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Langeooger Blut. Ostfrieslandkrimi
Langeooger Blut. Ostfrieslandkrimi
Langeooger Blut. Ostfrieslandkrimi
eBook224 Seiten2 Stunden

Langeooger Blut. Ostfrieslandkrimi

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Über dieses E-Book

Ein brutaler Mord schockt die Ostfriesische Insel Langeoog! Die Spur führt in die Vergangenheit des Inselkommissars Gerret Kolbe. Was ist damals vor vierzig Jahren auf Langeoog geschehen? Noch immer lassen Kommissar Gerret Kolbe die Albträume nicht los. Was hat er als Dreijähriger beobachtet, als seine Mutter starb? Befindet sich der Mörder noch immer auf der Insel und schaut ihm kaltblütig in die Augen? Doch ein Leichenfund holt Kolbe in die Gegenwart zurück. Die Teilnehmer eines Boßelwettkampfs entdecken den Toten, bei dem es sich ausgerechnet um den Mann handelt, von dem Kolbe sich bei seinen privaten Nachforschungen die entscheidenden Hinweise erhofft hatte! Kolbe glaubt, dass der jetzige Täter auch der Täter von damals ist. Zugleich spürt seine Kollegin Rieke Voss, dass der Kommissar kurz davor ist, die Kontrolle zu verlieren. Zumal es da auch noch einen anderen »Fall« gibt, der sich nur bei einem Gläschen Sanddorn lösen lässt … Eines ist klar: Die Inselkommissare müssen jetzt an einem Strang ziehen, denn ihr Gegner ist skrupellos und unberechenbar...

SpracheDeutsch
HerausgeberKlarant
Erscheinungsdatum15. Dez. 2021
ISBN9783965865112
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    Buchvorschau

    Langeooger Blut. Ostfrieslandkrimi - Marc Freund

    Kapitel 1

    Kolbe ist wieder drei Jahre alt. Zumindest für einen Augen­blick, der ihm allerdings endlos scheint.

    Es ist kalt. Der Wind heult um das Haus, lässt den Regen gegen das Viereck des einzigen Fensters im Zimmer prasseln, das sich gegen die Dunkelheit abhebt.

    Geräusche im Haus, ungewohnte Geräusche. Laute und schnelle Schritte. Etwas zerbricht am Boden. Splitter rasen leise klirrend durch den Hausflur. Es folgt ein dumpfer Laut. Dann ein gespenstisches Geräusch, wie wenn jemand zwei Blätter Sandpapier gegeneinander reibt. Jemand hat versucht zu schreien und doch dabei nur ein heiseres Krächzen zustande gebracht. Zwei ungemein kräftige Hände haben mehr verhindert. Schlanke weiße Finger, die auf einen Kehlkopf pressen.

    Kolbes Augen, groß und glänzend wie Murmeln, starren zur Zimmertür. Er sieht sie nicht, weiß nur, dass sie da ist. In dieser Nacht lauern noch andere Dinge im Verborgenen. Er wird sie kennenlernen, bald schon. Und sie werden ihn nie wieder in Ruhe lassen.

    Er schlägt die Bettdecke zurück, zögert noch. Will er das wirklich? Ist es nicht manchmal besser, den Dingen ihren Lauf zu lassen, sich nicht einzumischen?

    Aber so ist er noch nie gewesen, nicht einmal als dreijähriger Junge in seinem Elternhaus auf Langeoog.

    Er bleibt kurz stehen, als er ein schabendes Geräusch vor seinem Fenster hört. Wie überlange Fingernägel, die von außen an der Scheibe kratzen.

    Der heftige Wind drückt die Rosen gegen das Haus, lässt sie wie Tentakel gegen das Mauerwerk peitschen.

    Kolbe ist im Korridor. Ein schmaler Streifen Licht sickert durch die Tür zur Diele. In diesen Augenblicken ist er gefangen im Körper seines dreijährigen Ichs. Er sieht durch seine Augen, mit dem Verstand des erwachsenen Mannes, der er heute ist.

    »Trau dich«, flüstert er dem Jungen in sich zu. »Du kannst die Tür öffnen.«

    Du weißt doch sowieso, was dich dahinter erwartet, oder etwa nicht?

    Kolbe hat diese Bilder schon mehrmals gesehen. Tausend­fach, immer wieder. Dieses Mal öffnet sich die Tür zur Diele wie von selbst. Sie macht kein wahrnehmbares Geräusch, gibt nur den Blick frei auf die Dinge, die sich dahinter abspielen.

    Zwei Gestalten vor der Eingangstür. Eine Frau am Boden. Ihr Kopf ist leicht gedreht. Sie blickt Kolbe an. Ihre Augen sind gebrochen, leblos.

    Kolbe glaubt, eine Träne zu sehen, die sich in dieser Sekunde Bahn bricht und an der noch warmen Wange der Frau herabrinnt.

    Diese Frau ist seine Mutter.

    Die Gestalt, die sich über sie beugt, der Mann, war viele Jahre lang nichts als ein beunruhigender Schatten, eine Erscheinung ohne klare Konturen. Wo sich das Gesicht hätte befinden sollen, war nur ein blasser, verwaschener Fleck.

    Doch inzwischen hat sich einiges geändert.

    Kolbe weiß, wer der Mann mit dem offenen Mantel ist, die Hosenbeine bis zu den Knien hinauf durchnässt.

    Der Mann hört auf den Vornamen Hansjörg und ist sein Vater.

    Ihre Blicke treffen sich jetzt, nach so vielen Jahren.

    Das Gesicht des Älteren wirkt wie eine steinerne Maske. Ausdruckslos, hart. Nicht einmal die Augen darin versprühen Leben.

    In diesem Haus regiert von jetzt an der Tod. In seinem Gefolge befinden sich Schweigen, mahnende Blicke und wiederum Schweigen.

    Kolbe wird beiseitegeschoben. Er kann nichts dagegen unternehmen. Für einen Moment herrscht wieder vollkommene Dunkelheit um ihn herum. Er bleibt im Korridor stehen, seine nackten Füße sind eiskalt.

    Als sich die Tür vor ihm wieder öffnet und der Schatten seines Vaters drohend auf den Jungen fällt, ist die Leiche aus der Diele verschwunden.

    Das Kissen hingegen liegt noch dort, am Aufgang zur Treppe. Ein schnödes Relikt von der Couch im Wohnzimmer. Jemand hat es benutzt, um seiner Mutter die Luftzufuhr abzuschneiden, vielleicht auch um ihre Schreie zu ersticken. Ganz sicher befinden sich auf dem Bezug noch Spuren ihres Make-ups. Ein roter Streifen Lippenstift vielleicht. Der kleine Junge achtet nicht darauf.

    Er wird herumgestoßen, von seinem Vater. Mal hierhin, mal dorthin, gerade so, dass er nicht im Weg steht. Augenschein­lich gibt es jetzt einiges zu erledigen.

    Hansjörg Kolbe rafft emsig einige Dinge zusammen, die er für den weiteren Verlauf der Nacht benötigt.

    »Hier! Zieh das an!«

    Der Junge, noch immer wartend in der Halle, trägt jetzt seine Sachen vom Vortag.

    »Beeil dich!«

    Hinaus in die Kälte, in den Regen. Im Elektrokarren über die Insel. Schwarze Nacht. Das Wasser fließt in Strömen an der Windschutzscheibe herunter.

    Auf der überdachten Ladefläche befindet sich eine in Decken gehüllte Gestalt. Die Leiche seiner Mutter.

    Kolbe weiß es, auch wenn sein Vater darüber kein Wort verliert, was sich bis zum heutigen Tag nicht geändert hat.

    Ein Haus taucht im Scheinwerferlicht auf. Ein Fetzen, ausge­schnitten aus der Dunkelheit. Die ehemaligen Praxisräume eines alten Bekannten.

    Doktor Wilhelm Sartorius.

    Es ist sein Gesicht, das für einen Augenblick hinter einem der Fenster auftaucht. Es verschwindet plötzlich, scheint sich aufzulösen. Nur wenige Sekunden später wird die Haustür aufgerissen.

    Männerstimmen. Die beiden werden einiges zu bereden haben, denkt Kolbe.

    Er bekommt eingeschärft, den Wagen auf gar keinen Fall zu verlassen. Sein Vater hat eine besondere Art, ihm das klarzu­machen. Leicht heruntergebeugt, vor dem heruntergekurbelten Fenster, die Augenbrauen zusammengezogen, während ihm das Regenwasser von der Nasenspitze tropft.

    Sie heben zusammen die Leiche aus dem Wagen. Der leichte Karren schwankt und hüpft. Ein Stoßdämpfer gibt einen quietschenden Laut von sich.

    Im Haus werden die Vorhänge zugezogen. Was mag dort jetzt vor sich gehen?

    Kolbe kann es nur erahnen. Später, viel später erst, wird Doktor Sartorius einen Totenschein ausstellen. Es wird keine Grabstelle geben. Die Asche der Marie Kolbe wird in einigen Tagen von Bord eines kleinen Dampfers aus in die Nordsee verstreut werden. Nichts wird von ihr übrig bleiben.

    Nur die Bilder, die sich im Kopf des Jungen festgesetzt haben, bleiben. Sie bleiben dort nur allzu gern, nisten sich dort ein, um ihn heimzusuchen, immer wieder.

    Kolbe verlässt den Wagen, hält mit kleinen Schritten auf das Haus zu. Der Regen geht noch immer nieder, erzeugt prasselnde Geräusche und eine unangenehme Kälte. Der Junge spürt nichts von alledem.

    Vor dem Fenster eine Bank. Hinter der Glasscheibe ein nachlässig zugezogener Vorhang, der einen Blick ins Innere erlaubt. Was könnte die Neugier eines Jungen noch mehr wecken als eine solche Einladung?

    Das Fenster und der durch die Vorhänge dringende Lichtschimmer üben eine Anziehungskraft auf ihn aus, die geradewegs magisch ist.

    Der Regen verdichtet sich zu Rinnsalen, die hinter ihm die Straße hinunterplätschern und in einem Schotterbett versiegen. Erste Pfützen bilden sich darin. Ihre Oberflächen schimmern im Licht der eingeschalteten Scheinwerfer des Elektrowagens.

    Gerret Kolbe nimmt kaum etwas davon wahr. Es ist, als würde das alles in einer Welt passieren, die nicht die seine ist.

    Die Bank erweist sich als wacklig. Er wiegt nicht viel mit seinen drei Jahren und den paar Monaten dazu. Aber es reicht, um aus der Kletterpartie ein gefährliches Unternehmen zu machen.

    Er baut sich auf der Bank auf. Seine kleinen Schuhe glänzen nass. Er versucht, sich festzuhalten.

    Als er zum Fenster blickt, starrt ihn ein bleiches Gesicht von der anderen Seite an.

    Ein Schrei dringt aus der Kehle des Jungen. Sein rechter Fuß rutscht weg, er rudert mit den Armen, verliert das Gleich­gewicht.

    Als er nach hinten kippt, sieht er einen Streifen Helligkeit. Er kann nicht unterscheiden, ob es sich um Mondlicht handelt oder den Keil, den die Scheinwerfer in die Dunkelheit schneiden und in denen der Regen sichtbar wird, der unablässig weiter fällt.

    Zuerst das Licht, dann zwei Augen, die ihn ansehen. Sie wirken wie zwei dunkle Murmeln auf ihn. Glänzendes Schwarz inmitten eines Gesichts über ihm.

    »Hoppla, Kleiner!«

    ***

    Kommissar Gerret Kolbe blickte auf. War er wirklich gedank­lich so weit weg gewesen? Hatte er alles erzählt? Nein, dachte er. Das war noch nicht die ganze Geschichte gewesen. Es war vielleicht der Hauptteil, der ein wenig abrupt geendet hatte. Aber diese ganze Sache hatte noch ein Nachspiel gehabt.

    »Woran denken Sie jetzt?«

    Die Stimme seines Zimmernachbarn Otto Ladengast holte ihn endgültig in die Realität zurück.

    Kolbe blickte auf die Tasse vor ihm. Sie war noch halbvoll.

    »Daran, dass Sie mir vermutlich irgendein Zeug in den Tee gemischt haben, Sie alter Fuchs.« Er setzte sich gerade, drückte sein Kreuz durch. »Ich habe noch nie mit jemandem über diese Sache gesprochen.«

    »Na, dann wurde es aber Zeit, finden Sie nicht?«

    Ladengast erhob sich von seinem Stuhl. Die kleine Lese­lampe über seinem Schreibtisch war die einzige Lichtquelle im Zimmer. Die Luft war schwül, und draußen über der Nordsee zog ein Gewitter heran. Hin und wieder erhellten Blitze das einzige Fenster. Der Donner fand unhörbar irgendwo in der Ferne, über dem Meer, statt.

    Der Professor trat an seinen Bücherschrank heran und zog einen alten, abgegriffenen Band heraus. Dahinter verbarg sich eine Flasche, in der sich noch ein Rest braunroter Flüssigkeit befand.

    »Weinbrand«, sagte Ladengast, zwinkerte dem jungen Kom­missar zu und befüllte zwei Schnapsgläser, die er in einer Schublade seines mit Papieren überfüllten Schreibtischs gefunden hatte.

    Der Alte schob Kolbe ein Glas zu, hob das seine augen­zwinkernd an und sagte: »Eines meiner kleinen Geheimnisse.«

    Kolbe hob sein Glas, leerte es mit einem Schluck und fragte sich insgeheim, zu welcher Gattung die anderen Geheimnisse gehören mochten, die die Kammer des Professors bisher nicht verlassen hatten.

    Sie beide waren Dauergäste im Haus der Witwe Bente Franzen, wobei Ladengast, der die Frau bei fast jeder Gelegen­heit Franzi nannte, die eindeutig älteren Rechte hatte.

    Ladengast hatte wieder auf dem Stuhl mit dem dünngescheu­erten Polster platzgenommen. Er hatte die Flasche in der Hand, schenkte nach und lächelte zufrieden, als der letzte Tropfen Weinbrand in seinem Glas landete.

    »Nun?«, fragte er. »Sie haben keine Ahnung, wer diese Person war, die Sie damals aufgefangen hat?«

    Der Kommissar schüttelte den Kopf. »Sie glauben nicht, wie oft ich mir über diese Frage bereits den Kopf zerbrochen habe.«

    »Doch, ich glaube schon. Die Wand, die unsere Zimmer voneinander trennt, ist nicht besonders dick, wissen Sie?«

    Ladengast lächelte. Seine goldgeränderte Brille funkelte im Schein der Lampe.

    Ein Ruck ging durch Kolbes Oberkörper. Er beugte sich nach vorne. »Wollen Sie damit andeuten, dass ich im Schlaf spreche?«

    »Nun, ich würde es nicht unbedingt sprechen nennen. Hin und wieder stoßen Sie einen Schrei aus.«

    Ladengast legte seinem Gegenüber hastig eine Hand aufs Knie. »Keine Sorge, es ist niemals sehr laut und hält nie lange an. Ich schätze, ich kenne nun die Ursache … den Moment Ihrer Albträume, der Sie aufschreien lässt.«

    »Großer Gott«, flüsterte Kolbe. »Ich schwöre Ihnen, ich hatte keine Ahnung davon.«

    Der Alte zuckte mit den Schultern.

    Kolbe wollte nach dem Schnapsglas greifen, doch Ladengast hielt ihn zurück.

    »Warten Sie noch.«

    »Worauf?« Kolbe blinzelte.

    »Ich habe diesen Tropfen für eine besondere Gelegenheit aufgehoben. Er befindet sich zwar schon in unseren Gläsern, aber der richtige Moment ist noch nicht gekommen.«

    »Und was, glauben Sie, wäre der richtige Moment?«

    Ladengast schwieg. Er sah seinen Zimmernachbarn ernst an, las in seinem Gesicht und nickte mehrfach.

    »Der Augenblick, in dem Sie Ihre Geschichte fertig erzählt haben. Wenn Sie endlich alles losgeworden sind, was Sie seit Ihrer Kindheit mit sich herumtragen.«

    Kolbe lächelte flüchtig. Was sollte er von dem alten Mann halten? Auch so eine Frage, die er sich in den Monaten, die er jetzt auf Langeoog war, häufiger gestellt hatte.

    »Das ist wohl leichter gesagt als getan. Was glauben Sie, wie verzweifelt ich bereits versucht habe, mich zu erinnern? Aber so etwas lässt sich wohl kaum erzwingen, oder?«

    »Erzwingen nicht«, gab Ladengast zurück. Wieder erhob er sich, wobei der alte Stuhl erleichtert knarrte.

    Der Professor, der trotz der drückenden Temperaturen im Zimmer eine Strickjacke trug, ging zu einer langen Vitrine hinüber und drehte den auffällig geformten Schlüssel herum. Er zog und nestelte an der Glastür herum, bis sie mit einem knackenden Laut aufsprang. Die Sammlung der kleinen Por­zellanfiguren auf dem oberen Rand des Schranks geriet dabei ins Zittern, sodass Kolbe bereits befürchtete, einige der zerbrechlichen Gesellen würden im nächsten Augenblick herunterfallen.

    Es war beinahe Mitternacht, und Kolbe hätte längst im Bett sein sollen. Was hatte ihn nur veranlasst, noch einmal bei Ladengast vorbeizuschauen? War es die wie immer offene Tür des Alten gewesen, die immer nur einen winzigen Ausschnitt des geheimnisvollen Reichs dahinter preisgab?

    Kolbe hatte sich oft gefragt, wie der Alte hier leben konnte. Er schlief, arbeitete und lebte in diesem Zimmer, und das bereits seit Jahren und nach seinen eigenen Regeln, die für Außenstehende nicht leicht zu durchschauen waren.

    Ladengast schien sich seine Rente damit aufzubessern, indem er Kolumnen für einige Zeitschriften schrieb. Politik, Kultur, insbesondere Buchbesprechungen und anderes Zeug. Ständig kamen mit der Post Belegexemplare an, die in einer Ecke des Zimmers bereits einen bedenklich hohen Stapel bildeten, von dem Ladengast stets behauptete, er sei nach seinem eigenen System genauestens geordnet und sortiert.

    Als sich der Alte zu seinem Gast umdrehte, hielt er einen zylinderförmigen Gegenstand in den Händen. Vorsichtig trug er ihn vor sich her und setzte ihn auf dem Schreibtisch ab, nachdem er achtlos ein paar Unterlagen beiseitegeschoben hatte. Mehrere Bleistifte gerieten dabei ins Rollen und prassel­ten auf den Zimmerboden.

    Kolbe wollte sich danach bücken.

    »Lassen Sie sie liegen«, sagte Ladengast hektisch, während er an dem Gegenstand herumnestelte und die äußere Wand des Zylinders, die aus dünnem Kupfer bestand, abnahm und vorsichtig abstellte. Auf dem Sockel darunter befand sich eine gewöhnliche Stumpenkerze, die Ladengast anzündete, nach­dem er in seinen Taschen umständlich nach Streichhölzern gesucht hatte. Er nutzte die Gelegenheit zudem, um sich gleich noch einen seiner Zigarillos anzuzünden, die er mit Vorliebe und großer Hingabe zu rauchen pflegte.

    »Was wird denn das?«, fragte Kolbe.

    »Abwarten.« Ladengast vollführte eine beschwichtigende Handbewegung. Er drehte sich zum Fenster und ließ das Rollo herunter.

    Kolbe sah dem Alten zu, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Was passierte hier? Wurde er jetzt Zeuge eines weiteren Geheimnisses?

    Ladengast stülpte den Kupferzylinder über die Vorrichtung mit der Kerze und schaltete die Schreibtischlampe aus.

    Erst jetzt bemerkte Kolbe, dass in die Kupferhülle zahlreiche Symbole gestanzt waren, die vom Kerzenlicht an die Wände projiziert wurden, wo sie sich zu voller Größe und Wirksam­keit entfalteten.

    Der Inselkommissar blickte sich um. »Das ist … beein­druckend. Was ist das, so etwas wie eine Laterna Magica?«

    »Nicht schlecht. Gar nicht schlecht, Kolbe.« Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Professors. Sein Gesicht war nur im Schein des ausfallenden Kerzenlichts zu sehen. Sein weißer Schnurrbart schien zu zittern.

    »Ich habe diese Laterne aus Prag mitgebracht. Zu einer Zeit, als die Stadt noch hinter dem Eisernen Vorhang lag, Sie verstehen?«

    Kolbe nickte langsam, auch wenn er nicht recht begriff, was genau der Alte damit andeuten wollte.

    »Es gibt noch einen kleinen Trick bei diesem wundervollen Teil. Bevor ich ihn ausführe, möchte ich, dass Sie sich entspan­nen.«

    »Ich bin entspannt«, hielt Kolbe dagegen. Er versuchte

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