Böse Mächte
Von Dietrich Novak
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Buchvorschau
Böse Mächte - Dietrich Novak
Prolog
Die beiden Frauen traten bester Laune auf die Straße. Die Ältere von beiden hatte einen kleinen Schwips und war kurz davor, unanständige Lieder zu singen. Die andere, die sich beim Trinken merklich zurückgehalten hatte, weil sie noch fahren musste, fand es völlig in Ordnung, dass ihre Freundin sich wenig damenhaft benahm. In Tempelhof kannte sie ohnehin niemand, und das Ullsteinhaus würde sie nicht so bald wiedersehen.
Tina und Margrit, die üblicherweise Bars bevorzugten, in denen fast nur Frauen verkehrten, hatten mal etwas Neues ausprobieren wollen. Deshalb hatten sie in der Amber Suite an der White Night Party teilgenommen. Der angesagte Club im Keller des denkmalgeschützten Gebäudes, in dem es schon lange nicht mehr den Ullstein-Verlag gab, war berühmt berüchtigt für seine Ü-30 und Ü-40 Partys. Daneben gab es einen sogenannten Schlagerclub oder Veranstaltungen wie „Bayrisches Wiesn Buffet". Außerdem konnte man von der Terrasse aus auf den Teltowkanal und den Tempelhofer Hafen blicken.
Im Ballroom konnte man zu den aktuellen Hits abtanzen und im DanceClub Musik wie House, Dance und Black Beats hören. Das Alter der Gäste bewegte sich in der Regel zwischen fünfunddreißig und fünfundvierzig. Angeblich wurde man erst ab siebenundzwanzig eingelassen. Singles und Paare sollten sich bei hohem Flirtfaktor gut aufgehoben fühlen, versprach die Werbung.
Nun, zumindest vom Alter her hatten Tina und Margrit gut dazugepasst. Auch dem erwünschten Dresscode für diesen Abend – ganz in Weiß – waren sie nachgekommen. Trotzdem hatte sich, wie nicht anders erwartet, für beide kein Flirt ergeben. Die Ursache für diesen Umstand steckten sie locker weg, da jede von ihnen in einer mehr oder minder festen Beziehung lebte.
Als die beiden Frauen gegen zwei Uhr Margrits Kleinwagen ansteuerten, kicherten sie wie die Schulmädchen, indem sie noch einmal ihre Beobachtungen resümierten und kleine Gehässigkeiten über das Publikum austauschten. Tina hatte an diesem Abend keinen Gedanken an ihre Arbeit verschwendet und sich trotz allem gut amüsiert, was vor allem Margrit zu verdanken war. Margrit wollte nicht durch die Stadt fahren und steuerte die Stadtautobahn an, da sie sich erhoffte, dort wenig Verkehr vorzufinden. Doch Berlin wäre nicht Berlin gewesen, wenn nicht auch in der Nacht noch die Blechlawine rollte.
Das Unheil kam ohne Vorwarnung. Als sich die beiden Frauen der Abfahrt Alboinstraße näherten, wuchteten gerade drei schwarz vermummte Gestalten etwas Großes über die Brüstung der Friedrich-Haak-Brücke, die in der Reichartstraße über die Stadtautobahn A 100 führte. Tina war schlagartig nüchtern, als der Körper mit dumpfem Geräusch auf dem Dach des Pkw aufprallte.
»Pass auf, Margrit!«, schrie Tina. Doch es war schon zu spät. Margrit verlor vor Schreck die Kontrolle über den Wagen. Sie schleuderte an die Leitplanke und zurück zur gegenüberliegenden Seite. Ein ankommender Pkw konnte nicht ausweichen, rammte den Wagen und stellte sich auf der Fahrbahn quer. Der darauf folgende Mehrtonner erfasste beide Fahrzeuge und schob sie wie Spielzeuge vor sich her, um schließlich den Wagen mit den beiden Frauen unter sich zu begraben, bevor er an der seitlichen Abgrenzung zum Stehen kam. Blech barst, Funken sprühten und Airbags bliesen sich auf. Doch am Ende sollte es drei Tote und einen unter Schock stehenden Lkw-Fahrer geben, der zitternd die Welt nicht mehr verstand.
1. Kapitel
Als der Rechtsmediziner Knud Habich zusammen mit einem Kollegen an der Unfallstelle ankam, waren schon etwa einhundert Kräfte von Feuerwehr, Rettungsdiensten, Technischem Hilfswerk und Polizei im Einsatz. Außerdem zwei Rettungshubschrauber und die Kollegen von der Spurensicherung. Die Stadtautobahn wurde zwischen Kreuz Schöneberg und Alboinstraße in beide Richtungen voll gesperrt.
Als die Einsatzkräfte der Feuerwehr die beiden leblosen Frauen mittels Schneidbrennern aus der Führerkabine befreiten, wurde Knud augenblicklich schlecht, denn in einer von ihnen erkannte er seine Kollegin Tina Ruhland. Er wandte sich ab und übergab sich heftig. An sich waren für ihn solche Einsätze Routine, doch wenn es sich um eine nahestehende Person handelte, sah die Sache anders aus. Derweil der schwerverletzte Fahrer des zweiten Pkw mit dem Rettungshubschrauber abtransportiert und der Lkw-Fahrer in einem Rettungswagen notversorgt wurde, untersuchte Knud die Leiche einer Frau, die offen-sichtlich nicht in einem der Fahrzeuge gesessen hatte. Dann sprach er mit dem Unfallingenieur, der sich gerade ein Bild vom Hergang des Unfalls machte.
»Nach meiner Einschätzung war der Auslöser für den Unfall der Sturz der unbekannten weiblichen Person über die Brückenbrüstung. Sie landete auf dem Dach des Fahrzeugs, in dem die beiden Frauen saßen. Die Delle auf dem Dach und die Zeugenaussagen sprechen dafür. Die Fahrzeughalterin dürfte die Kontrolle über den Wagen verloren haben, der zuerst von dem zweiten Pkw und unmittelbar danach von dem Lkw gerammt wurde. Bei dem Aufprall ist die bewusstlose oder bereits tote Frau vom Dach geschleudert worden und blieb abseits auf der Fahrbahn liegen. Ob sie freiwillig gesprungen ist oder gestoßen wurde, das herauszufinden dürfte Ihre Aufgabe sein«, sagte Stefan Oberg.
»Es gibt noch eine dritte Version«, meinte Knud. »Die Frau war bereits tot, als man sie hinunterstieß. Dafür sprechen mehrere Stichverletzungen in Brust und Unterkörper.«
»Oh, das ergibt natürlich ein anderes Bild.«
»Ja, und eben dieses veranlasst mich, die Kollegen vom LKA zu informieren, was ich umgehend tun werde.«
Als das Telefon im Hause Lange/Voss klingelte, nahm Hauptkommissar Hinnerk Lange ab. Seine Kollegin und Ehefrau Valerie Voss, die er bereits zum zweiten Mal geheiratet hatte, drehte sich brummelnd auf die andere Seite, wobei sich ihre weißblonden Haare wie ein Vorhang über ihr hübsches Gesicht legten.
»Ja, Lange …«, meldete sich Hinnerk, nachdem er aufgestanden und aus dem Zimmer gegangen war.
»Hier ist Knud, der Kollege aus der Rechtsmedizin …«
»Ich weiß, welchen Beruf du ausübst, aber die Tatsache, dass du dich mitten in der Nacht meldest, lässt nichts Gutes ahnen.«
»Ich bin froh, dass du dran bist und nicht Valerie«, sagte Knud. »Ich hätte nicht gewusst, wie ich es ihr sagen sollte.«
»Nun mach’s nicht so spannend. Was ist den passiert?«
»Tina ist tödlich verunglückt.«
»Oh … Das sind wirklich außergewöhnlich schlechte Nachrichten«, sagte Hinnerk und fasste seine langen Haare mithilfe eines Gummis zum Zopf zusammen, indem er das Telefon zwischen Schulter und Kinn hielt.
»Aber das ist nicht der einzige Grund, warum ich anrufe. Tina hatte auf der Stadtautobahn einen Unfall, in den mehrere Fahrzeuge verwickelt waren. Ausgelöst wurde er, weil jemand eine Leiche von der Brücke geworfen hat. Die müsst ihr euch unbedingt ansehen. Kannst du gleich herkommen, am besten ohne Valerie?«
»Ja, natürlich. Ich bringe Heiko mit.«
»Alles klar. Die Spusi ist schon vor Ort. Ihr müsst zu der Ausfahrt Alboinstraße kommen. Da hier alles gesperrt ist, wird es nicht leicht sein, durchzukommen.«
»Das schaffen wir schon. Also, bis gleich!«
Hinnerk drückte das Gespräch weg und wählte sogleich Heiko Wielands Nummer.
Der neue Kollege aus Wiesbaden, der den Posten von Lars Scheibli eingenommen hatte, weil dieser mit seiner Familie zurück ins „Ländle gezogen war, wurde von Valerie heimlich „Heike
genannt. Aus einer Ahnung heraus. Und Valerie hatte einen Blick für derlei Angelegenheiten.
»Ja, was’n los?«, meldete sich Heiko verschlafen.
»Es gibt Arbeit, Kollege. Schwerer Unfall auf der A100 mit unbekannter Leiche. Ich hole dich gleich ab, okay?«
»Ja, wenn ich mir vorher noch die Hose anziehen kann …«
»Wenn’s sein muss. Also, bis dann!«
Heiko strich sich durch seine blonden Locken und gähnte herzhaft.
»Ich hoffe, das wird kein Dauerzustand, dass man dich nachts aus den Federn holt«, sagte Fabian Jansen, ein gutaussehender dunkelhaariger Mann, der derzeitige Lebensgefährte von Heiko und Grund, warum dieser überhaupt nach Berlin gewechselt war.
»Das hast du nun davon. Hättest mich ja nicht in die Hauptstadt locken brauchen, sondern mich im beschaulichen Wiesbaden lassen können.«
»Ich habe aber keine Lust auf eine Wochenendbeziehung. Und wie wir beide wissen, gab es noch andere Gründe für deinen Umzug.«
»Das ist wahrlich kein Thema für diese frühe Morgenstunde. So, ich muss jetzt los.«
Heiko, der sich blitzschnell angezogen hatte, gab Fabian einen Kuss auf den Mund.
»Und mach keine Dummheiten«, rief er im Hinausgehen. »Die Hände bleiben über der Bettdecke!«
»Du gönnst mir aber auch wieder gar nichts.«
Hinnerk war froh, dass Valerie keine Fragen gestellt hatte. Das peinliche Thema würde es ohnehin noch spätestens zum Frühstück zu erörtern geben. Wie sollte er ihr nur beibringen, dass ihre ehemalige Geliebte nicht mehr am Leben war? Die beiden waren zwar die letzten Jahre nur noch freundschaftlich verbunden gewesen, und Tina hatte sich mittlerweile mit Staatsanwältin Ingrid Lindblom getröstet … Ach, du lieber Himmel. Der Staatsanwältin musste es ja auch jemand schonend beibringen … Doch das sollten andere tun. Das war wahrlich nicht seine Aufgabe, dachte Hinnerk. Wenigstens hatten jetzt die gelegentlich auftretenden Eifersüchteleien ein Ende. Das einzig Positive an der Tragödie.
Heiko stand schon vor der Haustür, als Hinnerk ankam, sodass sie gleich weiterfahren konnten.
»Ich gehe davon aus, dass es sich bei der unbekannten Leiche um einen Tötungsdelikt handelt«, sagte Heiko. »Andernfalls hätte man uns wohl nicht informiert.«
»Scharf kombiniert. Rechtsmediziner Knud hüllt sich zwar bisher in Schweigen, meint aber, wir müssten uns die Leiche ansehen.«
»Warum hat sich Knud bei dir gemeldet und nicht Tina Ruhland? Hat sie heute Nacht keinen Dienst?«
»Nein, dabei hätte ihr das das Leben gerettet. Sie ist nämlich eins von den Opfern.«
»Scheiße, jetzt verstehe ich, warum du mich mitnimmst und nicht Valerie. Weiß sie es schon?«
»Nein, bisher nicht. Zum Glück hat sie sich nicht im Schlaf stören lassen. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben.«
Mit einigen Schwierigkeiten und nur unter Zuhilfenahme ihrer Dienstausweise war es ihnen gelungen, zur Unfallstelle zu gelangen. Knud winkte ihnen zu und deutete zur Brücke hinter ihnen.
»Hallo, ich bin noch ganz geschockt von den Ereignissen«, sagte er. »Manfred Hoger und die anderen von der KTU versuchen gerade, oben am Brückengeländer und auf der Straße irgendwelche Spuren zu sichern.«
»Demnach hat man die Leiche von oben heruntergeworfen«, stellte Hinnerk fest.
»Ja, sie ist auf dem Dach des Fahrzeugs gelandet, in dem Tina als Beifahrerin saß. Das war bestimmt nicht so geplant. Ich meine – die Dachlandung. Vielmehr sollten wohl sämtliche Spuren an der Leiche verwischt werden, indem sie mehrfach überfahren würde. Bei der Karambolage ist sie vom Dach geschleudert worden und blieb deshalb relativ unversehrt. Kommt, schaut sie euch an!«
Knud führte Hinnerk und Heiko zu der bewussten Stelle, lüpfte die Plane und zeigte auf die Stichverletzungen.
»Das nennt man Übertöten«, sagte er. »Die dreißig Stiche wären nicht alle tödlich gewesen, aber einige davon. Der Täter muss wie im Rausch gehandelt haben oder unter Drogeneinfluss. Aber es muss Helfer gegeben haben. Auf der Brücke sind mindestens zwei Personen gesehen worden.«
»Dann gibt es also eine Personenbeschreibung?«, fragte Heiko.
»Leider nicht. Sie waren schwarz vermummt. Auch über das Fahrzeug gibt es widersprüchliche Angaben. Die reichen vom dunklen Kombi bis zum normalen, hellen Pkw. Wahrscheinlich hat niemand so genau auf das Fahrzeug geachtet. Habt ihr einen Blick auf die Beine des Opfers geworfen?«
Knud schob die Plane noch etwas weiter nach unten.
»Seht ihr das?«
»Ja, sie hat Verletzungen an den Oberschenkeln. Sieht aus wie ein Muster. Moment mal, das erinnert mich an ein Pentagramm«, sagte Hinnerk.
»Genau, ein fünfeckiger Stern mit einem Kreis herum. Im Altertum wurde es als Zeichen des Lebens und der Gesundheit verwendet. Im und nach dem Mittelalter diente es der katholischen Kirche als Abwehrzeichen gegen Dämonen und Druden, denn es stellte auch die fünf Wunden Jesu Christi dar. Bei diesem hier handelt es sich um einen sogenannten Drudenfuß, denn es steht auf dem Kopf. Es ist vermutlich das bekannteste Symbol der Magie und der Mystik. Heutzutage wird es in der Hauptsache als satanistisches Zeichen wahrgenommen.«
Hinnerk pfiff leise durch die Zähne.
»Da hat wohl jemand nicht so gespurt wie erwartet. Es könnte sich um eine Bestrafung handeln.«
»Aber warum die Mühe? Man hätte sie doch einfach irgendwo vergraben können. Zum Beispiel im eigenen Garten«, meinte Heiko.
»Das ist wie bei Hunden«, antwortete Hinnerk, »das eigene Revier wird sauber gehalten. Und im Wald vergraben war ihnen wohl zu riskant. Da ist die Anonymität der Hauptstadt schon sicherer. Wenn alles gut gegangen wäre, hätte jeder geglaubt, eine unglückliche junge Frau habe ihrem Leben freiwillig ein Ende gesetzt, indem sie von der Brücke gesprungen ist.«
»Hatte sie Papiere oder ein Handy dabei?«
»Nein, nichts.«
»Dann gilt es, die Vermisstenkartei zu durchforsten. Falls sie überhaupt jemand vermisst. Ich fürchte, da kommt ein schönes Stück Arbeit auf uns zu.«
»Nun, ich höre, habt ihr die Aufgabe zufriedenstellend erfüllt?«, fragte Delano, dessen tiefschwarze Augen kalt und böse blickten.
»Ja, Meister«, antwortete Vidar devot. »Es ist nur nicht alles nach Plan