In der geheimnisvollen Burg: Gaslicht 43
Von Irene von Velden
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Da vorn, auf den Klippen oder ganz in der Nähe, gab es mehrere tanzende Lichter. Tina blieb reglos stehen und überlegte. Was konnte das sein? Ihre Augen schienen die Dunkelheit durchbohren zu wollen. Aber so sehr sie sich auch abmühte, sie konnte nur die tanzenden Lichter erkennen. Wer, um alles in der Welt, mochte sich um diese Zeit in der Nähe der Klippen aufhalten? Es herrschte ein scharfer Wind, der Tina Lindts rotblondes Haar durcheinanderwirbelte. Das Kreischen der Möwen hier im Watt machte sie fröhlich. Sie war gekommen, um Wilfried Sackberg zu vergessen. Eigentlich war es eine richtige Flucht gewesen. Nachdem Wilfried ihr erklärt hatte, dass er nicht daran dächte, sie zu heiraten, weil er die Tochter eines einflussreichen Mannes ehelichen wollte, hatte Tina nur noch den Wunsch gehabt, die Stadt so schnell wie möglich zu verlassen. Sie hatte ihre Stellung gekündigt. Dann war sie hierhergefahren, an den See, wo um diese Zeit kaum noch Kurgäste waren. Es wäre ihr unmöglich gewesen, noch länger in der Stadt zu bleiben, wo sie alles an Wilfried erinnerte, und an die verlorene Liebe, von der sie einmal geglaubt hatte, dass sie für ein ganzes Leben reichte. Unvorstellbar, einmal Wilfried begegnen zu müssen mit Inge, die er heiraten wollte. Über eine Woche war Tina nun schon in der kleinen Pension bei der freundlichen Meta Clasen, die ihren letzten Feriengast verwöhnte und bemutterte. Tina hatte bisher nur weite, einsame Spaziergänge gemacht und sich daran gehalten, sich nicht zu weit ins Watt vorzuwagen, weil das gefährlich sein konnte für jemanden, der sich nicht genau auskannte. Meistens ging sie bis zu dem alten Kahn, der im Watt lag, setzte sich auf ihn und saß ganz still, um die Möwen zu beobachten und die Strandläufer, die nach Nahrung suchten und emsig damit beschäftigt waren, im Schlick herumzustochern mit ihren langen Schnäbeln. Tina wusste, dass sie diesmal nicht allzu weit hinauswandern durfte, denn es war schon spät, und man musste bald merken, dass die Flut aufkam. Früher hatte sie immer geglaubt, dass man das kaum beobachten konnte.
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In der geheimnisvollen Burg - Irene von Velden
Gaslicht
– 43 –
In der geheimnisvollen Burg
Für dich ein Ort des Schreckens, Tina!
Irene von Velden
Da vorn, auf den Klippen oder ganz in der Nähe, gab es mehrere tanzende Lichter. Tina blieb reglos stehen und überlegte. Was konnte das sein? Ihre Augen schienen die Dunkelheit durchbohren zu wollen. Aber so sehr sie sich auch abmühte, sie konnte nur die tanzenden Lichter erkennen. Wer, um alles in der Welt, mochte sich um diese Zeit in der Nähe der Klippen aufhalten?
Es herrschte ein scharfer Wind, der Tina Lindts rotblondes Haar durcheinanderwirbelte. Das Kreischen der Möwen hier im Watt machte sie fröhlich.
Sie war gekommen, um Wilfried Sackberg zu vergessen. Eigentlich war es eine richtige Flucht gewesen. Nachdem Wilfried ihr erklärt hatte, dass er nicht daran dächte, sie zu heiraten, weil er die Tochter eines einflussreichen Mannes ehelichen wollte, hatte Tina nur noch den Wunsch gehabt, die Stadt so schnell wie möglich zu verlassen.
Sie hatte ihre Stellung gekündigt. Dann war sie hierhergefahren, an den See, wo um diese Zeit kaum noch Kurgäste waren.
Es wäre ihr unmöglich gewesen, noch länger in der Stadt zu bleiben, wo sie alles an Wilfried erinnerte, und an die verlorene Liebe, von der sie einmal geglaubt hatte, dass sie für ein ganzes Leben reichte. Unvorstellbar, einmal Wilfried begegnen zu müssen mit Inge, die er heiraten wollte.
Über eine Woche war Tina nun schon in der kleinen Pension bei der freundlichen Meta Clasen, die ihren letzten Feriengast verwöhnte und bemutterte.
Tina hatte bisher nur weite, einsame Spaziergänge gemacht und sich daran gehalten, sich nicht zu weit ins Watt vorzuwagen, weil das gefährlich sein konnte für jemanden, der sich nicht genau auskannte.
Meistens ging sie bis zu dem alten Kahn, der im Watt lag, setzte sich auf ihn und saß ganz still, um die Möwen zu beobachten und die Strandläufer, die nach Nahrung suchten und emsig damit beschäftigt waren, im Schlick herumzustochern mit ihren langen Schnäbeln.
Tina wusste, dass sie diesmal nicht allzu weit hinauswandern durfte, denn es war schon spät, und man musste bald merken, dass die Flut aufkam. Früher hatte sie immer geglaubt, dass man das kaum beobachten konnte. Aber in den wenigen Tagen, die sie hier war, hatte sie erkennen können, dass es erstaunlich schnell ging. Zuerst füllten sich die Priele, die wie kleine Flüsse aussahen, mit mehr Wasser. Und dann stieg der Wasserspiegel auch in den Lachen und Pfützen, vereinigte sich mit dem Wasser der anderen Pfützen, bis schließlich alles vom Meer erfasst und bedeckt war. Und dann musste man eigentlich schon auf dem sicheren Land sein, wenn man sich nicht in Gefahr bringen wollte.
Tina wusste, dass das Watt schon für manchen Menschen zur tödlichen Falle geworden war. Und so hielt sie sich dann auch immer strikt an Meta Clasens Weisungen und Warnungen, nicht leichtsinnig zu sein und sich nicht in eine Gefahr zu begeben, der sie dann nicht entrinnen konnte.
Tina schritt schneller aus. Sie wollte hinüber zur großen Düne, um von da aus zu beobachten, wie die Flut immer mehr stieg. Das fand sie beruhigend, und sie stellte sich dabei vor, wie die Tiere des Meeres mit dem Wasser auch wiederkamen und sich hier tummelten. Immer wieder hoffte sie, auch einmal einige Seehunde beobachten zu können. Aber das war ihr bisher noch nicht gelungen. Meta Oasen hatte ihr erzählt, dass sich die Tiere meistens bei den Klippen aufhielten, unterhalb der Burg, wie das große und mächtige Gemäuer hieß, das droben stand und schon sehr alt sein musste.
Tina fand das alte Gemäuer faszinierend, aber sie war noch nicht zu den Klippen hinübergewandert. Das hatte noch Zeit. Sie war sowieso entschlossen, noch mehrere Wochen zu bleiben, bis sie sich überlegte, was sie mm anfangen sollte. Sobald sie eine neue Stellung gefunden hatte, wollte sie ihre Wohnung in der Stadt aufgeben und irgendwo anders von vorn anfangen. Das konnte es ihr leichter machen, Wilfried und seinen schändlichen Verrat zu vergessen.
Und da war sie auch schon wieder mit ihren Gedanken bei Wilfried Sackberg angelangt, den sie doch so schnell wie möglich vergessen wollte! Tina blies die Wangen auf. So einfach, wie sie es sich wünschte, ging es wohl nicht, weil sie viel zu viel Gefühl in diese Sache investiert hatte.
Plötzlich schrie sie laut und entsetzt auf. Ihr Gesicht verzog sich vor Schmerz. Und dann, als sie wieder ein wenig Luft schöpfen konnte, sah sie, dass sie mit dem Fuß in eine alte, rostige Ankerkette geraten war.
Nach Luft schnappend beugte sie sich hinab und erkannte sofort, dass sie sich nicht befreien konnte. Der Fuß steckte in einem der Kettenglieder, aber sie war nicht in der Lage, ihn wieder hervorzuziehen.
Was sollte sie nur tun? Wie sollte sie das Festland früh genug erreichen, um nicht von der Flut überrascht zu werden? Tina blickte ängstlich in die Runde und erkannte, dass es allerhöchste Zeit war, zurückzulaufen. Sie zerrte an dem Fuß, versuchte, die alte Ankerkette aufzuheben, um wenigstens mit ihr weitergehen zu können. Aber das war unmöglich. Die Kette war, obwohl stark angerostet, doch noch viel zu haltbar und auch zu schwer, um mit ihr laufen zu können.
Wenn der Fuß hineingeraten war, müsste ich ihn auch wieder herausziehen können, dachte sie aufgeregt und zerrte so lange, bis die Haut aufgeschrammt war und höllisch schmerzte. Aber den Fuß konnte sie trotz aller Anstrengungen nicht befreien. Er saß fest, als hätte man ihn in der Kette angeschmiedet.
»Hilfe!«, schrie Tina auf. Aber dann schwieg sie. Niemand hätte sie hören können, denn die Möwen kreischten viel zu laut, der Wind pfiff. Außerdem war auch weit und breit kein Mensch zu entdecken, der, ihr hätte Hilfe bringen können. Es wäre auch zu spät gewesen, denn das Wasser stieg unaufhörlich.
Resigniert ließ sie sich auf den nassen Sand sinken und schluchzte einmal auf.
So ist das also, wenn man den sicheren Tod vor Augen hat, dachte sie verzweifelt. Man kann sich nicht wehren und muss warten, bis er kommt und einen erlöst hat.
Und dabei hätte sie so gern gelebt. Mit dreiundzwanzig hat man normalerweise doch das Leben noch vor sich. Nur sie nicht. Es wäre gut, wenn ich mich auf den baldigen Tod vorbereiten würde, statt verzweifelt zu versuchen, noch einen Ausweg zu finden, obwohl ich doch genau weiß, dass es keinen gibt.
Es wird ein langsamer, qualvoller Tod sein.
Tina merkte, wie die Angst nach ihr griff. Sie wünschte sich, vorher ohnmächtig zu werden, damit sie nicht spürte, wie das Wasser in ihre Lungen geriet und sie erstickte.
Weinend legte sie das Gesicht auf die angezogenen Knie.
*
Dorian Hedensee pfiff laut und schrill. Der prächtige Airedaleterrier hob den Kopf und sah ihn aufmerksam an.
»Komm, Puck! Jetzt war es lange genug. Wir müssen heim!«, rief Dorian und lachte dem prachtvollen Tier zu. Puck kam sofort zurück und patschte folgsam neben ihm über den nassen Sand. Plötzlich blieb der Hund stehen, hob die viereckig aussehende Nase mit dem nach vorn gebürsteten Schnauzhaar hoch und bellte.
Dorian blieb stehen und sah sich um. Wenn Puck so unvermittelt Laut gab, dann war da etwas, was sein Misstrauen erregt hatte.
Der große, starke Mann mit dem dunklen Haar hob die rechte Hand über die Augen, um sie gegen die Sonne zu schützen, und entdeckte tatsächlich einen zusammengesunkenen Körper.
»Na los, sehen wir mal nach, Puck. Aber wehe dir, wenn es nur wieder einer der Seehunde ist«, sagte Dorian und lief über das Watt, bis er, wie vom Donner gerührt, stehen blieb und hervorstieß: »Aber … Das ist ja ein Mensch! Ein Mädchen!«
Es hockte im Wasser, sah nicht auf und schien nichts mehr wahrzunehmen.
Dorian fühlte, wie Zorn in ihm hochstieg. Zorn über den Leichtsinn mancher Menschen, die sich in Lebensgefahr begaben und darin umkamen, wenn nicht ein Wunder geschah. Aber das Wort blieb ihm im Hals stecken, als er sah, aus welchem Grund dieses zarte Mädchen im Wasser hockte. Ihr Fuß stecke in einer alten Ankerkette, die es hier und da noch gab.
Dorian wusste, dass auch er in Gefahr war. Er durfte keine Zeit verlieren. Und so ging er nicht gerade sonderlich sanft mit Tina um, die noch gar nicht zu begreifen schien, dass da in letzter Minute ein Retter gekommen war.
Er beugte sich zu der alten Kette nieder, sah sich den Fuß an, der schon stark geschwollen war, und sagte mitleidig:
»Beißen Sie die Zähne aufeinander, ich muss Ihnen jetzt sehr wehtun.« Aber er wusste nicht, ob seine Worte das Mädchen auch erreicht hatten, denn es reagierte kaum.
Er wusste nur, dass keine Zeit mehr zu irgendwelchen Erklärungen war. Und so stellte er sich auf eines der Kettenglieder und beugte sich zu Tinas Fuß hinab, nahm ihn und riss ihn empor.
Tina schrie auf,