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Masquerade: Seine Ewigkeit in deinen Adern
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eBook305 Seiten4 Stunden

Masquerade: Seine Ewigkeit in deinen Adern

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Über dieses E-Book

»Die Wahrheit ist, Vater, dass ich nicht sündige. Ich bin die Sünde.«

 Schlimm zugerichtet und blutleer taucht die Leiche eines vor Jahren verschwundenen It-Girls aus New Orleans auf. Doch es bleibt nicht bei der einen. Die junge Polizistin Bobby Snider wird mit der Lösung dieser Fälle beauftragt. Als dann eine größere Anzahl junger Influencer verschwindet und Gerüchte um einen geheimnisvollen Vollmondball kursieren, wird Bobby klar, dass die Sache größer ist als alles, womit sie es in ihrer bisherigen Laufbahn zu tun hatte.

Was hat der mysteriöse Einzelgänger, den man ihr als neuen Partner zuteilt, mit den Verstrickungen zu tun? Während Bobby in eine blutig-grausige Welt voller Magie und Dunkelheit eintaucht, versetzt ein mächtiger Reinblüter selbst eine auf übernatürliche Geschehnisse spezialisierte Geheimgesellschaft und die Schattenwesen der Stadt in Angst.

 

Dieser blutige Vampirthriller ist nichts für schwache Nerven.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum25. Okt. 2022
ISBN9783755424031
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    Buchvorschau

    Masquerade - Jacqueline Schiesser

    00. Prolog

    Ein tiefes Wummern erschütterte ihren ausgemergelten Körper, und auch wenn sie sich gegen das Wachwerden sträubte, konnte sie nicht hoffen wieder in den Schlaf zu finden. Laute Stimmen, Musik und zahllose Geräusche einer Menschenmenge, welche sich durch die Straßen von New Orleans schob, drangen an ihre Ohren, und kurz flüchtete sie sich in Erinnerungen. Mardi Gras. Vielleicht war heute der letzte Tag des Karnevals samt der bunten Parade und zugehörigen Feiern. Schwer spürte sie zahlreiche klimpernde, bunte Perlenketten um den Hals. Ihre Freunde und sie hatten früher stets einen Wettbewerb daraus gemacht, wer es schaffte, die meisten Ketten zu ergattern. Für den Gewinner, der in der Regel sie war, gab es kostenlose Drinks den ganzen Abend über.

    Schnaubend öffnete sie die Augen, während ihre Brust sich zuzog und Tränen hinter ihren Augen stachen. Heutzutage kam es selten vor, dass sie sich der Verzweiflung noch hingab.

    Zu Beginn war sie voller Energie und Hoffnung gewesen, hatte versucht, die zahlreichen Fenster einzuschlagen, durch heftiges Winken und lautes Schreien auf sich aufmerksam zu machen. Immerhin befand sich ihr Gefängnis im dritten Stock eines schicken Apartmentkomplexes oder etwas Ähnlichem in der Innenstadt. Wie konnte es sein, dass die vielen Menschen auf der Straße sie nicht bemerkten und die Polizei informierten?

    Zunächst war ihr nicht bewusst gewesen, dass sie entführt worden war, denn die ausladenden Räumlichkeiten, in denen sie und die anderen sich aufhielten, waren an Komfort und Luxus kaum zu überbieten. Helles Sonnenlicht fiel tagsüber durch Fensterfronten, die bis zum Boden reichten, und sämtliche für die Ausstattung benutzten Materialien waren hochwertig verarbeitet.

    Dennoch waren sie Gefangene, konnten die Suite nicht verlassen und waren darauf angewiesen, dass die schweigsame Frau ihnen etwas zu essen oder zu trinken brachte. Manchmal erhielten sie auch Shampoos, Waschzeug oder andere Artikel, doch sie kam längst nicht jeden Tag, und vermutlich hätte es sie nicht wundern sollen, dass sie sich immer schwächer fühlte.

    Mühsam richtete sie sich auf und begab sich ins Badezimmer, um sich frischzumachen. Als sie vor dem Waschbecken stand, hob sie ihren Blick auf die Höhe, in der normalerweise ein Spiegel hätte hängen müssen. Doch den hätte man einschlagen können, um sich mit den Scherben etwas anzutun. Hier gab es nichts, womit man sich verletzen konnte.

    Nach einer Katzenwäsche schlurfte sie zurück zum Bett, als die Tür sich öffnete und ein Picknickkorb hereingeschoben wurde.

    Mit einem Mal kam wieder Leben in die bis eben apathischen Gestalten auf den anderen Betten, Matratzen und Sofas. Schweigend und so schnell wie möglich fischte sich jeder etwas aus dem Korb. Es handelte sich um kalte Hühnerbrühe in Styroporbehältern, welche sie dankbar tranken. So ging es seit Jahren, man hielt sie am Leben und versorgte sie mit genau dem, was nötig war, um nicht zu sterben. Manchmal hatte sie sich vorgestellt, nichts mehr zu sich zu nehmen, dem eintönigen Dasein und ihrem Elend ein Ende zu setzen, doch wenn die Versorgung kam, griff sie immer wieder zu.

    Erst als sie den leeren Becher zurück in den Korb steckte, bemerkte sie die Smartphones auf dessen Grund. Sie schluckte und wandte sich ab. Sie verstand nicht, was er damit bezweckte. Als er ihnen ihre Handys das erste Mal zurückgebracht hatte, war sie aufgeregt gewesen, hatte versucht, ins Internet zu gelangen oder einen Notruf abzusetzen, doch diese Funktionen waren abgeschaltet. Ohne genau zu wissen, wofür, hatten sie Fotos und Videos von sich aufgenommen, hoffend, dass die eines Tages ihren Familien zugespielt würden, doch mittlerweile war sie überzeugt davon, dass es ihm ein perverses Vergnügen bereitete, sich die Aufnahmen anzusehen und sich in ihrem Leid zu baden.

    Zorn brannte unerwartet heiß in ihrer Brust auf. Kurzerhand nahm sie doch ihr Telefon zur Hand. Sie öffnete die Kamera, und als sie von ihrem eigenen Anblick überrascht wurde, ließ sie das Handy rasch sinken, während ihr Herz frenetisch im Brustkorb pochte und heiße Tränen aus den eingesunkenen Augen über ihre Wangen liefen.

    Natürlich war ihr klar gewesen, dass der körperliche Verfall weiter vorangeschritten war, doch sie hatte es lange vermieden, sich anzusehen. Ihr Haar war dünn und verfilzt, ihre leblosen Augen starrten aus tiefen Höhlen, und statt ihrer früheren strahlenden Schönheit sprang sie der Anblick eines mit ausgetrockneter, von zahllosen Narben übersäter Haut überzogenen Skeletts entgegen.

    Ich werde hier sterben. Nie zuvor war ihr dieser Umstand so schmerzlich bewusst gewesen wie in diesem Moment. Er würde sie oder die anderen niemals gehen lassen, sondern sich an ihnen laben, solange es ging. Was danach mit ihrem Körper geschehen würde? Verbrennung? Irgendwo verscharrt oder in den Sümpfen des Bayou versenkt werden? Ob er es letztlich zu Ende bringen oder man sie leise und unaufgeregt hier rausschaffen würde, wenn ihr Körper schließlich aufgab, wusste sie nicht. Sie hatte ihn lange nicht gesehen, was nicht bedeutete, dass man sie oder die anderen in Ruhe ließ. Da war immer noch die schweigsame Frau mit ihren Spritzen und Schläuchen. Wo er sich aufhielt, wenn sie ihn nicht zu Gesicht bekam, hätte sie nicht sagen können. Ab und an war einer oder eine der anderen geholt worden und nicht mehr wiedergekommen. Für gewöhnlich konnte sie dabei nicht einmal mehr Grauen empfinden, doch nun, da ihr eigener Tod unmittelbar bevorstehen dürfte, spürte sie den lange verloren geglaubten Überlebenswillen wieder.

    Entschlossen wischte sie ihre Tränen fort, öffnete die Kamera erneut und drückte auf Aufnahme, dann sagte sie mit kratziger und schwacher, aber dennoch entschlossener Stimme: »Du krankes Schwein. Was willst du? Sind wir nur Puppen für dich, nur Spielzeuge? Was denkst du, wer du bist? Dass du mit Menschen spielen kannst, wie du willst? Irgendwann wird man dich schnappen, du Arschloch, und dann wirst du büßen. Für alles.«

    Sie legte das Smartphone zurück in den Korb, und auch wenn es ihr nicht helfen oder etwas an ihrer Lage ändern würde, spürte sie doch eine gewisse Genugtuung. Hoffentlich würde er das Video sehen.

    ***

    Das ging schneller als erwartet. Sie spürte, wie ihr Körper zunehmend erschlaffte, während ihre Sicht verschwamm und die Gedanken immer leiser wurden. Er war da, war überall, und die Tatsache, dass sein Duft, seine beruhigende Stimme in ihrem Kopf und die Verbindung, die er zu ihr geschaffen hatte, sie in diesem Moment trösteten, war der Gipfel ihres sadistischen Martyriums. Kraftlos lag sie in seinen Armen, und schließlich löste er sich von ihr, um ihr in die trüben Augen zu blicken, während sie am Rande ihres Sichtfelds Menschen ausmachte, die sich gespenstisch und entrückt im Takt einer Metal-Ballade bewegten.

    Sie erinnerte sich daran, wie sie ihm das erste Mal begegnet war. Selbst jetzt, im Angesicht des Todes, musste sie sich eingestehen, dass sie nie ein edleres Gesicht gesehen hatte als seins. Ein kaltes Lächeln umspielte seine vollen Lippen, und gerade als er ihr einen letzten Kuss gab, versank sie in Dunkelheit.

    01. Kapitel

    Die Stille ihres Wagens war ein willkommenes Geschenk für Bobby nach den letzten beiden Tagen. Kaum war die Fahrertür hinter ihr ins Schloss gefallen, lehnte sie mit geschlossenen Augen den Kopf an den Sitz hinter sich. Tief durchatmend ließ sie die Schultern kreisen, da die Verspannungen in ebendiesen und ihrem Nacken die hämmernden Kopfschmerzen nur verschlimmerten. Ihre Schläfen fühlten sich an, als müsste der enorme Druck sie jeden Moment platzen lassen, während das Gehirn unter ihrer Schädeldecke den Eindruck vermittelte, in einem Schraubstock zu stecken.

    Sie nahm die Packung mit Kopfschmerztabletten aus ihrer abgewetzten, dunkelblauen Handtasche. Sie war ein äußerst pragmatischer Mensch. Gebrauchsgegenstände, wie Taschen, kaufte sie alle Jubeljahre und nutzte sie, bis sie sich unter ihren Händen auflösten. Marken suchte man bei ihr vergebens, da sie ihr Geld lieber für Reisen oder andere Hobbys ausgab.

    Ihr Handy klingelte, und als sie den Namen ihres Vorgesetzten sah, hätte sie vor purer Erschöpfung weinen mögen. Seit die Leichen einiger vor Jahren verschwundener High-Society-Kids und Influencer gestern gefunden worden waren, hatte Bobby kein Auge zugetan. Kurz überlegte sie, nicht ranzugehen, doch dann würde sie zuhause keine Ruhe finden. Ihre Gedanken würden stets darum kreisen, was man von ihr wollte, und sie würde sich die Mailbox ja doch anhören.

    »Ich dachte, ich soll nach Hause und schlafen.« Obwohl sie versuchte, es scherzhaft klingen zu lassen, war ihr klar, dass Hunter ihren Unmut mehr als deutlich heraushören konnte.

    Er lachte, und sprach in beruhigendem Tonfall: »Keine Sorge. Wir haben alle nichts davon, wenn du uns umkippst. Also fahr heim und ruh dich aus. Ich wollte dich nur wissen lassen, dass wir ein Sonderkommando einrichten. Du sollst die Leitung übernehmen.«

    Sie seufzte so tief, dass Hunter erneut lachte.

    »Weißt du, Bobby, wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glauben, du hättest keine Lust auf eine große Karriere.«

    »Natürlich will ich Karriere machen, aber du weißt so gut wie ich, wie undankbar es ist, eine SoKo zu leiten. Darf ich mein Team selbst zusammenstellen?«

    Er zögerte, und ihr Mund wurde trocken.

    »Hunter?«

    »Ja und nein.«

    »Heißt?«

    Sein Seufzen war langgezogen, und dann sagte er: »Ro Harding hätte den Fall bekommen, wenn ich nicht zugestimmt hätte, ihm einen sicheren Platz im Team zu geben.«

    Bobby atmete tief ein, hielt die Luft einen Moment lang an und atmete wieder aus, und erwiderte: »Okay, damit komm ich klar.«

    »Super, Bobby, bist ein Schatz.« Hunters Stimme klang erleichtert, und nicht zum ersten Mal fragte sie sich, ob sie manchmal zu schnell einlenkte, es ihren Vorgesetzten und Kollegen zu einfach machte. Doch die Wahrheit war, dass sie als Frau nach wie vor den Druck spürte, zu beweisen, wie kooperativ sie war. Bloß nicht unbequem und schwierig sein. Selbst wenn man sich mit einem Ro Harding würde herumärgern müssen.

    Sie verabschiedete sich und machte sich endlich auf den Weg nach Hause. Hunter hatte ihr noch mitgeteilt, dass er bis neun Uhr vormittags wissen wollte, wen sie noch im Team haben wollte, was bedeutete, dass sie spätestens um halb sieben in der Früh würde aufstehen müssen, um alles zu erledigen. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es bereits auf Mitternacht zuging. Bis sie also gefüttert und geduscht im Bett liegen würde, wäre es wahrscheinlich halb zwei. Doch fünf Stunden Schlaf stellten für derartige Ermittlungen schieren Luxus dar.

    Zuhause angekommen stellte sie erleichtert fest, dass die Reste des Paneer Makhani in ihrem Kühlschrank noch genießbar waren. Im Stehen schaufelte sie das Essen gähnend direkt aus der Styroporbox in ihren Mund. Eilig wusch sie die benutzte Gabel ab und schmiss den Rest in den Müll, wobei sie mit einem schuldbewussten Lächeln an ihre jüngere Schwester Rosa dachte. Rosa, die es irgendwie schaffte, neben ihrem Studium und mit zwei kleinen Kindern wesentlich mehr Wert auf Nachhaltigkeit zu legen als sie.

    »Ich hab nun mal keine Zeit, immer frisch zu kochen oder meine eigene Seife herzustellen«, grummelte sie vor sich hin, während sie ihre Kleidung achtlos auf den überquellenden Wäschekorb fallen ließ und dankbar unter den heißen Duschstrahl trat. Die Wahrheit war, dass sie sich in ihrer Freizeit wie ein Kind lieber ihren Hobbys widmete. Außerdem sah sie die Verantwortung für das Schicksal der Erde nicht zwangsläufig auf ihren Schultern, sondern bei den großen Konzernen, den Gesetzgebern und Lobbyisten.

    Als sie fertig war und ihren zum Glück sauberen, dunkelblauen Lieblings-Jersey-Pyjama tragend mit Handtuchturban auf dem Kopf ihre Zähne putzte, glitten ihre Gedanken zum morgigen Tag.

    Ambrose Harding, genannt Ro, war ein merkwürdiger und als schwierig geltender Eigenbrötler. Sie hatte ihn nur ein paar Mal zu Gesicht bekommen. Obwohl er einen recht abgeranzten Eindruck machte, wusste sie, dass die meisten Kolleginnen auf dem Revier ihn ziemlich sexy fanden mit seinen längeren Haaren und dem Kinnbart. Sie hätte nicht sagen können, wie alt er war, aber ziemlich sicher hatte er die vierzig bereits gut hinter sich gelassen. Trotz seiner Unzulänglichkeiten galt er als brillant, und niemand in der Mordkommission hatte eine höhere Aufklärungsrate als er. Immer mal wieder gab es Versuche, ihm Partner zuzuteilen, doch das ging selten lange gut. Erst letztes Jahr hatte sie LaTonya Lewis tränenüberströmt an Deputy Chief Maria Hernandez' Bürotür klopfen sehen, um dann kurze Zeit später einer anderen Einheit zugeteilt zu werden. Seitdem schien man sich damit zufriedenzugeben, dass Ro die Archive nach ungelösten Fällen durchstöberte, sie neu aufrollte und mit den ihm temporär zugewiesenen Teams Licht ins Dunkel brachte. Es hätte sie nicht wundern sollen, dass der Fall der toten Kids ihn interessierte, immerhin gab es einiges, was daran ungewöhnlich war. Offenbar hatte man die Opfer fünf Jahre lang irgendwo in New Orleans gefangen gehalten und immer mehr verkommen lassen. Ihre Körper waren in erbärmlichem Zustand, ausgemergelt und vor allem blutleer.

    Sie spuckte aus und griff nach der Zahnseide. In der Pathologie konnte man sich keinen Reim darauf machen, wie das Blut der Toten abgelassen worden war, und da sie alle merkwürdig aussehende Narben und Bisswunden aufwiesen, geisterte seit Tagen der Begriff Vampir durchs Präsidium. Bobby fand dies alles andere als lustig. Auch wenn sie als Kind der Stadt die mystische Atmosphäre hier liebte und ein großer Fan der Anne-Rice-Bücher war, forderte sie den gebotenen Ernst bei einer Mordermittlung.

    Mit feuchtem Haar legte sie sich ins Bett. Es war egal, dass es morgen Früh wie Kraut und Rüben aussehen würde, denn sie trug es stets zusammengebunden. Kaum dass ihr Kopf das Kissen berührte, war sie fest eingeschlafen.

    Als sie kurz darauf hochschreckte, fühlte sie sich desorientiert, und es dauerte einen Moment, ehe ihr bewusst wurde, dass ihr Handy klingelte. Ein Blick auf die LED-Anzeige ihres Bluray-Players verriet, dass es kurz nach vier Uhr morgens war.

    Während sie den Anruf entgegennahm und das Handy ans Ohr hielt, schlossen ihre Augen sich von selbst wieder.

    »Bobby Snider hier. Was gibt’s?«

    Als sie Hunters aufgeregte Stimme hörte, richtete sie sich auf. »Bobby, wir haben noch eine Leiche gefunden. Sie muss mit den anderen entsorgt worden sein, doch aus irgendeinem Grund ist sie im Bayou aufgetaucht. Sieht schlimm aus. Scheint, als hätten ein paar Alligatoren sich darüber hergemacht. Aber es handelt sich definitiv um das It-Girl, das mit den anderen Kids verschwunden war. Wir haben ihr Smartphone bei ihr gefunden.«

    Nun fühlte Bobby sich hellwach. Sie schlug ihre Decke zurück und schwang die Beine aus dem Bett.

    »Ich bin schon auf dem Weg.«

    »Beeil dich, Bobby. Ro Harding ist schon hier, und ich kann ihn nicht ewig im Zaum halten.«

    Sie legte auf und riss die Kommodenschublade auf, in welcher sie ihre Unterwäsche aufbewahrte.

    »Fuck. Fuck.« Sie hätte ihre Waschmaschine einschalten sollen, denn tatsächlich befand sich keine einzige saubere Unterhose mehr in dem Schiebefach. Kurzerhand fischte sie den unteren Teil eines Bikinis hervor, dann schlüpfte sie in eine schwarze Jeans, die ein wenig knittrig war, aber sauber wirkte. Dazu zog sie ein schwarzes Tanktop und eine graue Strickjacke an. Für einen BH waren ihre Schultern zu verspannt, und mit der Jacke würde es auch ohne gehen.

    Im Bad band sie ihr bis zu den Schulterblättern reichendes dunkelbraunes Haar zu einem Dutt zusammen. Dann griff sie nach der Feuchtigkeitscreme. Ein Blick in den Spiegel zeigte, dass der Schlafentzug sich bemerkbar machte, also behalf sie sich eilig mit ein wenig Concealer und Puder. Ihre Make-up-Truhe ließ sie offen auf dem Toilettensitz zurück. In die Tasche packte sie ihr Handy und den Schlüsselbund, während sie in ein paar graue Ballerinas schlüpfte. Ein kurzer Blick zurück. Das Licht war überall aus, also zog sie die Tür hinter sich zu.

    Auf dem Weg zum Auto holte sie ihr Handy nochmals hervor, und auch wenn sie lieber darauf verzichtet hätte, schickte sie ihrer Mutter eine Sprachnachricht: »Hi Mom, ich müsste dich um was bitten. Ich steck momentan mitten in einer Mordermittlung. Könntest du heute vielleicht bei mir vorbeischauen, mir ein paar Unterhosen waschen und ein bisschen Ordnung schaffen? Danke.«

    Eilig packte sie das Telefon weg, schloss ihren fuchsroten Chevy Sonic auf und machte sich auf den Weg zum Revier.

    02. Kapitel

    Ungeduldig saß er auf einem ziemlich unbequemen Stuhl im Büro von Commander Hunter Broussard, wo man ihn zurückgelassen hatte. Er würde die Ankunft von Detective Snider abwarten müssen, ehe er das auf dem Telefon des ermordeten Mädchens sichergestellte Material würde sichten können. Das geräumige Büro war modern, spartanisch und elegant eingerichtet. Der Schreibtisch war ein filigran gefertigtes Meisterwerk mit einer glänzenden Oberfläche, die an Marmor erinnerte, auch wenn es sich um ein robusteres und günstigeres Material handeln dürfte. Statt der alten, klobigen Computer stand darauf lediglich ein gerahmtes Bild von Hunter, groß, schlank, perfekt rasiert und die braunen Haare kurz und elegant frisiert, mit seiner Frau und den beiden Zwillingstöchtern, die seit diesem Jahr die Middle School besuchten. Außerdem gab es ein kabelloses Telefon samt Ladestation und einen in schickem Granit gefassten Stifthalter mit einigen Kugelschreibern und Textmarkern. Der genutzte Arbeitslaptop war mit Sicherheit weggesperrt oder Broussard gehörte zu den Kollegen, welche ihn immer bei sich trugen, um zur Not selbst während der Mittagspause agieren zu können.

    Unbemerkt hatte sein rechtes Bein angefangen zu zucken, und er knetete seine Handflächen. Kurzerhand griff er in seine Hosentasche und hortlte ein Snus hervor. Für gewöhnlich bevorzugte er losen Kautabak, doch die kleinen Päckchen hatten den Vorteil, dass man weniger ausspucken musste. Da er die Finger auch im Büro nicht vom Nikotin lassen konnte, behalf er sich gerne mit den praktischen Tütchen.

    Fast augenblicklich entspannte sein Körper sich, als er das Snus an seinen hinteren, oberen Gaumen schob und das Nikotin direkt in seine Blutbahn geriet.

    Endlich öffnete die Tür sich, und Broussard trat herein, gefolgt von einer Frau, die dem Commander etwa bis zur Schulter reichte und mit ihren Ballerinas locker als Mitte zwanzig durchgegangen wäre. Doch Ro kannte die Akte von Detective Roberta Snider und wusste, dass sie mit ihren vierunddreißig Jahren eine beeindruckende Laufbahn vorweisen konnte. Sie war es gewesen, deren Hartnäckigkeit, einer scheinbar unwichtigen Spur nachzugehen, vor drei Jahren dazu geführt hatte, dass der Mörder von zwei jungen Gospelsängerinnen geschnappt worden war. Sicher wäre ohne ihren Einsatz bald ein dritter Mord hinzugekommen.

    So manche Stimme im Präsidium tuschelte hinter vorgehaltener Hand, dass ihre Beförderung zum Lieutenant immer wieder aufgeschoben wurde, weil sie eine Frau war. Ro bezweifelte das. In den höheren Rängen war man voll des Lobes für ihre Arbeit, doch es gab auch Zweifel bezüglich ihrer Fähigkeit, sich emotional von gewissen Fällen zu distanzieren. Bei der Befragung des Mörders der Sängerinnen hatte sie die Beherrschung verloren, und zwei Kollegen waren nötig gewesen, um sie davon abzuhalten, weiter auf den Mann einzuprügeln. Das wiederum war gefundenes Fressen für seinen Strafverteidiger gewesen, und fast wäre der Prozess ihretwegen in den Sand gesetzt worden. 

    Ros Ansicht nach war das ein äußerst sympathischer Zug, und letztlich würde auch er für immer im Rang eines Detectives herumdümpeln, weil er nicht genügend nach den Regeln spielte, um sich irgendwann etwas anderes erhoffen zu dürfen. Der Unterschied zwischen ihnen beiden war wohl, dass sie unter diesem Umstand litt, während er ihm gerade recht kam. Das Letzte, was er gebrauchen konnte, war, von einem Schreibtisch aus die Arbeit anderer Polizisten überwachen zu müssen.

    Er erhob sich von dem etwas zu weichen Bürosessel und schüttelte zunächst die Hand seines Vorgesetzten, um sich dann Snider zuzuwenden.

    »Ro, Bobby, ich hoffe, dass ihr beide gut zusammenarbeiten werdet«, meinte Broussard mit einem mahnenden Ton in der Stimme und einem leicht nervösen Lächeln.

    Als er ihre Hand schüttelte, schien sie ihn mit einem durchdringenden Blick aus ihren hellgrünen Augen ergründen zu wollen. Vielleicht wollte sie ihm auch mitteilen, dass sie von ihm erwartete, anzuerkennen, dass sie die SoKo leiten würde, und sich ihrem Kommando unterzuordnen. Er schmunzelte innerlich. Ihr Ehrgeiz gefiel ihm, doch wie hätte sie verstehen können, weshalb es ihm kaum möglich war, sich an Vorschriften und Rangordnungen zu halten. Im Gegensatz zu ihr wusste er genau, womit sie es in diesem Fall zu tun hatten, und er würde alles tun, was nötig war, um den Täter zu fassen. Hierbei würde er zwangsläufig Ärger machen, doch das brauchte sie zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu interessieren.

    Gemeinsam setzten sie sich auf nebeneinanderstehende Bürostühle, wobei sie offenbar ein wenig zu klein war, um bequem darauf zu sitzen. Hunter startete währenddessen einen Beamer, mit welchem er Fotos und kurze Videos auf eine ausklappbare Leinwand projizierte.

    »Bei einem der Opfer, das wir als sogenanntes It-Girl Beverly Landry, online auch bekannt als GoldilocksGoneBad, haben identifizieren können, die vor etwas mehr als fünf Jahren verschwunden ist, konnten wir ein Smartphone sicherstellen. Informationen zu Hersteller und Modell entnehmt ihr bitte Anhang 1F aus der vorgelegten Akte.«

    In diesem Moment reichte er ihnen jeweils einen noch dünnen, hellbraunen Papierordner, und die beiden schlugen die entsprechende Seite auf.

    »Wie ihr feststellen werdet, war es weder Zufall, dass sie während ihrer Entführung Zugriff zu ihrem Telefon hatte, noch, dass es bei ihrer Leiche gefunden worden ist. Offenbar gehört es zum Modus Operandi unseres Täters, doch bevor das Täterprofil vom FBI veröffentlicht ist, möchte ich dazu noch nicht viel sagen.«

    Ro schnaubte, was von Hunter komplett ignoriert wurde, also sagte er: »Ich bezweifle, dass diese überbezahlten Fuzzis uns was Brauchbares werden liefern können. Das hier ist kein gewöhnlicher Serienkiller.«

    Fast hätte es ihn amüsiert zu beobachten, wie Broussard versuchte abzuwägen, inwiefern er auf seinen Einwand eingehen sollte. Da der sich dagegen entschied, etwas zu sagen, wandte er sich direkt an Snider: »Keine Sorge, ich will niemandem ans Bein pissen, aber wir sollten uns nicht zu sehr versteifen und auch unkonventionelle Optionen in Betracht ziehen.«

    Zu seinem Erstaunen musterte die jüngere Polizistin ihn mit einem Mal interessiert, und schließlich nickte sie anerkennend, ehe sie antwortete: »Ich weiß nicht, inwiefern Sie mit meiner Akte vertraut sind, Harding –«

    »Ro«, unterbrach er sie kurzerhand, und sie nickte erneut.

    »Alles klar, Ro, dann bin ich gerne Bobby. Jedenfalls rennst du da bei mir offene Türen ein.«

    Er mochte Bobby, das stand für ihn auf Anhieb fest. Sie wirkte direkt, aufrichtig und wie jemand, dem es vor allem am Herzen lag, den Fall aufzuklären und so Gerechtigkeit für die Opfer zu

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