Fräulein Tolpatsch: Leni Behrendt Bestseller 37 – Liebesroman
Von Leni Behrendt
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In dem großen Krankenhaus herrschte die erhabene Ruhe, die sich den meisten Menschen so beklemmend aufs Gemüt legt. Scheu streifen die Augen die lackierten Türen, die trotz ihrer fleckenlosen Weiße so viel Unheildrohendes ausströmen, welches das Herz zu stürmischen Schlägen veranlaßt und die Knie weich werden läßt. Denn man weiß ja nicht, was hinter diesen Türen lauert – hoffnungsvolles Genesen oder hoffnungsloser Tod. An einem Vormittag huschte eine blutjunge Schwester den spiegelblank gebohnerten Korridor entlang, die die Empfindungen eben erwähnter angstgepeinigter Menschen nicht teilte, weil ihr all das ringsum vertraut war und sie diese beklemmende Luft geatmet hatte seit ihrem ersten Schrei. Mit der Sicherheit der Vielgeübten trug sie ein Tablett in den Händen, auf dem eine Karaffe mit funkelndem Wein und ein Glas standen. Sie wollte gerade zu einer der weißen Türen abbiegen, als aus dem gegenüberliegenden Zimmer der Professor der Anstalt in Begleitung des Oberarztes trat. Die klaren, durchdringenden Augen des Professors blieben an der Schwester haften, die darob eine solche Unsicherheit befiel, daß das Tablett heftig wankte und die Karaffe in gefährliches Rutschen geriet, während das Glas zu Boden klirrte und vor den Füßen des erstaunten Professors zerschellte. Und hätte der Oberarzt nicht rasch zugegriffen, so wäre auch die Karaffe dem Weg des Glases unweigerlich gefolgt. Nun stand die Schwester da – blutübergossen das reizende Gesichtchen und in den Augen so banges Flehen, als wollte sie den Gefürchteten um Verzeihung bitten, daß sie die Vermessenheit habe, auf der Welt zu sein. Kopfschüttelnd betrachtete der Professor das erschrockene Mädchen, und während er mit dem Oberarzt weiterschritt, zuckte ein Lächeln um den harten Mund. »Nun sagen Sie mal, mein lieber Doktor, was ist eigentlich mit der Kleinen los?« richtete er das Wort an seinen Begleiter. »Sehe ich denn so furchterregend aus, daß sie mir die mannigfaltigsten Dinge vor die Füße wirft, sobald sie mich nur sieht?« Der Blick des Arztes streifte den Vorgesetzten, der ihm in seiner imposanten Männlichkeit um eine halbe Haupteslänge überragte. »Muß doch wohl«, war seine lachende Erwiderung. »Sie sind für dieses Aschenputtel der Anstalt wahrscheinlich der Gott, der über allen Wolken thront, und es zollt Ihnen den Tribut eben auf seine Weise.« »Sonderbare Ehrenbezeigung«, trat der Professor die Erklärung trocken ab. »Da kann ich mich ja noch auf allerlei gefaßt machen.«
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Fräulein Tolpatsch - Leni Behrendt
Leni Behrendt Bestseller
– 37 –
Fräulein Tolpatsch
Leni Behrendt
In dem großen Krankenhaus herrschte die erhabene Ruhe, die sich den meisten Menschen so beklemmend aufs Gemüt legt.
Scheu streifen die Augen die lackierten Türen, die trotz ihrer fleckenlosen Weiße so viel Unheildrohendes ausströmen, welches das Herz zu stürmischen Schlägen veranlaßt und die Knie weich werden läßt. Denn man weiß ja nicht, was hinter diesen Türen lauert – hoffnungsvolles Genesen oder hoffnungsloser Tod.
An einem Vormittag huschte eine blutjunge Schwester den spiegelblank gebohnerten Korridor entlang, die die Empfindungen eben erwähnter angstgepeinigter Menschen nicht teilte, weil ihr all das ringsum vertraut war und sie diese beklemmende Luft geatmet hatte seit ihrem ersten Schrei.
Mit der Sicherheit der Vielgeübten trug sie ein Tablett in den Händen, auf dem eine Karaffe mit funkelndem Wein und ein Glas standen.
Sie wollte gerade zu einer der weißen Türen abbiegen, als aus dem gegenüberliegenden Zimmer der Professor der Anstalt in Begleitung des Oberarztes trat.
Die klaren, durchdringenden Augen des Professors blieben an der Schwester haften, die darob eine solche Unsicherheit befiel, daß das Tablett heftig wankte und die Karaffe in gefährliches Rutschen geriet, während das Glas zu Boden klirrte und vor den Füßen des erstaunten Professors zerschellte.
Und hätte der Oberarzt nicht rasch zugegriffen, so wäre auch die Karaffe dem Weg des Glases unweigerlich gefolgt.
Nun stand die Schwester da – blutübergossen das reizende Gesichtchen und in den Augen so banges Flehen, als wollte sie den Gefürchteten um Verzeihung bitten, daß sie die Vermessenheit habe, auf der Welt zu sein.
Kopfschüttelnd betrachtete der Professor das erschrockene Mädchen, und während er mit dem Oberarzt weiterschritt, zuckte ein Lächeln um den harten Mund.
»Nun sagen Sie mal, mein lieber Doktor, was ist eigentlich mit der Kleinen los?« richtete er das Wort an seinen Begleiter. »Sehe ich denn so furchterregend aus, daß sie mir die mannigfaltigsten Dinge vor die Füße wirft, sobald sie mich nur sieht?«
Der Blick des Arztes streifte den Vorgesetzten, der ihm in seiner imposanten Männlichkeit um eine halbe Haupteslänge überragte.
»Muß doch wohl«, war seine lachende Erwiderung. »Sie sind für dieses Aschenputtel der Anstalt wahrscheinlich der Gott, der über allen Wolken thront, und es zollt Ihnen den Tribut eben auf seine Weise.«
»Sonderbare Ehrenbezeigung«, trat der Professor die Erklärung trocken ab. »Da kann ich mich ja noch auf allerlei gefaßt machen.«
Damit war für die Herren der Zwischenfall erledigt, während er der Hauptbeteiligten so schweren Kummer bereitete.
Wie ein Häuflein Unglück kauerte sie am Boden und sammelte mit zitternden Händen die Scherben auf das Tablett. Nun noch mit dem Taschentuch den Fußboden gerieben, bis auch der kleinste Glassplitter entfernt war. Was kümmerte es sie, daß sie sich dabei die zarte Haut ritzte und ein Tröpfchen Blut floß. Viel wichtiger war, daß von dem Malheur keine Spur zu sehen war.
Dann erst erhob sich die Kleine seufzend und wischte energisch die Tränen fort, die immer noch über das vor Scham erglühte Gesichtchen liefen. Denn um sich ihrem Kummer hinzugeben, dazu hatte die kleine Schwester keine Zeit.
Die Karaffe wurde auf ein Tischchen gestellt, und hurtig huschten die Füßchen davon, um Ersatz für das zerbrochene Glas zu holen.
Diesmal wurde die Tür ohne Zwischenfall erreicht.
Der Finger pochte behutsam an das weißlackierte Holz, und mit einem höflichen Gruß trat das Mädchen über die Schwelle des lichten Krankenzimmers, in dem eine Dame mittleren Alters im Bett lag.
»Guten Tag, Schwester Angelika«, wurde der Gruß freundlich erwidert. »Lieb von Ihnen, daß Sie kommen. Ich habe Sie schon sehnsüchtig erwartet. Und was bringen Sie denn da Gutes? Wieder einmal Wein? Ich soll mich hier bei Ihnen wohl zum Trunkenbold ausbilden!«
Ein liebes Lächeln huschte über das Mädchengesicht, während das Tablett vorschriftsmäßig auf dem Nachttisch landete.
»Sie werden den Wein doch trinken, gnädige Frau?« wurde bang gefragt.
»Nein«, kam es unerwartet energisch zurück. »Das werden Sie für mich tun, Kleine, denn Ihren blassen Wangen ist er nötiger als mir.«
Zwei große erschrockene Augen starrten die Dame an, als wären diese liebenswürdig lächelnden Lippen die bösesten Worte entschlüpft.
»Aber, gnädige Frau – das darf ich doch nicht!« sagte die Schwester kläglich.
»Warum denn nicht?« wurde dagegen gefragt. »Wer wird Ihnen das verbieten, wenn ich das wünsche? Sie müssen doch aus Erfahrung wissen, Sie kleine Schwester, daß Kranke eigensinnig sind und auf ihrem Wunsch bestehen. Und daß sie außerdem nicht geärgert werden dürfen. Das wäre ja auch eine schlechte Empfehlung für Ihre Anstalt. Setzen Sie sich also in den bequemen Sessel da, und trinken Sie artig auf mein Wohl.«
Ja, was blieb der Schwester denn anderes übrig, als zu gehorchen?
Zaghaft nahm sie in dem Korbsessel Platz, der neben dem Bett stand, und sah die Patientin so flehend an, daß diese herzlich lachen mußte.
»Ist es denn so arg, was ich da von Ihnen verlange, meine Kleine?«
»Ja«, kam es aus tiefstem Herzensgrund. »Ich bin an Wein nicht gewöhnt und habe heute noch viel Arbeit zu leisten. Außerdem ist es uns Schwestern streng verboten, von den Kranken während der Behandlungszeit etwas anzunehmen. Und hier handelt es sich noch um den Wein, den Sie unbedingt trinken müssen, gnädige Frau.«
Die Kranke wurde einer Entgegnung enthoben, denn nach kurzem Klopfen betrat die Oberschwester der Anstalt das Zimmer.
Sie war eine wahrhaft junonische Gestalt, mit all der respekteinflößenden Würde, die für einen so verantwortungsvollen Posten notwendig ist.
Nun ruhte ihr strenger Blick auf der jungen Schwester, die aus ihrem bequemen Sessel aufgesprungen war und in ratloser Verlegenheit vor der Gefürchteten stand.
»Hier finde ich Sie also, Schwester Angelika?« fragte sie unwillig. »Haben Sie denn vergessen, welchen Auftrag ich Ihnen vorhin gab?«
»Wie schade!« schaltete sich die Kranke ein, ehe die Schwester etwas sagen konnte. »Ich hätte Schwester Angelika gern noch ein Weilchen hierbehalten, um mir ein wenig vorlesen zu lassen. Ich weiß nämlich aus Langeweile nichts mit mir anzufangen.«
Schon nahm das Antlitz der Oberschwester einen liebenswürdigen Ausdruck an, und ebenso liebenswürdig war die Erwiderung.
»Selbstverständlich steht Ihnen die Schwester zur Verfügung, gnädige Frau. Ich muß nur immer hinter ihr her sein, damit sie in ihrer Verträumtheit nicht ihre Pflichten vergißt.«
Sie wandte sich an die Schwester. »Also, Schwester Angelika, wenn Frau von Steinbach Sie entläßt, dann melden Sie sich bei mir.«
Das klang nun wieder kurz und streng, und der Blick war kein guter, mit dem die würdige Dame das blutübergossene Gesicht ihrer Untergebenen musterte, bevor sie das Zimmer verließ.
»Nun nehmen Sie wieder Platz, Kleines«, redete Frau von Steinbrecht gütlich zu, und mit einem erleichterten Seufzer setzte sich Schwester Angelika wieder in den Sessel. »Sie bleiben doch gern bei mir, mein Kind?«
»Und wie gern«, wurde so inbrüstig beteuert, daß Frau von Steinbrecht ein amüsiertes Lächeln kaum unterdrücken konnte. »Es ist schön bei Ihnen, gnädige Frau.«
»Na, da sind wir aber geteilter Ansicht. Ich kann es beim bestem Willen hier nicht schön finden. Und wer weiß, ob die Ihre bestehen bleiben würde, wenn Sie statt meiner hier lägen.«
»Oh, gnädige Frau, ich bin noch nie krank gewesen.«
»Das klingt ja ganz nach Bedauern, Sie Schäfchen. Seien Sie froh, daß Sie das Kranksein nicht kennen. Und nun lesen Sie mir etwas vor, damit wir beide auf andere Gedanken kommen.«
Gehorsam nahm die Schwester das Buch zur Hand, das auf dem Nachttisch lag.
Dann war nur noch die weiche, ungemein melodische Stimme in dem Krankenzimmer, das noch vor kurzer Zeit so viel Schmerzen gesehen.
Aufmerksam hing der Blick Frau Isabell von Steinbrechts an dem jungen süßen Antlitz der Leserin, das unter der steifen, strengen Haube so rührend wirkte, zumal es ein Zug von wehmütiger Trauer überschattete.
Was mochte diesem armen Kind in seinem blutjungen Leben schon alles widerfahren sein, daß es so gar nichts von dem unbekümmerten Frohsinn an sich hatte, der sonst doch der Jugend anhaftete?
Ein warmes Gefühl stieg in der kinderlosen Frau auf, der dieses junge Geschöpf in ihr Herz geschlossen hatte vom ersten Sehen an. Und der Wunsch, Näheres über sein Schicksal zu erfahren, stieg lebhaft in ihr auf.
»Legen Sie das Buch fort, Schwester Angelika«, sagte sie gütig. »Das Zuhören strengt mich doch noch zu sehr an. Erzählen Sie mir lieber etwas von sich. Oder mögen Sie das nicht?«
»Es wird in der Anstalt nicht gern gesehen, wenn wir Schwestern über unser Privatleben plaudern«, entgegnete Schwester Angelika tödlich verlegen.
»Du meine Güte«, rief Frau von Steinbrecht halb bestürzt, halb lachend. »Das Atmen ist den Schwestern hoffentlich nicht auch noch verboten?«
Schwester Angelika lächelte zaghaft. »Natürlich nicht, gnädige Frau. Und so streng sind die Vorschriften ja auch gar nicht. Es muß eben Ordnung herrschen.«
»Ordnung, ja, das ist ungemein wichtig«, stimmte die Kranke ein wenig sarkastisch zu. »Und zu dieser Ordnung gehört in erster Linie das Wohlbefinden des Patienten. Ich sagte es vorhin schon einmal. Also, liebes Kind, nun erzählen Sie mal ein bißchen.«
»Ach, gnädige Frau, ich wüßte gar nicht, was ich da erzählen sollte. Mein Leben ist wirklich sehr uninteressant.«
»Das würde ich an Ihrer Stelle nicht so ohne weiteres behaupten. Denn irgend etwas ist in jedes Menschen