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Im Schatten der Dämmerung
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eBook483 Seiten7 Stunden

Im Schatten der Dämmerung

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Über dieses E-Book

Asylmas Schicksal nimmt sie mit auf eine Reise, bei der sie allzu bald feststellt, dass hier nicht nur Zufall am Werk ist.
Ein Zauberer nimmt sich ihrer an und flieht mit ihr, um den Rat eines verborgenen Volkes aufzusuchen. Dabei gerät vieles im alten Reich Calvaldurs ins Wanken, während den Zwergen ein Krieg droht, den so keiner kommen sah.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum18. Okt. 2021
ISBN9783754173497
Im Schatten der Dämmerung
Autor

Marc Lindner

Seit 9 Jahren schreibe ich Bücher. Mein Erstlingswerk, ein Fantasyroman, liegt in der Schublade. Seitdem habe ich zwei gesellschaftskritische Novellen in einem Werk „Busfahrt“ und „Zur tanzenden Kegel“ veröffentlicht. Während meines Studiums zum Wirtschaftingenieur Fachrichtung Maschinenbau habe ich den Roman „Flucht aus dem Morgengrauen“ geschrieben. Heute arbeite ich in einem Bauingenieurbüro und bin teilweise für die Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich. Zu meiner Tätigkeit gehören Vorträge über Fehlentwicklungen beim sogenannten „nachhaltigen“ Bauen und dementsprechende Artikel für die Presse zu verfassen. In diesem Zusammenhang habe ich das Buch mit dem Titel „Nachhaltigkeit, CO2-Neutralität und andere bilanzielle Fehler“ verfasst.

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    Buchvorschau

    Im Schatten der Dämmerung - Marc Lindner

    Prolog

    Ein rauer Wind strich über die tiefen Fugen der dicken Stein­mauern und ließ in der Burg ein unstetes Pfeifen ertönen. Regen klatschte gegen die Fenster, überflutete die Scheiben und ließ die im Dunkeln liegende Welt verschwimmen. Doch das Glas war zu dieser Stunde ohnehin kaum mehr als ein dunkler Spiegel.

    Ein breites Himmelbett wurde von dem flackernden warmen Licht eines mannshohen Kamins beleuchtet, und jeder noch so kleine Gegenstand warf unheimliche Schatten.

    Im Bett lag ein Kind, ein Junge, und hatte sich tief unter die zahlreichen Decken verkrochen. Die Wände der Burg strahlten eine Kälte aus, die bis tief in die Knochen zog. Längst verfügte nicht jedes Zimmer über einen Kamin und so schlich ein kalter Hauch über den steinigen Boden.

    Besonders an Winterabenden wie diesem war der Junge froh, wenn er sich unter seinem Schutzwall aus Decken verstecken konnte und das Knistern seines Kamins gegen das Heulen des Windes kämpfte.

    Leise, aber schleifende Schritte näherten sich dem Zimmer und hallten von den kalten Steinen des Flures wider. Wenig später hob sich das eiserne Schloss der massiven Tür. Die rostigen Scharniere wehrten sich gegen die Bewegung und stöhnten unter der Last.

    Der spärlich beleuchtete Flur stahl dem Zimmer seine Wärme und ein kalter Luftzug ließ das Feuer lebhafter flackern.

    Herein trat ein von den Jahren krumm gewordener Mann. Sein Kopf und der Buckel seines einst kräftigen Rückens waren auf gleicher Höhe. Kleine listige Augen lugten aus dem Dunkel hervor. Ein Grinsen verunstaltete sein altes Gesicht. Hätte der Junge den Eindringling zum ersten Mal gesehen, er hätte nicht gewusst, ob er sich fürchten sollte oder ob jene Grimasse der Freundlichkeit diente. Selbst die Narrenmütze auf dem Haupt des Alten war weit entfernt von der Farbenpracht der anderer Narren. Im Allgemeinen hatte er wenig an sich, womit er mit den übrigen Burgbewohnern vergleichbar gewesen wäre. Vielleicht mochte der Junge den Mann genau deshalb.

    Mit lautem Knacken fiel die Tür ins Schloss. Schwerfällige, aber gleichmäßige Schritte näherten sich dem Kamin. Er stocherte mit dem Schürhaken in der Glut, bevor er wie jeden Abend vor dem Feuer stehen blieb, sich die Hände rieb und darauf wartete, dass die Kälte des Tages aus ihm zu weichen begann.

    Ohne den geringsten Ton von sich zu geben, lugte der Junge über die Decken hinweg. Er kannte das Ritual und wusste, dass der Alte als Erster sprach. Natürlich hatte seine Ungeduld ihn schon oft diese Regel vergessen lassen, aber dann ging der eigen­sinnige Narr, ohne seine Geschichten zu erzählen. Aber auf eben jene Geschichten freute sich der Junge den ganzen Tag.

    Das Zimmer hellte sich auf, als der Alte sich vom Kamin entfernte. Sein ritusähnlicher Weg führte ihn zu dem Fenster, gegen das der Regen klatschte. Mit dem Finger strich er über das Glas als suchte er einen unbekannten Ort auf einer riesigen Landkarte.

    Dann endlich, als er sicher war, dass nirgends draußen mehr ein fremdes Licht leuchtete, zog er seinen Körper auf einen mächtigen Sessel neben dem Bett.

    Der Junge wurde unruhiger. Seine Finger spielten mit dem ausgefransten Saum der obersten Decke.

    Aber noch ließ der Narr sich Zeit mit seiner allabendlichen Geschichte.

    „Weißt du, mein Junge, erlöste der Narr das Kind schließlich. „Habe ich dir schon die Geschichte erzählt ... Der Alte sprach gedehnt und doch klang jedes Wort auf seine Art melodisch.

    „Nein", antwortete der Knabe prompt.

    Der Mann lächelte gutmütig. Der Kleine hatte recht. Noch nie hatte der alte Mann eine Geschichte zweimal erzählt. Und im ganzen Reich würde man keinen finden, der diese Geschichten einem Jungen verraten würde. Eigentlich wäre es schwierig genug einen zu finden, der sie überhaupt kannte. Es waren Erinnerungen aus Büchern, die längst nicht mehr gelesen wurden.

    Für sich genommen war keine davon unsagbar böse oder gar gefährlich. Nein, eigentlich war jede Erzählung, wie sie in einem Geschichtenbuch hätte stehen können – aber dem war nicht so. Zusammen ergaben sie das, womit alles anfing, oder womit alles einmal anfangen würde – die Wahrheit. Eingraviert in die ver­schlungenen Pfade all derer, die gescheitert waren. Es zeigte, wie Verrat Mitleid belohnte. Dass Schmerz der Preis der Gefühle war. Vor allem zeigte es, dass der Friede deshalb verwehrt blieb, weil keiner den Mut und das Opfer aufzubringen in der Lage war, den Weg zu Ende zu gehen, den schon so viele begonnen hatten. Ein Leben voller Qual und der Bann wäre durchbrochen. Ein Jahr­hundert voller Finsternis und die Welt wäre befreit.

    Mal erzählte der Narr von dem alten König, der starb, weil er keine Angst hatte. Von dem Thronbesteiger, der sein Reich verlor, weil sein Volk den Glauben an seine Güte verloren hatte. Von Magiern, die ihrer Gier nach Macht erlagen. Von Freunden, die zu Feinden wurden, weil der eine den Weg nicht zu Ende gehen wollte.

    Alles in allem, so befand das Prinzenkind, konnte er viel von dem Narren lernen. So etwa, dass Wissen und Unwissen jeweils Fluch und Segen sein konnte. Hoffnung und Wut ebenso Gift wie Heilung versprechen konnte.

    Die Stimme des Alten verebbte und das Knistern des Kamins und das Prasseln des Regens erfüllte von Neuem den Raum. Der Junge lag schweigend da und stierte gegen den Baldachin seines Bettes.

    „Ich habe Angst davor", hauchte das Kind.

    „Wovor?" Die Stimme des Narren klang einfühlsam und warm.

    „Davor, dass ich zu schwach sein werde." Er suchte nach einer Antwort in dem über ihm hängenden Stoff.

    „Wenn deine Zeit gekommen ist, mein Junge?"

    „Ja, wenn ich König bin."

    „Du kennst dein Schicksal. Genauso kennst du die Gefahren. Der alte Mann strich über die Decke des Jungen. „Das Volk braucht dich. Es wird dir vertrauen.

    „Aber, wenn ich dieses Vertrauen nicht verdiene?" Die Sorgen des Jungen waren groß für jemanden seines Alters.

    „Du weißt, was ich dir erzählt habe."

    „An allem zweifeln, aber niemals an mir!" Der Junge betete den Satz hinunter, ohne ihn wirklich zu glauben.

    Er liebte das Volk seines Vaters. Er liebte sein Volk und er wollte alles tun, damit es diesem gut erging. Alles!

    „Du weißt, es kommen dunkle Zeiten." Das Gespräch nahm altbekannte Züge an. Der Junge würde nicht aufhören die gleichen Fragen wieder und wieder zu stellen, genauso, wie der Narr niemals müde wurde, ihm zu antworten.

    „Aber mein Vater sagt doch, dass das Hirngespinste sind!"

    „Dein Vater sieht es nicht, weil er es nicht sehen will! Die Zeichen der dunklen Mächte bleiben ihm verborgen, weil er in seinem tiefsten Inneren weiß, dass er ihnen nicht gewachsen sein würde. Vor langer Zeit hat er eine Entscheidung getroffen – und was immer auch geschieht, er wird nie etwas tun, was diese nichtig werden lässt."

    Wie immer an dieser Stelle, so schwieg der Junge auch diesmal.

    „Und mir verbietet er dieses Wissen, da er mich schützen will." Der Junge klang nachdenklich.

    Der Narr konnte ein leichtes Schmunzeln nicht unterdrücken. Diese Wendung war neu und es hatte ihn beinahe einen ganzen Winter gekostet, bis der Gedanke sich bei dem Jungen hatte ein­nisten können.

    „Er liebt dich, vergiss das nie! Der Alte beschwor tiefe Falten der Sorge auf seine Stirn. „Wenn es etwas gibt, das der König mehr liebt als sein Volk, dann ist das seinen Sohn. Eine Pause setzte ein. „Lass niemals zu, dass er sich zwischen dir und deinem Volk entscheidet."

    Stille.

    „Aber die Feinde von denen du sprichst, Großvater, warum habe ich noch nie einen von denen zu Gesicht bekommen?"

    „Dunkles weilt, wo es dunkel ist. Böses graust im Verborgenen. Wären sie gut, warum sollten sie sich verstecken?"

    „Vielleicht sind sie schwach. Vielleicht haben sie Angst!" Der Königssohn konnte es nicht lassen, in jedem etwas Gutes zu sehen.

    „Glaubst du, Hochgeborener, dass du einem Feind der Krone gewachsen bist?"

    „Nein."

    „Denkst du, Prinz, du könntest einen Verräter überwältigen, bevor er dir sein Messer in den Rücken rammt?"

    „Nein."

    „Ah, siehst du! Der Alte setzte eine gutmütige Miene auf. „Und doch zeigst du jeden Tag dein Gesicht in der Öffentlichkeit. Du begibst dich auf die Straßen, auf denen dich Gesindel jederzeit ermorden könnte.

    Der Knabe wollte eben ansetzen, Widerspruch zu geben, doch der Alte unterbrach ihn.

    „Und das alles bloß, weil dein Herz rein ist, weil du bereit bist, in jedem das Gute zu sehen."

    Der Junge schluckte. Seine Gegenwehr brach zusammen.

    „Ich glaube, ich möchte jetzt schlafen, Großvater. Es war ein langer Tag."

    „Sehr wohl mein Kind."

    Der Junge drehte sich um und zog die Decken eng an sich.

    „Großvater?"

    „Mein Kind?" Ein Lächeln stahl sich dem Mann ins Gesicht, da er die Frage bereits ahnte.

    „Warum bist du eigentlich Narr, wenn doch mein Vater König des ganzen Reiches ist?"

    „Angst, mein Junge! Der Alte lachte verlegen, als versuchte er seine Trauer zu überspielen. „Auch ich war König einst. Zwischen jedem Satz fügte er eine Pause ein. „Genauso wie dein Vater jetzt, genauso wie auch mein Vater vor mir."

    Sein Atem wurde hörbar. Es schien ihm viel Anstrengung abzuverlangen, dies alles zu erzählen. „Damals als alles sich entscheiden sollte, waren von mir die Armeen aus dem ganzen Reich zusammengezogen worden. Selbst unsere Nachbarn hatten ihre Söldner unter meinen Befehl gestellt. Gemeinsam waren wir gegen die Zwerge und Zentauren in den Krieg gezogen. Es waren grausame Zeiten damals. Aber ... Die Erinnerung drückte schwer gegen die Brust. „Aber es musste getan werden, wenn wir Freiheit für die Menschen wollten. Frei von den dunklen Verschwörungen, frei von den Flüchen jener Wesen, die glaubten, über allen anderen zu stehen. Und wir hatten sie beinahe besiegt. Sie hatten sich zurückgezogen. Nur aus dem Hinterhalt haben sie wie Feiglinge kleinere Gruppen von uns abgeschlachtet.

    Der Junge zog verängstigt die Decke über das Gesicht, sodass nur die Augen hervorlugten.

    „Ihre Verhexungen haben uns getötet, ohne dass wir einen von ihnen zu Gesicht bekamen. Der Narr lächelte dem Jungen zu und drückte sein Bedauern aus, ihm das alles erzählen zu müssen. „Du kannst dir die Grauen nicht vorstellen! Eine bedrückende Pause setzte ein. „Und da kam dein Vater ins Spiel. Er hat den Anblick der Leichen unseres Volkes nicht mehr ertragen. Dabei kann ich ihn nur allzu gut verstehen. Auch mich hat es geschmerzt, dies alles ertragen zu müssen, aber mir war auch bewusst, dass es keinen anderen Weg gab. Wir waren dem Sieg so nahe. Nur noch wenige Wochen oder Monate und es hätte auf ewig Frieden geherrscht. Stell dir das nur vor, aufzuwachen und zu wissen, dass jeder deines Volkes, sich frei bewegen könnte und keine Angst um sein Leben haben müsste. Ein Stöhnen des Schmerzes ertönte. „Aber das Böse durfte überleben. Alles, weil das Herz deines Vaters die Schreie nicht länger erdulden konnte. Eine längere Pause setzte ein, während der Alte schwer atmete. „Deshalb war er ins verborgene Reich gestiegen – glaub mir, allein für diesen Mut verdient er große Bewunderung – und er hat einen Pakt ausgehandelt. Ihr Reich würde nie wieder von einem Menschen betreten werden und einem jedem sollte es gar verboten sein, von ihnen zu erzählen. Sie sollten vergessen werden. Keiner durfte wissen, wer sie wirklich waren."

    „Natürlich war ich nicht damit einverstanden. Ich sah den endgültigen Frieden zum Greifen nah. Unser Volk hätte im Vergleich zu dem, was es erleiden musste, nur noch wenig Schmerz ertragen müssen. Dein Vater aber fand viele, die seiner Meinung waren, und so musste ich abdanken. Üblich wäre gewesen, dass er mich getötet hätte, doch dein Vater hat ein großes Herz. Damit mir aber niemand glauben würde, was ich zu erzählen hatte, machte er mich am Tag seiner Krönung zum Hofnarr."

    „Großvater?"

    „Mein Kind?"

    „Aber das ist schon lange her. Vielleicht sind sie nicht mehr böse. Vielleicht bleibt der Frieden uns erhalten."

    „Das wäre schön, mein Junge. Ein aufmunterndes Lächeln erfasste das Gesicht des Alten. „Nichts würde ich lieber glauben als das!

    Ein Stöhnen der Erschöpfung.

    „Aber die Schmieden des Bösen rüsten von Neuem. Mit jedem Frühling werden sie mächtiger. Und es gibt einen viel mächtigeren Feind. Vergiss den nicht, auch wenn andere ihn vergessen haben. Er kniff die Augen zusammen und sah zur Wand. „Legenden sind nichts weiter als verblasste Erinner­ungen. Sie wirst du nicht mit Schwertern töten können.

    „Mein Vater ist stark. Es klang etwas trotzig, so wie der Junge es aussprach. „Wenn sie angreifen, wird er sie besiegen!

    Ein gütiges Lächeln sollte das aufbrausende Gemüt beruhigen.

    „Noch sind wir alle sicher. Was den Pakt angeht, so werden sie ihn nicht brechen."

    Stille.

    „Wenn der König aber stirbt und du die Krone erbst, werden sie sich nicht länger an den Pakt gebunden fühlen. Dann werden die Grauen von Neuem beginnen. Dann wird es nicht die Aufgabe deines Vaters sein und meine längst nicht mehr. Es ist dein Schicksal, der Weg, der seit deiner Geburt für dich bestimmt ist."

    „Aber mein Vater...?" Der Junge wollte den Alten unterbrechen.

    „... will nicht, dass du das weißt! Deshalb darfst du ihm dies nie erzählen. Er glaubt an den Pakt, er muss es, ansonsten würde er wahnsinnig vor Sorge, was er dir aufbürdet – und selbst darf er nichts tun, da sonst er es wäre, der den Pakt bricht. Tief in seinem Innern weiß er das. Dass er es aber weder aussprechen noch hören muss, ist die einzige Möglichkeit für dich, es ihm erträglich zu machen. Der Narr legte seine Hand auf die Decke des Kindes. „Junge, versprich mir eines, kein Wort zu niemandem! Es würde das Herz deines Vaters brechen.

    „Versprochen." Eiseskälte ergriff den Jungen.

    „Nun schlaf, Triton, mein Junge."

    Der alte Mann stand auf und ließ den Jungen mit seinen verwirrten Gedanken allein.

    Eine ganze Weile noch starrte der Junge in den Baldachin.

    „Ich werde nicht zulassen, dass mein Volk nochmals leiden muss", hauchte der Prinz, kurz bevor der Schlaf ihn überwältigte.

    Die große Halle

    In der großen Halle öffnete sich ein schwerer Flügel der mächtigen Tür. Herein trat ein einzelner Mann, gehüllt in seinen langen dunkelblauen Mantel. Sein Gesicht trotz des warmen Lichtes der zahlreichen offenen Kamine ganz bleich, schien er zu blinzeln, da er noch an das gedämpfte Licht der Tunnel gewöhnt war. Aber ansonsten war sein Gesicht völlig ausdruckslos. Nicht die kleinste Sorgenfalte belastete seine Stirn. Er wirkte beinahe entspannt, missachtete man die Gleichgültigkeit in seinem Blick. Die Kälte, die sich mit seiner Ankunft in dem großen Thronsaal ausbreitete, konnte die Unzahl an Feuern rechtfertigen.

    Der König jedoch bemerkte dies nicht, denn seine Miene hellte sich auf, als die stöhnende Tür den Blick auf seinen treuesten Diener freigab.

    Noch an der Tür stehend, deutete der Eintretende eine leichte und doch huldvolle Verbeugung an, bevor er, ohne ein Zeichen abzuwarten, auf den Thronsässigen zuging. Obwohl dieser offensichtlich auf ihn wartete, ließ sich der Heranschreitende nicht zur Eile bewegen, noch zögerte dieser. Jeder seiner Schritte wirkte gemessen und unbeirrbar.

    „Thanatos, treuester aller Diener, mächtigster aller Freunde, welch Unheil bringt dich so früh in meine einsamen Hallen", begrüßte Triton den Ankömmling und ließ es sich nicht nehmen, aufzustehen und die letzten Schritte selbst zu bewältigen.

    „Herr, meine Hoheit, die Finsternis wird bald über uns ziehen und unsere Feinde verschlingen, verkündete der Diener mit seiner gefühllosen Stimme und küsste den Ring auf der Hand seines Königs, die dieser ihm darreichte. „Die Jahre der Vorbe­rei­tung haben sich gelohnt. Alles ist fügt sich zusammen.

    Triton nickte und wirkte auf einmal niedergeschlagen.

    „Ach, dass diese dunklen Tage die meinen sein müssen. Der König wandte sich mit gesenktem Haupt zur Seite. Langsam schritt er auf eines der nahen Feuer zu und begann mit dem Schürhacken darin herum zu stochern. „Von Woche zu Woche werden die Berichte aus den Außenbezirken schlimmer. Funken stoben aus dem Kamin, als ein Scheit zur Seite kippte.

    Der Diener sah dem Monarchen mit leicht gekräuselten Lippen zu. „Herr, ich verstehe nicht, es war euer Plan", drang er mit seinen schmucklosen Worten durch die Gedanken seines Herrn bis zu dessen Bewusstsein durch.

    „Und an diesem halte ich fest! Es gibt nur diesen einen Weg, um die Fehde zu Ende zu bringen. Aber es wird viele Opfer geben."

    „Ihr seid der König, mein Herr, ihr werdet die Menschen zu glorreichen Zeiten führen. Wenn sie bis alle unter einem Banner vereint sind."

    „Du hast recht. Der König seufzte leise. „Du bist so mächtig alter Freund. Manchmal hoffte ich, ein anderer wäre an meiner statt König. Er senkte den Blick vor seine Füße. „Du wärest der Richtige."

    „Danke Herr, verneigte sich der Diener mit einem leicht belustigten Anzeichen eines Lächelns. „Ich zweifle auch nicht an meiner Macht, Herr, aber um König zu sein, bedarf es anderer Größe, mein König. Ich würde die Bürde nicht annähernd so gut tragen wie ihr. Es ist nicht die Krone, die den König schmückt. Es ist der König, der ihr Glanz verleiht. Ich fürchte mein bleiches Antlitz würde mehr Angst als Ehrfurcht verbreiten. Ihr seid der wahre König, mein Herr.

    „Und wieder hast du recht. Verzeih mir! Diese politischen Debatten ermüden mich und machen mich weich." Im Gegensatz zu seinem Diener war die Stimme des Königs wohlklingend und sein Ton so rund und voll, dass man ihm ergeben zuhören musste. Selbst, als die Worte seine Sorgen mit sich trugen. Die Sorgen, die er vor keinem anderen jemals würde aussprechen. Er hatte ein Königreich voller Diener aber einzig Thanatos vertraute er blind. Dabei war er nicht einmal einer seiner Untertanen, sondern Mitglied des Blauen Turms und somit zur Neutralität verpflichtet.

    „Der neutrale Ring kann den Druck nicht mehr halten. Ich erhalte Berichte, dass die Stadtherren nicht mehr Soldaten aufnehmen können und doch schlüpfen immer mehr Flüchtlinge durch unsere Netze. Ich fürchte das Bündnis der Türme kann auch nicht mehr tun."

    „Der Bogen ist gespannt, mein Gebieter. Ihr habt recht, im nächsten Winter würde die Situation nicht mehr zu kontrollieren sein. Alles ist auf Messerschneide, aber zur rechten Zeit. Wir können die nächste Phase einleiten."

    „Dann stehen die Zwerge bald mit uns im Krieg?", wollte der König wissen und klang so entschlossen, wie es sich für einen König gehörte.

    „Schon bald Herr. Unser Informant hat gute Dienste geleistet. Es ist uns gelungen den Hauptmann der königlichen Wache gefangen zu nehmen. Er wird in diesem Moment nach Sanyna gebracht. Ich selbst breche gleich dorthin auf. Sobald er zurück­kehrt, wird der Krieg unausweichlich sein., verkündete Thanatos. „König Momos kommt mit seinen Kriegs­vorbe­rei­tung­en gut voran, und freut sich, dass ihr ihm eure Truppen als Unterstützung entsenden werdet, wenn es so weit ist.

    Triton musste leise lachen. Es klang eher bedrückt als belustigt. König Momos war in vieles eingeweiht, und war in die Vorstellung vernarrt, das Volk der Zwerge auszulöschen. Aber er kannte nicht den großen Plan.

    „Dann wirst du ihn laufen lassen?" Der König klang überrascht.

    „Nein, er wird fliehen", erklärte Thanatos in seinem nüchternen Tonfall.

    „Was macht dich da so sicher?", wunderte sich der König, obwohl er es doch hätte besser wissen müssen.

    „Verrat, mein Herr. Ein wahrlich treuer Diener. Mächtiger gar als Angst." Der Vertraute des Königs brachte schließlich doch noch ein schwaches Lächeln zustande.

    „Wahrlich finster diese Zeiten, wandte sich der König dem Feuer zu, sodass der Magier seine Sorgenfalten nicht sehen konnte. „Die Feuer sind gelegt, damit der Schatten unseren Weg erhellt?, sprach der König zu den Flammen. „Hoffnung und Liebe sind der Grundstein aller Kraft."

    „Es ist alles vorbereitet."

    „Er muss verletzlich werden. Wir müssen ihn wieder lehren zu hoffen. Ich fürchte er hat vergessen, wie das geht. Der König stocherte gedankenvertieft in den Flammen. Er muss sich der Rebellion anschließen, sonst war all die Vorbereitung umsonst.

    „Wir wissen von zwei Windreitern unter den Rebellen. Der Schatten hält sich derzeit im Norden auf und er scheint unseren Spuren zu folgen. Masborn wird ihn schließlich in die Berge treiben."

    „Dann wird es Zeit unsere Bündnisse zu erneuern. Ich höre schreckliche Berichte aus den anderen Königreichen. Jeder Funke könnte einen Flächenbrand entzünden. Wir müssen Zeichen setzen und ihnen Hoffnung schenken."

    „Der neutrale Ring ist darauf vorbereitet. Ihr selbst könnt bald die frohe Kunde verkünden. Bereitet alles für eine lange Reise vor. Thanatos reichte ihm eine winzige Pergamentrolle und verneigte sich. „Ich entsende euch zwei meiner Meister, damit sie bei den Vorbereitungen helfen. Sie werden euch treue Dienste leisten. Es ist in letzter Zeit still geworden, es ist jetzt wichtig, dass wir in Kontakt bleiben. Abermals verneigte sich der Magier, ohne dass der König es sah, und verließ mit gemessenem Schritt die Halle.

    Selbst als die Tür geschlossen und der Herrscher dieser Hallen und eines großen Reiches alleine war, blieb dieser am Feuer stehen.

    Nach einer Weile öffnete er das Pergament und überflog eine lange Liste. Es waren allesamt Städtenamen, die mit einem Datum versehen waren. Plötzlich lief es dem König eiskalt den Rücken herunter, als ihm bewusst wurde, dass der Tag gekommen war. Er ließ das Pergament sinken. Es würde in der Tat eine lange Reise werden. Unterwegs würde er viel Leid sehen, und nur der Glaube an den großen Plan, schenkte ihm die Kraft, die er dafür würde aufbringen müssen. Es wurde Zeit, dass sein Volk neue Hoffnung schöpfte und in bessere Zeiten geführt wurde. Doch aus irgendeinem Grund, wollte ihn dieser Gedanke nicht trösten. In letzter Zeit ergriff ihn ständig das Gefühl zu frieren, und nun gar war es, als würde eine kalte Vorahnung nach ihm greifen. Noch nie hatte er sich so alleine gefühlt, wie in eben diesem Moment, da er dem gierigen Spiel des Feuers zusah.

    Der Zwerg

    Da lag er nun schon seit einigen Stunden. Harter Stein drückte sich gegen seinen verkrampfenden Rücken. Die lodernde Wut hatte er schon vor Ewigkeiten vergessen – so kam es ihm zumindest vor. Mehr als die Riemen, die ihn an diese Steinplatte fesselten, war es sein tiefer Groll, den er gegen sich selbst hegte, der ihn schmerzte. Diese Qual ließ ihn verhärten, sodass er der Platte in nichts nachstand.

    Doch etwas war seltsam. Noch darüber verwundert, warum er am Leben war, fragte er sich, warum sie ihm nicht mehr Aufmerk­samkeit schenkten.

    Nicht, dass es seine Art war, aber langsam wurde er unruhig. Ohne es zeigen zu wollen, ließ er seinen Blick durch den Raum gleiten – soweit wie die unnachgiebigen Fesseln es ihm erlauben wollten. Doch außer nackten Wänden und ein paar Ölleuchten konnte er nichts erkennen. Was war eigentlich geschehen? Er konnte sich nur lückenhaft erinnern.

    Zu fünft waren sie losgezogen – soviel wusste er noch. Auch dass sie den Wald erkunden wollten, entsann er sich. Er konnte sich an einen heftigen Knall erinnern. Ganz so, als wäre ein hoher Tunnel eingestürzt, nur, dass dieser Lärm von oben kam. Deshalb hatten sie ihre Gänge verlassen. Doch ab dem Moment, da sie den Wald betreten hatten, erschien ihm alles wie ein Traum. Leicht dunstig, und wenn er nach einem Detail greifen wollte, war es, als würde es unter seinen Fingern zu Wasser werden, und verrann bevor er es festhalten konnte. Es war Nacht gewesen, vereinzelte Sterne quälten sich müßig durch das dichte Blätterdach. Aber was war dann passiert?

    Er versuchte sich zu beruhigen, um seinen Erinnerungen mehr Raum zu geben. Ein grelles Feuer erschien vor seinem geistigen Auge. Nur schwach drang der Lärm zu ihm durch. Er hörte Schreie. Und Schritte. Hastige, kurze Schritte. Sie liefen, wieder Schreie, dann Stille.

    Eine traurige Gewissheit sagte ihm, dass seine Freunde tot waren. Er verfluchte sich, dass er so feige weggelaufen war. Er hätte kämpfen sollen. Besser zu sterben, als nun hier zu liegen und der Ungnade seiner Peiniger ausgeliefert zu sein. Hätten sie ihn doch nur getötet! Denn auch so würde er sterben, nur viel langsamer, dessen war er sich sicher. Aber er würde ihnen nichts verraten – das schwor er sich. Seinen Körper musste er ihnen aus­liefern, aber seinen Willen würden sie nicht brechen. Den wollte er mit in sein wohl schon geöffnetes Grab nehmen. So hoffte er zumindest, denn nun, da er darüber nachdachte – und er hatte viel Zeit zum Nachdenken – sorgte ihn die Vorstellung, sie könnten ihn einfach verbrennen. Diesen Heiden traute er alles zu. Aber er wollte wieder unter die Erde. In den Schoß der geliebten Mutter seines Volkes.

    Ob er sie wohl fragen könnte, dass er es selbst ausschaufelte, wenn sie es nicht machten? Er lachte über seinen Gedanken und irgendwie schenkte ihm dieser neuen Mut. Den würde er auch brauchen. Das würde ein langer Tag werden. Der letzte Tag, so hoffte er zumindest, denn er wusste nur zu gut, wie lange ein leidender Körper am Leben gehalten werden konnte. Doch wenn seine Lippen sich öffnen würden, so sollten sie nur Flüche in diesen Steinsarg entlassen. Mit angewidertem Blick betrachtete er die stümperhafte Errichtung dieser Grotte. Mehr als ein Loch war es nicht. Es war nicht zu vergleichen mit den Hallen seines Volkes. Diese Gruft besaß keine Seele. Welch Frevel diese Menschen doch begingen. Dieser Anblick beleidigte ihn fast mehr als die Fesseln, die seinen Körper umschlangen.

    Doch immer noch waren seine Peiniger nicht zurückgekehrt. Mit einem staubigen Sack auf dem Kopf hatten sie ihn herunter­getragen. Das war seine erste Erinnerung, die er nach dem Vorfall im Wald besaß. Er versuchte seine Sinne zu schärfen und sich an jedes Detail zu erinnern. Sie legten ihn auf dieser Platte ab, ohne zu bemerken, dass er zu sich gekommen war. Er ließ die Augen geschlossen, als sie ihm den Sack vom Kopf zogen. Erst einmal musste er zu sich finden. Seine Sinne waren trüb und sein Kopf schmerzte. Verwundert spürte er, wie seine Lippen benässt wurden und er musste sich überwinden, nicht zu schlucken und nicht gierig nach mehr zu verlangen. Dabei hatte er irrsinnigen Durst und spürte eine Leere in seinem Magen, als hätte er seit Tagen nichts Festes zu sich genommen. Er überlegte sich, welche Lügen er ihnen verkaufen konnte. Auf keinen Fall durfte er sich in Widersprüche verrennen. Irgendwie musste er sie in die Irre leiten – selbst wenn er nicht hoffen konnte, hier lebend hinaus zu kommen. Aber diese Freude würde er sich nicht nehmen lassen. Er war schließlich ein großer Krieger seines Volkes. Umso mehr schmerzte die Schande, dass er weggelaufen war. Aber gegen einen Magier konnte er nichts ausrichten. Und es waren so viele gewesen. Immer mehr Bilder stiegen in ihm auf. Ganze Reihen von langen Männern, gehüllt in noch längere dunkle Mäntel, waren zwischen den Bäumen aufgetaucht. Wie von einem Donner heraufbeschworen. Gesehen hatten seine Freunde und er diese Gestalten erst, als ein explodierendes Feuer die Nacht zum Tage werden ließ. Grimmige Schatten hatten diese Kreaturen umspielt, so finster, dass nicht einmal die Sterne sie beleuchten wollten. Augenblicklich war klar gewesen, dass sie verloren waren. Die Schreie waren unnötig gewesen, denn der Tod hatte sie allesamt gepackt. Nur mit ihm spielte dieser noch sein grausames Spiel. Als Belohnung für sein schnelles Laufen.

    Jene Nacht war zu viel für ihn gewesen. Fast schon war er dankbar dafür, dass die Folterknechte ihn warten ließen. Sie wollten ihn brechen, das wusste er. Die steinigen Wände sollten sich auf ihn stürzen. Ach, diese Narren, er war ein Kind der Mutter Erde und selbst der härteste Stein konnte ihn mit seinem Anmut verzaubern. Auch die harte Platte, auf der er lag, störte ihn wenig. Oft schon hatte er die Nächte auf einem solchen Bett zugebracht, wenn die Eile es ihm verbot seine Zeit damit zuzubringen, ein Lager aufzuschlagen.

    Wenn er so darüber nachdachte, so war er doch kein Feigling. Er stellte sich seinem Schicksal, wie man es von einem Zwerg erwarten durfte. Der Tod sah ihm in die Augen und er musste nicht einmal blinzeln.

    Ein leichtes Schmunzeln glitt ihm über seine rauen Lippen, so schwach, dass die Leuchten es mit ihren schwachen Licht verborgen hielten.

    Aus der Ferne hörte er Schritte und seine Miene wurde so hart, wie die Platte unter ihm. Der Stein der Treppen und die felsigen Wände verrieten den Ankömmling lange bevor dieser in der Nähe der kleinen Kammer angelangt war. Der Fremde kam allein, soviel konnte Almar deutlich heraushören. Zulange hatte er unter der Erde gelebt, um sich von den widerhallenden Geräuschen täuschen zu lassen. Auch schien es ihm, als wirkten die Schritte desjenigen, der nun kommen sollte, etwas unbeholfen. Seine Füße schlürften in unregelmäßiger Folge über den steinernen Boden.

    Die Treppe lag hinter ihm, sodass Almar sie nicht erblicken konnte. Allein sein Gehör leistete ihm die Dienste, die er benötigte. Mutter Natur verriet ihm alles, was er nicht sehen konnte. Er verstand die Stimme der Steine so deutlich, als würde er sich in mit jemandem unterhalten. Jeder seines Volkes vermochte dies. Es lag daran, wie sehr sie mit der Erde verbunden waren. Sie respektierten sie und lernten von ihr. Als Lohn verriet sie ihnen all ihre Geheimnisse. Seine Muskeln begannen sich leicht zu verkrampfen, so als wüsste sein Körper von den Schmerzen, die ihm zugefügt würden.

    Almar merkte, wie ein schwacher Lichtschein die Schatten auf der vor ihm liegenden Wand verjagen wollte. Der Fremde war da. Er konnte dessen Schritte vernehmen, ohne dass die Wände der Treppe sie noch zu ihm hintragen mussten. Aber dann blieb der Ankömmling stehen. Die Schritte verhallten. Einzig das Licht bewegte sich in dem leichten Luftzug, der es bis in diese Tiefe schaffte.

    Schließlich ging der Fremde weiter. Seine Gangart war nun zögerlicher. Das leicht Unbeholfene in seinen Bewegungen war verschwunden. Stattdessen klang es als würde er sich jeden Schritt genau überlegen.

    Almar blieb reglos liegen. Seine wachsende Ungeduld wollte er dem Fremden nicht zeigen. Das verbot ihm sein Stolz, und den wollte er sich nicht nehmen lassen, nun, da es um sein Leben bald geschehen sein würde. Der Fremde näherte sich ihm nicht und so konnte er diesen nicht erblicken. Merkwürdiger noch als der Klang der zögernden und doch plump lauten Schritte, war, dass ein Gefühl von Angst den Raum ergriff. Der Zwerg, auch wenn dem Tod nahe, wusste, dass es nicht von ihm stammte.

    Zögernd nahm der Ankömmling hinten in einer Ecke Platz. Ein leises Rascheln war zu hören, so als würde ein großes Tuch von etwas heruntergezogen. Wohl die Folterinstrumente, die sorgsam vor dem Staub geschützt waren, dachte der Zwerg. Innig hoffte er, dass der ängstliche Mann sein Handwerk nicht verstand und er so einen schnellen Tod finden konnte. Das war alles, was er noch hoffte. Für viel mehr Hoffnung war in dieser Grotte ohnehin kein Platz und auch seine Riemen, die er straff um seinen Leib trug, wollten ihm nicht viel von diesem flüchtigen Gefühl gestatten.

    Nur zu deutlich konnte er hören, wie die Werkzeuge des Mannes über den Tisch gescharrt wurden. Almar verfolgte gebannt die Geräusche. Er wagte es nicht, sich zu rühren und so konnte er nicht sehen, was der Fremde machte, aber er wirkte ordentlicher, als Almar gehofft hatte. Der Mensch bereitete alles vor, und Almar presste vorsichtshalber die Zähne zusammen. Er durfte dem Schmerz nicht erliegen. Er wusste zu viel, was die Menschen niemals in Erfahrung bringen durften. Sein tiefer Groll gegen die Menschen schenkte ihm die nötige Kraft, denn er wusste nur zu gut, was diese Hochgewachsenen seinem Volk angetan hatten. Zumal in letzter Zeit hatten die Grauen zugenommen. Schon seit Jahren wagte sich in manchen Gegenden kein Zwerg mehr an die Oberfläche, wenn es nicht sein musste.

    Doch er gehörte zu den Soldaten seines Volkes und als Spion hatte er viel Nützliches zu seiner Königin unter Tage gebracht. Lange würden sich die Zwerge nicht mehr von den Überlangen auf den Kopf treten lassen.

    Doch das würde er nicht mehr erleben können. Bald würde er seine Erlösung finden – so wagte er noch zu hoffen. Doch die ungeahnte Sorgfalt des Menschen an diesem untröstlichen Ort, bereitete ihm große Bedenken bezüglich seines baldigen Ablebens. Wenn der Mann ihm doch wenigsten Fragen stellen würde, dann könnte er versuchen, ihn hinters Licht zu führen. Ihm unnützes Wissen an den Kopf werfen, um so den Qualen nur kurz ausgesetzt zu sein. Doch der Mensch schien nicht zu beab­sich­tigen mit ihm zu reden. Nur um seine Werkzeuge kümmerte er sich und ließ diese unentschlossen hin- und hergleiten.

    Dann aber wurde es still. Das war fast noch grausamer. Zu viele Gedanken breiteten sich im Kopf des Zwerges aus. Hatte der Mann so viele Foltermittel, dass er sich nicht für eines entschließen konnte? Grausame Vorstellung, und der Zwerg erwischte sich dabei, wie er kräftig schluckte.

    Plötzlich ertönte ein Schlag. Ein Splitter flog durch den Raum. Wieder hielt der Mensch inne, als habe der schallende Lärm ihm selbst Angst bereitet. Almar hielt es nicht mehr aus. Was sollte das? Da nur er und der Mann in diesem Raum waren, wagte er es, seinen Kopf leicht anzuheben.

    Der Mensch war eine recht dürre Gestalt, fast doppelt so groß wie er selbst. Einem kräftigen Schlag von ihm würde dieser nicht standhalten können, soviel stand fest. Zu dumm, dass er gefesselt war. Der Mann blickte nicht zu ihm hin, sondern betrachtete besorgt ein steinernes Objekt vor sich. Almar musste mit aller Kraft gegen die Fesseln ankämpfen, um sich überhaupt ausreichend erheben zu können, und so war er sich nicht sicher, was er dort sah. War es eine Statur? Zumindest wirkte es so und der Mann strich mit einer Hand über sie hinweg, als würde er einem Kind liebevoll über den Kopf streicheln.

    Von Neuem erhob der Mann seinen Meißel und versuchte im schwachen Schein der Leuchten der Büste ein Lächeln aufzu­zwingen. Doch es wollte ihm nicht gelingen. Almars Körper gewöhnte sich an die Anstrengung und so konnte er das Gesicht der Statur ausmachen. Sie war recht gelungen, musste er gestehen und er merkte, dass ihm der Anblick für einen Augenblick sein eigenes trauriges Schicksal vergessen ließ. Es war ein Mädchen, noch jung an Jahren, doch tiefe Trauer lag in ihren Zügen. Obwohl aus Stein, schienen die Augen zu weinen.

    Etwas Schweres lag in dem Ausdruck der Büste, etwas das nicht von dem Stein herrührte. Almar versuchte den Mann erneut einzuschätzen. Obwohl er dessen Gesicht nicht erkennen konnte, sah er, dass diesem die gleiche, tiefsitzende Schwere anhaftete. Als habe nicht einzig dessen Alter an dem gekrümmten Rücken gezogen. Almar empfand beinahe Mitleid für diesen Mann. Sollte er es wagen, ihn anzusprechen?

    Sei kein Narr, ärgerte er sich im selben Augenblick über seinen irrsinnigen Gedanken. Er musste hart bleiben, nicht für sich, sondern für sein Volk. Eide hatte er geschworen – er, der sich in so vielen Gefechten bewiesen hatte – doch niemals hätte er gedacht, dass er sein Leben so sinnlos hergeben müsste.

    Almar ließ sich erschöpft auf die Platte sinken, die Riemen waren doch stärker, als er es war.

    Als würde er dem Zwerg sein Ende verkünden, schlug der Mann mit seinem Hammer auf den fein geführten Meißel ein. Nach jedem Schlag hielt der Mann inne, darüber verängstigt, wie viel Lärm er verursachte. Nur sein angespanntes Atmen war dann zu hören.

    Armer Mann, dachte der Zwerg. Hier lag er, mit breiten Riemen gefesselt, maß selbst kaum mehr als die Hälfte des Mannes und doch fürchtete sich dieser Mensch vor ihm. Deshalb auch wandte sich Almar von dem Mann ab, leicht mitleidig und nicht minder angewidert. Nur der Stimme des Steines horchte er, ohne aber eine Regung von sich zu geben.

    Wieder vergingen Ewigkeiten während einzig die Ausrufe des berstenden Steines die Stille durchbrachen. Wie eine träge Uhr kündete jeder Knall, Schlag um Schlag, von den letzten Stunden des Zwerges. Obschon der Mann hier weilte, bildete sich Almar nicht ein, dass sich auch nur das Geringste an seinem Schicksal ändern würde. Er war dazu verdammt hier unten seine letzte Reise anzutreten, und seine Geheimnisse würde er mitnehmen. Dieser unzerbrechliche letzte Wille versteinerte von Neuem seine Miene. Er war ein Soldat, einer aus der Garde der Königin und allein seine Anwesenheit ließ einen Menschen verängstigt in eine Ecke kriechen. Ha, sollte der Tod nur kommen, er würde ihm mit Würde folgen.

    Allmählich begann der Mensch sich von seinem erlittenen Schock zu erholen, oder zumindest bei seiner Arbeit den Zwerg zu vergessen. Seine Schläge wurden schwungvoller und seine Bemühungen diesem Stein seinen Willen einzumeißeln

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