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Auf verbotenen Wegen
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eBook347 Seiten4 Stunden

Auf verbotenen Wegen

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Über dieses E-Book

Lillith schwebt in Lebensgefahr, seit sie einen Mord beobachtete. Nur in den Armen von Deegan Galloway - ein Mann, der in der Unterwelt so zu Hause ist wie auf den Bällen der feinen Gesellschaft - scheint sie sicher. Doch wie lange noch? Können sie gemeinsam dem Täter das Handwerk legen, ehe Lillith sein nächstes Opfer wird?

SpracheDeutsch
HerausgeberCORA Verlag
Erscheinungsdatum1. Juli 2015
ISBN9783733764982
Auf verbotenen Wegen
Autor

Beth Henderson

Keiner, der Beth heute trifft, würde glauben, sie sei schüchtern.“ Aber ich bin's“, behauptet sie. „Steck mich in einen Raum mit Wildfremden, und ich werde in der nächsten Wand verschwinden.“ Kaum zu glauben bei einer Frau, die ständig vor Publikum darüber spricht, wie man am besten Liebesromane schreibt. Sie hat in 10 Jahren 22 spannende Romanzen, historische Romane, Jugendromane und romantische Komödien verfasst und bei sechs Verlagen unter vier verschiedenen Pseudonymen veröffentlicht. Und es hätten noch viel mehr sein können, wäre sie nicht durch das Scheitern ihrer zweiten Ehe so niedergeschlagen gewesen, dass sie ihre Vorstellungskraft und die Fähigkeit, Geschichten zu erzählen verlor. Aber nach zwei Jahren gab es für Beth, die schon gar nicht mehr an die Liebe glaubte, wieder ein Licht am Horizont. Sie lernte einen Freund ihres Cousins kennen, mit dem sie einen regen Briefwechsel zwischen ihrem Zuhause in Ohio und seinem in New York pflegt. „Er ist so altmodisch wie ich“, behauptet sie, “keiner von uns benutzt E–Mail.“ Doch die Briefe, die sie sich fast täglich schreiben, geben ihr Kraft und Zuversicht.

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    Buchvorschau

    Auf verbotenen Wegen - Beth Henderson

    IMPRESSUM

    Auf verbotenen Wegen erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

    © by Elizabeth Daniels

    Originaltitel: „Wicked"

    erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto

    Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

    © Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL

    Band 171 - 2003 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg

    Abbildungen: Harlequin Books S.A.

    Veröffentlicht im ePub Format in 04/2015 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

    E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

    ISBN 9783733764982

    Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

    CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

    Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:

    BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY, CORA CLASSICS

    Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de

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    PROLOG

    San Francisco, Januar 1880

    Der Lärm aus den benachbarten Kneipen war im Laufe des Abends verebbt. Langsam kroch der Nebel von der Bucht in die Straßen und verwandelte die engen Gassen in eine düstere Unterwelt, in der man spurlos verschwinden konnte. Schon mancher war von einem Matrosenwerber im Schutz der Nacht entführt worden. Andere fielen alltäglichen Verbrechen zum Opfer oder wurden im Auftrag einer der hiesigen Bandenbosse beseitigt.

    Belle Tauber zog sich den abgetragenen Schal enger um die Schultern. Sie lehnte an der kalten, feuchten Mauer eines schäbigen Häuschens und beobachtete, wie ihr letzter Freier in dieser Nacht in den Nebel hinausstolperte. Es muss mein Glückstag sein, dachte sie spöttisch. Die Hälfte der Männer, die Severn ihr an diesem Abend geschickt hatte, war rasch zufriedenzustellen gewesen und hatte sich genauso schnell wieder verdrückt. Einer war sturzbetrunken umgefallen, noch ehe er sich ausgezogen hatte. Zwei weitere Kerle mussten unsanft hinausbefördert werden, da sie das Bewusstsein verloren, noch bevor viel geschehen war. Belle hatte es geschafft, den besinnungslosen Männern die Taschen zu leeren, während Severn höchstwahrscheinlich ihren anderen Freiern die Wertsachen abgeknöpft hatte, als sie durch die dunklen Gassen nach Hause wankten.

    Belle verschwendete kaum einen Gedanken an die unglücklichen Opfer. Jeder, der die düsteren Straßen von Barbary Coast betrat, wusste, worauf er sich einließ. Man musste für das Privileg, hier sein zu dürfen, immer bezahlen. Ob mit dem Leben oder bloß mit Geld – das bestimmte das Schicksal.

    Hoffentlich fand Severn nicht heraus, dass Belle ein paar Münzen aus den abendlichen Einnahmen für sich selbst zurückbehalten hatte. Die Vorstellung, was er sonst mit ihr machen würde, jagte ihr einen eisigen Schauer über den Rücken. Noch blieb ihr Zeit, das Geld zur übrigen Ausbeute zu legen. Dann konnte sie wenigstens sicher sein, dass Severn sie nur begehrlich anfassen würde – und nicht, um sie grün und blau zu prügeln.

    Wenn die Sonne aufging und ihre Strahlen den dichten Nebel aufzulösen begannen, würde Belle ein Jahr älter sein. Sie bezweifelte, dass sich die anderen Frauen vom Hurenhaus an ihren Geburtstag erinnerten. Miss Lilly würde ihn aber bestimmt nicht vergessen. Sie hatte Belle versprochen, ihr einen Abzug des Fotos zu bringen, das sie vor einer Woche von ihr gemacht hatte. Es sei ein passendes Geschenk zum zwanzigsten Geburtstag, hatte Miss Lilly freundlich gemeint.

    Belle wusste, dass ihr die Tätigkeit, der sie nachging, bereits seit Langem jeglichen Anflug von Jugend und Schönheit geraubt hatte. Deshalb musste sie auch in dieser Absteige arbeiten und konnte sich nicht mehr in dem teuren Bordell zeigen, wo Madame Belles Unschuld an den höchstbietenden Mann verkauft hatte. Damals war sie noch hübsch gewesen. Das Foto, das Miss Lilly von ihr gemacht hatte, würde ihr wohl deutlich vor Augen führen, dass ihre Schönheit für immer vergangen war.

    Sie entschloss sich, Severn das Geld, das sie zurückbehalten hatte, doch nicht zu geben. Schließlich war ein wenig Kapital ihre einzige Möglichkeit, irgendwann einmal dieses Leben hinter sich zu lassen. Der mickrige Betrag reichte allerdings noch nicht aus, um Severn zu entkommen. Sie musste darauf warten, dass eines Tages ein Mann auftauchte, der ihm sein Revier streitig machen würde. Erst dann besaß Belle eine echte Chance, auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden.

    Wieder lief es ihr eisig über den Rücken. Sie zog sich den Schal noch fester um die Schultern. Am besten war es, wenn sie jetzt ins Haus ging, denn die schmutzigen Fetzen, die sie am Leib trug, schützten sie nicht vor der Kälte der Nacht. Severn geriet immer schrecklich in Wut, wenn sie krank war. Eine Frau, die an Schüttelfrost litt, verdiente kaum genug Geld, um ihren Zuhälter zufriedenzustellen. Und für sie selbst würde dann gar nichts mehr übrig bleiben. Leise, um die anderen, die bereits schliefen, nicht zu wecken, betrat Belle das Haus.

    Aus Severns Zimmer ertönte das laute Lachen eines Mannes. Severn antwortete mit seinem üblichen Gemurmel, sodass Belle nicht verstehen konnte, was er sagte. Wahrscheinlich sahen sich die Männer die große Sammlung stereoskopischer Erotikbilder an, die Severn besaß. Es waren dreidimensionale Aufnahmen molliger, halb nackter oder völlig entkleideter Frauen, die sich in unvorstellbaren Positionen dem Betrachter entgegenrekelten. Severn benutzte die Fotos manchmal, um das Blut eines Freiers in Wallung zu versetzen. Auf diese Weise trieb er den Preis für die Dienste einer seiner Huren noch einmal beträchtlich in die Höhe. Wenn der Mann, der gerade wieder lachte, tatsächlich ein weiterer Kunde war, hoffte Belle, dass er eine der anderen Frauen und nicht sie verlangte. Sie wollte gerade die Tür zu ihrer kleinen Kammer schließen, als sie ein anderes Geräusch hörte – das Klingen von herabfallenden Münzen.

    Es hielt erstaunlich lange an, und vor Belles innerem Auge stiegen sogleich Bilder von Geld und Flucht auf. Wie magisch angezogen schlich sie zu Severns Zimmertür, wobei ihre bloßen Füße auf den Fußbodenbrettern keinerlei Geräusch machten. Prahlte Severn etwa vor dem Gast mit seinem Reichtum? Und wer war der andere Mann überhaupt? Es war sehr gefährlich, in diesem Viertel der Stadt mit seinem Geld anzugeben. Selbst diejenigen, die behaupteten, Freunde zu sein, zögerten meist nicht, einem Mann den Dolch in die Brust zu stoßen, wenn sie sich dadurch ein Zwanzigdollar-Goldstück – oder auch weniger – aneignen konnten.

    Die Tür war nicht ganz geschlossen, sondern nur angelehnt. Der schmale Spalt war gerade breit genug, um Belle einen Blick in den von Gaslicht erhellten Raum zu gewähren.

    Severn saß am Tisch und war gerade dabei, die letzten Goldmünzen, die noch vor ihm lagen, in ein Säckchen aus grober Jute zu schieben. Als er damit fertig war, reichte er den Beutel dem Mann gegenüber und nahm stattdessen ein Glas Whiskey in Empfang. Seine große, schlaksige Gestalt wirkte entspannt, sodass man kaum vermutet hätte, welche Kraft dieser Mann in Wahrheit besaß. Während Belle neugierig ins Zimmer spitzte, hob Severn sein Glas und prostete seinem Besucher zu. „Auf eine weitere erfolgreiche Nacht!", verkündete er.

    „Du feierst zu früh, mein Freund", sagte der andere Mann.

    Auch wenn ihr der schmale Spalt nur gestattete, eine Schulter und den Hinterkopf des Fremden zu sehen, war sich Belle doch sicher, seine Stimme zu kennen. Aber im Moment konnte sie den Gast noch nicht einem bestimmten Gesicht oder Namen zuordnen.

    „Und du feierst viel zu selten, entgegnete Severn. „Wann fängst du endlich damit an, deinen Erfolg zu genießen?

    „Erst wenn ich wirklich ein Vermögen verdient habe, murmelte der Fremde. Er stand auf. „Wenn ich unvernünftig viel ausgäbe, würde sich das Blatt gegen mich wenden. Und du weißt, Karl, dass mir das gerade jetzt nicht gefiele.

    „Gehst du schon?", fragte Severn.

    „Ich muss", erwiderte sein Gast und drehte sich ein wenig zur Tür hin.

    Belle stockte vor Verblüffung der Atem, als sie ihn erkannte. Beinahe hätte sie seinen Namen laut ausgerufen, so überrascht war sie. Ihr blieb gerade noch Zeit, sich lautlos zurückzuziehen, ehe die Tür zu Severns Zimmer weiter geöffnet wurde.

    Mit klopfendem Herzen warf Belle noch einen letzten Blick in den dunklen Hausgang, bevor sie in ihrer Kammer verschwand. Eine Holzplanke knarzte unter ihrem leichten Schritt.

    Der geheimnisvolle Mann am anderen Ende des Flurs drehte sich rasch um, als er das leise Geräusch vernahm. Er erblickte noch den Zipfel eines Rocks, ehe Belle die Tür geschlossen hatte und sich zitternd dagegenlehnte.

    So sah sie nicht, dass der Fremde Severn schweigend ein Zeichen gab, bevor er im nächtlichen Nebel verschwand.

    1. KAPITEL

    Lillith Renfrew runzelte finster die Stirn, als sie dem Droschkenkutscher den geforderten Betrag reichte. Er war wesentlich höher als das, was sie früher für die gleiche Fahrt von ihrem Zuhause in der Franklin Street bis hierher bezahlt hatte. Aber ihr blieb nichts anderes übrig, als dem Mann die Summe auszuhändigen. Sie hatte keine Zeit, wie ein Fischweib zu feilschen, denn als sie einen Blick auf ihre zierliche Taschenuhr warf, stellte sie fest, dass sie für ihr Treffen mit Belle Tauber bereits spät dran war.

    Der Kutscher steckte schweigend die Münze in die Jackentasche.

    „Sie kommen doch wie vereinbart in einer Stunde zurück?", fragte Lilly und hob ihre Ausrüstung aus dem Gefährt. Nachdem sie sich ihre zwei Taschen, in denen sich fotografische Platten und Fotografien befanden, kreuzweise über die Brust gehängt hatte, schulterte sie die schwere Kamera mit dem sperrigen Stativ.

    „Verlassen Sie sich darauf!", rief ihr der Kutscher zu und fuhr eilig davon. Lilly war sich sicher, dass sie ihn nie mehr wiedersehen würde. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie von einem Droschkenfahrer allein in Barbary Coast zurückgelassen wurde. Manche Männer dachten sich eben überhaupt nichts dabei, eine anständige junge Dame im schlimmsten Viertel San Franciscos im Stich zu lassen.

    Vielleicht sah sie auch nicht so hilflos wie andere Frauen aus. Oder nicht so anständig. Schließlich trug sie ihre ganze fotografische Ausrüstung selbst. Welche Dame aus dem Bürgertum beschäftigte sich denn schon mit der Wissenschaft der Kamera und verfolgte auch noch die Absicht, sich damit finanziell über Wasser zu halten? Jedenfalls keine, die Lilly bekannt gewesen wäre. Sie kannte auch keine Angehörige des sogenannten schwachen Geschlechts, die kräftig genug gewesen wäre, um die schwere Kamera und das fotografische Zubehör ohne Hilfe zu tragen. Auch ihre Schwester und ihre Eltern hatten noch nie von einer ähnlichen Frau wie Lilly gehört, was sie ihr immer wieder klarzumachen versuchten.

    Manchmal kam es ihr fast so vor, als ob die Mitglieder ihrer Familie nur ein einziges Thema kannten: Lillys Unfähigkeit, sich so wie andere Damen ihres Standes zu benehmen. Dieser Vorwurf führte stets zu derselben Schlussfolgerung: Solange sie derart eigensinnig ihren Weg verfolgte, brauchte sie sich nicht zu wundern, wenn sie keine Verehrer hatte.

    Niemand schien je auf den Gedanken zu kommen, dass Lilly genau das war, wozu ihre Familie sie gemacht hatte. Sie besaß die große Gestalt ihres Vaters und ihres Bruders. Und ihre unweiblich anmutende Kraft war das Ergebnis vieler Jahre anstrengender Pflege an ihrer kranken Mutter, die im Rollstuhl saß. Es war im Grunde nicht verwunderlich, dass Lilly keine Verehrer vorweisen konnte. Schließlich gab es außerhalb des engen Bekanntenkreises ihrer Eltern keinerlei gesellschaftliche Beziehungen, die sie hätte ausbauen können. Wie sollte sie einen passenden jungen Mann kennenlernen, wenn sie meist damit zu tun hatte, den ältlichen Freundinnen ihrer Mutter Tee einzugießen oder einen alten Geschäftsfreund ihres Vaters zu unterhalten?

    Zugegebenermaßen besaß sie nicht die strahlende Schönheit ihrer Schwester oder ihres Bruders. Lilly war nicht nur zehn Jahre nach Edmund und fast neun Jahre nach Vinia auf die Welt gekommen; man hatte sie eindeutig auch übersehen, als es um die Verteilung der körperlichen Vorzüge gegangen war.

    Statt blonde Locken wie ihre Geschwister zu haben, hatte sie braunes Haar, das sich nur lockte, wenn sie eine Brennschere benutzte. Während Edmund und Vinia Augen aufwiesen, die den Betrachter an einen Sommerhimmel denken ließen, erinnerten Lilly ihre eigenen Augen eher an einen Regentag. Gutmütige Matronen beschrieben sie als stattlich, denn ihre Nase war zu lang, ihre Kinnlinie zu ausgeprägt, und ihre Wangenknochen waren zu hoch. Um all dem noch die Krone aufzusetzen, hatte sie das Linkische ihrer Mädchentage behalten und war im Gegensatz zu anderen jungen Frauen ihres Alters ohne anschauliche weibliche Rundungen.

    Lilly seufzte. Das waren also die Gründe, warum sie höchstwahrscheinlich sicher und unbelästigt durch Barbary Coast laufen konnte. Außerdem war auch ihr Geldbeutel nicht besonders schwer. Der unverschämte Preis, den der Kutscher verlangt hatte, machte es ihr nun unmöglich, sich eine Tasse Tee und ein Stück Kuchen zu leisten, bevor sie wieder eine Droschke nach Hause nahm. Wenn Edmund nicht angeboten hätte, ihr die Glasplatten, Chemikalien, das Albuminpapier und die Kartonagen zu bezahlen, hätte sie den Leuten, die sie porträtiert hatte, keinen Abzug schenken können.

    Das brachte sie wieder auf Belle Tauber, die vermutlich bereits auf sie wartete. Während Lilly die Straße entlangeilte, überlegte sie, ob der jungen Frau wohl das Passepartout mit den feinen Goldlinien gefallen würde, das ihr Foto nun umgab. Sie hatte sich zu dieser Umrahmung entschlossen, weil Belle heute Geburtstag hatte. Es war seltsam, sich vorzustellen, dass sie sechs Jahre jünger als sie selbst war. Lilly hätte eher angenommen, sie sei zehn Jahre älter als sie, so verlebt sah sie bereits aus.

    Die junge Frau, die auf der Stufe zur Hintertür des Hurenhauses saß und geduldig wartete, wirkte so anders als die Prostituierte, die Lilly kennengelernt hatte, dass sie zwei Mal hinschauen musste. Belle hatte dasselbe abgetragene Kleid an und den dünnen Schal um die Schultern gelegt wie sonst auch. Die Veränderung stammte nicht nur von dem frisch gewaschenen Haar, das sie sich hochgesteckt hatte, sie schien vielmehr von einer Aufregung ergriffen zu sein, die sie vorher noch nie gezeigt hatte. Als sie Lilly erblickte, sprang sie auf und eilte ihr mit unnatürlich funkelnden Augen entgegen. Einen kurzen Moment lang schimmerte auf einmal wieder ihre frühere Schönheit durch.

    „Oh, Miss Lilly! Ich hatte schon Angst, dass Sie nicht kommen würden!", rief Belle.

    Für einen Augenblick hatte Lilly den Eindruck, dass die Prostituierte den Standesunterschied zwischen ihnen vergessen hatte und die Fotografin in die Arme schließen würde. Doch das geschah nicht, was ihr ein wenig wehtat. Von ihren Lebensumständen einmal abgesehen, gab es wenig Unterschiede zwischen ihnen beiden. Weder Lilly noch Belle waren so unabhängig, wie sie sich das wünschten. Im Lauf der Wochen, die sie sich nun bereits kannten, hatte sie die heruntergekommene Frau ins Herz geschlossen. Belle hielt aber stets einen gewissen Abstand zu ihr. Das machte es unmöglich, auf eine wirkliche Freundschaft zu hoffen.

    „Es tut mir leid, dass ich mich verspätet habe, sagte Lilly und legte rasch die Kamera beiseite, um ihre Tasche mit den Fotografien durchsuchen zu können. „Meine Schwester weiß genau, wie wichtig mir mein einziger freier Nachmittag ist. Aber wenn sie kommt, um sich um meine Eltern zu kümmern, erzählt sie mir trotzdem jedes Mal die banalsten Dinge über ihre Kinder, sodass ich nie rechtzeitig wegkomme.

    Belle lächelte. „Mütter klagen gern, Miss Lilly. Ich hätte es bestimmt auch getan, wenn ich meine Kinder hätte behalten dürfen."

    Lilly wusste, dass es keine Worte dafür gab, die junge Frau über ihren Verlust hinwegzutrösten. „Ich halte es dennoch für rücksichtslos von ihr, sagte sie. Endlich hatte sie die richtige Fotografie gefunden. „Hier ist sie. Alles Gute zum Geburtstag, Belle! Ich hoffe, dir gefällt das Bild, das ich ausgewählt habe.

    „Sie haben jedenfalls ziemlich viele gemacht, erwiderte Belle, die erfreut das Bild in Empfang nahm. „Ich hatte schon befürchtet, ich sei so hässlich, dass Ihre Kamera mich nicht aufnehmen wollte.

    Lilly hatte tatsächlich viele Fotos gemacht. Einige zeigten Belle mit so schweren Blutergüssen, dass auch eine dicke Puderschicht sie nicht zu verbergen vermochte. Als sie eine Aufnahme für die Prostituierte gesucht hatte, war es ihr nicht leichtgefallen, ein Porträt zu finden, das etwas vorteilhafter wirkte.

    „Oh, Miss Lilly! Belle seufzte zufrieden. Als sie von der sorgfältig gestellten Fotografie aufsah, standen ihr Tränen in den Augen. „Sie haben mich wieder schön werden lassen, flüsterte sie gerührt.

    „Unsinn, widersprach die Fotografin entschlossen. „Du weißt genau, dass eine Fotografie nur das wiedergibt, was auch in Wirklichkeit da ist.

    „Ich nehme das Bild mit, wenn ich weggehe, und werde es immer in Ehren halten", versprach die Frau.

    Lilly schaute von ihrer Tasche auf, die sie gerade zumachen wollte. „Du gehst weg von hier? Wann?"

    „Sobald ich mit einem gewissen Gentleman gesprochen habe, erklärte Belle ihr fröhlich. „Ich weiß nämlich etwas über ihn, was ich nicht wissen sollte.

    „Du hast vor, jemanden zu erpressen? Lilly hielt vor Schrecken die Luft an. „Aber, Belle, das kannst du doch nicht tun. Das ist nicht richtig.

    Das Lächeln der jungen Frau erstarb. „Und was diese Männer jeden Tag mit mir machen – ist das vielleicht richtig?"

    „Natürlich nicht, entgegnete die Fotografin. „Es ist nur …

    „Sie und ich stammen aus verschiedenen Welten, Miss Lilly. Sie besuchen dieses Viertel nur. Ich lebe hier, und man kommt hier nicht heraus, wenn man nicht ein paar Zwanzigdollar-Goldstücke zusammenhat."

    Lilly trieb sich bereits lange genug in Barbary Coast herum, um zu wissen, dass es der Traum beinahe jeder Frau war, von hier einmal entkommen zu können. Doch dieser Traum würde für die meisten niemals in Erfüllung gehen. Belle wollte nun selbst ihr Schicksal in die Hand nehmen. Aber Lilly hatte die bittere Erfahrung gemacht, dass so etwas in dieser Gegend fast immer scheiterte.

    „Sei vorsichtig, Belle, beschwor sie ihre Bekannte. „Es ist gar nicht so wichtig, ob es richtig oder falsch ist, was du da planst. Auf jeden Fall ist es sehr gefährlich.

    Die Prostituierte lächelte schwach. „Machen Sie sich um mich keine Sorgen, Miss Lilly. Ich kenne diesen Mann gut genug, um zu wissen, dass ihm sein Ruf über alles geht. Er bedeutet ihm sogar mehr als Geld. Es wird bestimmt klappen, und dann bin ich weg von hier. Etwas Besseres kann es gar nicht geben."

    „Hast du mit diesem Mann schon gesprochen?"

    Belle schüttelte den Kopf. „Nein, noch nicht. Ich weiß aber, wo ich ihn heute Abend finden kann. Sobald er mich bezahlt hat, werde ich die Stadt verlassen und irgendwo anders ein neues Leben beginnen."

    Und wenn er sie nicht bezahlte? Lilly fragte sich, ob Belle diese Möglichkeit überhaupt in Betracht zog. Auch wenn sie selbst ein schlechtes Gefühl bei der ganzen Angelegenheit hatte, so wusste sie doch, dass es sinnlos sein würde, mit der entschlossenen Frau zu streiten. Vielleicht würde sie in Belles Lage genauso waghalsig handeln.

    Lilly schloss die Prostituierte rasch in die Arme und freute sich, als sie nach einem kurzen Zögern die Umarmung erwiderte. „Dann hoffe ich, dass dein neues Leben so wird, wie du dir das erträumst."

    „Ich danke Ihnen, Miss Lilly. Ich weiß, dass es so sein wird. Belle kicherte plötzlich nervös. „Schlimmer als mein bisheriges Leben kann es wohl kaum sein, nicht wahr?

    Das stimmte wahrhaftig, aber doch beruhigte es Lilly keineswegs. Belles Plan barg unzählige Gefahren in sich. Hätte sie doch nur nicht noch weitere Fotografien zu verteilen und den Zeitungsjungen versprochen, dass sie heute eine Aufnahme von ihnen machen würde! Aber schließlich hatte Belle wesentlich mehr Erfahrung im Umgang mit Männern als sie selbst. Die junge Frau würde schon wissen, worauf sie sich da einließ.

    Lilly schulterte die Kamera. „Ich wünschte, ich könnte noch etwas bleiben, aber …"

    „Ich verstehe schon, versicherte ihr Belle. „Vielen Dank für die Fotografie.

    „Das ist doch gern geschehen. Ich hoffe, du genießt noch deinen restlichen Geburtstag." Mit diesen Worten drehte sich Lilly um und ging die Gasse dorthin zurück, woher sie gekommen war.

    „Das tue ich bestimmt, vor allem wenn ich den anderen Mädchen mein Foto zeige!", rief ihr Belle ausgelassen hinterher.

    Lilly winkte ihr noch einmal zu und bog dann um eine Ecke in die Hauptstraße ein.

    Der Plan der Prostituierten gefiel ihr ganz und gar nicht. Sie war gerade einmal ein gutes Dutzend Schritte die belebte Pacific Street entlanggegangen, als sie sich entschloss, doch zu Belle zurückzukehren. Nichts war so wichtig, als die Frau davon zu überzeugen, dass Erpressung nicht die Antwort auf ihre Gebete sein konnte. Sie wollte sie zu Tee und Kuchen einladen und lieber mit der schweren Kamera auf der Schulter nach Hause laufen, als ihre Pflicht als Freundin zu versäumen. Irgendwie würde es ihr schon gelingen, sie zu überreden, einen weniger gefährlichen Weg einzuschlagen, um Barbary Coast verlassen zu können.

    Lilly drehte sich rasch um und eilte um die Ecke zu der menschenleeren Gasse zurück, in der Belle wohnte. Ihr dunkelbraunes Kostüm war kaum von den im Schatten gelegenen Hauswänden zu unterscheiden.

    Als sie das Sträßchen betrat, stellte sie fest, dass Belle noch nicht ins Haus hineingegangen war. Sie hatte den Kopf nach unten gebeugt und betrachtete so versunken die Fotografie, dass sie offenbar den Mann gar nicht bemerkte, der aus dem Gebäude hinter ihr trat.

    Es war ein schlaksiger, wenn auch nicht auffallend großer Bursche. Da er keinen Hut trug, konnte Lilly erkennen, dass sein dunkles Haar bereits dünn wurde und sich Geheimratsecken auszubilden begannen. Seine Hose hatte eine ähnliche schlammgraue Farbe wie das Pflaster, während sein Hemd zu den Ziegelsteinen der umliegenden Häuser passte. Er trug keinen Bart, und sein Gang wirkte so selbstsicher und gewandt, dass er in einem Viertel wie Barbary Coast deutlich ins Auge stach.

    Auf einmal schien Belle zu merken, dass sich ihr jemand näherte. Sie drehte sich um und ließ die Hand sinken, in der sie die Fotografie hielt; das Bild verschwand in den Falten ihres Rocks. Da sie keinerlei Angst beim Anblick des Mannes zeigte, war Lilly überhaupt nicht darauf vorbereitet, als dieser plötzlich mit einer blitzschnellen Bewegung ein Messer hervorholte und der Prostituierten damit den Hals durchschnitt.

    Lilly stand vor Schock wie gelähmt da. Der Mann nahm sein Opfer fast zärtlich in die Arme, als es leblos zusammensackte. Ihr Porträt fiel Belle aus der Hand und wurde vom Wind in die Gasse getragen.

    Deegan Galloway stand auf der Straßenseite, die der vom Geschäft des Leichenbestatters gegenüberlag, und betrachtete den Blumenschmuck. Die Trauerdekoration schien geschmackvoll zu sein. Jedenfalls so geschmackvoll, wie das den verschwenderischen Bürgern von San Francisco, die durch den Bergbau und die Eisenbahn reich geworden waren, entsprach. Prahlerei und Aufschneiderei waren geradezu unerlässlich, denn es war das Ende einer Ära. Norton der Erste – selbst ernannter Kaiser der Vereinigten Staaten – war tot.

    Wenn man nach den langen Reihen der Trauernden und den üppigen Blumengestecken urteilte, sah es ganz so aus, als würde der alte Exzentriker sehr vermisst werden. Seit Jahren hatte er von der Großzügigkeit der Bewohner von San Francisco gelebt. Er hatte umsonst in den Restaurants der Stadt gegessen und war von den Schneidern ohne Entgelt eingekleidet worden. Norton hatte es geschafft, angenehm zu leben, ohne auch nur einen Cent selbst verdienen zu müssen.

    Deegan hatte Norton in der Vergangenheit deshalb oftmals beneidet. Doch das war noch vor seinem eigenen Wandel gewesen. Inzwischen war er eine Art Handelsvertreter für seinen besten Freund, den wohlhabenden englischen Baron Garrett Blackhawk, geworden. Mit diesem Posten hatte er auch Zugang zu einem Bankkonto erhalten, was ihn besonders gefreut hatte. Zum Glück war die Stellung ziemlich anspruchslos, sodass sie im Grunde das perfekte Arrangement für einen arbeitsscheuen Burschen wie ihn darstellte. Aber wahrscheinlich kannte Garrett ihn nach all den gemeinsamen Abenteuern, die sie in den letzten zwei Jahren durchlebt hatten, zu gut, um etwas wie ehrliche Arbeit von Deegan zu erwarten.

    Das Geld und die ehrbar klingende Geschäftsverbindung zwischen ihnen waren schlicht und einfach eine Belohnung. Deegan war sich nicht sicher, ob er sie dafür bekam, weil er Garrett in Mexiko unzählige Male das Leben gerettet hatte, oder für seine unerschütterliche Treue, die er auch unter ungewöhnlichen Umständen während ihrer Reise nach England gezeigt hatte, oder vielleicht weil Garrett vor Kurzem Winona Abbot geheiratet hatte – die einzige Frau, in die sich Deegan jemals verliebt hatte. Er vermutete, dass am ehesten der letztere Grund zutraf. Als er seinen Freund und dessen atemberaubend schöne Gattin so glücklich zusammen erlebte, waren ihm plötzlich seine eigenen Mängel deutlich vor Augen gestanden. Anstatt sich länger zu quälen, beschloss er, das strahlende Paar noch in Boston zu verlassen. Kaum hatte ihr Schiff dort angelegt, befand sich Deegan bereits in einem Zug in Richtung Westen.

    Seitdem war er sehr beschäftigt. Er hatte ein Büro gemietet und einen eifrigen jungen Buchhalter eingestellt, der sich dort aufhalten sollte, während er sich selbst wieder in die feine Gesellschaft von San Francisco stürzte. Die Familie Winonas war sehr bemüht gewesen, die Wogen zu glätten, die sein letztes Erscheinen in dieser erlesenen Runde ausgelöst hatte. Auch das war eine Belohnung – diesmal dafür, dass er ihrer Tochter das Leben gerettet hatte. Er wurde inzwischen so liebenswürdig in den besten Häusern der Stadt aufgenommen, dass er sich manchmal fragte, ob ihn noch irgendjemand mit dem Ganoven in Verbindung brachte, der es gewagt hatte, mit den Gefühlen zweier reicher Erbinnen zu spielen.

    Deegan war so sehr Teil dieser Welt geworden, dass niemand im „Pacific Club" auch nur auf die Idee gekommen wäre, ihn zu fragen, woher eigentlich das Geld stammte, das er für die Beerdigung des Kaisers beigesteuert hatte.

    Dieser Aufstieg war für einen jungen

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