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NACHT ÜBER DUNKELHEIT: Licht und Schatten
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NACHT ÜBER DUNKELHEIT: Licht und Schatten
eBook366 Seiten4 Stunden

NACHT ÜBER DUNKELHEIT: Licht und Schatten

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Über dieses E-Book

Die beiden Lausbuben Vigor und Volker sind auf der Sonnenakademie und für Vigor in einer anderen Welt angekommen. Immerhin ist es die Schule eines der mächtigsten Magierorden, der nur die Elite unterrichtet. Von Beginn an, geht gerade für Vigor so einiges schief und so endet der erste Tag bereits in einer Schlägerei. Während der Ausbildung merkt Vigor wie seine magischen Fähigkeiten immer stärker werden. Aber mit seinen erstklassigen Schulleistungen macht er sich aber schnell bei einigen Mitschülern unbeliebt. Gleichzeitig setzten sich mit vielen Informationen die Vigor erfährt langsam immer mehr Puzzlestücke zusammen.
Die Ausbildung erleben die Jungs mit ihren Freunden als neues Abenteuer: Anstrengend, aufregend und gefährlich ist sie. Doch noch gefährlicher ist der Blick in Vigors Vergangenheit. Obwohl der Junge sie nicht kennt, hängt sie immer mehr wie ein Gewicht um seinen Hals. Und als das Unheil droht, müssen die Jungen erkennen, dass Krieg kein Spiel ist.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum22. Nov. 2021
ISBN9783754176702
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    Buchvorschau

    NACHT ÜBER DUNKELHEIT - M.D. Redwood

    1. Kapitel: Ein Name

    Nacht über Dunkelheit

    Licht und Schatten

    M. D. Redwood

    graphics1

    Impressum

    Texte: © Copyright by Marc Daniel Redwood

    Umschlag: © Copyright by Michael Faulhaber

    Verlag: Michael Faulhaber

    Hauptstraße 19

    76829 Leinsweiler

    michael.faulhaber@carbisfilm.com

    Druck: epubli, ein Service der

    neopubli GmbH, Berlin

    Printed in Germany

    Auf einer offensichtlich unebenen Straße gondelte langsam ein Planwagen entlang. Alle Gegenstände darin schaukelten und klapperten bei jedem Schlagloch, Stein oder Wurzel. Prall gefüllte, braune Jutesäcke lehnten an beiden Seiten und hielten große und kleine Holzkisten an ihren Plätzen, sowie einen schmalen Gang mitten durch den Wagen frei. Auf den Kisten und Säcken lagen Stoffe in allen Farben und Felle verschiedener Tiere. Unter dem Tonnengewölbe der grauen Leinenplane klapperten einige Töpfe, Pfannen, Schöpfkellen sowie Werkzeug, Bögen, Köcher, einige Laternen und ein Schwert an den Verstrebungen aus Holz. Das Aneinanderschlagen der Gegenstände füllte den Wagen mit seinen blechernen Ping-Pong Geräuschen. Dazwischen knarrte das Holz mit dem Quietschen der Räder um die Wette. Am hinteren, entfernten Ende des recht voll gestellten Planwagens stand ein Bett mit einem gefüllten Jutesack als Matratze darauf. Das Stroh ragte überall aus dem alten, schlecht geflickten Sack, nur um Schlafende heimtückisch zu piksen.

    Doch der Junge der im Augenblick darauf schlief schien das nicht zu stören. Er war klein und zierlich mit einem schmalen, kindlichen Gesicht und hellem, braunem Haar. Seine zarten Züge verrieten, dass er höchstens zwölf Jahre alt war. Völlig ungeschützt lag der Kleine dar. Decke und Bekleidung fehlten fasst vollständig bis auf eine Fetzen Stoff, der nicht mehr war, als eine Lendenschürze. Dafür war der bloße Kinderkörper mit grauen und blutroten Verbänden eingehüllt. Insbesondere sein linker Arm, Bauch und seine Brust erinnerten an eine Mumie. Aber auch um die Stirn, am rechten Oberarm, an beiden Knien und der rechten Wade hatte der Kleine Bandagen. Selbst seine Hände und Füße waren eingewickelt.

    Der Wagen sprang über einen dicken Stein und der schlafende Junge machte einen Sprung im Bett. Beim Aufschlagen auf dem festen Sack wachte er nun doch auf. Blinzelnd stöhnte er und bewegte mühsam Arme und Beine. Alles tat ihm weh. Außerdem hatte er Hunger, furchtbaren Hunger und Durst. Die Not war stärker als seine Schmerzen. Er brauchte etwas zu essen, am besten sofort. Der Junge war sich sicher, seit Tagen nichts mehr gegessen zu haben. Wo war er eigentlich? Er drehte den Kopf und sah sich um. Der Ort war für den Kleinen fremd und ergab auch keinen Sinn. Er wusste zwar, dass er sich in einem Planwagen befand, aber warum er hier und wie er hergekommen war, konnte sich der Junge nicht erklären. Außer ihm war niemand da. Nach hinten versperrte die fest verschnürte Plane die Sicht. Vorne hinaus konnte er aber gegen das grelle Sonnenlicht erkennen, dass mindestens zwei Männer auf dem Wagenbock saßen. Sie unterhielten sich in fließendem Nordisch. Er wollte etwas rufen, doch er wusste nicht was.

    Der Kleine rollte sich auf den Bauch. Sein Rücken war vom Nacken über die Schulterblätter bis hinunter zur Hüfte eingewickelt. Er stellte die Handflächen auf dem Strohsack auf. Nun spannte er die drahtigen Muskeln leicht an und verharrte einen Augenblick. Der Junge sammelte seine Kräfte zusammen, dann stemmte er sich mühsam nach oben. Seine Arme zitterten vor Schmerzen und Anstrengung. Der Junge hatte das Gefühl, dass ein Felsblock auf seinem Rücken lag, den er mit anheben musste. Auf allen Vieren schob er die Beine aus dem Bett und stellte sie auf den Holzplanken ab. Bereits jetzt schon erschöpft schwitzte er aus allen Poren. Dann taumelte der Junge auf die Füße und versuchte den Laderaum zu durchqueren. Er hatte das Ziel vor Augen, so nah und doch so fern war der Wagenbock. Aber der Wagen schaukelte wie ein Schiff im Sturm und der Kleine war nicht sicher auf den Füßen. Das erste Schlagloch warf ihn in eine Kiste, an die er sich noch rechtzeitig hatte klammern können. Der Junge wimmerte vor Schmerzen als er mit den Schienbeinen gegen die Kiste prallte. Das Stechen der Wunden am Oberkörper war noch schlimmer. Durch den Zug seiner gestreckten Arme machten sich Schultern, Rücken und Brust bemerkbar, weil die teilweise durchgebluteten Verbände von den Wunden rissen. Er verharrte einen Moment aus Angst vor einer Bewegung, die noch schmerzhafter sein könnte. Er hatte kaum die Kraft sein eigenes Gewicht an der Kiste zu halten. Mit butterweichen Knien zog sich der Kleine wieder nach oben, angestrengt als ob der ganze Wagen an seinen Armen hängen würde. Er spürte die Schweißperlen im Gesicht. Er taumelte weiter, nur um vorwärts in eine Gruppe voller Säcke zu fallen. Er jammerte leise als er gegen die harten Früchte darin schlug.

    »Da war doch was«, bemerkte der eine Mann auf dem Wagenbock. Er drehte sich nach hinten und schob die Plane weiter zur Seite. Es war ein Händler mittleren Alters mit einem misstrauischen Gesicht. Seine gelbe und grüne Kleidung offenbarte, dass er ein erfolgreiches Geschäft führte. Sein Bart war so schwarz wie sein Haar und in strenge Form geschnitten. Der Händler warf einen Blick durch den Laderaum und entdeckte schließlich das zierliche Kind auf den Säcken, das sich gerade wieder aufrichtete. Der Kleine schnappte nach Luft, dabei störten die engen Verbände um seine Brust.

    »Sieh mal an, wer da auf den Beinen ist.« Die Stimme des Händlers klang freundlich erfreut. Neben ihm tauchte das Gesicht eines jüngeren Mannes auf. Sein spitzes Gesicht mit Hakennase und das schwarze Haar zeigten deutlich die Verwandtschaft zum Händler. Er war gut zwanzig Jahre alt und trug etwa das Gleiche wie der ältere Mann, aber mit weniger Farbe im Stoff.

    »Was meinst du, Onkel?«

    »Unsere Anlage ist auf den Beinen.«

    »Tatsächlich, unser Schmächtling ist wach«, lachte der Jüngere. »Hat aber lange gedauert.«

    »Unsinn, einen guten Wein kriegst du auch nicht über Nacht.«

    »Aber vier Wochen?«

    »Ja, umso besser. Vermisste haben auch eine Reifezeit.«

    »Hey Schmächtling, wie heißt du?«, fragte der Neffe des Händlers.

    Der Junge verstand nicht, was der junge Mann wollte. Das Wort Schmächtling ergab für ihn keinen Sinn. Er konnte nicht wissen, dass es ein Wortspiel der Händler war, für den wohl magersten und noch dazu kleinen Burschen, den sie je aufgelesen hatten. Allerdings ergab für den Jungen ohnehin überhaupt nichts einen Sinn. Wer waren diese Leute? Er hatte sie noch nie gesehen. Er wusste auch ihre Namen nicht. Sich vorzustellen hatten die Fremden aber wohl nicht vor.

    Der Neffe wiederholte seine Frage, er war wohl ungeduldig. »Wie du heißt, will ich wissen.«

    Ja, wie hieß er eigentlich? Das fragte sich der Junge in diesem Augenblick auch. Er dachte darüber nach, aber es fiel ihm nichts ein. Er kam sich bescheuert vor. Wie konnte man seinen eigenen Namen nicht wissen? Schließlich zuckte er die Achseln.

    »Schmächtling ist nicht nur mickrig, sondern auch dumm«, bemerkte der Neffe.

    »Halt die Klappe und sag nicht Schmächtling zu ihm, dass schadet seinem Wert«, wies der alte Händler ihn an. Es waren anscheinend Sklavenhändler. Er deutete auf den Kleinen und winkte ihn mit dem Zeigefinger zu sich. »Du - komm her.«

    Der Junge gehorchte, wobei er nicht nachvollziehen konnte, warum der Händler so abgebrochen mit ihm redete. Der Händler deutete auf seinen Mund. »Mund auf.«

    Der Kleine runzelte die Stirn. Was bitte schön, sollte das jetzt?

    »Du – Mund auf.« Unvermittelt packte der Händler den Jungen am Kinn und presste mit den Fingern den Kiefer auseinander, indem er Zeigefinger und Daumen in die Kinderwangen bohrte.

    »Zunge ist da«, stellte der Händler fest. »Und oha! Richtig gute Zähne hat er auch.«

    »Echt! Lass mich sehen.«

    Der Neffe drehte sich zu den beiden, um ebenfalls seine Finger in die zarten Wangen zu bohren und die Zähne zu begutachten, wie bei einem Pferdekauf. Sowohl bei Tieren, wie auch bei Sklaven schloss man vom Zustand der Zähne auf den Zustand der Knochen und den Rest des Körpers. Gute Zähne waren ein Indiz für Gesundheit und Arbeitskraft, also Wert steigernd. Der Junge riss sich los.

    »Lasst mich!«, rief er angewidert. Dann war er selbst verblüfft. Er sprach ihre Sprache.

    »Also sprechen kann er doch«, bemerkte der Händler. »So Bursche, wie heißt du?«

    »Ich...« Der Junge schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.«

    »Weißt du wo du her kommst?«

    »Nein.«

    »Wo du wohnst?«

    »Nein.«

    »Wieso du hier bist?«

    »Nein.«

    »Was weißt du überhaupt?«

    Der Kleine zuckte die Achseln. Der Händler rollte die Augen. »Weißt du was das ist?« Er deutete in den Wagen.

    »Das ist der Laderaum eines Planwagens.«

    »Dumm ist er nicht«, schloss der Händler. »Hat das Gedächtnis verloren.«

    Der Neffe nickte. »Dann ist das Lösegeld futsch.«

    »Kann sein.«

    »Dann ist er auch noch so winzig, viel Geld bringt der nicht.«

    »Er ist auch erst...«, der Händler stockte. »Zehn. Zunächst braucht er einen Namen.« Der Mann drehte sich in die andere Richtung. »Weib! Ich brauche einen Namen.«

    Auf der anderen Seite des Händlers saß eine Frau, die der Junge die ganze Zeit über gar nicht wahrgenommen hatte. Was wohl daran lag, dass auch die beiden Männer die ganze Zeit über so getan hatten, als wäre sie nicht da.

    »Dann gib ihm doch einen.«

    Sie trug ein gelb-grünes Kleid, war etwa vierzig und trotz der holprigen Fahrt mit Nähen beschäftigt.

    »Es muss aber ein guter Name sein, der sein Produkt verkauft.«

    Sie seufzte, denn sie wusste, dass ihr Mann verkaufen konnte, aber sonst nichts. Kreativ war er auf keinen Fall. Also fiel diese Aufgabe ihr zu, denn der Neffe taugte weder zum einen noch zum anderen.

    »Er hat eine starke Lebenskraft. Ich habe noch nie einen solchen Durchhaltewillen gesehen. Ich finde seine«, sie musterte das zierliche Bürschlein, »einzige Eigenschaft«, begründete sie schließlich.

    Der Händler nickte. »Wohl war.«

    »Er sollte daher entsprechend heißen. Wie wäre es mit Vigor?«, schlug sie vor.

    »Vigor, die Kraft«, der Neffe lachte. »Der Winzling soll Kraft heißen.«

    »Im Sinne von Lebenskraft, nicht Körperkraft«, verteidigte die Frau ihren Vorschlag. Es war ihr klar, das der Neffe nur dumme Kommentare übrig hatte.

    »Das willst du nicht im Ernst?«, fragte der Neffe.

    »Doch, der Name ist gut«, entschied der Händler. »Vigor soll er heißen. Hast du das gehört, Bursche? Du heißt ab sofort Vigor.«

    Der Junge nickte.

    »Eine echte Mogelpackung«, bemerkte der Neffe.

    »Hast du ein Problem damit?«

    »Nein.«

    »Also, du sollst ihn ja nicht kaufen.« Der Händler wandte sich an Vigor. »In einer Stunde machen wir halt. Dann gibt es was zu essen. Ich denke doch, du hast Hunger.«

    Vigor nickte. Er hatte einen Bärenhunger.

    »Und jetzt zurück ins Bett.«

    Vigor drehte sich um und wankte zurück zu seinem Lager. Wirklich schlauer war er durch das Gespräch nicht geworden. Und was er erfuhr stimmte ihn nicht glücklich. Denn sowohl die Lösegeldforderung als auch als Sklave verkauft zu werden, waren keine sonderlich rosigen Aussichten. Ein Schlagloch warf ihn vor dem Bett auf den Boden und er stieß mit dem Kopf gegen eine Planke.

    2. Kapitel: Sonnensee

    Vigor öffnete die Augen. Er war seitlich mit dem Kopf gegen eine Kiste gestoßen, an die er gelehnt war. Sein Kinn ruhte auf dem weißen Hemd vor der Brust und er betrachtete die weiß-grauen Hosen, die er unter seinem Umhang trug. Sein Buchenholzstab klemmte zwischen ihm und dem Dorfschulmeister, in dunkelblauer Gewandung und dem sonnengelben Umhang darüber. Der alte Lehrer lächelte ihn an. »Na, ausgeschlafen?«

    Der Junge nickte schläfrig.

    »Vigor braucht seinen Schönheitsschlaf«, bemerkte Volker, der neben ihnen auf seinem schwarzen Hengst Obsidan ritt. Volkers prachtvolle Kleidung aus schwarzer Hose, blauer Weste und weißem Hemd, sein Schwert und dem rot-schwarzen Mantel mit dem gelben Innenfutter, machte Vigor darauf aufmerksam welch besondere Reise sie taten.

    »Mitfahren macht müde«, rechtfertigte sich Vigor.

    »Ja, ich weiß«, antwortete Volker. »Was mich aber nicht davon abhält, dich damit aufzuziehen.«

    Vigor streckte ihm die Zunge raus.

    »Wir sind aber bald da.«

    »Echt?« Vigor sah sich um.

    Der Konvoi wanderte bereits seit einer Stunde das Ufer des Nebelsees entlang. Warum sie einen Teil des Sees umrunden mussten, erschloss sich Vigor bislang nicht. Die Ufer waren gleichzeitig die Stadtgrenzen von Sonnensee, dem Sitz des Sonnenordens und Hauptstadt des Reiches unter dem Goldenen Magier. Das Reich des Sonnenordens erstreckte sich vom Großen Strom bei Keeper’s Garden im Osten bis an die Grenze von Feuerglut im Westen und von der Küste des Langen Meeres im Süden bis an die ehemalige Grenze von Horizont im Norden. Letzteres Land stand nun hälftig unter Feuergluts und Darkcasts Kontrolle, zumindest auf dem Papier.

    Die Ufer des Nebelsees formten weiß-gelbe Sandstrände, die sich weitläufig um den See zogen. Wenige Laubbäume standen auf den leuchtend grünen Hügeln und Wiesen drum herum. Über dem Wasser war keine weite Sicht möglich, denn darauf schien sich eine dicke Nebelsuppe zu halten, welche ab und an auch über die Küsten zog und dann die ganze Gegend in tristem Grau versenkte. Doch zur Zeit war Erndmond, dem achten Monat des Jahres, und die typisch heiße Sommersonne brannte den Nebel weg, der sich nur störrisch in der Mitte des breiteren Teils des Sees hielt. Vigor war sich sicher, dass der Sonnenorden dabei durchaus mit Magie nachhalf. Anders waren die dicken Nebelschwaden im trockenen Hochsommer nicht zu erklären. Auf diese Weise schützten die Magier die große Stadt vor neugierigen Blicken. In erster Linie jedoch diente es dazu den Ort und besonders seine Magierschule geheimnisvoll zu machen.

    Sie erreichten einen prächtigen, weißen Steg am Nordoststrand. Vigor hatte dessen Umrisse schon von weitem ausgemacht, doch aus der Nähe war das Kalksteinbauwerk ein beeindruckender Anblick, denn es hatte die Größe eines ganzen Hauses. Die Reiter hielten und ließen Wagen und Obsidan den Vortritt. Die Wagenräder klapperten über das Kopfsteinpflaster. Der Torbogen aus weißem Marmor ließ keinen Zweifel, dass es sich nicht um eine arme Stadt handeln konnte. An beiden Enden des Stegs ragte ein solcher Bogen gegen den Himmel. Der Kopfstein hatte eine Goldgravierung mit einer strahlenden Sonne in einem zwölfstrahligen Stern darauf. Der Dorfschulmeister hielt sein Pferd an und gähnte. Vigor sah sich um und dann den Lehrer fragend an. Wie ging es nun weiter? Die einsehbaren Seemeilen waren menschenleer und in der Nebelsuppe dahinter schien sich nichts zu rühren. Vielleicht mussten sie sich irgendwie bemerkbar machen.

    »Soll ich mal rufen?«, fragte er schließlich.

    Der Dorfschulmeister lachte. »Nur Geduld, mein Junge. Die Fähre ist schon unterwegs.«

    »Woher wissen die denn, dass wir da sind?«

    »Dieses Ufer ist nicht so einsam und unbeobachtet wie es scheint.«

    »Magie?«

    »Auch.«

    »Was denn noch?«

    »Es gibt auch jede Menge Kundschafter und Wachen«, erklärte der Dorfschulmeister. »Du kannst davon ausgehen, dass wir bereits seit Stunden beobachtet werden, vielleicht sogar verfolgt.«

    »Sind die immer so misstrauisch?«

    »Sagen wir, seit langer Zeit. Allerdings erst, seit Wesen der Finsternis versuchen die Macht zu ergreifen. Ein dunkler Schatten ruht über der Welt und der Sonnenorden bemüht sich, ihn von seinen Landesgrenzen fern zu halten.«

    »Schafft er das?«

    »Ich weiß es nicht.«

    »Was glauben Sie?«

    Der Dorfschulmeister sah dem Jungen in die Augen und schüttelte den Kopf. Ein Schatten fiel auf sie, als die Mittagssonne verdeckt wurde. Vigor drehte blitzartig den Kopf. Vor ihm ragte der Bugspriet eines großen Schiffes auf.

    »Ah, die Fähre«, bemerkte der Dorfschulmeister.

    Das dreimastige Schiff hatte einen flachen, breit ausladenden Rumpf für viel Stauraum. In der Takelage der Masten kletterte emsig die Mannschaft herum, um die großen, gelben Segel einzuholen, die die Fähre weiterschieben wollten. Die Männer trugen weiße kurze Hosen, keine Schuhe und die meisten von ihnen verzichteten bei dem warmen Wetter auf ein Hemd. Stoff war kostbar, sodass die einfachen Leute ihn nur trugen, wenn es notwendig war. Die Matrosen waren nur als kleine Männchen erkennbar, wie die Ameisen auf einem Haufen. Doch ihre Rufe und das Flattern und Schlagen des Segeltuchs konnte Vigor deutlich hören. Es musste sehr viel Arbeit sein, ein Segelschiff zu fahren. Das Vorschiff fiel mit einem großen Aufbau zwischen Bug und Fockmast auf und am Heck hatte die Fähre eine mächtige Kajüte, die fast das halbe Deck hinter dem Großmast einnahm. Der Besanmast ragte aus der großen Kajüte. Sie diente wohl dazu, den vielen bedeutenden Passagieren die Überfahrt angenehmer zu machen.

    Das Schiff drehte weit vor dem Steg bereits ab und wandte seine Breitseite zu ihnen, während es dennoch auf sie zu trieb. Schließlich ließ es den Anker fallen, der ratternd von der Kette ging und ins Wasser klatschte. Vigor war sich sicher, dass die Mannschaft den ganzen Tag nichts anderes tat als hin und her zu fahren. Denn die Maßarbeit die sie leisteten war bemerkenswert. Das riesige Schiff blieb einige Meter entfernt stehen und genau mit der Einstiegsvertiefung, in der Reling der Steuerbordwand, mittig vor dem Steg. Eine beschaulich wirkende Eichenplanke wurde von der Fähre hinunter gelassen. Über eine komplizierte Seilkonstruktion unterstützten zwei Flaschenzüge an Großmast und Besanmast die Männer beim Bewegen der Planke. Sie wuchs beständig, je weiter sie vom Schiff wegkam. Schließlich war sie so breit wie der ganze Steg und aus dem gleichen dicken Holz wie der Schiffsrumpf. Daher waren vier Männer nötig, um die schwere Rampe von Bord zu hieven und trotzdem recht sanft vor dem wartenden Wagen aufsetzen zu lassen. Das Verfahren erinnerte leicht an eine Zugbrücke.

    »Hast du gesehen, wir sind nicht die einzigen«, bemerkte Volker.

    Vigor drehte sich um. Er war so mit dem Treiben auf dem Wasser beschäftigt gewesen, dass er gar nicht bemerkt hatte, wir sich der Steg füllte. Hinter dem Begleitschutz aus der Siebten Armee von Starkenberg hatte sich eine Schlange gebildet. Es standen acht Fuhrwerke hinter ihnen und eine größere Ansammlung von Fußpassagieren. Vigor überschlug die Zahl, es mussten etwa fünfzig sein. Ihrer einfachen, bräunlichen Kleidung nach zu schließen, waren es hauptsächlich Knechte, Mägde oder Erntehelfer. In jedem Fall mussten die meisten aus dem Bauernstand entstammen. Viele Fuhrwerke waren mit Feldfrüchten, wie Kartoffeln und Kohl beladen, was den Verdacht erhärtete. Dazwischen wartete der Planwagen eines fahrenden Händlers. Am Ende stand ein elegant anmutender Reisewagen, der einem reichen Kaufmann oder einem Adeligen gehören musste. Da aber kein nennenswerter Begleitschutz dabei war, konnte es sich nicht um einen Landesherrn aus dem Ausland handeln.

    An der Reling neben der Rampe erschien der Bootsmann. Er hatte eine Pfeife um den Hals und trug etwas bessere Kleidung als die Mannschaftsmitglieder, die über die Planke nach unten kamen. Der Bootsmann winkte ihnen oder der Besatzung zu, welche den Steg betraten. Die Matrosen winkten nun den Dorfschulmeister herbei. Der Lehrer fuhr langsam los, dann nahmen zwei Männer seinen Wallach am Zaumzeug in Empfang. Die Matrosen führten sie die Rampe hoch. Es ging sehr langsam aufwärts, man ließ sich Zeit, um keinen Unfall zu riskieren. Die Männer wirkten entspannt. Der Wallach des Lehrers trottete geduldig und sicheren Schrittes über das abgeschabte Holz. Die Matrosen unterhielten sich in Südländisch, der Sprache die auch in Starkenberg gesprochen wurde.

    »Das ist ja mal einfach.«

    »Geht fast zweimal drauf.«

    »Hört auf zu Quatschen, sonst verladet ihr nachher nochmal den Königinnenwagen«, warf der Bootsmann ein. »Wenn das Tier abrutscht, dann liegt ihr drunter!«

    »Das ist ein Rückepferd«, bemerkte der eine.

    »Das ist mir egal«, warf der Bootsmann zurück. »Es zieht einen Personenwagen und keinen Baumstamm.«

    Die beiden Männer machten beschwichtigende Gesichter und passierten den Bootsmann schweigend. Außer Hörweite des Vorgesetzten meinte der eine wieder. »Guter Seemann, aber keine Ahnung von Pferden.«

    Der andere nickte.

    Vigor fiel nun die Bewaffnung des Schiffes auf. Die Fähre hatte unzählige Ballisten, auf beiden Enden. Auf dem Vorschiff und dem Achterdeck oberhalb der Kajüte, konnte der Junge außerdem zwei fest installierte Katapulte erkennen. Die Schießanlagen wurden allesamt von zwei Soldaten in goldgelben Uniformen bedient oder vielmehr bewacht. Es war fast keine nennenswerte Munition an Deck, sondern nur ein Pfeilgeschoss lag in den Ballisten ohne eingespannt zu sein. Die Katapulte sahen festgezurrt aus, waren also im Augenblick gar nicht feuerbereit. Es zeugte allerdings davon, dass im Kriegsfalle die Fähre alles andere als wehrlos war. Vigor war sich sicher, dass ein Fährüberfall keine gute Idee war.

    Vigor, Volker und der Dorfschulmeister stiegen ab.

    »Stab«, erinnerte der Lehrer den Jungen, der mit dem Blick überall statt bei der Sache war. Vigor griff seinen Stab und reichte dem Dorfschulmeister die Tasche daneben. Wagen, Pferd und Obsidan wurden in den Laderaum gebracht. Dort gab es eine Art Stall mit Verschlägen, in die jeweils ein Pferd eingestellt wurde. Dafür hatte die Fähre eigens angestellte Stallburschen in weiß und blassgelben Hosen. Daneben war die Haltestelle für die Wagen. Die Zugpferde wurden ausgespannt und der Wagen fest an Bodenringe getaut. Vigor sah, dass die Mehrheit der Fußpassagiere zum Vorschiff wanderte. Viele verweilten auch einfach an Deck. Ein Mannschaftsmitglied wies den Dorfschulmeister, Volker, Vigor und den begleitenden Offizier an, die rechte Treppe zu verwenden. Die anderen Reiter der Siebten Armee folgten. Sie waren als Leibgarde abgeordnet und hatten nicht die Absicht, sich von dieser Aufgabe abbringen zu lassen. Ohnehin gehörten etliche von ihnen ohnehin dem Adel an, denn sie waren Ritter mit eigenen Landgütern. Das wusste aber das Mannschaftsmitglied nicht.

    Der fahrende Händler und die Passagiere des eleganten Reisewagens, es war ein Kaufmann mit Frau und Kind folgten ihnen. Obwohl sie näher zu der breiten Treppe standen als Vigor, Volker und der Dorfschulmeister. Doch durch die große Garde, wagten es diese Mitglieder des Bürgerstandes nicht, sich vor den hier offensichtlich anwesenden Adel zu stellen und ließen dem alten Herrn, seinen Jungs und seinen Soldaten mit einer Verbeugung den Vortritt. Oben angekommen, öffnete ein vornehm gekleideter, junger Mann, in gelber und dunkelblauer Gewandung, die Tür in die Kajüte. Auch er verbeugte sich. Der Dorfschulmeister grinste. »So bin ich auch noch nicht empfangen worden.«

    Dann schwieg er, während sie den langen, schmalen Gang entlang liefen. Zwei dunkel gekleidete Herren nahmen ihnen das Handgepäck ab, dass nur aus einer Tasche des Dorfschulmeisters bestand. Sie öffneten eine Tür zu einer Kabine, die offensichtlich nicht jedem angeboten wurde. Der Diener, der die Tür öffnete, ging dabei in die Knie. Die Kabine erschlug Vigor mit Prunk. Es war die Lounge für Adelige. Alles noch so unsinnige Mobiliar war mit Gold überzogen und sehr verschnörkelt. Stolze drei Einzelbetten standen in dieser Kabine, die etwa halb so groß war, wie der Vorbau, wo die fünfzig Bauern Platz genommen hatten. Überall hingen dicke Teppiche in allen Farben, sowohl an den Wänden, als auch auf dem Boden. So wollte die Fährlinie die weniger seefesten Adeligen vor dem leichten Seegang auf dem Nebelsee schützen. Aber durch die schiere Größe der Fähre beschränkte sich das Schwanken ohnehin auf stürmische Tage. An dicken weißen Vorhängen vorbei, konnte Vigor hinaus auf das Ufer sehen, wo immer noch Fuhrwerke verladen wurden.

    »Kann ich Euch etwas bringen lassen?«, fragte der Diener, der die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, um den Lärm des Schiffes auszusperren. Es drang nur noch dumpf durch die dicke Eichentür. Vigor konnte fast vergessen auf einem Schiff zu sein.

    »Ja, bitte«, meinte der Dorfschulmeister. »Jungs, was wollt ihr essen?«

    »Hirschfilet«, meinte Volker ohne zu überlegen, »in Rotweinsoße und mit Kartoffeln und Karotten und Erbsen.«

    »Sehr wohl«, der Diener notierte mit.

    Vigor runzelte ungläubig die Stirn.

    »Vigor?«, fragte der Dorfschulmeister wieder.

    »Äh.«

    »Der Hirsch ist gut hier«, erzählte Volker, als ob er hier jede Woche Hirsch essen würde, was Vigor stark bezweifelte. Außerdem kannte Vigor den Geschmack von Rotwild gar nicht, denn der Verzehr war schließlich ein Privileg des Adels. Aber das konnte Vigor unmöglich vor dem Diener erklären.

    »Das Gleiche für mich«, sagte er schließlich.

    »Sehr wohl.«

    Der Dorfschulmeister lächelte und wandte sich an den Kabinendiener. »Bringt mir die Empfehlung der Kombüse.«

    »Sehr wohl.« Der Mann notierte fleißig weiter. Er verbeugte sich nochmals. »Eminenz. Königliche Hoheit. Mein Herr.«

    Dann verließ er sie. Volker grinste den verdutzten Vigor an.

    »Eminenz«, sagte der große Junge und verbeugte sich übertrieben. Vigor sah seinen Freund an.

    »Was soll das jetzt schon wieder?« Er rollte die Augen. »Eminenz...«

    »Tja«, Volker grinste immer breiter, »Hochwürden werden sich daran gewöhnen müssen, etwas Besseres zu sein und dies ständig unter die Nase gerieben zu bekommen.«

    »Habt Dank für diese Information, oh Königliche Hoheit, dem designierten Großherzog von Starkenberg.« Vigor klang überzogen.

    »Ja, genau so ist es«, erwiderte Volker. »Du wirst vielen begegnen, die auf diesen Titelmist sehr viel Wert legen. Und hüte dich davor zu zeigen, dass es dir fremd ist.«

    »Warum muss ich so tun als ob ich das wichtig finde?«

    »Weil du dich sonst als gemeines Volk verrätst.«

    »Na, Klasse.« Vigor verzog das Gesicht.

    »Kann man nichts machen.« Volker zuckte die Achseln. »Also wie gesagt, tue einfach so als wäre es normal.«

    »Verstanden. Warum hat er mich zuerst genannt?«, fragte Vigor weiter.

    »Weil du ranghöher bist«, antwortete Volker.

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