Vati, ich halte zu dir: Sophienlust Extra 66 – Familienroman
Von Gert Rothberg
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In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg.
Denise von Schoenecker sah ihren Besucher immer wieder verstohlen an. Es war der achtunddreißigjährige Buchhalter Arthur Erlau aus Lindau am Bodensee. Der mittelgroße brünette Mann machte auf sie einen besonders niedergeschlagenen Eindruck. Er war ohne Anmeldung gekommen und hatte sich dafür nun schon mehrere Male entschuldigt. Denise wollte ihm weiterhelfen und sagte: »Es geht also um Ihren Jungen, Herr Erlau.« »Ja, es geht um meinen Heiner. Er ist sieben Jahre alt, also noch zu klein, um ihn über Monate hinweg allein lassen zu können. Seine Mutter ist vor einem Jahr an Leukämie gestorben. Seitdem haben wir uns allein versorgt und kamen ganz gut zurecht. Leider haben wir keine näheren Verwandten, auch keine Bekannten, zu denen ich meinen Sohn geben könnte. Zudem möchte ich gern, dass er aus Lindau herauskommt. Durch Zufall habe ich von Ihrem Kinderheim gehört. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie meinen Jungen für acht Monate aufnehmen könnten. Er würde Ihnen sicher keine Sorgen machen, weil er gut erzogen und sehr willig ist.« »Warum müssen Sie Ihren Jungen allein lassen, Herr Erlau?«, fragte Denise. »Das haben Sie mir noch nicht gesagt, aber ich sollte es wissen.« Arthur Erlau senkte den Kopf, sein Gesicht sah nun noch zermürbter aus als vorher. Es vergingen einige Sekunden, ehe er antwortete. »Ich muss eine Haftstrafe von acht Monaten absitzen.«
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Buchvorschau
Vati, ich halte zu dir - Gert Rothberg
Sophienlust Extra
– 66 –
Vati, ich halte zu dir
Heiner lässt sich nicht beirren!
Gert Rothberg
Denise von Schoenecker sah ihren Besucher immer wieder verstohlen an. Es war der achtunddreißigjährige Buchhalter Arthur Erlau aus Lindau am Bodensee.
Der mittelgroße brünette Mann machte auf sie einen besonders niedergeschlagenen Eindruck. Er war ohne Anmeldung gekommen und hatte sich dafür nun schon mehrere Male entschuldigt.
Denise wollte ihm weiterhelfen und sagte: »Es geht also um Ihren Jungen, Herr Erlau.«
»Ja, es geht um meinen Heiner. Er ist sieben Jahre alt, also noch zu klein, um ihn über Monate hinweg allein lassen zu können. Seine Mutter ist vor einem Jahr an Leukämie gestorben. Seitdem haben wir uns allein versorgt und kamen ganz gut zurecht. Leider haben wir keine näheren Verwandten, auch keine Bekannten, zu denen ich meinen Sohn geben könnte. Zudem möchte ich gern, dass er aus Lindau herauskommt. Durch Zufall habe ich von Ihrem Kinderheim gehört. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie meinen Jungen für acht Monate aufnehmen könnten. Er würde Ihnen sicher keine Sorgen machen, weil er gut erzogen und sehr willig ist.«
»Warum müssen Sie Ihren Jungen allein lassen, Herr Erlau?«, fragte Denise. »Das haben Sie mir noch nicht gesagt, aber ich sollte es wissen.«
Arthur Erlau senkte den Kopf, sein Gesicht sah nun noch zermürbter aus als vorher. Es vergingen einige Sekunden, ehe er antwortete. »Ich muss eine Haftstrafe von acht Monaten absitzen.« Nun sah er Denise wieder an und stieß hervor: »Unschuldig.«
»Unschuldig?«, fragte Denise.
Arthur Erlau lächelte verbittert. »Ich weiß, was Sie jetzt denken. Nämlich, dass das jeder Verurteilte behauptet. Bisher hat meine Unschuldsbeteuerungen auch niemand geglaubt. Am wenigsten die Richter.«
»Weshalb sind Sie verurteilt worden, Herr Erlau? Ich frage nicht aus Neugierde, aber mir kommt es vor, als würden Sie sich mir gern anvertrauen.«
»Ja, Sie sollten alles wissen. Vielleicht sind Sie dann eher bereit, Heiner aufzunehmen.« Arthur Erlau atmete tief ein, und es war ihm anzusehen, wie schwer ihm das Weitersprechen fiel. »Durch meine Stellung als Buchhalter bei der Firma Walther bin ich in dieses Unglück gestürzt. Bei einer Revision stellte sich heraus, dass an die hunderttausend Euro fehlten. Die Belege dafür waren mit meinem Namen abgezeichnet.« Nun wurde Arthur Erlaus Stimme etwas lauter. »Aber glauben Sie mir, ich habe mit dieser Sache nichts zu tun. Jemand muss meine Unterschrift gefälscht haben. Ich habe auch einen Verdacht, aber den konnte ich nicht aussprechen, weil mir doch niemand geglaubt hätte. Die Indizien sprachen eindeutig gegen mich. Zum einen hatte ich für die Behandlung meiner Frau viel Geld ausgegeben, zum anderen kaufte ich nach ihrem Tod einen Wagen, damit ich mit Heiner an den Wochenenden wegfahren konnte. Der Junge brauchte Abwechslung, um mit dem Schmerz um seine Mutter leichter fertig zu werden. Mir wurde auch eine dumme Angewohnheit meiner Frau, die ich ihr nie ausreden konnte, zum Verhängnis. Sie trug unser Erspartes nicht zur Bank, sondern bewahrte es zu Hause auf.«
»Dadurch konnten Sie nicht nachweisen, woher Sie das Geld für Ihre Ausgaben genommen hatten. Das verstehe ich«, meinte Denise, die versuchte, sich in die Lage dieses Mannes hineinzuversetzen.
Er zuckte die Schultern. »Was soll ich noch sagen? Das Urteil ist gefallen. Man hat die Strafe nicht einmal zur Bewährung ausgesetzt, weil die Summe der Unterschlagung zu hoch war. Da ich glücklicherweise nicht in Untersuchungshaft kam, konnte ich all die Aufregungen von meinem Jungen fernhalten.«
»Er weiß nichts von Ihrer Verurteilung?«, fragte Denise erstaunt.
»So ist es. Er weiß auch nicht, dass ich meine Stelle verloren habe. Natürlich musste ich gleich aus der Firma ausscheiden.«
»Und was wollen Sie Heiner sagen, wenn er sich jetzt acht Monate von Ihnen trennen muss, Herr Erlau? Da wird das Verschweigen wohl nicht mehr möglich sein.« Arthur Erlau wurde sichtlich nervöser. »Heiner darf niemals von meiner Strafe erfahren. Dieses Unglück muss ich vermeiden. Ich habe ihn darauf vorbereitet, dass ich für einige Monate Lindau verlassen muss. Die Firma Walther hat eine Zweigniederlassung in Holland. Ich habe nun Heiner gesagt, dass ich dort für acht Monate einspringen muss. Der Junge glaubt mir und sieht auch ein, dass er weiter in eine deutsche Schule gehen soll. Er ist ja erst in diesem Jahr eingeschult worden.«
»Bei uns in Wildmoos würde er sich bestimmt wohlfühlen. Er hätte da auch Kameraden. Besonders meinen kleinen Sohn Henrik. Er geht hier in die Grundschule und nimmt sich der Neuen gern an.«
Arthur Erlaus Gesicht hatte sich etwas aufgehellt. »Heißt das, Sie nehmen Heiner auf, Frau von Schoenecker?«, fragte er mit banger Erwartung in der Stimme.
»In Ihrem Fall ist es sicherlich angebracht«, antwortete Denise in ihrer unkomplizierten Art. »Ja, bringen Sie uns Heiner. Wir haben ein Bett für ihn frei, weil in den nächsten Tagen ein Junge das Heim verlassen wird.«
Arthur Erlau streckte die Hand aus. »Ich danke Ihnen, Frau von Schoenecker. Nun habe ich mir diesen Weg doch nicht vergeblich gemacht. Hätten Sie abgelehnt, ich wüsste nicht, was ich mit dem Jungen tun sollte. Man hat mir nur Strafaufschub bis zur nächsten Woche gewährt, damit ich Heiner unterbringen kann. Ich habe Vertrauen zu Ihnen. Kann ich mich auch darauf verlassen, dass mein Sohn nie erfährt, wo ich wirklich bin?«
»Darauf können Sie sich verlassen«, versprach Denise. »Ich pflege lediglich die Betreuer der Kinder in die Schicksale einzuweihen. Das ist nötig, damit sie wissen, wie sie mit dem jeweiligen Schützling umgehen müssen. Die anderen Kinder und Heiner werden nichts von Ihrer Strafe erfahren.«
»Die Trennung von dem Jungen wird für mich nicht leicht sein. Seit dem Tod seiner Mutter hängen wir noch mehr aneinander. Ich habe außer Heiner niemanden auf der Welt.«
Nun sah Arthur Erlau wieder vergrämt aus. Denise empfand tiefes Mitleid mit ihm. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass dieser Mann schuldig geworden war. Er machte einen redlichen Eindruck. Aber was gab es nicht alles für Unglück auf dieser Welt. Sie war geneigt, Arthur Erlau seine Unschuldsbeteuerungen zu glauben.
Bevor er wegfuhr, zeigte sie ihm noch das Kinderheim. Er sollte wissen, unter welchen Bedingungen sein Sohn hier leben würde.
*
Arthur Erlau brachte Heiner schon zwei Tage später nach Sophienlust. Als die Kinder sahen, dass ein Neuer kam, der ihnen schon angekündigt worden war, drängten sie sich aufgeregt in der Halle.
So etwas war immer ein Ereignis für sie. Der Junge machte einen frischen Eindruck. Er trug Jeans und einen orangefarbenen Anorak, unter dem der Kragen eines schwarz-weiß karierten Hemdes zu sehen war. Besonders fiel an Heiner der braune Lockenkopf auf.
Die kleine Heidi, vorwitzig wie immer, zupfte an ihren dünnen Rattenschwänzen und sagte neidisch: »Ich habe keine Locken, und ein Junge braucht sie doch gar nicht.«
»Ach, du hast immer etwas«, sagte Henrik von Schoenecker und stieß sie sanft in die Rippen.
Mit Heidi legte er sich gern an, aber er zog dabei meistens den Kürzeren. Sie puffte auch gleich zurück. »Das geht dich doch gar nichts an.«
Schwester Regine machte Heiner mit den Kindern bekannt, sagte aber lachend: »Die Namen wirst du dir erst nach und nach merken können, auf einmal sind es zu viele.«
Nun sah Henrik einen Grund, sich bemerkbar zu machen. Er trat vor Heiner. »Meinen Namen kannst du dir gleich merken. Ich heiße Henrik und werde dich mit in die Schule nehmen.«
Heiner war etwas befangen, obwohl er den Eindruck eines sonst fröhlichen Jungen machte. Es schien ihn zu beruhigen, dass sein Vater noch zwei Stunden bleiben wollte. Doch diese Zeit war schnell um, und der Abschied rückte näher und näher, während die Stimmung von Heiner und seinem Vater auf den Nullpunkt sank.
»Wirst du auch nicht auf Urlaub kommen können, Vati?«, fragte er.
Arthur Erlau wich den Blicken seines Sohnes aus. »Ich glaube nicht, dass das möglich sein wird, aber wir werden die acht Monate überstehen. Danach machen wir uns wieder eine schöne Zeit miteinander. Schade, dass ich dir nicht schreiben kann. Du bist ja noch nicht so weit, dass du meine Briefe lesen könntest, Heiner.«
»Aber man würde sie mir doch vorlesen, Vati, und in der Schule