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Herzüber in die Kissen: Liebesroman
Herzüber in die Kissen: Liebesroman
Herzüber in die Kissen: Liebesroman
eBook502 Seiten6 Stunden

Herzüber in die Kissen: Liebesroman

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Über dieses E-Book

Eigentlich hat Emma mit dem Rauchen aufgehört, und eigentlich mag sie auch keine Agenten – egal ob sie nun ihren Rockstarvater betreuen oder Footballspieler zu ihren Klienten zählen.

Aber all das war, bevor sie Damon Roux kennengelernt hat. Der Mann lässt sie schon bald die Wände hochgehen und bringt ihre Gefühle mächtig durcheinander. Und wäre die Sache mit der Männerwelt nicht schon kompliziert genug, drängt sich ihre Vergangenheit Stück für Stück zurück in ihr Leben.

 

 

Die vorliegende Fassung ist eine überarbeitete Version des gleichnamigen, 2015 erschienenen Buches.

Im gleichen Universum wie Emma und Damons Geschichte spielen auch:

Einer wie Chicago I

Einer wie Chicago II

und

Devils & Chocoholics

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum2. Nov. 2021
ISBN9783748798149
Herzüber in die Kissen: Liebesroman

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    Buchvorschau

    Herzüber in die Kissen - Eliza Hill

    Widmung

    Für Jana und all die anderen, die den Devils schon so lange die Treue halten.

    Kapitel 1

    Sintflutartig stürzt der Regen hinab. Klatscht in großen Blasen auf den Asphalt, nimmt den Schmutz dieses Tages mit sich und lässt die vielen Passanten, die zu solch später Stunde noch unterwegs sind, mit eingezogenen Köpfen und finsteren Mienen an mir vorübereilen. Keiner sieht nach rechts oder links. Sie haben keine Zeit und keinen Nerv, sich mit jemand anderem als sich selbst zu beschäftigen. Ihren eigenen Problemen. Eine missgelaunte Schar, deren Leben mir für immer verborgen bleiben wird.

    Eigentlich habe ich das Rauchen aufgegeben. Schon vor Mums Tod. Doch heute Abend mache ich eine Ausnahme, während mir der Himmel über Chicago einen tröstenden Kuss aufdrückt. Die Tropfen singen ein beruhigendes Lied, als ich die Kippe aus der blauen Schachtel ziehe und die Taschen meiner Lederjacke nach dem Feuerzeug absuche. Fündig geworden lasse ich den Glimmstängel erleichtert zwischen die Lippen wandern.

    Das geriffelte Reibrädchen gibt ein schabendes Geräusch von sich, bevor das Feuerzeug eine kleine Flamme präsentiert und sich die Glut in den Tabak frisst. Schwer und beruhigend flutet der blaue Qualm meine Lungen, während der Applaus wieder in meinen Ohren aufbrandet. Heute sollte ich einfach nur glücklich sein. Das war ich auch bis vor ein paar Minuten. Vollgepumpt mit Adrenalin von der Vorstellung unseres kleines Studententheaters. Aber nun ist alles anders. Ich presse die Augen zusammen.

    »Sieh sie dir an. Am Tag der Hochzeit sitzen gelassen. Das schöne Kleid ist ja vollkommen ruiniert«, höre ich jemanden wispern und lege den Kopf in den Nacken, bevor ich einen weiteren Zug nehme.

    »Einsperren sollte man die Männerwelt. Armes Ding. Nicht einmal eine ordentliche Jacke hat sie dabei«, wettert eine zweite Stimme. Ich öffne die Augen. Zwei ältere Damen stehen gemeinsam unter einem großen, schwarzen Regenschirm und mustern mich mit unverhohlenem Interesse.

    Dass sie mit ihrer Vermutung nicht im Entferntesten recht haben, müssen sie nicht wissen. Ich streiche über das Monstrum aus weißem Tüll, das die alten Ladys für ein extravagantes Brautkleid halten.

    Die beiden ziehen mit einem letzten mitleidigen Blick auf mich weiter. Ich schätze ich sehe übel aus. Meine Theaterschminke dürfte sich aufgelöst haben und der über den Knöcheln endende Saum des Kleides ist hoffnungslos verschmutzt. Von der Fee aus Peter Pan, die von hunderten kleinen und großen Händen aus ihrem Todesschlaf wach geklatscht wurde ist nichts mehr übrig.

    Ich wische mir notdürftig über die Wangen. Die Worte meiner besten Freundin Billie hallen mir in den Ohren. Meine Großmutter Eden, die ich seit Jahren nicht gesprochen habe, ist gestern in ihrem Laden zusammengebrochen. Meine Finger zittern. Ich erinnere mich dunkel daran, Billie gefragt zu haben, ob sie tot sei. Angeblich ist sie es nicht. Angeblich ist sie auf dem Weg der Besserung und schon wieder Zuhause und ich wusste rein gar nichts davon.

    Der Regen fällt mittlerweile in dichten Strähnen vom dunklen Himmel. Eden ist die einzige Familie, die ich neben meinem mir praktisch unbekannten Vater noch habe, und nur weil ich seit siebzehn Jahren nicht mehr mit ihr gesprochen habe, heißt das nicht, dass ich glücklich darüber wäre, sie unter der Erde zu sehen. Seit meine Mutter im letzten Jahr an Leukämie gestorben ist, weiß ich, was es heißt, jemanden zu verlieren, und noch mal stehe ich das nicht durch.

    Im letzten Jahr habe ich so oft daran gedacht zu ihr zu gehen. Doch ich habe es nie getan, weil ich Mum nicht hintergehen wollte. Aber Familienstreits sind reichlich sinnlos, wenn keine Familie mehr übrig ist.

    Meine Hände zittern. Deshalb stehe ich hier verloren inmitten des Regens. Wenn ich es heute Abend nicht tue, werde ich es nie über mich bringen, Eden Gaellen aufzusuchen.

    Ich straffe die Schultern. Ich brauche ein Taxi. Oder einen Uber. Was auch immer ich zuerst finde. Jetzt. Ich werde meine Zigarette los und greife nach meinem Telefon. 

    Ich bin gerade inmitten meines mäßig laufenden Krisenmanagements als ich mit einer großen schwarzen Wand kollidiere. Mein Handy landet krachend auf dem Boden. »Autsch!«

    »Haben Sie keine Augen im Kopf?«

    »Tut mir leid«, entschuldige ich mich bei der Wand, während ich mein gestrandetes Handy einsammle. Es ist noch heil. »O Gott sei Dank«, entweicht es mir. Ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn das jetzt auch noch kaputt gegangen wäre. Ich wische das Display am Tüll ab und drehe mich in Richtung meines Hindernisses.

    In der Dunkelheit halte ich ihn im ersten Augenblick für einen Gangsterboss aus den Dreißigern. Missgelaunt und breitschultrig, mit gut sitzendem schwarzen Anzug und dazu passenden glatten Oxfords. Eine Mischung zwischen James Dean und Jensen Ackles mit unanständig attraktiven Gesichtszügen.

    »Geht es dir gut?«

    Die ehrlich Antwort auf diese Frage ist nein und es hilft nicht gerade, dass er mich jetzt ansieht, als sei ich aus der Irrenanstalt ausgebrochen. Was echt blöd ist, denn lägen die Dinge etwas anders, dann wäre das hier das perfekte Meet cute.

    »Ich komme direkt von der Bühne«, fühle ich mich genötigt zu sagen. Denn auch wenn das hier nicht der Start für eine romantische Komödie ist, so möchte ich doch nicht als komplett wahnsinnig von diesem gut aussehenden Individuum abgestempelt werden.

    »Und dann ist dir der Feenstaub ausgegangen und du hattest eine Bruchlandung? Auf mir?« Seine finstere Stimme lässt mein Herz stolpern, das heute sowieso schon zu viel von allem hatte.

    »Ich habe Sie nur nicht gesehen. Ich bin ein wenig in Eile. «

    Ich schätze ihn auf Ende zwanzig, vielleicht auch Anfang dreißig. »Das habe ich gemerkt.« Das Grübchen an seinem Kinn wird noch ein bisschen tiefer. »Dein Tackle war nicht übel. Unsere College Mannschaft hätte heute ein bisschen was von deinem Talent gebrauchen können.«

    Ich habe keine Ahnung von College-Sport, aber ich denke er ist ein wenig zu alt dafür.  »Sind Sie Trainer?«

    » Nein, leider nicht. Ich bin nur Sportagent.«

    O nein. Ebenso gut hätte er mir ins Gesicht spucken können, es hätte den gleichen Effekt gehabt. Es gibt nur wenige Dinge, die ich so sehr verachte wie heuchlerische, geldgeile Agenten, für die Zuneigung nur in Zahlen ausgedrückt werden kann, und dass dieser abartig große Kerl mit dem Killerlächeln einer von ihnen ist, macht mich unfassbar wütend. Weil er mich beinahe reingelegt hätte. »Sie sind ein Seelenfresser.«

    Das Versprechen an Chicagos Frauenwelt kneift seine Augen zusammen. »Das ist etwas hart, oder nicht?«

    »Nein.« Ich schlucke. »Definitiv nicht.« Ich wende mich ab. Eher friert die Hölle zu, bevor ich Gefahr laufe, mich von diesen grünbraunen Augen einwickeln zu lassen, nun da ich weiß, was er ist. »Suchen Sie sich einen anständigen Job«, quetsche ich hervor und nehme erleichtert wahr, dass eines der quietschgelben Taxis auf mein hektisches Armrudern reagiert und an den Bürgersteig heranrollt.

    »Du bist ein wenig verrückt, kann das sein?«, ruft mir der Seelenfresser hinterher.

    »Ganz und gar nicht.« Ich angele nach der Tür des Taxis und rette mich mit einem letzten Blick auf den finsteren Fremden in den Fond des Wagens. Ein Agent ist wirklich das letzte, das ich jetzt brauchen kann.

    Kapitel 2

    Umhüllt von Tüll stakse ich die Kiesauffahrt von Eden Gaellens Villa nach oben und suche nach meinen unerschrockenen Charakterzügen, die mich in den letzten beiden Wochen dazu gebracht haben, auf die Bühne des Studententheaters zu steigen. Das letzte Mal, als ich meiner Großmutter gegenüberstand, war ich sechs Jahre alt und hatte eine Heidenangst. Meine Mutter und sie haben sich angeschrien. Einander beschimpft. Türen wurden zugeknallt, Gläser zerbrochen, und am Ende hat meine Mutter Eden geschworen, dass sie uns nie wiedersehen würde. Weder meine Mutter noch mich, und dass Eden und ihr Sohn sich zum Teufel scheren sollten. Jetzt hier zu stehen ist also mehr als seltsam. Ich wusste immer, wo Eden wohnt. Die große steinerne Villa, deren Grundstück wahrscheinlich mehr wert ist als alles Geld, das ich jemals verdienen werde, und die von den Zedern halb verdeckt wird, war einst mein Spielplatz. Ebenso wie der weitläufige Garten, der bis hinunter zum See reicht. Doch nun fühlt sich hier alles fremd an. Siebzehn Jahre ist es her, seit Mum und ich diesen Ort verlassen und zwanzig Meilen auswärts von Chicago neu angefangen haben.

    Ich grabe meine Zähne in meine Unterlippe und versuche abzuwägen, wie groß die Gefahr ist, dass Rockgott Jason Gaellen heute Abend seine Mutter besucht. Wahrscheinlich nicht sehr hoch. Immerhin behauptete die letzte Klatschzeitschrift, die ich in den Händen gehalten habe, dass er eine neue Modelfreundin hat und gerade auf Tour ist. Trotzdem dreht sich mir beinahe der Magen um beim Gedanken daran, er könnte mir plötzlich gegenüberstehen. Ich klingele, bevor ich es mir anders überlegen kann, und warte.

    Es ist elf Uhr an einem Dienstagabend. Wahrscheinlich ist Eden längst im Bett und wird mein Läuten gar nicht erst gehört haben.

    Ich reibe mir über meine klammen Arme. Sicherlich hat ihr der Arzt Ruhe verordnet, schießt es mir durch den Kopf, während ich die Holzmaserung der großen Haustür studiere. Ich hätte bis morgen warten sollen.

    Drinnen springt Licht an, und ich trete nervös einen Schritt zurück, um demjenigen hinter dem Massivholz die Möglichkeit zu geben, mich durch den Türspion zu erkennen.

    Für eine endlos lange Zeit passiert gar nichts, und ich glaube schon, dass die Türe verschlossen bleiben wird, als ich ein Schloss klicken hören kann.

    »Großer Gott!« Eden Gaellens graue Augen sind vor Entsetzen weit aufgerissen.

    »Ich bin nicht aus der Geschlossenen ausgebrochen. Ich habe in Peter Pan mitgespielt«, entkommt es mir unter ihrer Musterung, bei der ihre Miene soeben irgendwo zwischen Unglauben und Entgeisterung angekommen ist.

    »Emma?« Ihre Stimme ist nur ein heiseres Flüstern.

    »Ja. Ich habe von deinem Zusammenbruch gehört«, beantworte ich ihre unausgesprochene Frage.

    »Woher …«

    »Billie hat es mir gerade gesagt.«

    Meine Großmutter und ich blicken uns an. Siebzehn Jahre habe ich sie nicht gesehen. Sie ist alt geworden. Die grauen Augen, die wir miteinander teilen, sind von Krähenfüßen umrahmt, die sie unter einer Schicht professionellem Make-up zu verstecken versucht. Aber sie wirkt gesund auf mich, und ich entspanne mich ein wenig.

    »Du siehst gut aus«, bemerkt sie. »Trotz des Aufzugs.«

    »Du auch.«

    Es ist die Wahrheit. Edens mittlerweile vierundsechzig Jahre haben nichts an der Tatsache geändert, dass sie schon immer ein heißer Feger war, wie mein Grandpa immer sagte. Grandpa ist leider schon beinahe so lange tot, wie das Schweigen zwischen uns gedauert hat. Siebzehn lange Jahre, doch meine Grandma hat noch immer nichts von ihrem untrüglichen Stilgefühl verloren, auch wenn ihre Kurven hager geworden sind und sie nun ihr blond gefärbtes Haar in einem kurzen Bob trägt.

    »Du bist also ganz plötzlich hier, weil du erfahren hast, dass ich im Krankenhaus war? Ich kann dich trösten, es war nur eine Petitesse. Meine Medikamente zur Blutverdünnung und meine Tabletten gegen meine Rückenschmerzen haben sich nicht vertragen. Nichts Dramatisches.«

    »Das hat Mum auch gesagt. Und ein halbes Jahr später war sie tot.«

    Eden Gaellen blinzelt. »Was sagst du da, Kind?«

    »Mum ist gestorben. Letztes Jahr«, erwidere ich kurz angebunden und kann sehen, wie sie mit sich ringt, die Worte ›Es tut mir leid‹ über die Lippen zu bringen.

    »Ja, ich weiß. Ich habe nicht angerufen. Aber sie hätte nicht gewollt, dass ihr auftaucht.«

    »Woran ist Marille …«

    »Krebs. Und nun bin ich hier. Weil wir noch nicht fertig sind.« Ich kann und will jetzt nicht über Mum sprechen, denn dann werde ich anfangen zu heulen.  

    Eden reckt das spitze Kinn nach oben und funkelt mich an. Sie ist einen halben Kopf kleiner als ich. Kaum zu glauben, früher erschien sie mir überlebensgroß. »Du willst wieder Kontakt?«

    »Ja.« In meinem Kleid ist mir sterbenskalt, doch ich versuche es zu ignorieren, denn Diskussionen mit Eden Gaellen erfordern Konzentration. »Ich will in mein altes Zimmer ziehen und so tun, als wären wir wieder eine Familie, bis wir es tatsächlich wieder sind.«

    Eden schluckt hart, und ich bin bereit, mir notfalls die halbe Nacht hier draußen um die Ohren zu schlagen, um sie dazu zu kriegen, mich einzulassen.

    »Komm rein.« Sie nimmt mir den Wind aus den Segeln, als sie einfach zur Seite tritt. Ich bin sprachlos. Dass Eden nachgeben würde, habe ich nicht erwartet.

    »Ich bin alt, aber nicht dumm, Emma. Ich weiß, was es dich gekostet haben muss, hier aufzutauchen.« Sie streckt den Arm nach mir aus, und ich wische mir fahrig über die Wange, ehe ich ihrer Einladung folge.

    In Edens Schatten die Treppe nach oben zu meinem alten Kinderzimmer zu steigen erinnert mich daran, wie ich das letzte Mal von meiner Mutter hier heruntergezerrt wurde. Ich habe das Klappern des Koffers noch im Ohr und das Geräusch der berstenden Blumenvase, die Mum in ihrem Zorn über das Geländer geworfen hat.

    Die wenigen ausgesuchten Bilder an den Wänden und der singende Holzfußboden sind ebenfalls gleich geblieben. Meine Sicht verschwimmt. Es ist, als würde ich durch ein Museum wandern, das meine Kindheit konserviert hat, und ich zögere kurz, bevor ich Eden in mein altes Reich folge, in dem noch immer Kuscheltiere und Puppen regieren und dessen Wände noch immer in dem schrecklichen Pinkton erstrahlen, auf den ich einst bestanden habe.

    »Dein Zimmer ist noch so, wie du es verlassen hast.« Edens Hand findet meinen Arm, und ich kann nicht mehr atmen. Sie hat es so gelassen. Alles. So, als wäre sie der festen Überzeugung gewesen, dass ich irgendwann wiederkomme. Mein Kinn bebt.

    Ich höre Eden neben mir aufschluchzen. Und dann liegen wir uns plötzlich in den Armen, so fest aneinandergepresst wie zwei Ertrinkende.

    »Es tut mir so leid.« Ich weiß nicht, ob Eden mich versteht, denn meine Zähne schlagen so heftig aufeinander, dass jede Artikulation schwierig ist.

    Ich klammere mich an sie. All die Briefe von ihr, die ich verbrannt habe, all die Einladungen, die ich mit Rücksicht auf Mum und aus Angst, mein Vater könnte bei ihr herumlungern, ausgeschlagen habe, all das bahnt sich seinen Weg über meine Lippen.

    »Schon gut«, kann ich sie murmeln hören. »Ist schon gut.«

    Eden riecht nach Vanille und Sommerregen, und ich kralle meine Finger in ihr korallrotes Kostüm, weil ich nicht glauben kann, dass sie tatsächlich hier ist. Dass ich wieder hier bin. Das Gefühl absoluter Einsamkeit an letztem Weihnachten. Mein erstes Weihnachten ohne Mum. Das aufgewärmte Essen vom Chinesen, das schlechte Fernsehprogramm und die endlose Leere der Wohnung, all das drückt nun nach oben und schnürt mir die Kehle zu. Ich hätte schon vor einem Jahr hier sein können, aber das war ich nicht.

    Ein Jahr lang habe ich mich gefühlt, als hätte mich die Welt vergessen. So oft war ich kurz davor, Eden anzurufen, aber mein Stolz war zu groß. Eher wäre ich an meiner Trauer erstickt, als zum Hörer zu greifen. Bis heute Abend.

    Meine Großmutter mustert mein Gesicht, ehe ihre schlanken, von den ersten Altersflecken bedeckten Finger über meine Wangen fahren. »Du bist wirklich zu Hause. Ich kann nicht fassen, dass du zu Hause bist.«

    »Sag es nur nicht Jason«, wispere ich. »Das ist meine einzige Bedingung.«

    Eden nickt langsam. »Okay.«

    Kapitel 3

    Trotz Edens und meiner tränenreichen Begrüßung fühle ich mich in den Tagen nach meinem Einzug immer noch wie ein Fremdkörper in ihrem Haus. Mein altes Zimmer, das ich mit Hilfe von Edens Hausmädchen ausgeräumt und gestrichen habe, verliert das schale Gefühl einer verlorenen Kindheit, aber zu Hause fühle ich mich nicht, und ich frage mich, ob ich es je wieder tun werde, während ich die letzten Kisten mit Klamotten aus Mums und meiner alten Wohnung am Montagmorgen in meinen weiß lackierten Kleiderschrank einsortiere, den Eden und ich am Samstag auf einer Auktion ihres Kulturvereins erstanden haben.

    Ich fahre über mein ruiniertes Tinkerbell-Kostüm, das schon seit letztem Mittwoch auf der Couch Platz gefunden hat. Ein Glücksbringer, den ich eigentlich längst wegwerfen wollte. Aber irgendwie bringe ich das nicht über mich. Es hat mich hergebracht.

    »Emma? Ich bin auf Arbeit! Viel Spaß an der Uni!«, kann ich meine Großmutter von unten rufen hören und sehe erschrocken auf den roten Wecker neben dem Bett.

    Die rote Leuchtanzeige lässt mich auffahren. »Kacke!«, entkommt es mir entsetzt. »Das darf doch nicht wahr sein!«

    Bereits zu meiner ersten Vorlesung in Anorganischer Chemie im neuen Semester zu spät zu kommen, war absolut nicht mein Plan. Ich hatte den guten Vorsatz, in diesem Frühjahr richtig ranzuklotzen.

    Sich des Nachts zu fragen, ob und wann mein Erzeuger bei Eden in der Tür steht, ist nicht gerade schlaffördernd, und ich erwische mich dabei, wie meine Aufmerksamkeit von den PowerPoint-Folien abschweift, hin zu den schlecht gewischten Tafeln, über das schwarzweiße Periodensystem hin zu meinen Kommilitonen, die unserem Dozenten mehr oder minder interessiert zuhören. Mein Blick findet den alten, überdimensionalen Heizkörper, auf den irgendein Witzbold seine Mütze geworfen hat, die dort schon vor Weihnachten herumlag. Es ist zu warm hier drin, und ich wünschte, unser Dozent würde endlich aufhören von den Kursanforderungen zu sprechen, sondern die Kreide in die Hand nehmen und mein Hirn dazu zwingen, sich einzuschalten. Die monotone Stimme des Professors im Ohr, gähne ich hinter vorgehaltener Hand, während Billie das erste Blatt ihres Blockes mit Herzchen füllt.

    Meine Augen jucken, und ich lasse meinen Blick weiter über den gut gefüllten Stufensaal treiben.

    »Emma? Wie lange willst du Brandon Bexton noch anstarren?«

    »Mh?« Aus meinem Sekundenschlaf erwachend, in den mich die warme Luft und die angenehm unaufgeregte Stimme unseres Dozenten befördert haben, blinzele ich und fahre erschrocken auf, als ich dem leeren Blick meines Kommilitonen begegne, der am anderen Ende der Sitzreihe mit offenen Augen schläft.

    »Das war unheimlich. Ihr habt euch fünf Minuten lang angesehen, ohne es zu merken.« Meine beste Freundin lässt ihren Kuli klicken und winkt meinem Starropfer zu.

    Brandon Bexton, der unter seiner Lederjacke einen dunkelblauen Kapuzenpulli trägt, erwacht durch Billies Winken nun ebenfalls aus seinem Vorlesungsschlaf, und ich schlucke hart.

    »Peinlich.« Ich seufze leise, während er missmutig die trainierten Arme vor der Brust verschränkt und die Augen schließt. Ich frage mich, wie ich so lange in seine Richtung starren konnte, ohne ihn zu bemerken. Mit seinen dunkelbraunen Haaren, dem finsteren Gesichtsausdruck und seinen beeindruckenden Ausmaßen ist er niemand, den man leicht übersehen kann.

    »Ach, Bexton ist es doch wohl gewohnt, von Mädels angeschmachtet zu werden. Seinem Daddy gehören immerhin die Devils und die ELX Corporation.« Billie lehnt sich ein wenig weiter zu mir herüber, ganz so, als würde sie mir ein wohlgehütetes Geheimnis verraten.

    »Auch wenn ich letztes Jahr nicht gerade fokussiert war, habe ich keine dreiundzwanzig Jahre unter einem Stein gelebt.« Ich seufze. Natürlich weiß ich, wer Brandon Bexton ist. Seiner Familie gehört halb Chicago, und der tödliche Unfall seiner Schwester vor knapp zehn Jahren, bei dem sein Bruder am Steuer saß, ging durch alle Medien. Das habe selbst ich mitbekommen, die immer einen großen Bogen um die Klatschpresse macht.

    »Gefällt er dir?« Billie lehnt sich noch ein wenig weiter zu mir herüber.

    »Wieso? Willst du mich in den Verruf bringen, reichen Erben hinterherzusteigen?«, stelle ich die Gegenfrage, während ich Bexton weiter mustere. Er hat noch nie mit mir gesprochen, aber allein das, was ich von ihm weiß, reicht aus, um nicht seine Nähe zu suchen.

    Billie schiebt sich ihre langen schwarzen Haare über die Schulter und grinst vergnügt. »Ich finde, es ist an der Zeit, dass du wieder aufs Pferd steigst. Also im übertragenen Sinne.«

    »Ich werde mich keinem Kerl an den Hals werfen, nur weil er mich etwas länger ansieht«, wehre ich mich und bin mir nicht sicher, weshalb ich bei meinen Worten den Sportagenten von letzter Woche vor meinem inneren Auge sehe. Vielleicht weil er einfach nur unsagbar heiß war.

    Billie, deren exotischer Schönheit schon mehr als einer unserer Kommilitonen auf den Leim gegangen ist, schürzt ihre sorgfältig angemalten Lippen. »Sei keine Spielverderberin.«

    »Bin ich nicht.«

    Sie gibt ein entnervtes Stöhnen von sich. »Du hast über ein Jahr Winterschlaf gehalten. Es wird Zeit, dass du wieder aus deiner Sozialstarre erwach…«

    Ich werde unsanft in die Seite gepiekt und drehe mich zu dem Kommilitonen um, der rechts neben mir sitzt und hektisch nach vorne nickt.

    »Die Damen! Langweile ich Sie? Wenn Sie Ihr Wochenende besprechen wollen, dann würde ich Sie doch bitten, dass draußen zu tun!«, fährt uns unser Dozent an.

    In meiner bisherigen Unilaufbahn wurde ich noch nie von einem Dozenten ermahnt, geschweige denn angeschrien, und ich senke betreten den Kopf. »Verzeihung.«

    »Das will ich hoffen.« Dr. Johann Black knallt sein Skript auf die schwarze Steinplatte des fest installierten Tisches, der ihm als Pult dient. »Ruhe jetzt.«

    Ich sinke in meinem Stuhl zusammen. Mein erster Tag zurück an der University of Chicago entwickelt sich langsam aber sicher zu einem Alptraum.

    »Und wir sind berühmt.« Billie scheint sich nicht an der Aufmerksamkeit zu stören, die uns noch immer durch unsere Kommilitonen zuteilwird, während meine Ohren prickeln. Ein sicheres Anzeichen dafür, dass sie sich gerade rot verfärben.

    »Unser Dozent ist nicht sehr nachtragend. Du kennst ihn doch. Mach dir keine Gedanken«, meint Billie über die lärmende Menge hinweg, die nach der Vorlesung auf den Gang stürmt.

    »Hoffen wir‘s.« Ich lächele und versuche das Verlangen nach einer Zigarette zu ignorieren, während wir gemeinsam mit unseren Kommilitonen aus dem Vorlesungssaal strömen und uns auf den Weg zu unserer dringend benötigten ersten Dosis Koffein machen.

    Die Sonne strahlt aus einem blauen Aprilhimmel, als wir aus dem Gebäude treten, das noch aus der Zeit vor der Wende zum vorherigen Jahrhundert stammt und vor dessenZinnen die ersten Bäume blühen. Der kurze Weg an der Biologie vorbei zu unserem Lieblingscafé The Mug of Being, dessen Name bereits so oft gewechselt hat wie Billies Meinung zum Thema Tattoos.

    »Weißt du eigentlich, dass es Parasiten gibt, die als Zwischenwirt eine Ameise nutzen?«, möchte Billie von mir ohne jeglichen Zusammenhang wissen, als ich durch die Türe vom Mug trete. »Nachdem die Ameise den Schneckenschleim gefressen hat, in dem sie sich befinden, nisten sie sich in ihrer Leber ein, und ein einziger wandert ins Gehirn der Ameise, das er dann übernimmt und die Ameise so dazu bringt, sich am Ende eines Grashalms festzubeißen und darauf zu warten, dass sie von irgendeinem Wiederkäuer gefressen wird.«

    »Wie kommst du denn jetzt darauf?«, will ich verwirrt wissen und kämpfe mich an der Kaffeeausgabe vorbei zu einem der letzten freien Tische.

    »Zombies.« Billie hält eine Zeitschrift nach oben, auf der in großen Lettern die heißesten Filme dieses Frühjahrs angekündigt werden, bebildert mit einem sehr unlebendig aussehenden Etwas.  »Leberegel sind die einzige Idee, die ich habe, wie so etwas wie ein Zombie entstehen kann.«

    Billie ist manchmal ein wandelnder Widerspruch. Beinahe einen Kopf größer als ich selbst und mit Modelmaßen gesegnet, kümmert sie sich die meiste Zeit um ihr Aussehen und tut so, als ob sie nichts weiter interessieren würde als der Inhalt des nächsten Modemagazins, nur um plötzlich von Hirnwürmern und willenlosen Ameisen zu sprechen.

    Ich lasse meine Tasche auf den ausladenden Holztisch sinken und schäle mich aus meinem grünen Parka. »Wenn es so weit ist und du deinen ersten kleinen Zombie gezüchtet hast, lass es mich wissen. Dann verkaufe ich den Impfstoff dagegen.«

    Billie lässt sich auf einen der alten Stühle fallen, die aussehen, als wären sie ein Überbleibsel aus den Fünfzigern. »Werde ich, Ems. Du weißt doch, dass ich, wenn, dann nur mit dir gemeinsam die Weltherrschaft an mich reiße.« Sie grinst und sieht sich im dunkel getäfelten Café um, an dessen Pool-Tischen schon reichlich Betrieb herrscht. »Wie läuft eigentlich das Zusammenleben mit deiner Grandma? Hast du endlich all deine Klamotten ausgepackt?«

    »Heute Morgen, ja.« Mir entkommt ein tiefes Seufzen. Billie und ich sind bereits seit dem Kindergarten befreundet, und sie kennt mich besser als irgendjemand sonst auf der Welt. »Zwischen Eden und mir läuft’s ganz gut. Über meinen Erzeuger reden wir nicht und auch nicht über den Rest. Wir versuchen einfach nur im Jetzt zu leben.«

    Billie legt ihre Stirn in Falten, und ich kann mir ausmalen, was ihr alles auf der Zunge liegt, auch ohne dass sie es ausspricht. Den großen Elefanten mit der Gitarre im Raum zu ignorieren, ebenso wie seinen Dompteur, ist etwas, das ich schon seit siebzehn Jahren schaffe. Zugegebenermaßen mal mehr, mal minder erfolgreich. Und dank des wohl attraktivsten Seelenverkäufers Chicagos, dem ich vor einer Woche über den Weg gelaufen bin, und meiner neuen Wohnsituation kochen die Erinnerungen an damals wieder hoch.

    »Hast du wenigstens wieder mit dem Rauchen aufgehört, wenn du schon nicht darüber reden willst?

    »Jein. Ich habe mir keine selbst gekauft.«

    »Ems.« Billie fährt sich durch ihr langes Haar und funkelt mich vorwurfsvoll an. »Komm schon!«

    »Ich weiß. Es sind Sargnägel«, murmele ich und weiche dem vorwurfsvollen Blick meiner gesundheitsfanatischen Freundin aus, nur um einen breit lächelnden Kerl in ›senfgelber‹ Strickjacke, die sich auf das Unvorteilhafteste mit seinen rotblonden Haaren beißt, auf uns zukommen zu sehen, zwei Becher Kaffee in der Hand. Ich habe ihn und seine beeindruckende Zahnlücke zwischen den Schneidezähnen schon ein paarmal im letzten Jahr in unseren Kursen bemerkt, doch gesprochen haben wir nie. »Hey Mädels, sind die zwei Plätze neben euch noch frei?«

    »Sicher.« Ich bin mehr als froh, Billies Plädoyer an meine Vernunft zu entkommen. »Setz dich.«

    »Cool.« Der Rothaarige stellt seine Kaffees auf dem Tisch ab. »Du warst doch gerade auch in der Anorganischen-Chemie-Vorlesung, oder? Ich dachte, ich sage mal Hallo.« Seine Nase ist krumm, ganz so, als wäre sie schon ein paarmal mit Mühe und Not wieder zusammengeflickt worden. »Ihr seid die, die angeschrien wurden.«

    »Ja.«

    Sein Grinsen wird breit. »Wusst‘ ich’s doch. Ich bin Mitch Jennings.«

    »Emma Gaellen. Das ist Billie.«

    »Erfreut, die Damen, sehr erfreut.« Er dreht sich zur Kaffeeausgabe um. »Ich hab schon Kaffee, Don!«

    Ich frage mich kurz, wen er mit dieser Aussage meint, bevor ich Brandon Bexton entdecke, der sich groß und breitschultrig durch die Studentenschar schiebt.

    Mitch deutet auf seinen Begleiter.

    »Ihr beide habt euch ja vorhin schon ausgiebig beäugt, aber nur für den Fall, dass ihr euch noch nicht kennt: Das ist Don. Emma, Don, Don, Emma«, übernimmt er großzügig die Vorstellung, als Brandon Bexton an den Tisch tritt.

    »Hey«, begrüßen Brandon und ich uns einsilbig. Er ist einer dieser Kerle, die einem eine Gänsehaut über den Rücken jagen, und ich meine mich daran zu erinnern, dass eines der Mädchen aus meiner alten Laborgruppe sagte, er hätte sie im Bett beinahe zermalmt.

    »Mach es dir nicht zu bequem, Mitch. Wir müssen noch in die Bibliothek, und vorher will ich noch eine rauchen.«

    »Ja ja.« Mitch lehnt sich in seinem Stuhl zurück. »Mach mal langsam. Ich bin nicht mehr der Jüngste.« Er runzelt die Stirn und zieht die Nase kraus, bis sein Gesicht dem eines Klingonen ähnelt.

    »Ich kann nichts dafür, dass du dich vorher in ein Lateinstudium geworfen hast.« Brandon greift nach dem zweiten Kaffee auf dem Tisch und nimmt einen großen Schluck.

    »Jetzt bin ich ja gebeutelt und habe den Geisteswissenschaften abgeschworen.« Mitch schenkt mir ein gewinnendes Lächeln. »Und wie könnte ich auch nicht. Immerhin bin ich schon in meiner ersten Woche hier als Biochemie-Student an meinen Blutsbrüdern Don und Nero hängen geblieben.«

    Brandon verdreht die Augen, und ich komme nicht umhin, festzustellen, dass er wohl nicht der gesprächige Typ ist. Eine Eigenschaft, die ich zu schätzen weiß.

    »Hast du auch schon vorher was studiert?«, hakt Billie an Brandon gewandt nach, offensichtlich bestrebt, sich die Chance, mit einem Milliardärsspross zu flirten, nicht entgehen zu lassen.

    Er knirscht mit den Zähnen, und ich kann meinen Magen krampfen spüren. Seine Pupillen bohren sich in Billies.  »Klar habe ich das. Drogenkonsum.«

    »Du hast Drogen genommen?«, entkommt es mir, bevor ich es verhindern kann.

    Brandon blinzelt und unterbricht damit seine bedrohliche Musterung Billies, um seine Aufmerksamkeit mir zuzuwenden.

    »Jetzt tu nicht so, als wüsstest du es nicht. Ganz Chicago weiß das«, fährt er mich an, und ich zucke vor der Schärfe in seinen Worten zurück. »Aber ich bin kein verfluchtes Tier im Zoo! Also hör auf, mich anzustarren, als wäre ich eines!«

    »Das habe ich nicht.« Seine Wut trifft mich. Tiefer als ich zugeben will. Ich kenne dieses Gefühl, die ganze Welt niederringen zu müssen, weil sie einen ansehen, als wäre man das bemitleidenswerteste Wesen diesseits und jenseits des Atlantiks. »Ich habe vorhin einfach nur Löcher in die Luft gestarrt.«

    In Brandons Wange zuckt ein Muskel, und ich warte auf seinen nächsten Ausbruch, von dem ich mir sicher bin, dass er bald kommt.

    Mitch klopft auf den Tisch.

    »Mädels, es hat mich gefreut, aber wir gehen jetzt wohl besser«, verabschiedet er sich mit einem entschuldigenden Lächeln und nimmt seine Tasse mit sich.

    Ich sehe Brandon dabei zu, wie er eine Schneise durch die Kaffeeschlange schlägt.

    »Der ist ja total durchgeknallt.« Billie atmet lautstark aus. »Ich dachte, er springt mir gleich an die Kehle.Die können mir alle viel erzählen, dass der seit einem Jahr clean sein soll. So reagiert doch niemand, der noch alle Tassen im Schrank hat.«

    Ich schlucke, weil ich erst letzte Woche einen ähnlichen Spontanausbruch vor diesem Sportagenten hatte. »Er hat sicher seine Gründe.«

    »Dann sollte er die schleunigst klären«, meint Billie unversöhnlich. »Und bis dahin hole ich uns beiden mal einen Kaffee.«

    Kapitel 4

    Ich starre auf die Kränze, die hinten in der Werkstatt von Edens Blumenladen hängen, und umfasse die Gießkanne in meinen Händen etwas fester. Weiße Rosen, Lilien, Gedichte und Liebesbekundungen. Sie erinnern mich an die Auswahl, die neben Mums Grab aufgestellt war, obgleich die bei Weitem nicht so opulent war wie diese hier. Nicht, dass es mich interessiert hatte. Ich lag in Billies Armen und in denen ihrer Mutter und war gezwungen, den Worten dieses Priesters zu lauschen und einem schlecht vorgetragenen Gedicht von Walt Whitman. Mum lag tot in ihrem Sarg, in Klamotten, von denen ich im Nachhinein glaube, dass sie sie gehasst hätte.

    »Emma? Alles in Ordnung?«, möchte Eden von mir wissen, während sie die Stängel eines Rosenstraußes kürzt. Ihre Finger wandern geschickt von Stängel zu Stängel, ohne dass sie den Blick von mir nimmt. Bei meinem Talent hätte ich spätestens jetzt meinen Daumen verloren.

    »Ja«, lüge ich und lasse meinen Blick über das herrliche Chaos in der Werkstatt gleiten, in der ein halbes Dutzend Floristinnen arbeiten. »Ich brauche nur noch die Trittleiter.«

    »Im Schrank, neben dem Waschbecken, Liebes«, antwortet eine der Floristinnen, die mir schon letzte Woche ein paarmal aus der Patsche geholfen hat, als ich versucht habe, Eden ein wenig in ihrem Laden zu helfen.

    Eden, die in einem Dickicht aus abgeschnittenen Blättern und Stängelüberresten steht, lächelt, als ich mit der vollen Gießkanne und der kleinen Leiter an ihr vorbei in den Verkaufsraum wanke und beginne die Topfpflanzen zu gießen. Früher habe ich das ständig getan, und Eden heute nach dem miesen Unitag auf der Arbeit zu besuchen zu können, ist einfach schön.

    Der altbekannte Duft von Blüten und feuchter Erde durchströmt den Raum, als ich mit der zweiten Kanne Wasser das Efeu und die anderen Schlingpflanzen wässere, die in Blumenampeln von der Decke hängen.

    Ich schiebe meine Trittleiter ein paar Meter weiter und frage mich, ob es nicht vielleicht klüger gewesen wäre, die Gießkanne nur zur Hälfte zu füllen, denn ich kann meine Muskeln bereits protestieren spüren.

    Nachdem ich den Stand der Leiter überprüft habe, klettere ich mitsamt der Kanne hinauf und will mich gerade zur nächsten Blumenampel hinüberbeugen, als die Ladentür aufgerissen wird und mein Untergrund ins Wanken gerät.

    Ich strauchele. Meine Gießkanne kollidiert lautstark mit dem Boden, und ich packe mich haltsuchend am Leitergriff fest.

    »Was zur Hölle«, entkommt es mir vollkommen neben der Spur. Ich glaube, ich habe mir meine Seite gezerrt.

    »Große Güte, bist du okay?«

    Das darf nicht wahr sein. Vor mir steht der Sportagent von letzter Woche, und ich bemerke, dass ich seine Schuhe eingeweicht habe, während mein Magen noch mit den Nachwehen meines Beinaheunfalls kämpft.

    »Sorry für das Wasserbad«, quetsche ich hervor. „Keine Absicht." Ich kann mich nicht rühren. Er sieht noch so gut aus, wie ich ihn in Erinnerung habe. Ich hätte nicht gedacht, dass ich ihn nochmal zu Gesicht bekomme. Manchmal ist Chicago ein Dorf und heute bin ich nicht sauer darüber.

    Er ist wirklich groß. Trotz meiner erhöhten Position ist sein Gesicht kaum mehr eine Handspanne von mir entfernt, und mein Körper prickelt von seiner Nähe. Jetzt, da ich ihn zum ersten Mal ohne Jackett und mit hochgekrempelten Hemdsärmeln sehe, werden mir die Ausmaße dieses Mannes klar. Die breiten Schultern, die durchtrainierte Gestalt, die in Jeans und Hemd steckt. Er könnte direkt aus einer Studienzeichnung da Vincis gekrochen sein.

    »Ich bin hier, um einen Strauß abzuholen. Kannst du mir da behilflich sein, oder bedienst du keine Sportagenten?« Seinen Mund umspielt ein Lächeln, das das Grübchen an seinem Kinn wieder auftauchen lässt.

    »Ich arbeite hier nicht«, schnappe ich, entnervt davon dass er den furchtbarsten Job der Welt hat. Wieso kann er nicht einfach Steuerberater oder ein stink normaler Anwalt sein?

    Er legt seine Stirn in Falten. »Du arbeitest hier nicht«, wiederholt er meine Aussage. »Das ist auf mehreren Ebenen beunruhigend. Vor allem aber, weil du keinen Versicherungsschutz hast und dir offenbar dein Flugpulver ausgegangen ist.«

    Im Neonlicht des Ladens sind seine Augen beinahe flaschengrün.

    »Versuch es an der Verkaufstheke«, schaffe ich es, heiser hervorzubringen, ohne auf seine Worte einzugehen. Vor allem, weil er nach Ambra und einer überbordenden Prise Mann riecht, die meine Hormone Tango tanzen lässt. Die Biologie ist in diesem Falle nicht mein Freund. Ganz und gar nicht. Meinen Rezeptoren gefällt viel zu gut, was sie wahrnehmen, und ich wünschte, mein Gehirn hätte die Macht, einfach die Reißleine zu ziehen. Mein Herz poltert unruhig unter seiner Musterung, und ich ärgere mich über das laute Summen meiner Synapsen. Mein Körper sollte in seiner Gegenwart nicht so kribbeln. Es ist Verrat auf höchster Stufe.

    »Emma? Geht’s dir gut?«, unterbricht Eden meine Selbstkasteiung. Sie kommt auf mich zugeeilt, das Messer, mit dem sie die Blumen geschnitten hat, noch immer in der Hand.

    »Mir geht’s gut.« Ich kann ihr dabei zusehen, wie sie sich die messerfreie Hand aufs Brustbein legt und erleichtert durchatmet.

    »Ich dachte, du wärst durchs Schaufenster gefallen.«

    »Nein, nein, alles gut«, winke ich ab. „Hier ist nur ein Kunde, der einen Strauß abholen will."

    »Eden.« Der unverschämt attraktive Sportagent macht einen großen Schritt über die Wasserpfütze am Boden, und ich kann meine Großmutter stocken sehen, ehe sich ihr gesamtes Gesicht erhellt.

    »Damon, wie schön Sie zu sehen.«

    »Ebenfalls. Ich habe leider fast das nicht hier arbeitende Personal zu Fall gebracht. Ich hoffe, Sie sehen es mir nach.«

    Er heißt Damon? Passend für einen Seelenverkäufer.

    »Ich besitze nur eine Enkeltochter, Damon. Ich würde es wirklich vorziehen, wenn Sie ganz bleibt."

    Damons Lächeln ist ein wenig zu breit, als er sich zu mir dreht. »Eine Gaellen, mh? Das hätte mir auffallen können.«

    Irgendetwas in seiner Stimme lässt mich das Kinn recken und zu ihm hochsehen. Ich bin

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