Angi bekommt wieder Eltern: Sophienlust Bestseller 142 – Familienroman
Von Bettina Clausen
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Über dieses E-Book
Das Kinderheim Sophienlust erfreut sich einer großen Beliebtheit und weist in den verschiedenen Ausgaben der Serie auf einen langen Erfolgsweg zurück. Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, mit Erreichen seiner Volljährigkeit, das Kinderheim Sophienlust gehören wird.
Auf dem Marktplatz von Maibach hatte sich eine Gruppe von Neugierigen angesammelt. In ihrer Mitte zeigte ein Clown seine Kunststücke. Die Kinder lachten und klatschten in die Hände. Da zog der Clown seine Perücke vom Kopf. Vorstellung beendet, hieß das. »Mach doch weiter«, riefen ein paar Zuschauer. Es waren hauptsächlich Kinder. Doch der Clown schüttelte den Kopf. »Jetzt ist Flipp an der Reihe«, sagte er laut und deutete auf einen kleinen weißen Zwergpudel. Inzwischen ging die kleine Angi mit einem Körbchen die Reihe der Zuschauer ab. Jeder warf ein paar Münzen in das Körbchen. Die Kinder nur zehn oder zwanzig Cent, manche Erwachsenen sogar einen Euro. »Wie heißt du?«, fragte ein Bub neugierig. »Angi«, sagte das Mädchen. Eigentlich hieß es Angelika, aber niemand nannte es so. »Und wie alt bist du?«
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Buchvorschau
Angi bekommt wieder Eltern - Bettina Clausen
Sophienlust Bestseller
– 142 –
Angi bekommt wieder Eltern
Unveröffentlichter Roman
Bettina Clausen
Auf dem Marktplatz von Maibach hatte sich eine Gruppe von Neugierigen angesammelt. In ihrer Mitte zeigte ein Clown seine Kunststücke. Die Kinder lachten und klatschten in die Hände. Da zog der Clown seine Perücke vom Kopf. Vorstellung beendet, hieß das.
»Mach doch weiter«, riefen ein paar Zuschauer. Es waren hauptsächlich Kinder.
Doch der Clown schüttelte den Kopf. »Jetzt ist Flipp an der Reihe«, sagte er laut und deutete auf einen kleinen weißen Zwergpudel.
Inzwischen ging die kleine Angi mit einem Körbchen die Reihe der Zuschauer ab. Jeder warf ein paar Münzen in das Körbchen. Die Kinder nur zehn oder zwanzig Cent, manche Erwachsenen sogar einen Euro.
»Wie heißt du?«, fragte ein Bub neugierig.
»Angi«, sagte das Mädchen. Eigentlich hieß es Angelika, aber niemand nannte es so.
»Und wie alt bist du?«, fragte der Junge weiter.
Der Kleine hatte fünfzig Cent in den Korb geworfen. Deshalb blieb Angi stehen und antwortete auf seine Frage: »Ich werde fünf.«
»Gehörst du zu denen da?« Der Junge deutete mit dem Kopf zu dem Planenwagen mit dem abgemagerten alten Pferd davor.
Angi nickte. » Der Clown heißt Ricardo«, sagte sie. »Und der Pudel Flipp. Er kommt jetzt dran.«
Doch der Hund interessierte den Jungen nicht. Was sollte ein Hund schon können? »Und was macht ihr, wenn eure Vorstellung hier beendet ist?«
»Dann setzen wir uns auf den Wagen und fahren weiter«, sagte Angi.
Der fremde Junge staunte mit großen Augen. »Wie ein richtiger Zirkus?«
Angi nickte. »Ja. Wir sind jeden Tag woanders.«
»Mensch, das muss ja toll sein«, sagte der Junge begeistert.
Doch Angi fand es gar nicht so toll. Sie hätte lieber ein richtiges Zuhause gehabt, eine Wohnung, in die sie jeden Abend hätte zurückkehren können.
»Da seid ihr ja ein richtiger kleiner Wanderzirkus. Verdient ihr viel Geld?«
Traurig schüttelte Angi den Kopf. »Nein, wir verdienen nicht viel.« Das Mädchen wusste, manchmal reichte es gerade nur für das Notwendigste. Für ein paar trockene Brötchen und einen Beutel Milch.
»Und wo übernachtet ihr?«, fragte der Junge weiter.
»In dem Planenwagen da.«
»Das ist toll! Einfach toll!« Der Junge klatschte in die Hände. »Ein richtiges Abenteuer. Ich würde sofort mitmachen.«
Ricardo, der mit bürgerlichem Namen Richard Winter hieß, rief nach Angi. Sofort kam sie zurück. »Es ist nicht viel«, sagte sie kleinlaut und reichte ihm das Körbchen.
»Macht doch nichts.« Seine Hand strich zärtlich über ihr blondes Haar.
Wieder spürte Angi, wie seine Finger zitterten. Ricardo war schon zweiundsiebzig, und Angi hatte dauernd Angst um ihn. Wenn er stirbt, habe ich niemanden mehr, dachte sie auch jetzt wieder. Dann bin ich ganz allein. Allein mit Flipp.
Sie beobachtete den Zwergpudel, der soeben mit einem dreifachen Salto durch die Luft wirbelte. Die Zuschauer tobten vor Begeisterung. Sie klatschten und verlangten nach mehr. »Ein richtiger kleiner Artist ist unser Flipp«, murmelte Ricardo. Er selbst hatte dem Pudel die Kunststücke beigebracht.
Der Bub, der sich vorher schon mit Angi unterhalten hatte, kam jetzt wieder zu ihr. »Warum tretet ihr nicht in einem richtigen Zirkus auf?«
Angi senkte den Blick. »Weil uns niemand nimmt. Ricardo ist schon alt. Außerdem hat er ein krankes Herz.«
»Wenn ich Zirkusdirektor wäre, würde ich euch sofort nehmen«, sagte der Bub.
Angi lächelte ihn an. Von ihm wanderte ihr Blick zu einer Gruppe von Kindern, die eben erst gekommen war. »Die sind aus Sophienlust«, sagte der Bub.
Angi schaute ihn fragend an. »Was ist Sophienlust?«
»Ein Kinderheim. Ganz in der Nähe.« Er schaute zur Kirchturmuhr empor. »Ich muss mich verdünnisieren.«
»Was musst du?«, fragte Angi.
»Ich muss nach Hause. Sonst setzt’s ein Donnerwetter. Seid ihr morgen wieder hier?«
Angi nickte.
»Gut, dann komme ich morgen wieder. Wiedersehen.«
»Wiedersehen.« Angi schaute ihm nach. Wahrscheinlich geht er nach Hause zu seinen Eltern, dachte sie. Es muss schön sein, wenn man Eltern hat, zu denen man gehen kann.
Ricardo rief jetzt nach ihr. »Du musst Flipp ablösen.«
»Ja«, sagte Angi und trat zu dem Seil, das Ricardo einen halben Meter über dem Boden aufgespannt hatte. Mühelos balancierte sie drüber. In der Mitte drehte sie sich sogar und blieb Bruchteile von Sekunden auf einem Bein stehen. Die Zuschauer klatschten, und Ricardo zwinkerte anerkennend mit den Augen.
Darüber freute sich Angi immer besonders, denn Ricardo geizte mit Lob. Nur selten lobte er Flipp oder Angi.
»Hast du das gesehen?«, sagte ein Mädchen in der Gruppe der Kinder, die neu hinzugekommen waren.
Pünktchen, so hieß die Angesprochene, nickte. »Toll, wie sie das macht. Sieh nur, jetzt tanzt sie sogar.«
Vicky und Angelika bewunderten staunend Angis graziöse Sprünge. »Ich möchte auch so tanzen können«, sagte Vicky.
Damit reizte sie Nick zum Lachen. »Du und tanzen. Da müsstest du erst einmal zehn Pfund abnehmen.«
Entrüstet drehte sich Pünktchen zu Nick um. »So direkt brauchst du es ihr nun auch wieder nicht zu sagen.«
»Doch«, widersprach Nick ihr. »Dann nimmt sie es sich vielleicht zu Herzen, und stopft nicht den ganzen Tag Süßigkeiten in sich hinein. Das ist doch überhaupt nicht gesund.«
»Aber es schmeckt gut«, rief Vicky trotzig.
Schnell legte Pünktchen ihren Arm um die mollige Vicky. »Sieh mal den Hund an! Ich glaube, der will auch etwas vorführen.«
Da hatte Flipp schon seinen ersten Salto geschlagen. Die Kinder feuerten ihn mit begeisterten Zurufen an. »Der ist ja einmalig«, staunte Nick.
»Süß ist er.« Pünktchen wandte keinen Blick von dem niedlichen weißen Pudel. Ich möchte ihn streicheln, dachte sie. Und Nick überlegte, wer den Hund trainiert haben mochte. Ob es der alte Mann gewesen war, der sich jetzt eine Clownmaske überstreifte? Der muss doch mindestens schon siebzig sein, dachte Nick. Er sonderte sich von der Gruppe ab. Während die anderen über Ricardos Albereien lachten, umrundete er den Planwagen mit dem Pferd. Richtig romantisch ist das, dachte er. Da fahren sie doch glatt mit einem Wagen über Land. Er schaute hinüber zu dem kleinen Mädchen, das jetzt mit einem Körbchen von Zuschauer zu Zuschauer ging. Manche entschlossen sich nur zögernd, etwas hineinzuwerfen, aber die meisten gaben spontan und gern. Nick beschloss, einen Euro seines Taschengeldes zu opfern. Er winkte die Kleine zu sich.
Angis Augen weiteten sich, als sie sah, dass der Junge einen Euro hineingeworfen hatte. »Danke«, sagte sie und deutete sogar einen Knicks an.
Nick musste lächeln. »Ist das alles, was du zusammenbekommen hast?« Er zeigte in das Körbchen. Darin lagen außer Nicks Eurostück nur noch zwei Fünfzigcentstücke, ansonsten Fünf- und Zehncentstücke.
Angi nickte. »Mehr kriegen wir nie.«
»Wie wollt ihr denn davon leben?«
Angi senkte den Kopf. Sofort tat sie Nick leid. Er opferte noch einen Euro seines Taschengeldes.
Darüber erschrak Angi fast. So viel hatte ein Kind noch nie gegeben. Selbst die Erwachsenen hatten es nur selten getan.
Als Angi sich bedankte, geriet sie ins Stottern.
»Du brauchst dich nicht zu bedanken«, wehrte Nick verlegen ab. »Ihr tut ja schließlich etwas dafür.« Er deutete auf Ricardo, der inzwischen alle Kinder zum Lachen gebracht hatte. »Ist er früher einmal in einem Zirkus aufgetreten?«
»In einem großen sogar«, sagte Angi stolz. »Er heißt Ricardo. Und das hier ist Flipp.« Sie beugte sich zu dem Pudel hinab, der zu ihr gekommen war.
Nick streichelte den Hund ebenfalls. »Du bist ja ein richtiger kleiner Artist, Flipp.«
Aufmerksam musterten ihn die dunklen Knopfaugen. Dann sprang Flipp an Nick hoch.
»Er mag dich«, sagte Angi begeistert. »Das macht er nur bei Leuten, die er mag. Und Fremde mag er meistens nicht.« Sie lief zurück, um Ricardo das Körbchen zu bringen.
»Die Vorstellung ist beendet«, sagte Ricardo laut und nahm die Perücke mit der halben Gesichtsmaske ab.
»Sieh mal, Ricardo, da sind zwei Eurostücke drin.« Angi reichte dem Alten das Körbchen. Erst in diesem Moment bemerkte sie, wie schwer er atmete. »Tut dir dein Herz wieder weh?«, fragte sie ängstlich.
Ricardo schüttelte den Kopf. »Ich bin nur ein bisschen müde. Wir machen für heute Schluss.«
»Ja. Du musst dich hinlegen und ausruhen«, sagte Angi besorgt.
Die Zuschauer zerstreuten sich.
*
Der Clown Ricardo, Angi und Flipp waren an diesem Nachmittag Gesprächsthema Nummer eins in Sophienlust. Die älteren Kinder hatten allen von der Vorstellung auf dem Marktplatz erzählt.
»Das muss ich unbedingt sehen«, rief Henrik.
Heidis Augen wurden groß und kugelrund, als Pünktchen den Pudel beschrieb. »Tante