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Der Tod der Rose: Aus den Tagebüchern meiner Frau
Der Tod der Rose: Aus den Tagebüchern meiner Frau
Der Tod der Rose: Aus den Tagebüchern meiner Frau
eBook229 Seiten3 Stunden

Der Tod der Rose: Aus den Tagebüchern meiner Frau

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Über dieses E-Book

Das Leben einer Frau mit Namen Rose, der Königin der Blumen. Alles, was sie erlebte, empfand und in ihr Weltbild einordnen konnte, schrieb sie auf. Hunderte Seiten in ihrer freien Zeit. Männer spielten keine geringe Rolle.
Ihr angetrauter ein Casanova. Enttäuscht sucht sie einen anderen, lernt einen neuen Mann kennen. Verliebt sich spontan. Beide haben die Mitte des Lebens erreicht, es folgen fast 30 Jahre ungetrübtes Glück - bis ein altes Lungenemphysem ihr peu à peu die Luft zum Atmen nimmt. Noch in der Klinik bringt sie Gedanken und Gefühle zu Papier. ,,Ich liebe dich" sind ihre letzten Worte.
Ihrem Mann verdanken wir dieses Buch. Er fand es nach ihrem Tod und ließ es drucken. Zum Glück für alle, die lieben und geliebt werden.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum1. Nov. 2017
ISBN9783743971226
Der Tod der Rose: Aus den Tagebüchern meiner Frau
Autor

Otto W. Bringer

Otto W. Bringer, 89, vielseitig begabter Autor. Malt, bildhauert, fotografiert, spielt Klavier und schreibt, schreibt. War im Brotberuf Inhaber einer Agentur für Kommunikation. Dozierte an der Akademie für Marketing-Kommunikation in Köln. Freie Stunden genutzt, das Leben in Verse zu gießen. Mit 80 pensioniert und begonnen, Prosa zu schreiben. Sein Schreibstil ist narrativ, "ich erzähle", sagt er. Seine Themen sind die Liebe, alles Schöne dieser Welt. Aber auch der Tod seiner Frau. Bruderkrieg in Palästina. Werteverfall in der Gesellschaft. Die Vergänglichkeit aller Dinge, die wir lieben. Die zwei Seelen in seiner Brust.

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    Buchvorschau

    Der Tod der Rose - Otto W. Bringer

    Schreibe einfach mal auf, was mir passiert. Vielleicht wird´s so was wie ein Tagebuch eines Tages.

    Ich bin Rose. 39 Jahre jung. Meine Mutter ruft mich immer Roselchen, als wäre ich noch im Kindergarten. Rege mich auf jedes Mal. Aber was soll´s? Mamas dürfen sagen, was sie wollen. Wie ich reagiere, ist meine Sache. Bin schließlich eine gestandene Frau. Verheiratet, ein Sohn. Asistentin in der psychiatrischen Klinik Bettburg-Hau am linken Niederrhein. Werde mich demnächst selbstständig machen als Gesprächstherapeutin.

    Verheiratet seit 17 Jahren mit einem älteren Mann, den ich schon Wochen nicht mehr gesehen habe. Eine neue Freundin im Spiel. Eine jüngere, was sonst? Mitarbeiterin aus seiner Firma, einem Autohaus. Er zahlt für dieses Verhältnis 1000 Mark monatlich plus Wohnung. Versehentlich gab man mir bei der Bank seine Kontoauszüge. Was seine feudalen Abendessen und Urlaube kosten, will ich gar nicht wissen. Mir blättert er gelegentlich, mal mehr, mal weniger blaue Scheine auf den Tisch Zum Teufel mit dem Kerl. Anfangs war ich wütend. Später gelassener. Heute ist er mir egal.

    Noch haben wir eine gemeinsame Wohnung. In Essen, jetzt Moers, im Haus seiner Eltern. Fünf große Räume auf der ersten Etage, praktisch für mich allein. Parkettboden ideal zum Tanzen. Wenn ich einen hätte. Ach nein.

    Unser gemeinsamer Sohn Christian ist krank. Seit sieben Jahren in Heimen. Beobachten und therapieren mit speziellen Methoden. Eine Gehirnhautentzündung im Babyalter schädigte die Stelle, die für Liebe und Mitgefühl zuständig ist. Irreparabel. Die neurowisschenschaftliche Diagnose kann ich nicht nachvollziehen. Weiß nur, er ist autistisch. Auf sich selbst bezogen. Ohne Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen. Mit ihnen zu fühlen. In Bälde kann er die Klinik verlassen, um auf einer Gesamtschule hoffentlich den Abschluss zu machen. Dann ruft der Bund. Mal gespannt, wie er das schafft. Sorge mich, dabei weiß ich nicht genau, ob aus Liebe oder Verantwortung. Tue aber alles, ihm eine Freude zu machen. Wenn schon sein Vater praktisch nicht existiert, soll er wenigstens spüren, ich, seine Mutter bin da.

    In den fast acht Jahren besuchte ich ihn monatlich. Mit dem Auto von Essen in die Nähe von Ebermannstadt im Frankenland. Sprach lange mit der Leiterin der Kinderklinik. Hörte immer nur: „Ja es wird schon. Sie müssen Geduld haben". Nahm ihn mit in mein Hotel. Zog ihm mitgebrachte Sachen an. Eine dunkelblaue Kniehose, ein rosa Hemd mit einem Bändel am Kragen. Und neue Schuhe. Er sollte wie mein Sohn aussehen. Schließlich will ich stolz auf ihn sein. Man sollte erkennen, das sind Mutter und Sohn.

    Mein Outfit in meinen damaligen Lieblingsfarben Blau und Rosa. Barbara Buhlmann, eine fantasievolle Modekünstlerin entwarf und nähte für mich schicke Klamotten. Außer ihrer Kollektion für Betuchte und Modehäuser. Das wollte ich mir leisten. Ohne schlechtes Gewissen.

    Bei jedem meiner Besuche in den Jahren bummelte ich mit Christian durchs Fachwerkstädtchen. Ließ ihn laufen, wohin er wollte. An die Eistheke, in einen Werkzeugladen. Er sollte spüren, dass ich ihn liebe. Auch wenn er selber sich mehr für Wasserhähne und Kneifzangen interessierte als für Menschen wie mich. Immerhin war er damals bereits 10 Jahre. Abends nahm ich ihn mit zum Essen. Auf das Erdbeereis zum Nachtisch freute er sich schon beim Frühstück. Seinen Vater sah er in diesen Jahren nur ein paar Mal. Jeder dieser Besuche machte mir Sorgen. Es könnte Streit geben. Christian aber hing an seinen Arm, lachend, als wäre alles gut. Verrückte Welt, dachte ich. Ernst, so heißt mein Mann, kaufte seinem Sohn, was er haben wollte. Papa ist der großzügige Spender. Als ob Geld Anwesenheit ersetzen könnte.

    Als Christian entlassen wieder zuhause war, musste er zur Kenntnis nehmen, unsere Ehe existierte praktisch nicht. Er wendete sich an mich, wenn ihn etwas plagte. Bauchschmerzen oder eine Klassenarbeit. Sein Vater war abwesend. Ich wurde seine einzige Bezugsperson. Er nannte mich Mimi. Mimi, eine unbewusste Liebkosung? Dachte es und fühlte mich getröstet, wenn Umarmungen ausblieben.

    Meist hockte Chris in seinem Zimmer, las Asterix und Obelix, bis sie zerfleddert im ganzen Zimmer herumlagen. Ordentlich ging er mit seinen eigenen Zeichnungen um. Bilder von Rohrverbindungen, undefinierbares technisches Zeug auf Blättern eines Ringbuches. Chris, so kürzte ich seinen Namen, malte nie Männchen, Vögel, ein Pferd wie andere Kinder in dem Alter.

    Erst, als ich mir zwei Bassets anschaffte, taute er auf. Spielte mit Esther und Bonny. So hießen die beiden Jäger. Rannte mit den Schwarzweißbraungefleckten Langohren um die Wette. Schmuste mit ihnen. Warum eigentlich nicht mit mir? Möchte weinen. Ließ es sein. Wenn ich ihn umarmte, wand er sich heraus, als wollte ich ihn fesseln. Zwingen wollte ich ihn nicht. Nein. Hätte er gesehen, wie sein Vater mich immer mal wieder umarmt und geküsst hätte, ja dann hätte er gelernt. Vielleicht. Aber der Vater immer seltener zuhause. Und Autist bleibt Autist. Kümmerte mich um Wohnung und Essen. Irgendwas muss sich ändern, sagte ich mir. Irgendwas.

    Wir wohnen jetzt schon 11 Jahre in dem großen Haus. Unsere Ehe blieb, was sie war. Keine wie ich sie mir vorgestellt hatte. Verliebt, verwöhnt, der Himmel auf Erden nur 8 Jahre. Danach Kind immer noch krank. Mann auf Freiersfüßen. Nach dem Motto: öfter mal was Neues. Warum macht er das nur? War ihm doch viele Jahre Geliebte, Köchin und Begleiterin, auf die er stolz war. Denke mir jetzt, es waren meine schicken Kleider, mit denen er auf der Kö promenierte. Warum ist jetzt alles anders? Habe ich etwas falsch gemacht?

    Vielleicht ärgert ihn, dass ich erfolgreich bin, Geld verdiene. Mich um Christian kümmere und seine Ausbildung. Um alles, was Wohnung und Lebensunterhalt betrifft. Er nicht mehr allein das sorgende Oberhaupt der Familie. So sieht er sich gern, der Katholik. Die traditionelle Rolle war jetzt in ihr Gegenteil verkehrt. Er sollte sich fragen, warum. Und nicht bei jungen Weibern antichambrieren. Für mich ist er Luft.

    Gut, dass ich Freunde habe. Wir lernten uns kennen beim täglichen Hundetreff im Schlosspark. Hunde fördern neue Bekanntschaften. Das Café nah. Original wie es vor den Bombenangriffen aussah. Das alte niederrheinische Städtchen im Krieg völlig zerstört. Danach wieder aufgebaut. Im alten Stil die Altstadt mit ihren hübschen, weißen, zweigeschossigen Häusern. Gemauerten Giebeln des Barock. Grüne, blaue und rote Fensterläden. Farbtupfer ins weißeste Weiß der Fassaden gesetzt. Kleine Geschäfte im Erdgeschoss mit Innenhöfen. Und Gittern, von denen Rosen oder Geranien baumeln. Gern besuchte Puppenstube für alle, die Moers kennen und das Café im Park lieben.

    Rolf Köppers hat ein Juweliergeschäft. Ringe, Armbänder, Ohrringe, Ketten und Uhren. Eigentlich nicht mein Geschmack. Ein einziger Ring mit Opal und Diamanten gefiel mir. Mein Mann schenkte ihn mir zum Geburtstag. Rolf ist ein echter Kamerad. Seine Ilse schwesterlich mir zugetan. Ihnen kann ich meine Sorgen erzählen. Von Söhnlein Christian. Den jüngsten Eskapaden meines Mannes. Nachhaltigen Erlebnissen mit geisteskranken Menschen. Nach Feierabend bin ich geschafft. Körperlich, weil Anstrengung das Atmen erschwert. Und psychisch. Mein Gefühlshaushalt strapaziert von allem, was ich täglich 10 lange Stunden miterleben muss. Bin ich bei Köppers, fühle ich mich leichter.

    Ilse kocht oder wir gehen zum Italiener ins «Il Mulino». Grottenhöhle mit der leckeren Pizza Margerita. Klassisch weiß mit Rot und Grün. Mozarella, Tomaten, Basilikum. Italiens Nationalfarben. Die vielseitige Küche Italiens möchte ich gerne kennenlernen. Mal sehen wo, wann und mit wem. Bei Ilse zuhause schmeckt mir besonders ihr Käsefondue. Mit einem Schuss Kirschwasser. Das regt an zu langen und heiteren Gesprächen. Beruhigt meine Nerven.

    In Rosi, meiner Kosmetikerin, finde ich eine Leidensgenossin: „Lassen Sie sich doch die Haare färben. Kupferrot passt zu Ihrer ganzen Art. Sie bewegen sich, sprechen schnell und wissen, was Sie wert sind. Überlege einen Moment, Rosi hat Recht. Sehe mich im Spiegel: „Ein wenig heller, goldiger wäre mir lieber. Seitdem kennen mich alle mit dem rotgoldenen Schopf. Hochgesteckt wie ein Krönchen.

    Meine Eltern besuchen mich. Mutti-Ellenruth und Lothar, mein zweiter Vater. Der erste fiel in Stalingrad 1943. Sie wollen mich sehen, nicht nur telefonieren. Sie wissen von meinem Mann nicht alles. Einmal erwischten sie mich, als ich heulte. „Was hast Du? Meine Mama besorgt, wie sie es sonst nicht zeigte. Strich mir über die Schulter. Ihr Roselchen hat Kummer. In der Regel zeige ich nicht, was mich bedrückt. Sagte ihnen nur: „Der Kerl kann mir gestohlen bleiben. Wieder eine neue Freundin, die dritte. Jetzt sind sie bei mir: „Gut siehst Du aus, eine neue Frisur?" Sie lieben mich so, wie ich bin.

    Wir gehen im Schlosspark spazieren. Kleine Kaffeepause im Parkcafé. Sehen eine Frau auf einem weißen Pferd reiten. „Die kommt gerade recht Mama sieht mich an: „Du bist in Au auch geritten, erinnere mich genau. Paula nanntest Du das Ponny, das Opa Dir schenkte. Meine Mama blickt augenzwinkernd zu Lothar. „In Au warst Du richtig versessen darauf, täglich mit Deinem Ponny auszureiten. Zögert eine Sekunde. „Was hältst Du davon, wenn wir Dir ein Pferd schenken? Das Angebot erwischt mich völlig unerwartet. Was soll ich da sagen?

    Ein Pferd für mich. Atme tief durch. Kratze mich am Kopf, plötzlich juckt es. Betrachte meine Fingernägel. Schlecht lackiert heute. Nicht zu fassen, ich werde ein Pferd haben. Ein richtiges, ausgewachsenes Pferd. „Wo steht es denn? „Lothar hat gute geschäftliche Beziehungen zu Marbert in Krefeld. Frau Marbert besitzt einen Reiterhof. Da kam Lothar auf die Idee, bei ihr ein Pferd zu kaufen und Dir zu schenken. Es ist übrigens ein rabenschwarzer Wallach. „Ein Rappen, ein Rappen für mich ganz allein. Den muss ich sehen. Alle einsteigen, fahren wir los."

    Fast hätte ich die rote Ampel überfahren, so aufgeregt war ich lange nicht. In einer Wiesenmulde draußen vor der Stadt die Ställe. „Hallo, sind Sie Frau Rose Nissing? Ich zeige Ihnen Ihr Pferd. Der Mann zieht mich in das Stallgebäude. Laufe mehr als ich gehe an den Boxen entlang. Sehe schlanke Köpfe, die sich über die Boxentür recken. Dicke Hinterteile, denen egal ist, wer draußen vorbeigeht. Wo, wo ist mein Pferd? An der Box 11 bleibt der Mann stehen: „Hier ist Ihr Ariano. Also Ariano heißt er. Flüstere, ich will ihn nicht erschrecken: „Ariano. Er wendet seinen schlanken Hals, blickt mich an. Schüttelt sich, wiehert. Scharrt mit den Hufen, als wollte er raus. „Temperamentvoller Kerl", sagt der Mann. Es riecht nach Pferden und ihren Hinterlassenschaften. Streng.

    Erinnere mich, genauso roch es beim Großvater in Au. Er starb vor drei Jahren. Oma war schon fünf Jahre tot. Meine Mama bezahlte von ihrem Erbteil diesen Gaul. Pardon, dieses edle Ross. „Danke, danke Mama. Umarme sie so stürmisch, dass sie umgefallen wäre, hätte Papa-Lothar sie nicht aufgefangen. „Entschuldigung Mama. Drehe mich sofort wieder um: „Ariano" lauter als beim ersten Mal. Wieder wendet er sich mir zu. Seine blassrosafarbenen Lippen bewegen sich. Die Nüstern, weit aufgerissen, vibrieren. Blickt mich an. Mit großen glänzenden Augen. Wobei ich nie weiß, ob Pferd mich ansieht oder durch mich hindurch. Ich bin verliebt, in ein Pferd.

    Der Mann heißt Lüttke. Floh aus Ostpreußen ins Rheinland nach dem Krieg. Ehemaliger Leiter eines Trakehnergestüts, ein idealer Reitlehrer. Und Freund aller Reiter. Lerne Eva Just kennen, Ev Leffkes und Ria Hobelsberger. Wir vier wurden echte Freundinnen. Reiterfreundinnen. Das ist mehr als Freundschaft von Leuten, die sich nur auf zwei Füßen fortbewegen. Wir haben eine gemeinsame Leidenschaft, das Pferd. Lassen uns von unseren Vierfüßern voran bringen. Zügeln ihre natürlichen Temperamente. Achten aufeinander. Jeder Reiter braucht Raum. Besonders beim Traben, Galoppieren, Springen. Unsere unterbeschäftigten Füße lassen das Pferd lediglich wissen: so nicht, sondern so.

    Lerne es jetzt in meinen wöchentlichen Reitstunden. Draußen auf dem Übungsplatz. Bei schlechtem Wetter in der großen Halle. Einer hilft dem anderen, wenn das Pferd bockt, nicht fressen will. Kehrt seine Box sauber, wenn einer krank ist. Wenn eines fohlt, sind wir vier dabei. Reden, befürchten Komplikationen, hoffen auf eine leichte Geburt. Nicht anders als bei den Menschen. Intensiver möchte ich sagen. Neues Leben kommt auf die Welt. Reckt sich, streckt sich, richtet sich auf die staksigen Beine. Das ist mehr als eine Sensation. Es ist ein Glücksfall. Im allumfassenden Sinne. Ich will alles das. Und letztenendes nicht nur herum hoppeln. Sondern Dressur reiten. Eines Tages.

    Schon nach fünf sechs Reitstunden fühle ich mich fit. Will nicht mehr am Ende der Kolonne reiten. Nicht mehr die Letzte sein. Auch wenn ich als Letzte in diese Gruppe kam. Mein Ariano hilft mir. Er galoppiert davon, bevor ich ihn dazu antreibe. Nutze den Spurt aus und setze mich an die Spitze. Dreh mich zu den anderen. Lache: „Jetzt bin ich die Erste!" Schlage die Zügel, die Schenkel, Ariano prescht davon. Der Abstand zu den anderen wird größer. Schön, dass der Reitplatz mehr als 2000m² misst. Meine Frisur löst sich im Wind, Die Haare fliegen hoch, mir um Stirn, Augen, Ohren. Es braust in meinem Kopf. Sieg, Sieg.

    In der Dusche nimmt mich Eva Just: „Hör mal, liebe Rosel, so geht das nicht. Bringst die gewohnte Ordnung durcheinander. Bleib da, wo Du hin gehörst. Bis Du an der Reihe bist. Wendet sich ab. Spricht nicht mit mir. Zwei Wochen kein Wort. Also „Reih Dich ein sage ich zu mir. „Spendiere einen Prosecco" und alles ist wieder gut. Es dauerte, Reiterinnen haben ihren Stolz. Ich auch, verdammt nochmal. Eines Tages werde ich die Erste sein. Springreiten oder Dressur. Das überlege ich noch. Wir vier hocken wieder zusammen.

    Heute telefoniert mit Architekt Werner. Er ist ein guter Bekannter, auch mit Hund, einem Dackel. „Ich hab eine Kate im Angebot. Du willst doch ein Bauernhaus haben, oder? Hast du jetzt Zeit? Kommt angebraust, zeigt mir ein Foto. „Nah bei Kalkar, vis à vis Emmerich, da wo der Rhein eine Kurve macht. Ehemalige Melkerhütte. Kannst sie sofort haben.

    Ein eigenes Haus mein Traum. Ich flippe aus. Eines am Rhein mit Wiesen und Kühen. „Toll Werner", umarme ihn. Erinnerungen überfallen mich. „Komm setz´ Dich, will Dir was erzählen. Weißt Du, es erinnert mich an Au in Bayern. Kleines Dorf vor dem 1400m hohen Wendelstein. Meine Großeltern hatten sich dort einen Alterssitz gebaut. Vor der schönsten Kulisse mit den liebsten Kühen der Welt. Als 9jährige lebte ich bei ihnen, bis der Krieg zu Ende war. Durfte auf einem Ponny reiten lernen. Großvater wollte nach seiner Pensionierung nicht ohne Arbeit sein. Verwirklichte einen alten Traum, Haflinger zu züchten.

    Ganze Nachmittage verbrachte ich in den engen Ställen. Striegelte die Hinterbacken aller Pferde. Für die Rücken stieg ich auf ein Fußbänkchen. Striegelte sorgfältig und länger als nötig, meinte Großvater. Kam mir vor wie eine richtige Reiterin. Den Stallgeruch werde ich nicht vergessen. Nie, nie das Schnauben und Wiehern, wenn ihnen wohl war. Taufte mein Lieblingsponny auf den Namen Paula. Mit Wasser aus dem Bach. Au, ach ja, Au war der schönste Ort meiner Kindheit. Mit Ariano ist mein Kindertraum Wirklichkeit geworden. Noch was ganz anderes. Bin noch in Au:

    Ebenso wenig vergesse ich unseren ersten Gottesdienst in der katholischen Kirche. Es duftete wunderbar. Weihrauch, wie ich später erfuhr. Wir waren evangelisch. Weihrauch kannten wir nicht. Der katholische Pfarrer und die meisten Leute wollten uns anfangs nicht in ihre Kirche lassen. Unser Ritus sei Gotteslästerung. Eines Tages besuchte uns der Dorfälteste, Bauer Nemeter: „Hoab mit dem Kirchnvorstand gered, dem Pfoarrer. Natürlich könnt Ihr Euern Gottesdienst in unsrer Kirchn feiern. Ia betets un wia betn, da ist ka Untaschiad. Mia hoam den sölben Himmi. Grüass Gott." Weg war er.

    Werners Zeigefinger deutet unmissverständlich auf die Kate im Foto. „Wir sollten jetzt unverzüglich losfahren. Der Verkäufer wartet auf uns. Wir fahren mit meinem Wagen. Werner hat mir aufmerksam zugehört, ist jetzt bei der Sache. „Muss nur noch rechtsrheinisch einen kurzen Besuch machen. Wie lange dauert es, bis wir da sind? quengele ich. Unruhig wie ein Kind. Weihnachten fällt mir ein. „Eine knappe Stunde. Werner fährt mit seinem flotten BMW über die Autobahn 3. Bis zur Ausfahrt Emmerich. Über die Brücke. Damals die schönste am Rhein. Heißt es.

    Über zwei kräftige Pylone gespannt mächtige Stahltrosse. An ihnen dünnere, senkrechte Seile, wie Saiten einer Harfe. An denen die leicht gebogene Fahrbahn hängt. Ein ästhethisches Gebilde, das die flache Landschaft wie ein Kunstwerk übersteigt.

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