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Am Ende bleiben nur die Träume
Am Ende bleiben nur die Träume
Am Ende bleiben nur die Träume
eBook321 Seiten4 Stunden

Am Ende bleiben nur die Träume

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Über dieses E-Book

Nach dem Unfalltod seines Vaters übernimmt Morton Patterson notgedrungen dessen Pferderanch, zu der er keinerlei Bezug hat und die er vor Jahren bereits verlassen hat. Er wird außerdem der Erziehungsberechtigte für seinen kleinen, zwölfjährigen Bruder Toby, dessen Leben sich ausschließlich um die Pferde und vor allem seinen geliebten Hengst "Butch" dreht.
Finanzielle Sorgen und Tobys neue Lehrerin machen Morton zu schaffen. Sie will, dass Toby in einer "anständigen Familie" untergebracht wird und schaltet das Jugendamt ein, denn über der Arbeit und den täglichen Problemen findet sich nicht immer genügend Zeit für den Jungen, der häufig seine eigenen Wege geht.

Doch dann erkrankt Toby völlig unerwartet an einem Gehirntumor. Die Ärzte machen Morton keine großen Hoffnungen, was eine Heilung betrifft. Morton weiß nicht, wie er das Geld für die Behandlung aufbringen soll.
Tobys Gesundheitszustand verschlechtert sich zusehends. Als das Frühjahr heranbricht, entschließt er sich deshalb, seinem geliebten Hengst die Freiheit zu schenken...
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum19. Feb. 2021
ISBN9783753165653
Am Ende bleiben nur die Träume

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    Buchvorschau

    Am Ende bleiben nur die Träume - Regan Holdridge

    Am Ende bleiben nur die Träume

    Am Ende bleiben nur die Träume

    Am Ende bleiben nur die Träume

    Prolog

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Epilog

    Am Ende bleiben nur die Träume

    Regan Holdridge


    Texte: © Copyright by Regan Holdridge, 2002

    Herausgeber:

    Regina Honold

    Alpenstr. 24a

    87760 Lachen

    autrice.blog@gmail.com

    Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin


    Die Geschichte eines Jungen, eines Pferdes und einer Vision.

    Zur Erinnerung

    an einen schwarzen American Saddlebred Hengst

    namens „Highland Dale".

    Niemand hat mein Leben mehr beeinflusst als er.

    Prolog

    Der Junge saß auf einem der harten Holzstühle in dem langen, schmalen Flur. Wie lange er schon dort saß, das konnte er nicht genau sagen, vielleicht eine halbe Stunde, vielleicht auch eine ganze. Nichts geschah um ihn herum, außer, dass ab und zu jemand an ihm vorbeilief, ihn neugierig anschaute und sich dann wieder auf den dunkelblauen Teppichboden des Flurs konzentrierte. Zu einer der Türen, die genau dieselbe Farbe besaßen, wanderten die braunen Augen des Jungen immer wieder hinüber. Irgendwann, vor einiger Zeit, die er nicht benennen konnte, war darin sein großer Bruder verschwunden. Ein Bruder, der sechzehn Jahre älter war als er und den er eigentlich nicht kannte. Dennoch entschied dieser große Bruder soeben über sein Schicksal und darüber, wie es mit ihm weitergehen würde: Wo er leben und aufwachsen sollte, obwohl er schließlich mit seinen elf Lebensjahren durchaus in der Lage gewesen wäre, diese Frage für sich selbst zu entscheiden. Und was ihm ganz und gar nicht behagte, war die Vorstellung, dass sein zukünftiges Dasein sich womöglich in einer engen Stadtwohnung zutragen könnte, weit fort von seinem Zuhause und dem, was ihm wichtig war, ja, eigentlich alles bedeutete.

    Dieses Amt hier, das nur dafür zuständig war, die Belange von Kindern und Jugendlichen zu vertreten, würde die Entscheidung treffen, die er selbst vor dem Gesetz und dem Richter noch nicht für sich einfordern durfte. Auch das gefiel dem Jungen nicht und je länger er hier saß und wartete und nichts tun konnte, desto unleidiger wurde seine Stimmung. Dass sein Vater zu schnell gefahren war – dafür konnte er doch nichts und dass er zu seinem großen Bruder im Grunde keinerlei Beziehung hatte, dafür doch auch nicht! Nein, weggehen würde er nicht, niemals! Da konnte niemand etwas daran ändern, auch keine Beamten und kein großer Bruder.

    Trotzig verschränkte der Junge die Arme vor der Brust und warf sich auf dem Stuhl zurück. Er wollte endlich wissen, was hinter dieser Tür vor sich ging, welche Entscheidungen die Erwachsenen trafen, obwohl es doch eigentlich ihn betraf! Ihn und sein Leben, seine Zukunft!

    Laute Stimmen ließen ihn den Blick heben. Zwei Frauen schoben einen braunhaarigen Jungen, etwa in seinem Alter, den Flur hinab, der sich wild schreiend und weinend zur Wehr setzte. Er schlug wütend um sich, trat und biss und die beiden Frauen hatten ganz offensichtlich größte Mühe, ihn irgendwie vorwärts zu zerren. Sie öffneten eine Tür, bugsierten ihn hinein und schlugen sie hinter sich zu; das schrille Geschrei verstummte.

    Der Junge biss sich auf die Unterlippe. Ein Schauer jagte ihm über den Rücken und einen kurzen Moment war er verführt, einfach aufzustehen und davonzulaufen. Warum eigentlich nicht? Wieso sollte er bei seinem großen Bruder bleiben? Er war ihm mehr fremd als vertraut, sie hatten gerade erst begonnen, sich kennenzulernen. Er schüttelte für sich selbst den Kopf. Nein, das wäre unfair und gemein. Das konnte er ihm nicht antun, diesem großen, blonden Mann, der ihrem gemeinsamen Vater sehr ähnlich sah. Er war das genaue Gegenteil zu ihm selbst. Der Junge runzelte die Stirn. Er besaß die braunen Augen und die rötlich schimmernden Haare seiner Mutter, ähnlich der Farbe einer reifen Kastanie, die gerade vom Baum gefallen war. Jedenfalls hatte sein Vater das immer wieder betont. Er selbst konnte dazu nichts sagen – er erinnerte sich nicht an seine Mutter, wusste nicht, wie sie ausgesehen oder sich angefühlt hatte. Das einzige, was ihm geblieben war von seiner Familie, das war ein sechzehn Jahre älterer Bruder.

    Immer wieder kreisten seine Gedanken darum, wie schwer es seit diesem Tag vor wenigen Wochen für sie alle plötzlich geworden war, seit dem Tag, an dem sein Vater in das Auto gestiegen und zu schnell gefahren war. Der Junge hasste ihn manchmal dafür, dass er sich nicht an die vorgeschriebene Geschwindigkeit gehalten hatte; dann wäre alles jetzt ganz einfach und normal, wie immer. So jedoch herrschte in ihrer aller Leben Chaos und Ungewissheit und Angst.

    Der Junge schloss die Augen und verharrte auf dem harten Holzstuhl, versunken in seine Überlegungen und die Aussichten, was sein weiteres Leben betraf. Irgendwann hörte er, wie eine Türe aufschwang und er öffnete seine Augenlider einen Spalt. Die schlanke, hochgewachsene Gestalt trat zu ihm und eine Hand streckte sich nach ihm aus.

    Fragend hob der Junge den Blick und als er in das Gesicht blickte, das ihn an das seines Vaters erinnerte, ahnte er es. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht und er ergriff die ihm angebotene Hand. Sie waren allein mit sich und ihrer verzwickten Brüderbeziehung. Seine kleine Kinderhand verschwand vollkommen in den langen, kräftigen Fingern des jungen Mannes und er marschierte neben ihm her, den Flur entlang, den Weg zurück, den sie gekommen waren und von dem er nicht wusste, ob es der richtige sein würde.

    Kapitel 1

    Ein Jahr später

    Die angelehnte Haustür des kleinen, einstöckigen Ranchhauses schnellte quietschend auf und ein gesetzter, dürrer Mann trat heraus, unter das Vordach. Er formte seine runzeligen, rauen Hände zu einem Trichter, was seine krächzende Stimme noch lauter über den Hof schallen ließ: „Das Abendessen ist fertig! Lasst mich ja nicht wieder eine Stunde warten!" 

    Abwartend stemmte er die Hände in die Hüften. Sein lockiges, ungekämmtes Haar besaß eine dunkelgraue Farbe, die beinahe schon ins Weiße überging, obwohl er erst wenig über sechzig war. Die Sonne hatte sein schmales Gesicht im Laufe der vielen Jahre, die er in der freien Natur zugebracht hatte, braun gebrannt und die feinen Äderchen hervortreten lassen. Tiefe Furchen verliefen von der Nase, an den Mundwinkeln vorbei, bis zu seinem kantigen Kinn. Manche Leute, die ihn nicht kannten, bezeichneten sein Gesicht als „gegerbt und „typisch: Typisch für das Land und die Menschen, typisch für die rauhen Witterungen und die jahrzehntelange, harte Arbeit.

    „Himmel nochmal!, fluchte er laut und trat einen Schritt unter der überdachten Veranda heraus. „Hey! Habt ihr Bohnen in den Ohren? Das Abendessen ist fertig!

    In der Mitte des überschaubaren Hofes parkte ein mit Rostflecken und Dellen übersäter Ford Pick-up, dessen hellblaue Farbe unter der Schicht aus Staub und Morast nur schwerlich zu erkennen war. Die Motorhaube stand offen und zwei Männer beugten sich mit kritischen Mienen über den Antrieb des Fahrzeugs.

    „Tja, stieß der eine hervor und fuhr sich mit den Fingern durch das wellige, schwarze Haar. „Er scheint sich allen Ernstes dazu entschlossen zu haben, bald auf den Schrottplatz zu wandern! Seine tiefe, markante Stimme drang dem schlankeren, ihn um fast einen Kopf überragenden, jungen Mann wie aus weiter Entfernung ans Ohr.

    „Ich fürchte, diesmal hat sogar dein technischer Verstand recht, lautete die Erwiderung. Mit einem Seufzer richtete er sich auf, wobei sein Kennerblick das Innere des Motorraums begutachtete. Er schüttelte den Kopf, was eine Strähne seines blonden, glatten Haares nach vorn, in die Stirn fallen ließ. „Offen gestanden hat mir das gerade noch gefehlt! Als ob wir nicht schon genug... Er brach ab. „Ach, vergiss es. Ist ja auch egal, ändert nichts mehr an dem ganzen Mist!"

    Morton Patterson war achtundzwanzig Jahre alt und seit er die Ranch vor einem Jahr von seinem verstorbenen Vater übernommen hatte, war es nicht das erste Mal, dass ihn das Auto im Stich zu lassen drohte. Sein auffallend schlanker, durchtrainierter Körper maß über einen Meter neunzig, was ihn in den alten, ausgewaschenen Jeans fast mager aussehen ließ. Wie immer, wenn ihm etwas Sorgen bereitete, traten auch jetzt seine breiten Kiefernknochen hervor und seine hohe Stirn über den hellblauen Augen runzelte sich in vielen, kurzen Fältchen.

    „Lass uns morgen versuchen, ob wir ihn nochmal retten können, schlug Ray McGill leise seufzend vor und klopfte seinem Arbeitgeber aufmunternd auf die Schulter. „Vielleicht erspart er uns den Gang zum Autohändler, wenn er eine Nacht darüber geschlafen hat, dass wir ihn wirklich entsorgen, wenn er nicht spurt!

    „Jetzt sagt mir mein Magen erstmal, dass Onkel Hank nicht umsonst zum Essen gerufen hat", erwiderte Morton mit einem verzerrten Lächeln, das seine wahre, deprimierte Stimmung überspielen sollte. Er gab dem anderen jungen Mann einen auffordernden Wink.

    Sein zwei Jahre jüngerer Reitlehrer und Pferdetrainer verstand und trat einen Schritt zurück, damit seine Finger nicht dazwischen gerieten, als Morton die Motorhaube mit einem lauten Knall zufallen ließ.

    „Na, endlich!, erklang der Ausruf des Alten vom Wohnhaus her. „Ich schlage schon Wurzeln!

    Morton musste grinsen. „Geh’ du schon vor und versuch’ zu verhindern, dass er wieder zu rotieren anfängt! Ich hole Toby."

    „Geht klar, Boss!" Ray lachte auf seine sehr eigene Art, wie nur er es mit seiner tiefen Stimme zu tun vermochte.

    Wer Ray McGill zum ersten Mal begegnete, dem stach immer zuerst sein kantiges Gesicht ins Auge, das von ungewöhnlicher Ebenmäßigkeit, ja geradezu auffallender Attraktivität war. Die dichten, schwarzen Brauen betonten das Türkisblau seiner Augen noch deutlicher, was zu seiner bräunlichen, von der Sonne gedunkelten Haut beinahe exotisch wirkte. Jetzt grinste er, wobei seine geraden, weißen Zähne zwischen den geschwungenen, vollen Lippen aufblitzten. Er bemerkte den sorgenvollen Blick, mit dem Morton Patterson das Auto bedachte.

    „Schau nicht, als wäre er abgebrannt! Noch fährt er doch!"

    „Noch, ja!, bestätigte der junge Ranchbesitzer mit düsterer Miene und trat mit dem Stiefel gegen den linken Vorderreifen. „Zu seiner eigenen Sicherheit würde ich ihm auch raten, das noch länger zu tun!

    Von Südwesten, den flachen, langgezogenen Hügel herab, wand sich der schmale, geteerte Weg in Richtung Stadt zwischen hohem Präriegras und vereinzelten Sträuchern in den gut dreißig Fuß breiten, sandbedeckten Innenhof hinab. Zur linken Straßenseite hin befanden sich die ausgedehnten, unterteilten Pferdekoppeln mit ihren dreireihigen, schiefen Zaunlatten aus den Stämmen junger Bäume. Rechts, versteckt hinter wucherndem Gestrüpp und Brombeeren stand das Ranchhaus und etwa zehn Schritte dahinter begann der ausgedehnte, mehrere Quadratmeilen große Mischwald mit seinen mächtigen Kiefern, deren Alter zu bestimmen unmöglich war. Sichelförmig erstreckten sich die Bäume in weitem Bogen über das Land, zunächst nach Nordosten, um dann, gut zwölf Meilen entfernt, in Richtung Westen abzuknicken. Die letzten Ausläufer im Süden grenzten unmittelbar an die Gebäude der kleinen Ranch, die sich schützend in den Waldsaum drückten.

    Hinter den letzten Koppelzäunen stand der lange, flache Pferdestall, den Hank zusammen mit Randall Patterson vor knapp fünfzehn Jahren neu gebaut hatte. Ein doppelflügliges Tor, das von Frühjahr bis in den Herbst hinein den Tag über offen stand, führte in eine breite, helle Stallgasse, von der aus die Pferde gefüttert wurden.

    Genau in der Mitte zwischen Stall und Ranchhaus erhob sich die stattliche, alte Scheune aus Gründerzeiten mit ihren fast drei Meter hohen Toren und nur das weiße Windrad zu ihrer Rechten, dessen Flügel sich unaufhörlich im frischen Spätsommerwind drehten, überragte ihre imposante Erscheinung noch.

    Um die letzten, alleinstehenden Bäume des Waldes, von denen eine Handvoll bis zwischen Pferdestall und Scheune heranreichten, war ein weiterer Koppelzaun errichtet worden, auf dessen oberster Stange zwei zwölfjährige Jungen saßen. Neben ihnen döste eine kleine, wohlgenährte Stute von rostbrauner Farbe. Eine breite, weiße Blesse verlief unregelmäßig über ihrer Nase. Sie hielt den Kopf gesenkt, während der Führstrick am Halfter unbeachtet auf die Erde herabhing.

    „Ihr seid unmöglich, ihr alle zusammen!, schimpfte Hank, als er Ray nun kommen sah und trommelte mit seiner rechten Stiefelspitze demonstrativ auf den trockenen Erdboden. „Dass man euch doch immer eine halbe Stunde eher rufen muss, damit ihr euch bequemt, zu meinem mühevoll bereiteten Mahl zu erscheinen!

    „Dann wollen wir dich nicht länger enttäuschen! Was gibt’s denn heute?" Ray schnupperte. Der verlockende Duft aus der Küche stieg ihm in die Nase und er schob Hank kurz entschlossen zur Haustüre.

    „Wir sind immer noch nicht vollzählig!", protestierte der Alte, da es ihm nicht gelang, sich aus dem Griff des jungen Mannes freizumachen.

    Morton legte sich die Hand schützend über die Augen und blickte abwartend zu der Koppel zwischen Pferdestall und Scheune hinüber.

    „Toby!, rief er seinem kleinen Bruder schließlich zu, als dieser noch immer keine Anstalten machte, sich zu rühren. „Kommst du?

    Die beiden Jungen unterbrachen ihre lachende Unterhaltung. Endlich sprangen sie von der Zaunlatte.

    „Dann treffen wir uns morgen, vor der Schule!", sagte Aaron, der kleinere der beiden, ein wenig rundlich geraten und mit einer dunkelblonden Stoppelfrisur. Er griff nach dem Führstrick am Halfter seiner Stute.

    „Leider!, knirschte Toby und verzog gequält das Gesicht. „Was haben wir denn eigentlich für Schularbeiten auf? Darüber bist du doch immer informiert!

    „Oh, oh, machte Aaron, Böses ahnend und seine braunen Augen weiteten sich bedenklich. „Wenn du sie morgen wieder nicht hast…

    „Ach was!, fiel sein bester Freund ihm mit einer scheinbar lässigen Handbewegung ins Wort. „Was soll denn schon groß passieren? Dann gibt Miss Shaughnessy mir eben wieder einen Strich auf dieser lächerlichen ‚Hausaufgaben-Vergessens-Liste‘! Na, und?

    Das klang sehr erwachsen und mutig, auch, wenn ihm bei der Vorstellung an den Zorn und das Geschrei seiner Klassenlehrerin nicht ganz wohl zumute war.

    „Na, du musst es ja wissen! Den Ärger erspare ich mir jedenfalls lieber! Darum muss der Fernseher heute Abend auch aus bleiben. Mathe ist angesagt. Vielleicht kapiere ich das doch noch eines Tages! Aaron zog seine träge Stute ungeduldig hinter sich her. „Nun komm schon, Bella! Du darfst doch zu den anderen auf die Koppel! Wenn sie bloß nicht immer so faul wäre! Nicht einmal der Gedanke an frisches Gras kann sie beschleunigen!

    „Probier’s doch mal mit einer doppelten Ration Hafer", riet Toby und lief seinem Freund voraus, um den Riegel beiseitezuschieben und das Tor zu öffnen. Kaum, dass sich die Lücke im Zaun auftat, schien die Stute ihr Ziel zu erkennen. Sie stieß ein kurzes, übermütiges Quietschen aus und trabte unerwartet los.

    „Hey!" Hastig versuchte Aaron, das Halfter über ihre Ohren zu ziehen, doch seine kurzen Beine konnten mit der ungewöhnlich schnellen Gangart seines Pferdes nicht mithalten. Zwei Meter vor dem Tor beschloss Bella, das hinderliche Stück Leder ohne Hilfe ihres Besitzers abzuwerfen. Die ruckartige Bewegung brachte den Jungen, der ohnehin schon auf Höhe ihrer Hinterbeine zurückgefallen war, ins Straucheln. Ein dumpfer Schlag übertönte das Trappeln der Hufe. Toby grinste, während er das Tor hinter der Stute wieder verschloss und Aaron sich ächzend auf die Beine rappelte.

    „Oh man! Ich möchte nur ein einziges Mal erleben, dass sie beim Reiten auch freiwillig so rennt! Aaron klopfte sich den Sand von der Jeans. „Irgendwann kriege ich richtig Ärger wegen ihr! Zum Beispiel, wenn sie wieder mitten auf der Straße zu pennen anfängt und den ganzen Verkehr aufhält!

    „Den Ärger kriegst du auch so, meinte Toby trocken und nahm seinem besten Freund das Halfter aus der Hand. „Und zwar dann, wenn du heute schon wieder zu spät nach Hause kommst!

    „Au backe! Wie spät ist es denn? Aaron warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Was?! Schon halb sechs? Ach du Schande! Meine Eltern reißen mir den Kopf ab!

    Entsetzt stürzte Aaron zu seinem Fahrrad, das den ganzen Nachmittag über achtlos neben dem Koppelzaun, im Gras gelegen hatte. „Bis morgen!", rief er über die Schulter zurück, während er bereits mit aller Kraft in die Pedale trat und das Rad den leichten Anstieg der schmalen Straße hinauf lenkte.

    Eilig hängte Toby das Halfter an den Anbindebalken vor dem Koppelzaun und lief zu seinem Bruder hinüber, der noch immer vor dem Haus stand und auf ihn wartete. „Ich komme schon!"

    „Wo ist Butch?", wollte Morton wissen.

    „Da – noch draußen!" Der braunhaarige Junge deutete hinter sich, zur Koppel, auf deren Zaunlatte er und sein Freund eben noch gesessen hatten und wo jetzt ein goldfarbener, großer Hengst neugierig seinen zierlichen, hübschen Kopf darüber streckte.

    „Ich bringe ihn erst nachher in den Stall. Jetzt ist es noch so warm!"

    „Von mir aus! Fürsorglich legte Morton ihm die Hände auf die Schultern. „Allerdings hoffe ich, dass Bellas Halfter nicht morgen früh noch dort hängt, wo es nichts verloren hat!

    „Natürlich nicht!", versicherte Toby entrüstet und verzog beleidigt sein rundes Jungengesicht mit der Stupsnase und den vielen, kleinen Sommersprossen.

    Seufzend winkte Morton ab. „Schon gut. Und was treibt der Hund?"

    „Hmm! Suchend drehte Toby den Kopf in alle Richtungen. „Vorhin war er noch da! Wirklich! Ich schwöre es!

    „Du weißt, dass er nicht herumstreunen soll! Mahnend zog der junge Mann die Brauen hoch. „Sollte er zu wildern anfangen…

    „Das tut er nicht! Niemals! Dazu ist er doch viel zu faul!, verteidigte Toby seinen Hund fest überzeugt und schrie aus Leibeskräften: „Shaggy! Shaggy! Komm hierher!

    Keine zwei Wimpernschläge später kam um das Eck des Pferdestalls ein gelbbrauner, zottiger Hund geschossen.

    „Siehst du, was habe ich gesagt?" Triumphierend kraulte Toby dem Tier das Kinn. Schwanzwedelnd blickten die treuen, dunklen Knopfaugen zu dem Jungen hinauf. Das dichte Fell kringelte sich um den stämmigen Körper und verdeckte die kleinen Schlappohren fast vollständig. Obwohl er jeden zweiten Tag gebürstet werden musste, sah ihm das nie jemand an, weil sich immer irgendwelcher Unrat in seinem Fell verfing.

    „Komm, du kriegst jetzt auch was zu Abendessen!", versprach Toby und klopfte sich auf den Schenkel, was bei Shaggy erfreutes Kläffen auslöste und ihn wie einen Gummiball auf und ab springen ließ.

    Zufrieden ächzend lehnte Toby sich auf dem Stuhl zurück und schob den leeren Teller in die Mitte des kurzen, rechteckigen Tisches.

    „Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es ein solches Steak!", erklärte er und rieb sich den vollen Bauch.

    „Na, ist ja schön, dass wir dich doch noch satt bekommen haben, kommentierte sein großer Bruder und schmunzelte. Er schien jedesmal wieder verblüfft, wieviel Essbares doch in einem kleinen Jungen Platz fand. „Bald besteht unsere größte Geldausgabe in deinen Essensvorräten!

    Er und Ray saßen bereits seit fast zehn Minuten bei ihrem allabendlichen Kaffee, bei dem sie stets die Ereignisse des Tages besprachen und den Terminplan für den darauffolgenden gleich mit.

    Der Wohnraum der Ranch nahm die größte Fläche im Erdgeschoß ein. An der Wand gegenüber der Haustüre führte die schmale Holztreppe ins obere Stockwerk hinauf und direkt links war ein offener Kamin mit großen, rauen Steinen in die Wand eingebaut. Im Anschluss ging ein offener Durchgang in die schmale Küche. In der Mitte des Raumes hatte der alte Holztisch mit der breiten Schramme quer über der Platte seinen Platz eingenommen. Dort saßen sie in der Regel jeden Abend zusammen, diskutierten die Geschehnisse des vergangenen Tages und planten die bevorstehenden Arbeiten.

    „Es freut einen immer, wenn man erfährt, dass man auf seine alten Tage hin nicht ganz unnütz geworden ist", meinte Hank mit einem Augenzwinkern und trug den Teller hinüber in die Küche zum restlichen Abwasch.

    „Sollte es jemals soweit sein, rief Morton, „erhältst du es von mir ohnehin schriftlich!

    „Das hat dein Vater auch sein Leben lang zu mir gesagt und im Laufe der vergangenen zweiunddreißig Jahre bestimmt schon mehr als fünfhundert Mal, aber wie du feststellen musst, hat er auch immer nur davon gesprochen. Das heißt… Verschmitzt grinsend kratzte er sich das unrasierte Kinn, das mit grauen Bartstoppeln übersät war. „Eigentlich auch nur dann, wenn mein vorlautes Mundwerk wieder einmal schneller war als mein Verstand!

    „Jetzt will ich noch Kuchen", verkündete Toby mit leuchtenden Augen. Allmählich fand sich in seinem Magen wieder Platz für neue Genüsse. Außerdem wollte er noch dableiben, bei den Männern und mitreden, wenn sie den Ablauf für den morgigen Tag besprachen. Auch, wenn ihm das leider nichts brachte, denn auf ihn wartete ja diese leidige Schule mit der neuen Lehrerin, die er nicht ausstehen konnte. Aber immerhin würde ihm die Ranch ja eines Tages einmal gehören, da konnte er nicht früh genug anfangen, sich mit allen wichtigen Dingen zu beschäftigen, die diese betrafen.

    „Kommt nicht in Frage!, widersprach sein großer Bruder prompt und machte eine energische Handbewegung. „Sonst kannst du heute Nacht wieder nicht schlafen, weil dir schlecht ist!

    „Oh man! Das ist gemein! Enttäuscht vergrub Toby den Kopf zwischen den Händen. Was verstand denn Morton schon davon? „Und dann soll ich mich jetzt auch noch auf meine Schularbeiten konzentrieren können, wenn mein Magen knurrt!

    „Der hat überhaupt keinen Grund mehr zu knurren!, beharrte Morton unnachgiebig. „Was macht die Schule überhaupt?

    „Ach, hör mir bloß damit auf! Genervt verdrehte Toby die Augen. „Diese neue Lehrerin! Sie ist eine Zumutung – jedenfalls für mich!

    „Neue Lehrerin?" Fragend blickte Ray den jungen Ranchbesitzer an. Bisher hatte er dem kleinen Zank der beiden Brüder lediglich amüsiert zugehört.

    „Nachdem Mr. Bingham doch in Pension gegangen ist, haben sie eine junge Frau eingestellt – frisch vom Studium, gab Morton achselzuckend Auskunft. „Sie muss ungewöhnlich gute Noten und Zeugnisse aufzuweisen haben. Direktor Okonek ist jedenfalls völlig begeistert von ihren Fähigkeiten!

    „Ich nicht, warf Toby ein. Die Aussicht, am anderen Morgen wieder zu ihr in den Unterricht zu müssen, behagte ihm schon jetzt herzlich wenig. „Sie ist furchtbar streng und lässt wirklich überhaupt nichts durchgehen! Und dann die Masse an Hausaufgaben, die sie aufgibt – ein Wahnsinn! Ich weiß gar nicht, wer das alles schaffen soll! Frustriert verdrehte der Junge die Augen. „Hoffentlich bessert die sich noch!"

    Mortons Mundwinkel zuckten verdächtig. „Am besten fängst du gleich damit an, schlug er vor, „bevor du Butch von der Koppel holst! Dann wirkt der restliche Teil vielleicht nicht mehr ganz so abschreckend!

    „Das werde ich auch müssen, knurrte Toby verstimmt und erhob sich widerstrebend von seinem Platz. „Sonst werde ich heute nämlich überhaupt nicht mehr fertig!

    „Vielleicht sollte ich mich mal eingehender mit deiner Lehrerin beschäftigen, schlug Ray hinter seiner Kaffeetasse heraus vor und grinste. „Wie sieht sie denn aus?

    „Lass Tobys Lehrerin in Frieden!, befahl Morton und rollte die Augen. „Es reicht schon, wenn die Hälfte der Damen in der Stadt nicht mehr sicher sind!

    „Warum sind sie nicht mehr sicher?, wollte Toby von der Treppe her wissen. „Wegen Ray? Was macht er denn mit ihnen?

    Morton drehte sich auf seinem Stuhl zu ihm herum. „Das erklär’ ich dir anderes mal und in der Hoffnung, dass du dir Ray niemals zum Vorbild nimmst. Vorher machst du aber deine Hausaufgaben!"

    Toby wusste, es hatte keinen Sinn, mit seinem großen Bruder zu streiten, wenn es um die Schularbeit ging. Da hatte er bereits mehrmals den Kürzeren gezogen.

    „Shaggy!" Augenblicklich tapsten die Pfoten des gelbbraunen Hundes auf den Holzbohlen des Fußbodens.

    „Ich hoffe, er hat sich nicht wieder im Schlamm gewälzt, wenn er heute Nacht dein Bett seiner Decke als Schlafstätte vorziehen sollte", wünschte sich Morton mit prüfendem Blick auf den Hund.

    „Selbst wenn, meinte Ray mit unbeteiligter Miene und stand auf, um sich in der Küche noch Kaffee nachzuschenken. „Er hat heute schon im Wassertrog gebadet! Zwar nicht unbedingt freiwillig, aber sauber ist er auf alle Fälle!

    „Ach, darum sieht er so zerzaust aus! Vorwurfsvoll stemmte Toby die Arme in die Hüften. „Du sollst ihn nicht immer aus Rache in den Trog werfen, wenn du selber schuld bist! Wieso lässt du dich auch jedesmal von ihm ärgern?

    „Wer spricht von seiner Unerzogenheit? Er war so gehorsam und anständig wie selten!" Grinsend lehnte Ray sich an den Türrahmen zur Küche. „Wir haben gespielt – und dabei meinte er mir beweisen zu müssen, was für ein unübertrefflich toller Hochspringer er doch ist! Nun – seine Füße sind leider für ein Hindernis in der Größenordnung des Wassertrogs doch ein wenig

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