es Trost und einen ungestörten Schlaf findet? Behutsam wollte sie die Finger vom Handgelenk lösen. Doch im selben Augenblick, da sie sie berührte, verkrampften sie sich. Erst als sie locker ließ, entspannten sie sich wieder.

    „Ich bleibe, flüsterte sie und betrachtete das hagere unrasierte Gesicht. „Schlaf! Ich verspreche dir, dass dich nichts mehr stören wird.

    Shanna machte es sich auf der schmalen Chaiselongue neben Rafe so bequem wie möglich. Sie legte einen Arm auf die Sofalehne. Während der Wochen, in denen sie Verwundete in New Orleans gepflegt hatte, ehe die Stadt an die Yankees fiel, hatte sie oft die Nächte bei kritischen Fällen verbracht. Damals hatte der Tag nicht genug Stunden gehabt, um die vielen Soldaten zu pflegen. Sie hatte die Ohren verschlossen, um die grauenvollen Schreie und das Stöhnen der Verwundeten nicht mehr zu hören, wenn die Ärzte kein Morphium mehr hatten, selbst bei Amputationen.

    Jedes Mal, wenn sie das überfüllte Krankenhaus verließ, kehrte sie in das bis auf Tante Lea und drei Sklaven leere Haus zurück. Sie hatte die gehen lassen, die es wollten, da sie sowieso weggelaufen wären, um die goldene Zukunft zu suchen, welche man ihnen versprochen hatte. Auch wenn sie traurig war, hatte Shanna es nicht übers Herz gebracht, diese Menschen zurückzuhalten, von denen die meisten ihr noch aus ihrer Kindheit vertraut waren.

    Immer, wenn sie aus dem Hospital zurückkam, ließ ihr Tante Lea ein heißes Bad ein und nahm ihr sogleich die blutbefleckte Schürze oder das Kleid ab, um jede Spur des Grauens im Krankenhaus zu tilgen. Aber so leicht konnte Shanna nicht vergessen. Es war leicht, die Flecken aus der Kleidung

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