Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Weißschwarz
Weißschwarz
Weißschwarz
eBook275 Seiten3 Stunden

Weißschwarz

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Eine Reihe von mysteriösen Todesfällen versetzt die Kleinstadt Königsdorf in Angst und Schrecken.
Menschen verschwinden spurlos. Als der 16-jährige Tom Becker erkennt, dass Nebelwesen für all die Vorfälle verantwortlich sind, ist es fast schon zu spät. Er ist gezwungen, sich mit einer der Kreaturen enger zu verbünden, als ihm lieb ist. Doch es gibt noch eine andere Kraft, die gefährlicher ist als das, was im Nebel lauert...
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum23. Feb. 2013
ISBN9783847629894
Weißschwarz

Ähnlich wie Weißschwarz

Ähnliche E-Books

Fantasy für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Weißschwarz

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Weißschwarz - Malte Ubben

    Prolog

    Er erhob sich aus der Finsternis, sicher, dass ihn niemand bemerkt hatte. Schwarzer Nebel zog langsam in die kühle Nachtluft hinaus und verschwand dann in der Dunkelheit. Sein Sichtfeld wurde klar und er sah die riesigen Rosenbüsche, die vor ihm wuchsen. Dahinter lag die Ahornallee, beschienen von einer alten, verrosteten Laterne. Sie war das einzige Licht weit und breit, ein missglückter Versuch, die Dunkelheit abzuhalten.

    Niemand kann die Dunkelheit aufhalten. Niemand.

    Er richtete seine Augen auf die Lampe und dachte an alles, was er bis jetzt vollbracht hatte. Die Finsternis durchfloss ihn, flutete seine Seele und gab ihm ein Gefühl unbeschreiblicher Macht. Er dachte an eine Wolke aus tiefster Schwärze, streckte seine Hand aus und ließ die Gedanken dann los.

    Eine finstere, kalte Schliere verließ seine Finger. Das Gebilde schwebte über die Straße hinweg und hielt dann erbarmungslos auf die Laterne zu. Mit einem hässlichen Brummen umschloss die Wolke die Lichtquelle und laut zischend glitt sie schließlich in die Glühbirne und sprengte das Glas mit einem Knall. Es war nun komplett finster auf der Straße und er sog genüsslich den Gestank ein, den die Wolke hinterlassen hatte. Dann schwebte er nach vorne und durchglitt die Rosenbüsche, als wären sie Luft. Mit einem hässlichen Knistern starben die Gewächse und sanken tot auf den Boden, wo sie verrottet liegen blieben.

    Er setzte seinen Weg fort über die Straße, die unter ihm zu verschwimmen schien, stellte sich unter die Laterne und betrachtete die Scherben, die auf dem Boden lagen. Eine schrecklich schöne schwarze Schicht war deutlich darauf zu erkennen.

    Dann hörte er ein Knistern und drehte sich suchend um. Lauernd prüfte er die Umgebung. Wie jeder seiner Art konnte er in der Dunkelheit perfekt sehen. In der Ferne erkannte er zwei Eichhörnchen, die seine Gegenwart zu spüren schienen und fluchtartig das Weite suchten.

    Am Ende der Straße, an der Kreuzung zur Kirchstraße, erschien ein Mann, hochgewachsen und ganz in Schwarz gekleidet. Er hatte einen starren, durchdringenden Blick. Seine blauen Augen waren in der Dunkelheit zu erkennen. Sie leuchteten hell in der Nacht, fast wie zwei große Glühwürmchen. Der Mann drehte seinen Kopf nach links und rechts, um sicher zu gehen, dass sie keine ungebetenen Zuhörer hatten und schritt dann ebenfalls auf die Laterne zu.

    Dieser Mann hatte keine Angst vor ihm, im Gegensatz zu den vielen Menschen zuvor. Dazu gab es keinen Grund. Er hatte es ermöglicht, diese Welt zu betreten und hier zu existieren. Bald würde eine neue Zeit anbrechen. Bald würde das letzte Licht fallen und Dunkelheit würde die Welt ertränken. Grausige, ewige Dunkelheit.

    Der Mann fing teuflisch an zu grinsen, als der neben ihm angekommen war. Sein Gesicht verzog sich zu einer Fratze, die blauen Augen wurden unnatürlich groß und der Mund weitete sich, wurde breiter und schließlich schienen die Mundwinkel fast die Ohren zu berühren. Das Gesicht war bleich wie das einer Leiche, die Zähne waren jedoch nicht vergammelt, sondern von einem makellosen, weißen Glanz.

    „Nun, Sclair, ist es an der Zeit, deine Gefolgschaft zu verständigen. Wir können und dürfen nicht noch länger warten, es muss bald geschehen. Der Winter nähert sich und die Tage werden schon jetzt dunkler. Wenn wir zu lange zögern, müssen wir ein weiteres Jahr warten und ich vermute, dass dir das nicht gefällt", dröhnte der Mann mit einer tiefen Stimme.

    „Ich werde mich so schnell wie möglich auf den Weg machen", antwortete Sclair.

    Sclair. Das war ein Name wie jeder andere. Er hatte schon viele gehabt. Doch das war sein erster gewesen.

    „Wir müssen schneller vorgehen. Wie viele hast du schon getötet? Zwei?"

    „Drei. Zuerst ein Kind, das im Dunkeln in seinem Zimmer unter seinem Bett ein Spielzeug gesucht hat. Danach habe ich noch einen kleinen Jungen überfallen. Er hat um Hilfe gerufen."

    „Was? Ich sagte dir doch, das dürfe nicht passieren! Wenn du fotografiert worden wärst, hättest du jetzt gewaltige Probleme!", zischte der Mann verärgert. Er fletschte seine Zähne und die Nasenflügel fingen an, unruhig zu beben.

    „Keine Sorge. Es war nur der Vater dort", versuchte Sclair ihn zu beschwichtigen, denn ihm graute vor der Wut seines Gegenübers.

    „Als er kam, habe ich mich unsichtbar gemacht und bin dann durch das Kind hindurchgegangen."

    Er bemerkte, wie der Mann schauderte. Vermutlich versuchte er, einen Menschen dieser Welt zu imitieren.

    Sclair bezweifelte jedoch, dass sein Gegenüber ungefähr so viel mit einem Menschen gemein hatte, wie er mit einem Schmetterling. Hastig fuhr er fort:

    „Das war vielleicht ein Schock für den armen Kerl. Zum Glück musste er nicht lange leiden. Durch die... Eigenschaft meiner Art war meine Hand eine Klaue, ich habe sie verstofflicht und dann…"

    Sclair ließ etwas erklingen, was sich anhörte wie eine Mischung aus dem Geräusch einer Kreissäge und dem Tosen eines Wasserfalls. Seine Art zu lachen.

    „Ich bezweifle, dass die Polizei seinen Kopf schon wieder gefunden hat. Aber solange sie auch suchen, niemand wird ihn finden."

    Der Mann zog eine Zeitung aus einer Jackentasche, auf deren Titelseite die Schlagzeile prangte „Jugendlicher enthauptet Vater".

    „Die glauben im Ernst, dass der Kleine seinen Papa ermordet hat. Es ist schon erstaunlich, wie einfach Menschen denken."

    Der Mann spuckte das Wort ‚Menschen’ heraus, als ob es ihn schon anekelte, auch nur einen Gedanken daran zu verlieren.

    Sclair lachte erneut.

    „Dann lass uns doch einmal den Jungen fragen, oder hast du was dagegen?"

    Ehe der blauäugige Mann etwas sagen konnte, öffnete Sclair seinen Mund. Ein lang gezogener, hoher Schrei drang aus seiner durchsichtigen Kehle.

    Gespannt wartete Sclair auf eine Gefühlsregung seines Gegenübers. Sie blieb aus.

    „Wann hast du seine Kraft aufgesogen?", fragte der Mann interessiert.

    „Es wird noch höchstens zwei Tage dauern, bis er von meiner Dunkelheit verschluckt wird. Dann wird nichts mehr vom armen Holger Schmidt übrig sein", erklärte Sclair mit einem breiten Grinsen.

    „Wir werden sehen. Aber jetzt solltest du deine Artgenossen aufsuchen. Ihr müsst beginnen. Ach, und Sclair, ich habe noch ein Geschenk für dich."

    Der Mann flüsterte dem Schatten etwas zu.

    Sclair stieß ein letztes Lachen aus und entmaterialisierte sich in eine schwarze Nebelwolke, die plötzlich herangeweht kam.

    Der Blauäugige blieb einige Sekunden unter der wieder Laterne stehen und verschwand dann, ebenso rasch und leise wie Sclair, in der Dunkelheit.

    Der Nachtwandler

    Der Regen prasselte gegen das Fenster. Es hatte langsam angefangen. Zuerst waren es nur ein paar kleine Tröpfchen gewesen, losgelöst aus den Weiten des Himmels, in gewisser Weise Vorboten der Nacht, die allmählich die Sonne löschten. Der Wind hatte nicht stark geblasen, nur ein Hüsteln der Welt. Doch aus dem Hüsteln waren erst ein Keuchen und danach ein Stöhnen geworden. Auch der Regen hatte sich verstärkt und gewaltige Wolkenberge türmten sich auf, die immer wieder den Mond verdunkelten.

    Tom Becker hasste den Regen und hasste den Wind. Er verabscheute jeden einzelnen Tropfen, der sich den Weg zur Erde bahnte, verachtete jede Böe, die durch seine Straße und um sein Haus fegte.

    Er betrachtete sein Spiegelbild, das in der Fensterscheibe zu sehen war.

    Seine kurzen, blonden Haare und sein kantiges Kinn waren genau auszumachen, von seiner grünen Iris war aber nichts zu sehen. Er konnte auf seinem Pullover einen Fleck erkennen, wahrscheinlich noch Reste vom Mittagessen.

    Tom beobachtete den Mond, der langsam aufstieg. Die Blitze, die sich immer wieder über den dunklen Himmel zogen, erhellten immer wieder die Stadt. Dazu fiel auch manchmal fahles, kaltes Mondlicht auf die Erde, wenn es nicht von den dunklen, erstickenden Wolken daran gehindert wurde.

    Das Prasseln am Fenster ging Tom auf die Nerven. Er runzelte die Stirn und wandte sich dem Nachbarhaus zu, dessen Umrisse in der Finsternis wirkten, wie ein altes Ungetüm, das in der Nacht hockte und auf Beute wartete.

    Es war ein fast schon antikes Gebäude, doch trotzdem nicht heruntergekommen und keinesfalls verdreckt oder in einer anderen Weise ungepflegt, die Familie Peterson in Verruf hätte bringen können. Die Wände waren weiß und das Dach mit blutroten Ziegeln bedeckt. Efeu wucherte an einigen Stellen bis hinauf zum Dachfirst. Der Garten war gewaltig, mit einem Fischteich, der fast schon ein See war und einem kleinen, selbst angelegten Wald aus Fichten. Keine vier Meter von Toms Zimmer entfernt erhob sich die braune Ziegelsteinwand, die das Grundstück der Beckers vom Anwesen der Petersons trennte und nicht einmal fünf weitere Meter dahinter ragte das alte Haus auch schon empor.

    Von seinem Stuhl aus konnte Tom das Zimmer von Walter sehen, seinem Erzfeind. Er dachte daran, wie viele Gefechte und Streitereien sie sich schon geliefert hatten…

    Tom war zwar kein Außenseiter in der Schule, aber er war auch nicht sehr beliebt. Walter Peterson trug einen großen Teil dazu bei. Wenn er nicht wäre, hätte Tom wahrscheinlich auch ein paar echte Freunde, die bereit waren, ihn auch einmal nachmittags zu besuchen. Es gab den einen oder anderen, der sich neben Tom setzte, aber nur, weil seine Noten in Deutsch sehr gut waren.

    Der Streit mit Walter war beinahe historisch. Schon im Kindergarten hatte es angefangen: Hatte Tom eine Sandburg gebaut, die größer war als die von Walter, war sie am nächsten Tag einem Attentat zum Opfer gefallen.

    Hatte Tom einen besseren Test geschrieben als Walter, wurde ihm rätselhafter Weise am nächsten Tag vorgeworfen, dass er abgeschrieben hatte. Toms Lehrer behauptete damals steif und fest, aus zuverlässiger Quelle erfahren zu haben, dass Tom von seinem Sitznachbarn „inspiriert" worden war.

    Hier lag das erste Problem: Walter war ein Meister der Schauspielkunst. Sogar dann hätte er einen Finanzbeamten davon überzeugen können, dass bei ihm nichts zu holen sei, wenn er einen Goldbarren um den Hals getragen hätte.

    All das war noch gar nicht so dramatisch gewesen, im Gegensatz zu dem, was voriges Jahr vorgefallen war. Die Sache mit Juliet.

    Juliet war Toms erste (und einzige) große Liebe gewesen. Er lud sie ins Kino ein, führte sie zum Italiener aus und kaufte ihr sogar eine goldene Halskette. So viel Geld mit sechzehn Jahren aufzutreiben war ziemlich schwierig gewesen. Dafür hatte er einen ganzen Monat bei „Samuels Fisch- und Flunderfachgeschäft" die dreckigen, schuppigen und fettigen Fischregale geputzt. Zu seinem Ekel hätte er das ein oder andere Mal schwören können, dass die Reste, die er manchmal fand, noch lebten. Außerdem hasste er Tintenfische, ob sie nun mausetot oder lebendig waren. Aber er hatte seinen Ekel überwunden und lange in dem kleinen Laden geschuftet.

    Und dann kam es vor vier Wochen, wie es kommen musste, und zwar in Gestalt von Walter Peterson. Dieser miese Hund hatte es irgendwie geschafft, ein Foto zusammenzubasteln, das ihn und Kerstin beim Knutschen zeigte. Kerstin hatte die Figur eines Orcas und ihr Gesicht war so speckig, dass man es mit einem Haufen Walfett verwechseln konnte. Ein Glück war, dass man ihre fettigen Haare rechtzeitig riechen konnte, so war eine schnelle Flucht nicht unmöglich. Juliet fand die ganze Sache natürlich nicht sehr toll, ihre Ohrfeige tat Tom jetzt noch weh.

    Die Tatsache, dass danach Walter mit ihr ausgegangen war und schon nach zwei Tagen wieder mit ihr Schluss gemacht hatte, zog unwirklich an Tom vorbei.

    Hier lag das zweite Problem mit Walter: Seine Eltern hatten mehr Geld als das Unwetter Regentropfen. Und das gaben sie ziemlich schnell für ihren „lieben kleinen Schatz" aus. Eine einfache Fotomontage machen zu lassen war somit kein Problem.

    Seit diesem Tag hatte sich die Rivalität zwischen den Beiden verändert. Sie war in Krieg umgeschlagen. Und wie sich gezeigt hatte, war Tom darin nicht schlecht.

    Ganz besonders stolz war er auf den Einfall vom letzten Montag. Mit Zeitungspapier bewaffnet hatte Tom den Nachbarshund Percy abgeholt und war ein Stück mit ihm spazieren gegangen. Als das Tier sich auf dem Gehweg erleichtert hatte, sammelte Tom die Überbleibsel ein und lieferte Percy wieder bei seinem Frauchen ab.

    Nachdem Tom über die Mauer der Petersons geklettert war, schlich er langsam zu Walters Haustür. Mit seinem Feuerzeug entzündete er die Zeitungsfetzen, die Percys Schätze enthielten und klingelte. Da Walters Eltern gerade zu einer Konferenz aufgebrochen waren, wusste Tom, dass sein Feind alleine war.

    Rasch rannte er den Weg hinauf zum Tor, doch er hörte schon die Tür knarren und warf sich im Halbdunkel in das nächste Buschwerk, das sich zu Toms Pech als ein Brennnesselgestrüpp entpuppte.

    Von hier aus konnte er halb zerstochen, halb erfreut erkennen, wie Walter versuchte, mit seinen neuen Designerschuhen das Feuer auszutreten. Durch das unerfreuliche Ergebnis angeheizt, rannte der Junge noch nach drei Stunden mit einer Taschenlampe durch seinen Garten und suchte nach ihm.

    Doch heute saß Tom nur da, und schaute in das Zimmer seines Feindes.

    Es war viel prunkvoller eingerichtet als das von Tom. Er war zum Glück noch nie persönlich darin gewesen, aber schon der Anblick ließ ihn beinahe erbrechen.

    So viele teure Sachen für so ein Ekel: Ein großer Plasmafernseher stand auf einer modernen Kommode, die aus Eisen gemacht war, an einer anderen Wand thronte ein Computer auf einem verchromten Schreibtisch. Walter bekam nahezu jeden Monat einen neuen („der Fortschritt ist nicht aufzuhalten", wie der Mistkerl immer zu sagen pflegte). Darüber war ein Regal angebracht, auf dem nahezu zweihundert CDs standen.

    Es war ein Glück, dass der Kleiderschrank nicht zu sehen war, denn jeden Tag auf gut tausend Kleidungsstücke zu sehen würde Toms allgemeine Laune nicht sonderlich heben. Wohl aber zu sehen war das Holzbett, in dem sein Erzfeind schlief.

    Toms eigenes Zimmer war viel einfacher eingerichtet: Hier drin stand ein kleines Bett, ein großes Bücherregal, ein Schreibtisch mit einem alten Computer und ein Kleiderschrank in der einen, Schränke für Krimskrams in der anderen Ecke. An seinen Schreibtisch gelehnt war ein Baseballschläger, signiert von Billy Williams.

    Tom hatte einmal Baseball gespielt, aber er war vor drei Jahren ausgestiegen. Einen eigenen Fernseher hatte er nicht, wohl aber einen großen Lesesessel, in dem er nun saß und das gegenüberliegende Haus beobachtete.

    Normalerweise sollte er fröhlich sein, denn es war Freitag und außerdem noch Ferienbeginn. Er wollte sich entspannen und die stressige Schule hinter sich lassen, vielleicht ein paar Gedichte schreiben und faulenzen.

    Doch Tom musste immer wieder an den Zeitungsausschnitt denken, der auf seinen Knien lag. Es ging um Holger. Er kannte Holger nicht besonders gut, aber er wusste aus der Schule, dass dieser ein sympathischer, unscheinbarer Junge war. Das stand im krassen Gegensatz zu dem, was die Polizei sich rekonstruiert hatte.

    Der Zeitungsausschnitt war die Titelseite des „Ludwigsheimer Anzeigers". Ein unscharfes Bild von einem Teppich mit undefinierbaren Objekten darauf war als Aufmacher verwendet worden. Vermutlich waren die seltsamen Gegenstände Überbleibsel von einem Menschen.

    Tom las den Artikel noch einmal durch und obwohl es schon das vierte Mal war, wurde er von einem seltsamen Grauen übermannt:

    Jugendlicher enthauptet Vater

    In der Nacht von Donnerstag auf Freitag hat ein Gewaltverbrechen die Kleinstadt Königsdorf in tiefes Grauen versetzt. Der 43-jährige Brian Schmidt wurde auf unglaublich bestialische Art und Weise ermordet. Nach polizeilichen Angaben wurde ihm einem ungewöhnlich sauberen Schnitt der Kopf mit abgetrennt, der noch immer nicht wieder aufgetaucht ist. Rätselhafterweise fehlt von Brians 14-jährigem Sohn Holger jede Spur. Die zuständigen Behörden nehmen daher an, dass es sich um einen Amoklauf des Jungen handelt. Berichten zufolge hatte das Kind ein selbst programmiertes Killerspiel auf dem Computer installiert, in dem es das Ziel ist, auf möglichst brutale Art und Weise Figuren zu ermorden, die seinem Vater verblüffend ähnlich sehen. Es war bekannt, dass das Verhältnis zwischen Vater und Sohn nicht das Beste war und da eines der Küchenmesser verschwunden ist, wird angenommen, dass die Tat mit diesem verübt wurde. Es ist jedoch ungeklärt, wie der Junge so viel Kraft aufbrachte, einen erwachsenen Mann mit einem normalen Haushaltsmesser zu köpfen. Ob die anderen beiden Vermisstenmeldungen oder der schwarze Nebel, der in letzter Zeit mehrfach beobachtet wurde, etwas mit dem Fall zu tun haben, ist noch unklar. Zeugen zu Folge waren laute Schreie und eine undefinierbare Schattengestalt durch das Fenster, das sich im ersten Stock vom Haus der Schmidts befindet, zu sehen, dies wurde jedoch nicht von den Behörden bestätigt. Die Polizei ruft alle auf, die Näheres zu der Bluttat wissen, ihre Informationen weiter zu geben.

    Tom stutzte. Irgendetwas an dem Artikel kam ihm merkwürdig vor und es war nicht die Sache mit dem Küchenmesser. Irgendetwas war so faul wie die Äpfel in seinem Garten. Widerwillig legte er den Artikel wieder weg.

    Schattengestalt? Tom glaubte nicht an Monster oder andere verrückte Wesen. Er bekam es zwar leicht mit der Angst zu tun, aber eher, wenn er greifbareren Bedrohungen gegenüberstand.

    Er stand auf und schlurfte durch sein Zimmer, stieß unsanft die Tür auf und ging den langen Flur hinunter.

    Seine Eltern hatten sich gerade ihre Mäntel angezogen, denn sie wollten an diesem Abend noch ins Kino gehen und „Romeo und Julia II genießen. Wobei man bei Toms Vater Albert nicht ganz von „genießen reden konnte, er tat das nur zur Freude von Toms Mutter. Alberts Glatze spiegelte die Flurlampe wider, während er Tom noch ein paar Abschiedsworte zukommen ließ:

    „Also, mein Junge, brenne uns nicht das Haus ab und feiere keine allzu wilden Partys. Ich möchte mein wunderschönes Heim noch einmal in ganzen Stücken wiedersehen!"

    „Ich kann dir das nicht versprechen", lachte Tom.

    Kurz darauf waren seine Eltern eng umschlungen in die Nacht gebraust. Tom sah erneut in den Regen.

    Nach kurzer Zeit wurde dessen Anblick jedoch zu erdrückend, um länger vor der Tür zu verweilen und Tom zog es wieder ins Haus zurück, fort von der Dunkelheit.

    Er ging wieder zurück in sein Zimmer und zog sein Lieblingsbuch aus dem Regal: „Dunkle Märchen" von Rosetta Becker. Seine Großmutter hatte dieses Buch kurz vor ihrem Tod zu Ende geschrieben und seitdem las Tom die Geschichten. Er schlug Kapitel fünf auf, eine seiner Lieblingserzählungen.

    Nachdem er sich mit dem „mutigen Mr. Montgomery" vertraut gemacht hatte, wandte Tom sich wieder dem Unwetter zu und sah zufällig auf die Straße. Dort blieb sein Blick an der Laterne hängen. Das Licht begann zu flackern. Seltsam, wo doch das Kraftwerk keine zwei Straßen weiter entfernt stand.

    Dann normalisierte sich der Laternenschein wieder, es war, als ob ihm seine Augen nur einen Streich gespielt hatten. Und doch…

    Tom starrte zurück in die Nacht und sah den Vollmond an, der jetzt schon ziemlich hoch stand. Auf der Straße wurde es jetzt nebelig… normalerweise nichts Ungewöhnliches, aber seit wann hatte Nebel so eine pechschwarze Farbe?

    Von überall

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1