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Die Toten am Kleistgrab
Die Toten am Kleistgrab
Die Toten am Kleistgrab
eBook289 Seiten3 Stunden

Die Toten am Kleistgrab

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Über dieses E-Book

Beate Lehndorf ermittelt in ihrem ersten Fall:
Am Kleistgrab in Berlin-Wannsee werden zwei Tote gefunden, fast wie vor zweihundert Jahren Kleist und Henriette Vogel.
Sie wurden ermordet. Vom Motiv der Eifersucht verlagern sich zunehmend die Ermittlungen auf das rätselhafte Manuskript einer Kleist-Tragödie, das wieder aufgetaucht sein soll. Literaturwissenschaftler, Theaterdirektoren, Verleger und Sammler geraten in Verdacht. Beate Lehndorf lernt in Berlin einen Psychiater und Kleistforscher kennen. In Thun in der Schweiz lösen sie das Rätsel, ohne den Täter schon zu kennen. Der spielt inzwischen ein mörderisches Spiel bis zum Finale in der Schorfheide in Brandenburg. Ein weiterer Handlungsstrang zeigt das Schreiben und Lieben Heinrich von Kleists bei seinem Aufenthalt in Thun 1802 und 1803.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum29. Juli 2014
ISBN9783737502290
Die Toten am Kleistgrab

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    Buchvorschau

    Die Toten am Kleistgrab - Harro Pischon

    1 Sonntagmorgen 10. Juni

    Als Isabel aus dem Bahnhof trat, läutete es von irgendeinem Kirchturm fünf Uhr. Über dem Wannsee lag noch Nebel, aber der Himmel war klar. Es würde ein schöner Tag werden. Doch sie würde, zuhause angekommen, die Vorhänge zuziehen und Schlaf suchen, Vergessen. Wütend stieß sie den Schlüssel ins Fahrradschloss, warf das Schloss in den Korb und fuhr vom S-Bahnhof hinunter zur Königstraße, vorbei am Gartenlokal und der Schiffsanlegestelle.

    Da hatte sie stundenlang mit Alex geredet, gescherzt, geflirtet - und dann kam diese Blondschnecke, diese Hungerharke, klimperte ihn ein paarmal mit ihren künstlichen Wimpern an und verschwand mit ihm. Der Teufel soll sie beide holen!

    Sie überquerte die Königstraße und bog in die Bismarckstraße ein, blieb auf dem Gehweg, um das Kopfsteinpflaster zu vermeiden, näherte sich den vornehmen Ruderclubs und dem dazwischen eingezwängten Kleistgrab. Letztes Jahr hatte sie darüber ein Referat halten müssen. „Sie wohnen doch in derselben Straße, Isabel, hatte Markwart gesagt, da bietet es sich doch an, über Kleists Ende und seine Grabstelle zu berichten. Die Todessehnsucht und Todesseligkeit Kleists waren ihr fremd geblieben. So fremd wie die Liebe und der autosuggestive Selbstmord Penthesileas. Auf der Lektüre dieses Dramas hatte Markwart bestanden. Ein wenig meinte sie nach dem Referat verstanden zu haben: Mit 34 Jahren glaubte Kleist, für ihn sei „auf Erden nichts mehr zu lernen und zu erwerben übrig. Er hatte den Eindruck, dass alles, was er unternehme, scheitert. Bis er schließlich der unheilbar kranken Henriette Vogel sagte, „ihr Grab sei ihm lieber als die Betten aller Kaiserinnen der Welt."

    Isabel hatte ein nachgestelltes Bild gezeigt, wie die beiden in einer Erdkuhle liegen. Sie seufzte – und bremste scharf ab. Sie stand unmittelbar an dem Schild „Zum Kleistgrab". In Gedanken hatte sie hinübergeschaut zu dem kürzlich renovierten Grab, das nun von der Straße aus gut zu sehen war. Was war das? Am Gitter der Umrandung lehnte etwas Weißes und etwas Schwarzes. Pennten da welche am Grab? Sie ließ ihr Fahrrad stehen und näherte sich vorsichtig. Tatsächlich, da lagen eine weißgekleidete Frau und ein Mann im schwarzen Anzug, fast genauso wie Kleist und die Vogel. Isabel sah sich um, niemand sonst war zu sehen, nicht auf der Straße, nicht auf den Wegen, nicht auf dem Wasser. Die beiden hatten sich nicht bewegt. Der Mann war über den Schoß der Frau gebeugt, in einer obszönen Pose. Isabel sah auf der linken Brust der Frau einen tiefroten Fleck.

    Sie schienen beide tot.

    Isabel ging ein paar Schritte zurück, atmete schnell. Dann kramte sie ihr Handy hervor. Was wählte man in einer solchen Situation? 110 – die Polizei? Oder die Feuerwehr? Sie wählte 110 und berichtete atemlos, wo sie war und was sie sah. Nachdem sie ihren Namen gesagt hatte, wurde ihr bedeutet, sie solle bleiben und auf die Streife warten, die gleich vorbeikomme.

    2

    „Mister Sandman, bring me a dream, make him the cutest, that I've ever seen..." Dieser Klingelton ist unmöglich, dachte Beate Lehndorf beim Aufwachen. Noch dazu am Sonntag, einem dienstfreien Sonntag, wenn Ausschlafen angesagt war. Benni muss mir bald einen anderen einstellen, ich habe keine Lust, mich mit diesen Dingern abzugeben. Sie lächelte, weil sie an ihren früheren Leib- und Magenspruch dachte, wenn es um Handys ging: Nur Dienstboten sind immer zu erreichen. Aber eine Kriminalhauptkommissarin ohne Handy ging inzwischen gar nicht mehr.

    „Was gibt's?", krächzte sie verschlafen. Und es folgte das übliche Wo? und Ich komme! Sie würde später Petra anrufen, dass sie sich um Ben kümmern solle. Beide waren das schon gewohnt. Nur dass sie wieder nicht dazu kam, den versprochenen Sonntagsausflug zum Tempelhofer Feld zu machen und mit Benni auf der ehemaligen Startbahn zu skaten.

    Nach wenigen Minuten stieg sie in ihren alten verblichenen Golf, der sie aber noch nie im Stich gelassen hatte. Am Insulaner vorbei fuhr sie zur B1, die nach Wannsee führte. Am frühen Sonntagmorgen war fast niemand unterwegs. Sie schob eine CD ein und hörte Kantaten mit dem Countertenor Andreas Scholl. Zwei Tote am Kleistgrab? Hatte da ein Liebespaar dem Dichter nachgeeifert? War es die Inszenierung eines Doppelmörders? Die Leitstelle hatte natürlich keine genauen Angaben machen können.

    Beate hatte im letzten November von der Renovierung des Kleistgrabs gelesen. Sie wusste, dass er 200 Jahre vorher zusammen mit einer Frau aus dem Leben geschieden war. Aber als Autor war er ihr nicht nahe. Wohl kannte sie aus der Schulzeit „Michael Kohlhaas, den damals – für eine Dresdner Schule - radikalen Kämpfer gegen das feudale Unrecht seiner Zeit. Und jüngst war sie im Theater gewesen und hatte den „Zerbrochenen Krug gesehen, mit Edgar Selge, den sie mochte. Seine Figur des einarmigen Tauber im „Polizeiruf" mit ihrer mürrischen Eigenbrötlerei hatte sie erheitert. Als nackter Dorfrichter Adam auf der Garderobentheke, umringt von den auf Einlass wartenden Zuschauern, hatte er sie zum Lachen gebracht.

    Sie bog nach der Bahnunterführung am Wannsee in die Bismarckstraße ein. Nach wenigen hundert Metern hielt sie hinter den Streifenwagen und den Dienstwagen der Spurensicherung. Am frühen Sonntagmorgen war es in der Straße noch ruhig, ohne Neugierige. Sie bog in den schmalen Pfad zum Grab ein. Die Blitzlichter des Polizeifotografen flammten immer wieder über die anderen weißgekleideten Spurensucher des Tatorttrupps. Menzel war auch schon da. Oberkommissar Wolfgang Menzel, ihr Kollege, 45 Jahre alt, Bremer, und immer in feinstes Tuch gekleidet. Er konnte nur schwer mit der Tatsache umgehen, dass eine Frau ihm vorgesetzt war. Vielleicht war er deshalb seit langem hinter Beate her.

    „Morgen, Wolfgang, was wissen wir?"

    „Guten Morgen, Frau Hauptkommissarin, Traber ist noch dran." Josef Traber, der Gerichtsmediziner, war über die Toten gebeugt und sprach in ein Diktiergerät. Beate wusste, dass es keinen Zweck hatte, ihn zu stören. Er hätte nur die Falten in seinem Gesicht durch das Hochziehen der Brauen vermehrt und ihr einen unwilligen Blick aus seinen Echsenaugen zugeworfen.

    Überraschend stand er auf, drehte sich um und sprach Beate an: „Jedenfalls ist es nicht das, wonach es aussieht."

    Menzel mischte sich ein: „Also kein gemeinsamer Freitod, wie bei Kleist."

    Die Echsenaugen hefteten sich kurz auf Menzel, als ob sie sagen wollten, er solle seinen Ehrgeiz nicht so lärmend offenbaren.

    „Das Arrangement legt es nahe. Die Frau lehnt am Gitter und hat eine Schusswunde in der Brust. Der Mann hat eine tödliche Wunde in der rechten Schläfe. Er liegt auf dem Schoß der Frau und neben seiner rechten Hand eine Pistole."

    „Aber es ist fast kein Blut zu sehen", staunte Beate Lehndorf.

    „Sie sagen es, Frau Hauptkommissarin."

    „Also ist dies nicht der Tatort, nur der Ablageort."

    „Eben dies."

    „Und der Mörder wollte es so aussehen lassen, wie den historischen Freitod", fügte Menzel hinzu, um wieder ins Gespräch zu kommen.

    „Oder die Mörderin, sagte Beate. „Jeder der beiden kann einen eifersüchtigen Partner gehabt haben.

    „Wie der Gatte von Henriette Vogel, schmunzelte Traber, „der aber wohl unschuldig war. Sie entschuldigen mich, morgen wissen wir mehr. Er schloss seine altmodische Arzttasche und schritt zur Straße.

    „Wer hat die beiden eigentlich gefunden?", wollte Beate wissen.

    „Ein junges Mädchen auf dem Heimweg, sagte Menzel, „wir haben sie erst einmal nach Hause geschickt, sie wohnt ein paar Häuser weiter. Sie hat aber nichts weiter gesehen, schon gar keinen Verdächtigen.

    Beate trat vor die Toten. Die Frau war noch jung, zwischen 25 und 30 Jahren vielleicht, ausnehmend hübsch, eine beeindruckende Figur – Beate seufzte etwas - blonde, lockige Haare, das weiße Kleid altmodisch, es erinnerte an ein Kostüm, hochgeschlossen, schmale Taille und

    unten weit geschnitten. Ihr Gesicht hatte einen Ausdruck der Verwunderung, der Überraschung. Der Mann lag inzwischen neben ihr, er war deutlich älter, um die fünfzig, leicht korpulent, wohl frisierte, graue Haare.

    „Weiß man, wer sie sind?, fragte Beate. Menzel schüttelte den Kopf. „Sie haben keine Papiere bei sich.

    „Wie sind sie hierher gebracht worden? - „Es gibt nur zwei Möglichkeiten: über die Bismarckstraße oder auf dem Wasser.

    „Und auf dem Weg am Seeufer?"

    „Man kommt zwar von hier zum Seeufer hinunter, da steht auch eine Bank, aber man kommt nicht weiter. Das Grundstück ist von den beiden Ruderclubs eingeschlossen. Ich glaube mich zu erinnern, dass die Gymnasien, die hier rudern, sich weigerten, einen Weg am Ufer freizugeben."

    Beate hob den Kopf, als nähme sie Witterung auf. „Ja, wir sind hier in Zehlendorf, dem reichen Südwesten Berlins."

    „Außerdem ist es reichlich schwierig, die Stufen von da unten zu überwinden, Menzel wies auf die Treppen auf dem gewundenen Pfad vom Ufer. „Ich nehme an, sie wurden von der Straße hierher geschafft.

    „Und selbst das ist für eine Person nicht leicht zu bewerkstelligen. Vielleicht mit einer Schubkarre. Beate seufzte. „Es müsste schon ein großer Zufall sein, wenn in einer Nacht zum Sonntag jemand etwas gesehen hätte, einen Kombi oder Van.

    „Es sei denn, jemand war auf dem Nachhauseweg wie die kleine Isabel, aber früher."

    „Also müssen die Anwohner befragt werden. Du organisierst das?"

    Menzel nickte, er konnte jemand aus der Abteilung beauftragen. Viel schwieriger war die Identifizierung der Toten. Da sollte sich die Frau Hauptkommissarin mal etwas einfallen lassen. Er würde ja die Presse...

    Beate wandte sich zu Menzel: „Ich werde Fotos der Gesichter an die Presse geben. Irgendjemand wird sie bestimmt kennen. Kann auch sein, sie werden schon vermisst."

    Inzwischen waren die Träger der Gerichtsmedizin angekommen und hoben die Toten in die Transportbehälter, die Frauen und Männer der Kriminaltechnik waren noch nicht fertig, sodass der Fundort noch gesichert werden musste. Die beiden Kommissare gingen zu ihren Autos. Beate telefonierte vor dem Abfahren mit ihrer Nachbarin. So schnell würde sie heute nicht nach Hause kommen. Aber Benni war einiges gewohnt und mit seinen fünfzehn Jahren alt genug.

    3 Montag

    Schon am Sonntagabend wurde durch einen Anruf die Identität der Opfer geklärt. Die Zeitungsboten auf den Straßen und in Restaurants hatten die Montagsausgabe verkauft, mit dem Aufruf sich zu melden, falls jemand eine der abgebildeten Personen kennt. Beim Landeskriminalamt rief Melanie Mattwey-Dehmel an und erkannte ihren Mann auf dem Foto, den Literaturwissenschaftler Richard Dehmel. Sie erkannte auch die getötete Frau, bei der es sich um die Schauspielerin Katharina Czerny handele, sie spiele des Öfteren am Anton-Tschechow-Theater, Angehörige seien ihr nicht bekannt. Melanie Mattwey-Dehmel wurde gebeten, am Montag zur Identifizierung ihres Mannes in die Rechtsmedizin zu kommen. „Also geheult hat se nich gerade", meinte Klaus Zepf, der diensthabende Kommissar, als er Beate informierte.

    Um 10:30 Uhr traf sich Beate mit Melanie Mattwey-Dehmel in der Turmstraße am Eingang zum Gerichtsmedizinischen Institut. Aus dem Taxi stieg eine sehr gepflegte Frau Mitte fünfzig, groß, rot gefärbte Haare, dezenter Goldschmuck. Sie wirkte beherrscht, kontrolliert. „Bringen wir es hinter uns, sagte sie zu Beate, nachdem diese sie begrüßt hatte. Sie gingen in einen vorbereiteten Raum, in dem der Wagen mit der zugedeckten Leiche stand. Josef Traber, der Rechtsmediziner, nickte Beate zu, warf einen prüfenden Blick auf die Ehefrau und hob das Tuch ein wenig an, sodass das Gesicht zu sehen war. Ohne eine Miene zu verziehen, sah Mattwey-Dehmel ihren Mann an, nickte kurz und verließ den Raum. Beate folgte ihr und fragte auf dem Flur: „Ich brauche Ihre ausdrückliche Bestätigung. Ist es Ihr Mann?

    „Ja, das ist Richard", sagte Melanie Mattwey-Dehmel. „Wie ist er gestorben? Hat er sich selbst getötet? Nachdem er....?

    „Die Ergebnisse der Obduktion liegen noch nicht vor. Aber es bestehen durchaus Zweifel an einem Selbstmord."

    Die Lider der Mattwey-Dehmel flatterten.

    „Muss ich die Czerny auch noch identifizieren?"

    „Nein, das müssen Sie nicht. Wir werden herausfinden, ob es Angehörige oder andere Menschen gibt, die ihr nahestanden. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn ich noch mit Ihnen sprechen könnte. Sie können uns wichtige Hinweise geben."

    „Ich habe meine Stunden ohnehin für heute abgesagt, hätte also Zeit. Ich bin Gesangslehrerin. Wo sprechen wir?"

    „Am besten fahren wir ins Präsidium, ich kann Sie gerne mitnehmen." Beate führte sie zu ihrem alten Golf.

    „Im Fernsehen fahren Kommissare immer die neuesten Modelle. Ist das Ihr Dienstwagen?", fragte die Mattwey-Dehmel maliziös.

    „Ah, Sie vergessen den Kieler Tatort, da fährt der Kommissar einen alten Passat privat wie im Dienst – so wie ich, konterte Beate. „Haben Sie kein Auto?

    „Doch, aber im Stadtverkehr ist es mir zu mühselig. Da nehme ich lieber ein Taxi. Oder lasse mich von der Polizei fahren."

    Beate registrierte wohl, wie Melanie Mattwey-Dehmel versuchte, herablassend zu sein. Entweder kompensiert sie den Schock der Konfrontation mit ihrem toten Gatten oder sie hält mich für unbedarft, dachte sie.

    Am Fehrbelliner Platz angekommen, wo auch die Mordkommission 115 im LKA beheimatet war, gingen sie in das Büro von Beate.

    „Möchten Sie etwas trinken?", fragte Beate.

    „Nur wenn der Kaffee besser ist als in Fernsehkrimis", spielte die Mattwey-Dehmel weiter.

    Beate spielte mit. „Die Automaten mit dem Spülwasser gibt es wirklich nur in mäßigen Krimis. Pads machen auch ordentlichen Kaffee." Sie füllte frisches Wasser ein und bereitete zwei Tassen zu.

    „Was hat Ihr Mann mit dem Kleistgrab zu tun?", fragte sie.

    „Nun, er ist Literaturwissenschaftler an der FU Berlin und stellvertretender Vorsitzender der KGB."

    „Der was?"

    „Der Kleist-Gesellschaft-Berlin. Richards Spezialgebiet war Kleist, insbesondere die Dramen. Ich nehme an, Sie kennen wenigstens den „Zerbrochenen Krug."

    Beate sagte zu dieser Unverschämtheit nichts, neigte nur den Kopf. „Und Frau Czerny? In welchem Verhältnis stand sie zu Ihrem Mann?"

    „Das kann ich Ihnen nicht sagen. Sie haben sich in letzter Zeit wohl öfter getroffen. Was sich dabei abgespielt hat, weiß ich nicht."

    „Nun, sie war eine junge, sehr hübsche Person."

    „Wenn Sie glauben, ich sei eifersüchtig gewesen, dann irren Sie gewaltig. Richard und ich wussten, was wir aneinander hatten. Das kann eine kleine Schauspielerin nicht ändern."

    „Und doch wurden beide als Liebespaar im gemeinsamen Tod dargestellt."

    „Ich habe dafür keine Erklärung."

    „Frau Mattwey-Dehmel, unter diesen Umständen könnte man Sie für verdächtig halten."

    „Sie irren auch hier. Ihr Verdacht steht Ihnen doch auf die Stirn geschrieben. Meinen Sie etwa, ich falle auf Ihre aufgesetzte Freundlichkeit herein?"

    „Was haben Sie gestern Abend und in der Nacht gemacht?"

    „Sie dürfen mich auf Ihre Fall-Tafel schreiben. Ich war zu Hause – allein. Mich nach einem Film zu fragen ist sinnlos. Ich habe Musik gehört und habe gelesen. Gegen Mitternacht bin ich zu Bett gegangen."

    „Vielen Dank für das Gespräch, Frau Mattwey-Dehmel. Bitte halten Sie sich zu unserer Verfügung." Beate begleitete sie zur Tür und sah ihr nach, wie sie aufrecht den Gang hinunterschritt. Warum zeigt sie kein Gefühl?, dachte sie. Verbirgt sie ihren Hass, ihre Eifersucht und ihre Kränkung, um sich nicht zu verraten? Oder muss sie dominieren? Sie wird uns noch beschäftigen.

    4

    Das Taxi fuhr weiter und sie ging in ihr Haus nahe der Krummen Lanke. Melanies Wut war verraucht. An ihre Stelle trat eine tiefe Erschöpfung. Wie hatte sie gekämpft um diesen Mann. Seit Wochen, ach was, seit Monaten, war er nicht mehr ansprechbar gewesen, nicht mehr da gewesen, auf Dienstreisen – angeblich, und immer in der Nähe dieser kleinen Schauspielernutte. Anfangs hatte sie ihn noch zur Rede gestellt: „Was hast du mit dieser jungen Schnepfe? Bin ich dir nicht mehr gut genug? Er hatte immer abgewiegelt, war ausgewichen: „ Mach dir keine Sorgen. Es geht nicht um eine Affäre. Es geht um mehr. Ich bin an einer Sache dran, größer als alles, was ich in meinem Leben geschafft habe. Sei geduldig!

    Ausreden. Die alte Leier. Er konnte das Älterwerden nicht ertragen. Seine sexuelle Unbeholfenheit wollte er immer aufs Neue bei einer Liebschaft überwinden. Nun war es zu Ende. Und doch wusste sie, dass die Wut nicht vorbei war, dass sie die Kränkung nicht überwunden hatte, dass die Erschöpfung wieder diesem Brennen weichen musste.

    Sie setzte sich an den Flügel und schlug die Eingangsakkorde an, atmete tief und mit der Kraft einer alten Sehnsucht sang sie die Arie der Susanna aus „Le nozze di Figaro":

    Deh, vieni, non tardar, oh gioia bella,

    vieni ove amore per goder t'appella...

    Noch war ihre Stimme biegsam und kraftvoll, noch war ihr Körper ansehnlich. Sie würde es allen noch zeigen.

    5 Montagnachmittag

    Um 14 Uhr fand die Lage statt. Beate Lehndorf und Menzel informierten ihre Gruppe über den Erkenntnisstand, der nur aus der Identität der Opfer bestand und einigen Hinweisen auf ihre Tätigkeit. Das Hauptproblem im Augenblick war das offensichtliche Arrangement am Fundort, dem Kleistgrab. Wer hatte ein Interesse und warum, nicht nur die beiden zu töten, sondern sie derartig auszustellen? Für eine Irreführung - einem vorgeblichen verabredeten Selbstmord - war das Vorgehen doch zu durchsichtig. Am naheliegendsten war eine Eifersuchtstat, da der Literaturwissenschaftler mit der Schauspielerin ermordet wurde. Hier kam als erste die Ehefrau in Frage, aber auch einen Liebhaber der Schauspielerin könnte die Beziehung der beiden verletzt haben.

    „Als erstes müssen wir die Opfer kennenlernen, ihre Beziehungen, ihre Kollegen, ihre Arbeit. Ich selbst werde mich um Dehmels Umfeld kümmern, du Wolfgang erkundest den Hintergrund der Schauspielerin. Außerdem müssen die Anwohner in der Bismarckstraße befragt werden, ob sie etwas wahrgenommen haben. Ihr kennt den vollen Namen von Andi.. „An die Arbeit, ertönte die gewohnte Antwort im Chor.

    Menzel ging zu Beate. „Und ich sage dir, es war die Ehefrau. Ein Lebensgefährte der Czerny würde keine Kleistinszenierung veranstalten. Der würde höchstens den alten Knacker aus dem Weg räumen. Diese Ausstellung am Tatort zeigt doch, dass sich seine Frau geärgert hat."

    Beate schluckte den Ärger über Menzels selbstgefällige Gewissheit hinunter. „Du magst ja Recht haben, aber erstens brauchen wir Fakten und Beweise und zweitens ist mir die Erklärung doch zu vordergründig. Die Frau ist intelligent, sie würde es uns nicht so einfach machen."

    „Eifersüchtige Frauen sind nicht intelligent", versetzte Menzel.

    „Finde etwas über die Czerny heraus, wir müssen mehr wissen."

    „Es ist Zeitverschwendung, aber du hast das Sagen, meinte Menzel. „Wenn ich Recht behalte, kostet es dich ein Essen bei „Wegner in der Dahlmannstraße."

    „Und was kostet es dich, wenn du nicht Recht behältst?"

    „Dann darfst du dir ein Restaurant aussuchen."

    „Oder ich darf frei über den Abend verfügen – und alleine bleiben."

    „Warum bist du so kratzbürstig?"

    „Ich bin nicht kratzbürstig, ich bin nur nicht interessiert."

    Menzel sah sie an, seufzte und wandte sich zum Gehen. Warum mussten Frauen immer so viele Widerstände aufbauen, bevor sie sich einlassen konnten?

    Februar 1802

    Heute würde er sich trauen. Kleist stand am Aareufer in Scherzligen und blickte auf das Holzhaus auf der Insel. Es lag genau an der Spitze, die Terrasse bot den Blick über den See auf die Berge. Ein verwinkeltes, liebenswürdiges Häuschen. Ob jemand darin wohnte?

    Kleist ging vorsichtig über die vereiste kleine Brücke auf die Insel hinüber, klopfte und rief. Nichts rührte sich. Er sah sich um, auf der anderen Flussseite befand sich eine Fischerkate. Er ging hinüber, hier stieg Rauch aus dem Schornstein.

    Als er klopfte und hallo rief, öffnete eine junge Frau die Tür und fragte nach seinem

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