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Der Mann aus Anderland: Die Tage des Schwertmeisters
Der Mann aus Anderland: Die Tage des Schwertmeisters
Der Mann aus Anderland: Die Tage des Schwertmeisters
eBook437 Seiten6 Stunden

Der Mann aus Anderland: Die Tage des Schwertmeisters

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Über dieses E-Book

Der komplette Roman. Georg Milden, ein ganz normaler Mann mit Stress im Büro und Frust im Privatleben landet in Sequitanien, einer Parallelwelt. Dort gibt es keine Autos, keine Smartphones und kein Internet, aber auch keinen Stress und keine Krankheiten, dafür aber Magie. In Sequitanien sind alle Menschen wirklich gleich, und es hat jeder die Möglichkeit, seines eigenen Glückes Schmied zu sein und das zu tun, was er (oder sie) möchte. So sieht es jedenfalls aus. Doch an den Grenzen dieser scheinbar paradiesischen Welt lauert auch schon das Verderben in der Gestalt von Unzufriedenen, die nach der Herrschaft in Sequitanien streben und über die anderen herrschen wollen. Dabei scheuen sie auch nicht davor zurück, diese friedliche Welt mit Krieg zu überziehen.
Georg Milden hat die Kunst des Schwertkampfes erlernt und ist zu einem sequitanischen Schwertmeister geworden. Und so muss auch er ganz unerwartet in den Kampf ziehen. Doch er stellt sich der Herausforderung, und so beginnen sie, die Tage des Schwertmeisters. Aber diese Entscheidung führt ihn nicht nur an die Grenzen des Reiches, sondern auch an die eigenen Grenzen und darüber hinaus.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum16. Feb. 2016
ISBN9783738059465
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    Buchvorschau

    Der Mann aus Anderland - Volker Greulich

    1. Frust und Ärger

    Es war ein miserabler Tag gewesen, einer von vielen in letzter Zeit. Eigentlich gab es ohnehin seit einer ganzen Weile kaum noch gute Tage, sondern fast nur noch schlechte und wirklich schlechte. Der heutige Tag hatte wieder einmal alles gehabt, was die Stimmung so richtig versaute. Der Chef hatte wie immer lustig Arbeitsaufträge verteilt, obwohl er ohnehin kaum noch hinterher kam. Die Arbeitsbelastung hatte in den letzten Jahren ständig zugenommen. Neue Stellen waren nicht geschaffen worden, alte wurden stillschweigend gestrichen, wenn Kollegen den Betrieb verließen. Stattdessen hatten interne Reorganisationen immer damit geendet, dass seiner Stelle neue Zuständigkeiten zugefallen waren. So kam es dann zu Fehlern. Die führten dann zu Ermahnungen, dass er müsse sorgfältiger arbeiten. Es wurden zusätzliche Kontrollsysteme eingeführt, zusätzliche Formulare waren auszufüllen, und es gab einfach mehr tun.

    Er mühte sich ab, aber so allmählich fühlte er sich den Anforderungen einfach nicht mehr gewachsen. Doch die Sachen einfach hinschmeißen, das ging auch auch nicht. In seinem Alter war es nicht so einfach, eigentlich sogar fast unmöglich, einen Job in seiner Branche mit vergleichbarem Gehalt zu finden. Die Alternativen waren Hartz IV oder vielleicht ein Job im Callcenter.

    Die Tochter war zwar aus dem Haus, aber sie studierte, und dadurch wurde sein Bankkonto auch gefordert. Seine Frau hatte ihn zwar vor ein paar Jahren verlassen und war selbst berufstätig, trotzdem war die Trennung finanziell nicht folgenlos geblieben.

    Beförderungen waren schon lange kein Thema mehr, es ging nur noch darum, irgendwie über die Runden zu kommen. So ging es dann jeden Tag aufs Neue in die Tretmühle. Gerade heute hatte es wieder ein ausgesprochen unerfreuliches Telefongespräch mit einem wichtigen Kunden gegeben. Ein blöder Fehler war ihm unterlaufen, eigentlich nicht mal ihm selbst. Aber das Dokument, das rausgegangen war, hatte seine Unterschrift getragen. Und so hatte er am Telefon die ätzende Kritik über sich ergehen lassen müssen.

    Am Ende war der Tag doch irgendwie zu Ende gegangen, und er war jetzt auf dem Weg zu seinem Auto. Georg Milden war Anfang 50, leicht übergewichtig und schwer desillusioniert. Seit einiger Zeit betrieb er Sport, Fitness-Studio, Schwimmen, Laufen. Vor ein paar Wochen hatte er am Halbmarathon teilgenommen und war lebend ins Ziel gekommen. Seiner Gesundheit hatte dies gut getan. Aber an besonders schwarzen Tagen fragte er sich auch schon mal, ob ein Herzinfarkt denn nicht die reizvollere Alternative wäre.

    Dann, auf halbem Weg zwischen Büro und seinem Wagen, fing es an zu regnen. Er hatte morgens einen Schirm eingesteckt, aber der lag jetzt im Auto. So ein Mist. Er wollte nur noch nach Hause. Endlich erreichte er den Parkplatz. Den Luxus leistete sich Georg Milden, trotz hoher Benzinpreise fuhr er täglich mit dem Auto nach Köln. Auf dem Weg zur und von der Arbeit wollte er ein bisschen Ruhe und Privatsphäre haben, in der S-Bahn war das nicht möglich.

    Er schloss den Wagen auf und ließ sich in den Fahrersitz sinken. Dann legte er eine CD ein. Manowar, Heavy Metal. Das brauchte er jetzt. So setzte er sich in Bewegung, fuhr vom Parkplatz runter und quälte sich durch den Feierabendverkehr, die Abenddämmerung und den immer heftiger werdenden Regen in Richtung Autobahn. Aus dem Lautsprecher tönten die harten, elektrisierenden Rhythmen von 'Die with Honor'. Er summte mit und trommelte mit den Fingern rhythmisch aufs Lenkrad. Aber heute war er so schlecht gelaunt, dass die Musik ihn nicht wirklich ablenkte. Ehrenvoll sterben, der Ehre entgegen reiten. An dem täglichen Wahnsinn, der sein Leben prägte, war nichts wirklich großartig und ehrenvoll. Und überhaupt, ehrenvoll sterben, was sollte das denn? Er wollte sein Leben bewältigen und brachte nicht mal das zustande.

    Schließlich erreichte er die Autobahn, und dort kam er zunächst ganz gut voran. Dann kam es, wie es kommen musste: Stau. Es ging kaum noch vorwärts, und Georg Milden hatte jetzt wirklich genug. Zum Glück befand er sich in der Nähe einer Ausfahrt, da fuhr er ab. Andere Fahrer hatten sich ebenfalls für diese Variante entschieden, und der Verkehr auf der Bundesstraße war nur geringfügig weniger dicht als auf der Autobahn. Weiter der Bundesstraße zu folgen, hieße eine schier endlose Abfolge von Ampeln erdulden zu müssen, was selbst ohne hohes Verkehrsaufkommen nervend war. Deshalb entschied er sich dafür, lieber noch einen weiteren Umweg machen, und zwar über eine für gewöhnlich wenig befahrene Landstraße, die durch ein Waldstück führte. Also Blinker raus und links abgebogen.

    Hier war es besser. Mann, hatte er die Faxen dicke. Er hatte keine Lust mehr, er hatte absolut keine Lust mehr.

    Die Baustelle sah er erst im letzten Moment. Totalsperrung, die Straße war unpassierbar. Den Wagen konnte er noch gerade so abbremsen. Warum verdammt war denn da an der Abzweigung kein Schild gewesen, das auf die Sperrung hinwies. Oder hatte er es einfach übersehen? Mist, jedenfalls, Mist. Drehen konnte Georg Milden hier nicht. Aber etwa 50 Meter hinter ihm befand sich ein Wanderparkplatz, da würde er wenden. Genervt legte Georg Milden den Rückwärtsgang ein, setzte den Wagen zurück und lenkte ihn auf den Parkplatz. Als er gerade den Wagen wenden und auf die Straße zurückfahren wollte, bemerkte er aus dem Augenwinkel eine Bewegung. Verdammt, da lag am Waldrand doch jemand am Boden. Es war jetzt fast dunkel, und er konnte nur Umrisse erkennen. Auch das noch. Was würde dieser Tag noch alles bringen, nur um ihn zu quälen und von der wohlverdienten Ruhe zu Hause fernzuhalten.

    Einen Moment lang war Georg Milden versucht, einfach wegzufahren. Aber er wusste, dass er sich dann den ganzen Abend Gedanken machen würde: Was, wenn er jemanden, der vielleicht verletzt war und Hilfe brauchte, sich selbst überlassen hätte?

    Sich in sein Schicksal ergebend löste er den Sicherheitsgurt und stieg aus. Es regnete immer noch, und der Boden war matschig. Er ging zum Waldrand und wirklich, da lag eine alte Frau und wimmerte. Na, dann war es ja besser, das er sich einen Ruck gegeben hatte. Die Frau hatte ihn entdeckt. 'Söhnchen, so gut von Dir, komm und hilf mir.' Sie sprach mit einem komischen Akzent und trug altmodische Kleidung, ein knöchellanges Kleid, eine Strickjacke und ein Kopftuch, das wohl beim Sturz verrutscht war.

    'Warten Sie, ich helfe Ihnen. Sind Sie verletzt?' 'Hilf mir, Söhnchen, hilf mir auf.' Komischer Akzent und Söhnchen, wahrscheinlich eine Russlanddeutsche oder aus Kasachstan oder von sonst wo. 'Kommen Sie, dann wollen wir mal sehen, ob Sie stehen können.' Die alte Frau streckte die Hand aus, und Georg Milden ergriff sie und zog vorsichtig. Doch dann sprang die Alte überraschend flink auf, und ehe er wusste, wie ihm geschah, kletterte sie auf seinen Rücken und klammerte sich fest. Mit veränderter, krächzender, böser Stimme schrie sie ihm ins Ohr. 'Du dummer Esel, jetzt bist Du mein Sklave bis in alle Ewigkeit. Vorwärts Esel, trage Deine Besitzerin. Du wirst mich nie mehr abschütteln können. Und jetzt lauf!'

    Völlig überrascht gehorchte Georg Milden. Wie ferngesteuert stolperte er vom Parkplatz in den Wald, wo ihn die Alte hin und hertrieb. Ihr Gewicht lastete schwer auf ihm. Es war ein Albtraum, es musste ein Albtraum sein. Oder er war gegen einen Baum gefahren und war jetzt tot und in der Hölle. Aber er konnte sich genau erinnern, wie er den Wagen angehalten hatte. Und er spürte seine durchnässten Schuhe und seine kalten Füße. Das war kein Albtraum, und die Hölle war es auch nicht. Die Szene erinnerte ihn dunkel an ein angeblich russisches Märchen, dass er in der Grundschule gelesen hatte. Entweder war das Ganze ein übler Scherz, oder die Alte war durchgeknallt und aus irgendeinem Heim abgehauen.

    Er suchte nach einem weichen Untergrund und blieb dann stehen, ohne auf das Kreischen und Fluchen der Alten zu achten, die ihn weiter antrieb. Unsanft packte er ihre Hände, mit denen sie sich in ihn verkrallt hatte, und löste gewaltsam ihren Griff. Dann schüttelte er sich, und die Alte landete im Dreck. Zunächst blieb sie still. Ihr Gesicht konnte er in der Dunkelheit nicht erkennen, aber sie hatte offensichtlich nicht mit so etwas gerechnet. Dann aber brach ein Schwall übelster Flüche und Beschimpfungen aus ihr hervor. Georg Milden hatte genug und ging einfach weg. Das Fluchen verwandelte sich in Wimmern und Betteln und Flehen, aber er hörte nicht mehr hin.

    Der Regen hatte aufgehört. Irgendwas musste er jetzt tun. Am besten würde er die Polizei rufen, denn vielleicht war die Alte einfach nur verwirrt und hatte Wahnvorstellungen. So zog er sein Handy aus der Jackentasche und wollte den Polizei-Notruf wählen. Aber klar, kein Empfang. Es wäre ja auch zu schön gewesen, wenn an diesem Tag irgendetwas geklappt hätte. Also zurück zum Auto, er würde die Polizei von unterwegs anrufen. Er versuchte, sich zu orientieren. Aber es war stockdunkel, und er konnte sich nicht mehr daran erinnern, in welcher Richtung die Straße lag. Auf gut Glück entschied er sich für eine Richtung.

    Er lief eine ganze Weile durch den Wald, ohne zurück zum Parkplatz zu gelangen. Offensichtlich hatte er die falsche Richtung eingeschlagen. Aber er hatte auch keine Ahnung, welches die richtige Richtung war. Daher war es am besten, einfach weiter zu gehen, um aus diesem verdammten Wald herauszukommen. Schließlich sah Georg Milden Lichter durch die Bäume hindurch schimmern. Na gut, da waren wenigstens Häuser. Er zog sein Handy wieder aus der Tasche, doch es gab immer noch keinen Empfang. Mist, aber im Notfall würde er einfach an einem der Häuser klingeln und darum bitten, das Telefon benutzen zu dürfen.

    So stolperte er aus dem Wald und kam zu einer Wiese. Über ihm leuchteten die Sterne, keine Wolke war mehr am Himmel zu sehen. Nicht weit weg lag im Dunkeln ein Dorf, aus den Fenstern schienen Lichter. Eine Straße sah er nicht und auch keine Autos oder Straßenlaternen. In der Ferne, einige Kilometer entfernt, schien ein anderes Dorf zu liegen. Irgendwie war das alles seltsam. Im Grunde war er immer noch im Kölner Stadtgebiet. Hier müssten jede Menge Häuser zu sehen sein oder ein Gewerbegebiet, auf jeden Fall aber Straßen mit Beleuchtung und Verkehr. Denn so spät war es ja auch noch nicht.

    Und wie konnten sich die Wolken, aus denen es bis vor ein paar Minuten noch heftig geregnet hatte, in der kurzen Zeit so vollständig verzogen haben? Wie auch immer, er würde in das Dorf gehen. Wenn er dort immer noch keinen Handy-Empfang hatte, ein Telefon, Festnetz, würde es schon irgendwo geben.

    Missmutig stapfte Georg Milden durch das Gras. Er hatte keine Ahnung, wann er nach Hause kommen würde. Morgen musste er wiederum früh raus und zurück in die Tretmühle. Das war also sein Feierabend, na großartig! Schließlich erreichte er das Dorf, und auch dieses wirkte seltsam. Die Straßen waren unbefestigt, die Häuser alle eingeschossig, viele waren aus Fachwerk. Das Licht hinter den Scheiben war relativ schwach und flackerte: Kerzenlicht? Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Das war eine Filmkulisse. Dies musste ein Studiogelände sein. Ob die verrückte Alte dazu gehörte? Nun, er würde es gleich herausfinden.

    Zunächst lief er durch eine kleine Seitengasse, aber kurz darauf stand er auf der Hauptstraße des Dorfes. Kein Mensch war auf der Straße unterwegs. Etwa dreißig Meter von der Stelle entfernt, an der er stand, sah Georg Milden über einer Tür etwas, das wie ein Wirtshausschild aussah. Er ging darauf zu, und als er näher kam, hörte er Lärm aus dem Inneren des Hauses. Neben dem Schild brannten zwei Fackeln. Offensichtlich nahmen die es hier sehr ernst mit historischer Authentizität. 'Zur Goldenen Fackel', so hieß die Gaststätte. Wahrscheinlich befanden sich um diese Zeit darin die Schauspieler und das andere Personal und erholten sich vom Stress des Tages. Vor der Tür zögerte er etwas, hoffentlich platzte er jetzt nicht in eine Filmaufnahme.

    2. Die Mine

    Vorsichtig öffnete Georg Milden die Tür zur Gaststube und sah hindurch, aber nirgendwo entdeckte er eine Kamera. Die Männer und Frauen im Gasthaus trugen alle historische Kostüme. Vom technischen Personal war nichts zu sehen. Einige sahen zu ihm hinüber, die meisten ignorierten ihn. Hinter der Theke stand eine relativ große, blonde Frau, auch sie in einem altertümlichen Kleid mit einer Schürze. Sie blickte ihm voll ins Gesicht und lächelte ihn einladend an. Georg Milden trat ein und ging zur Theke. Neben ihm saß ein Mann, der versonnen sein Bierglas betrachtete. 'Entschuldigen Sie, ich müsste mal telefonieren, mein Handy funktioniert hier nicht.'

    Die Wirtin lächelte wieder. 'Natürlich funktioniert Ihr Handy hier nicht. Aber leider können Sie von hier nicht anrufen.' 'Keine Sorge, ich bezahle das Gespräch.' Die Frau war immer noch freundlich, auch wenn Georg Milden zunehmend gereizter wurde. 'Das, mein Herr, ist nicht das Problem. Wir haben kein Telefon hier.' 'Sie wollen mir doch nicht weismachen, dass es hier am Film-Set kein Telefon gibt. Was ist das, die versteckte Kamera? Locken Sie harmlose Autofahrer hierhin, um sie dann heimlich zu filmen und später im Fernsehen lächerlich zu machen.' Die Frau lachte. 'Nein, sicher nicht. Das hier ist kein Film-Set. Das ist nur ein normales Dorf-Gasthaus.' 'Verdammt noch mal, wie auch immer. Dann zeigen Sie mir wenigstens, wo die Straße ist, die Landstraße. Mein Auto steht dort. Ich muss nach Hause.'

    Er glaubte ihr kein Wort, das musste irgend so ein verrücktes Reality-TV-Format sein. Aber im Moment wollte er nur zurück zu seinem Wagen und dann nach Hause. Nichts erschien im Moment so reizvoll wie der Gedanke, vorm Fernseher in Ruhe zu Abend zu essen. Doch die Frau schien ihn immer noch auf den Arm nehmen zu wollen.

    'Es gibt hier keine Straßen, jedenfalls keine, auf denen Autos fahren.' 'Das darf doch nicht wahr sein. Ich weiß nicht, was für ein Spielchen Sie hier spielen. Aber wir sind keine 15 Kilometer vom Stadtzentrum von Köln entfernt. Sagen Sie mir, wo das nächste Telefon ist, dann rufe ich mir ein Taxi. Jedenfalls will ich jetzt hier weg.

    Der Mann mit dem Bierglas hatte zuletzt aufmerksam zugehört. 'Ingrid, der Mann kommt aus Anderland wie Du, er versteht nicht, wo er ist.' 'Sicher, Andries, aber wie Du siehst, ist unser Gast müde und erschöpft. Er muss jetzt erst einmal etwas essen und sich anschließend ausruhen. Morgen sehen wir dann weiter.'

    Dieses Gespräch über ihn, in seiner Gegenwart, ließ Georg Milden fast explodieren. 'Entschuldigung. Ich will mich nicht ausruhen, jedenfalls nicht hier. Ich will nach Hause. Und wenn Sie mir weiter etwas vorspielen, dann verklage ich Sie. Was immer Sie vorhaben, ich bin nicht Ihr Versuchsobjekt. Entweder lassen Sie mich jetzt telefonieren, oder Sie zeigen mir den Weg zur Straße, also bitte!'

    Der Mann neben ihm schüttelte stumm den Kopf und konzentrierte sich wieder auf sein Bierglas. Ein paar Gäste, die in der Nähe saßen, hatten sich neugierig umgedreht. Aber die Wirtin sah ihn fast mitleidig an. 'Ich würde Ihnen gerne helfen, aber das kann ich nicht. Es gibt hier kein Telefon, und Sie sind hier auch nicht in der Nähe von Köln. Sie sind in Sequitanien, und heute kommen Sie mit Sicherheit nicht mehr nach Hause. Sie sollten sich jetzt an einen freien Tisch setzen.' 'Also wirklich, ich lasse mich doch nicht zum Narren halten. Ich gehe jetzt und suche mir selbst den Weg.' Der Mann neben ihm warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. 'Die Wirtin meint es gut mit Euch. Da draußen ist es dunkel, und wenn Ihr etwas findet, dann allenfalls ein Dorf wie dieses. Aber wahrscheinlich werdet Ihr Euch vorher im Dunkeln die Beine brechen.'

    Georg Milden wollte eine scharfe Antwort geben, aber er ließ es. Dies war alles seltsam, aber es wurde auch immer später. Selbst wenn es eine Fernsehsendung war, und etwas anderes kam als Erklärung eigentlich nicht in Frage, sollte er besser gute Miene zum bösen Spiel machen. Er war hungrig und müde und hatte tatsächlich nicht die geringste Lust, da draußen in der Dunkelheit im Matsch herumzustolpern. Morgen, bei Tageslicht, würde sich alles aufklären. Die Leute vom Sender würden sein Büro benachrichtigen und die Verantwortung übernehmen müssen. Aber jetzt wollte er etwas essen und ein kaltes Bier trinken.

    'Gut, wir reden morgen weiter.' Die Wirtin nickte freundlich, und mürrisch ging Georg Milden zu einem der wenigen freien Tische. Er erwartete, dass ihm die Speisekarte gebracht würde, aber die Wirtin servierte ihm stattdessen ein großes Tablett mit einem Krug Bier, kaltem Braten, Käse, Brot, Butter und etwas, was entfernt an gewürfelte Salzgurken erinnerte.

    'Hier, stärken Sie sich. Ich weiß, dass Sie eine anstrengende Reise hinter sich haben. Vor ein paar Jahren habe ich Ähnliches durchgemacht. Als ich hier angekommen bin, habe ich geglaubt, ich hätte Halluzinationen. Aber dann habe ich verstanden wo ich bin, und jetzt bin ich gerne hier. Ruhen Sie sich aus, morgen im Tageslicht sieht alles anders aus. Ich heiße übrigens Ingrid Hansson und komme eigentlich aus Schweden.' Georg Milden sagte nichts, er konzentrierte sich auf das Essen. Es schmeckte gut, auch wenn das Bier und das Fleisch einen etwas ungewohnten Geschmack hatten. Er merkte, welchen Hunger er hatte. Außerdem glaubte er der Frau kein Wort. Während er sie schweigend betrachtete und kräftig kaute, fiel ihm auf, dass die Frau eigentlich ganz attraktiv war. Sie war schätzungsweise Anfang 40, kräftig gebaut, aber nicht dick, nicht unbedingt eine Schönheit, aber durchaus ansehnlich. Schwedin? Sie sprach perfekt Deutsch.

    In der Tat, der neue Tag würde die Tatsachen ans Licht bringen, bis dahin würde er gar nichts mehr sagen, sondern nur noch essen und schlafen. Morgen würden die Verantwortlichen wegen dieser schlechten Geschichte von ihm ganz schön was zu hören bekommen.

    Als er das Essen beendet hatte, räumte eine junge Frau das Geschirr ab. Die Wirtin kam zurück und bot ihm an, ihm sein Zimmer zu zeigen. Sie gingen in einen Anbau im hinteren Teil des Hauses. Das Zimmer war sauber, aber kärglich eingerichtet. Es gab ein großes Bett mit großen Kissen und einem schweren Federbett, einen hölzernen Tisch und einen hölzernen Stuhl. In dem ganzen Raum war kein Plastik und nichts, das nach Elektronik aussah. Dafür brannte auf dem Tisch eine Kerze. 'Und wo ist das Bad?'

    Die Wirtin wies auf einen großen Wasserkrug und eine Zinkwanne auf dem Boden. 'Die Toiletten sind draußen. Wenn Sie noch etwas brauchen, rufen Sie mich. Ansonsten wünsche ich Ihnen eine gute Nacht.' Georg Milden schluckte einige bissige Bemerkungen hinunter, die ihm auf der Zunge lagen. Als die Frau das Zimmer verlassen hatte, nahm er die Kerze in die Hand, ging durch den Flur und hinaus in den Hof zu den Toiletten. Es verwunderte ihn überhaupt nicht, dass sich die Außentoiletten als Latrinen erwiesen. Wenigstens waren sie einigermaßen sauber und rochen nicht allzu streng. Als er fertig war, kehrte er zurück ins Zimmer.

    Dort zog er sich Jacke und Schuhe aus und ließ sich aufs Bett fallen. Als er in die weiche Matratze sank, bemerkte er, wie müde er war. Da wurde es ihm klar. Das alles war ein Traum, er würde aufwachen und sich dann entweder im Auto oder in seinem Bett wiederfinden. Und kurz bevor in einen tiefen Schlaf fiel, war sein letzter Gedanke die Frage, was es denn wohl sein würde, Auto oder Bett?

    Es war ein kräftiger Druck auf der Blase, der Georg Milden zwang aufzuwachen. Ohne die Augen zu öffnen, tastete er die Umgebung ab. So ein Glück, er lag im Bett. Er musste es bis nach Hause geschafft haben und hatte dort einen Albtraum gehabt. Noch im Halbschlaf setzte er sich auf. Er würde auf die Toilette gehen, seine Toilette mit Wasserspülung. Dann öffnete er die Augen. Es war schon hell, und er war nicht in seinem Zimmer. Stattdessen befand er sich immer noch in diesem verdammten Gasthaus.

    Also doch ein Film-Set? Irgendeine abgedrehte Reality-Show? Irgendwie kam ihm der Gedanke aber heute morgen nicht mehr wirklich überzeugend vor. Doch die Erklärung, die er von dieser Ingrid Hansson erhalten hatte, die konnte doch nun wirklich nicht stimmen. Oder vielleicht doch? Der Druck auf der Blase wurde langsam unerträglich, und er schlüpfte in seine Schuhe und schlich niedergeschlagen zu den primitiven Außentoiletten.

    Wieder im Zimmer versuchte er so gut wie möglich, sich mithilfe der Zinkwanne und des Wassers etwas frisch zu machen. Seine Kleider, in denen er geschlafen hatte, fingen an, streng zu riechen. Natürlich hatte er keine Sachen zum Wechseln dabei. Ohne große Hoffnung zog er sein Handy hervor. Natürlich noch immer kein Empfang, dafür war die Batterie mittlerweile fast leer. Der Akku lag natürlich zu Hause, aber das war auch egal, denn schließlich schien es an diesem Ort keine Steckdosen und überhaupt keinen elektrischen Strom zu geben.

    Er sah auf die Uhr. Die zeigte halb acht. Anscheinend stimmte die Zeit einigermaßen. So begab er sich dann in die Gaststube, die um diese Zeit fast leer war. Die Wirtin sah ihn kommen und strahlte ihn fröhlich an. 'Guten Morgen, mein Herr. Sie sehen so aus, als ob Sie ein gutes Frühstück vertragen könnten.' 'Ich vermute, Sie wollen mir immer noch weismachen, dass ich in, wie hieß der Ort noch mal, bin?' Ingrid Hansson schenkte dem schlecht gelaunten Gast ein mitleidiges Lächeln. 'Ich will Ihnen nichts weismachen. Das ist nun einmal eine Tatsache. Wir sind hier in Sequtanien. Das Dorf heißt Wassenpol, und es liegt in der Provinz Geerenfurt.' 'Mann, ich würde es Ihnen fast glauben, aber das ist doch einfach zu abgefahren.' 'Sie werden es noch glauben. Aber erst einmal sollten Sie frühstücken.'

    Die Wirtin brachte Brot, Eier mit Speck, Käse und Schinken, einen Krug Milch und ein Glas Honig, dazu einen Teller, Messer und Gabel und einen Krug. 'Ein bisschen viel Cholesterol. Und Kaffee wäre auch nicht schlecht.' Die Frau lachte schallend und tätschelte ihm den Arm. 'Kaffee gibt's hier nicht. Und um Ihren Cholesterin-Spiegel brauchen Sie sich heute mal keine Sorgen zu machen. Langen Sie zu.'

    Das tat Georg Milden dann auch. An seiner Situation konnte er im Moment ohnehin nichts ändern. Er wusste ja nicht einmal, in was für einer Situation er sich eigentlich genau befand. Ein gutes Frühstück konnte da nun wirklich nicht schaden. Und gut war das Frühstück, daran war nun wirklich nichts auszusetzen. Die Speisen schmeckten anders als zu Hause, wahrscheinlich Bio-Produkte.

    Als er fertig war, räumte die Frau den Tisch ab. 'Es sind Leute für Sie gekommen, die warten draußen auf Sie?' Georg Milden wusste nicht, ob er alarmiert oder erfreut sein sollte. Wer könnte denn etwas von ihm wollen? Natürlich diejenigen, die für diese abgefahrene Show verantwortlich waren. 'Was für Leute? Ich meine, ich kenne hier niemanden.' 'Es sind Bedienstete von Lord Firrenbrock, dem Magistrat. Ich habe ihm Ihr Kommen angezeigt. Und jetzt will er Sie sehen. Das ist so üblich.'

    'Na, ich hoffe seine Lordschaft,' er legte soviel Ironie in seine Stimme wie er konnte, 'stört es nicht, dass ich so dreckig vor ihm erscheine.' Er zeigte auf seine Kleidung, die in der Tat nicht mehr besonders ordentlich aussah. Aber seine Ironie prallte an Ingrid Hansson ab. 'Sie sind nicht der erste, der hier in Wassenpol durch die Pforte aus Anderland kommt. Der Lord ist an eine etwas zerzauste Erscheinung seiner Besucher gewöhnt. Aber ich werde den Schneider bitten, dass er nachher vorbeischaut.' 'Na gut, vielleicht ist das keine schlechte Idee.' Natürlich hoffte Georg Milden noch immer, dass sich alles in Wohlgefallen auflösen und er spätestens bis zum Abend nach Hause zurückkehren würde. Für einen Moment dachte er daran, was sein Chef wohl dazu sagen würde, dass er einfach nicht zur Arbeit erschienen war. Aber im Moment war das nun wirklich seine geringste Sorge. Dann erinnerte er sich an die alte Frau vom Vorabend, er hatte den Gedanken an sie völlig verdrängt. Vielleicht irrte sie da draußen herum. Nun, mittlerweile war sie sicher gefunden worden, aber trotzdem …

    Er erzählte Ingrid Hansson von der Frau, aber die schüttelte nur den Kopf. 'Keine Sorge, die alte Frau gehört zur Pforte.' Sie bemerkte, dass er sie verständnislos ansah. 'Ich erkläre Ihnen das heute Abend. Sie sollten den Lord nicht warten lassen.'

    Widerwillig ging Georg Milden zur Tür und trat auf die Straße. Auf der Straße waren einige Menschen unterwegs. Sie alle trugen diese seltsam altertümliche Kleidung. Vor dem Gasthaus stand eine Kutsche, und bei deren Anblick blieb dem Mann fast das Herz stehen. Genau genommen war es nicht die Kutsche, vielmehr waren es die beiden Zugtiere. Solche Tiere hatte er noch nie gesehen, nicht einmal in Fantasy-Filmen. Sie hatten eine entfernte Ähnlichkeit mit Büffeln und ein zotteliges Fell. Aber obwohl ihre Hinterbeine ausgesprochen kräftig waren, so waren ihre Vorderläufe erstaunlich dünn und wesentlich kürzer.

    Neben der Kutsche standen zwei Männer. Der Ältere trug etwas, das wie eine Livree aussah, der jüngere ein Kettenhemd und ein Schwert. Die beiden Männer bemerkten, wie er die Tiere anstarrte. Der Ältere räusperte sich. 'Seid gegrüßt, Anderländer. Ich bin Haigar vom Jagdfeld, Herold des Ehrenwerten Lords Firrenbrock. Der Ehrenwerte Lord wünscht Euch zu sprechen.' Er sah, dass Georg Milden die Augen nicht von den Tieren abwenden konnte. 'Ich vermute, Anderländer, dass Ihr noch nie ein Sassol gesehen habt?' 'Sassol?' 'Diese Tiere dort, Sassols, Zugtiere.' 'Habt Ihr denn keine Pferde?' 'Ich habe von Pferden gehört. Die meisten Anderländer wundern sich, wenn sie zum ersten Mal Sassols sehen. Aber nein, Pferde gibt es in Sequitanien nicht.' Der Herold bemerkte, dass der Fremde noch Fragen hatte.

    'Wenn Ihr nun bitte einsteigen wollt, der Ehrenwerte Lord erwartet Euch.' Widerstrebend bestieg Georg Milden die Kutsche. Der Schwertträger fungierte auch als Kutscher, und so setzte sich das Gefährt, gezogen von den seltsamen Tieren in Bewegung. Sie fuhren die Dorfstraße entlang und erreichten bald das offene Feld. Die Straße war nichts weiter als eine Erdpiste zwischen den Feldern. Weit und breit gab es nichts als Felder, ein paar Bauernhöfe, kleine Waldstücke, ein weiteres Dorf. Keine Straßen, jedenfalls keine asphaltierten Straßen, keine Strommasten und nichts was nach 21. Jahrhundert aussah.

    Nach einer kurzen Weile erreichten sie eine Weggabelung, und die Kutsche bog nach links ab, genau in Richtung auf den Wald, aus dem Georg Milden gestern Abend herausgekommen war. Mit einem Mal ergriff ihn eine schon verloren gegangene Zuversicht. Es war eben doch alles nur ein schlechter Scherz. Irgendwie war alles nur Fassade, eine sehr eindrucksvolle Fassade, das musste er zugeben. Und natürlich sahen diese Tiere, die 'Sassols', täuschend echt aus. Aber hinter dem Wald würden sie auf die Landstraße stoßen, auf der er gestern stecken geblieben war, und die er gut kannte. Sie würden vielleicht gut einen Kilometer von der Stelle entfernt auf die Straße stoßen, an der sein Auto parkte. Im Licht der Kameras würde ein grinsender Showmaster ihn begrüßen und ihm und den Zuschauern erklären, was das alles sollte. Dann würde der Showmaster ihn, Georg Milden, fragen, wie er sich gefühlt hätte. Und er, Georg Milden, würde dem Showmaster vor laufender Kamera in die Fresse hauen. Dann wäre der Albtraum vorbei. Mit einem Mal befiel ihn eine angenehme Leichtigkeit. Und er würde auch heute nicht mehr ins Büro gehen, denn das konnte nun wirklich niemand von ihm verlangen.

    Die Kutsche bog in den Wald ein und fuhr stetig weiter. Dann führte der Weg wieder aus dem Wald hinaus, und Georg Milden fühlte, wie alle Hochstimmung ihn verließ. Da war keine Straße. Da war auch kein Platz für eine Straße. Da war vielmehr ein nettes kleines Tal, durch das ein Bach floss, an dem ein kleiner Weiler lag. Und am Rande dieses Weilers stand ein eindrucksvolles Herrenhaus, und auf dieses Herrenhaus fuhren sie zu.

    Das alles war keine Fernsehkulisse: das Gasthaus, in dem er übernachtet hatte, die Sassols, die Männer in ihrer lächerlichen Kleidung. Er war nicht mehr außerhalb von Köln, Georg Milden war in Sequitanien, wo immer dies liegen mochte. Die Kutsche hielt vor dem Herrenhaus, das etwas abseits von den anderen Häusern des Weilers auf einem kleinen Hügel lag. Hier stand am Tor ein Wächter, der ebenfalls mit einem Schwert bewaffnet war. Der Herold stieg von der Kutsche herunter und wies Georg Milden an, ihm zu folgen.

    Sie betraten das Haus. Die Blicke des Wächters folgten ihnen, doch er blieb auf seinem Posten, als sie durch die Tür traten. Die beiden Männer befanden sich in einem riesigen Treppenhaus, von dem aus eine Treppe in die oberen Stockwerke führte. Doch anstatt die Treppe hochzusteigen, führte der Herold den Besucher durch einen breiten Gang, an dessen Ende sich ein Salon befand. Die Tür stand offen.

    An der gegenüberliegenden Seite eröffneten große Fenster den Blick auf einen kleinen Park. An den anderen Wänden hingen Bilder, an einer Wand stand außerdem ein Bücherregal. In der Mitte des Raumes befanden sich ein paar Sessel, die um einen kleinen Tisch herum aufgestellt waren. Und dort wartete ein relativ kleiner und ziemlich dicker Mann, fast kahlköpfig, der eine weiße Bluse und eine dunkelblaue Weste trug. Ohne sich aus seinem Sessel zu erheben, winkte er dem Herold zu. Dieser stieß Georg Milden leicht an und deutete mit einem knappen Nicken auf einen der leeren Sessel. Der Dicke wartete, bis sein Besucher Platz genommen hatte. 'Seid gegrüßt Anderländer. Ich bin Lord Firrenbrock, Magistrat dieses Amtsbezirks. Und es ist Sitte, dass ich die Anderländer, die in meinem Amtsbezirk durch die Pforte gekommen sind, hier empfange.' Georg Milden wusste nicht so recht, was er sagen sollte.

    'Wie ist Euer Name, Anderländer?' 'Georg Milden, und ich muss sagen, ich bin verwirrt.' Der Lord nickte verständnisvoll. 'Das wundert mich nicht. Der Weg durch die Pforte muss für Euch eine Überraschung gewesen sein. Und wie Ihr zweifelsohne bereits gesehen habt, unterscheidet sich Sequitanien in vielen Dingen von Anderland.' 'Da haben Sie Recht, Lord Firrenbrock. Es ist alles verwirrend, wie ich schon sagte.' 'Nun, ein Glas Wein kann nicht schaden. Der Wein schmeckt hier jedenfalls nicht viel anders als in Anderland, so hat man mir zumindest versichert.' Ein Diener war lautlos in den Salon getreten und brachte ein silbernes Tablett mit einer gläsernen Karaffe und zwei Weinkelchen. Der Herold hatte sich unterdessen ebenso unbemerkt entfernt.

    Der Diener schenkte ihnen ein und der Lord prostete seinem Gast aufmunternd zu. Der Wein jedenfalls war nicht schlecht, ein dunkler Roter, aber er unterschied sich im Geschmack doch etwas von den Weinen, die der Anderländer kannte, irgendwie erdiger. Aber Georg Milden bemerkte, dass der Wein ihm gut tat. Er entspannte sich etwas. Währenddessen sah in der Lord aufmerksam an.

    'Nun, wir heißen alle Anderländer, die nach Sequitanien kommen, willkommen. Wir verlangen lediglich, dass sie sich an unsere Gesetze halten. Diese sind nicht sehr kompliziert. Man darf einem anderen Menschen nicht wissentlich Schaden zufügen, ihm nichts wegnehmen, ihn nicht verletzen oder gar töten, Ihr wisst schon. Ansonsten werdet Ihr ohne Frage schnell lernen.' 'Um ehrlich zu sein interessiert mich viel mehr, wie ich wieder nach Hause zurückkomme. Ich habe eigentlich nicht vor hierzubleiben. Sagen Sie mir nur, wie ich wieder zurückkomme, nach Anderland, wie Sie das nennen.'

    Der dicke Lord lächelte seinen Besucher beschwichtigend an. 'Nun, das verstehe ich, mein Herr. Wirklich, das verstehe ich. Es ist nur so, ich weiß nicht, wie man von hier nach Anderland kommt. Es soll Anderländer geben, die den Weg zurück gefunden haben, so habe ich gehört. Aber ich weiß nicht, wie das gehen sollte. Also müsst Ihr wohl erst einmal wohl oder übel hier bei uns bleiben. Und damit stellt sich natürlich die Frage, wie Ihr Euren Lebensunterhalt bestreiten werdet.'

    'Nun, das ist wirklich eine Frage, aber …' Doch der Lord erhob die Hand und sprach weiter. 'Nein, nein, hört mir zu. Da gibt es keine Frage. Ihr werdet jetzt in die Mine gebracht, und da findet sich dann alles Weitere.' Georg Milden wollte aus dem Sessel hochfahren, aber eine starke Hand hielt ihn zurück. Er drehte sich um und sah, dass der Kutscher hinter ihm stand. Außerdem war ein weiterer Wächter in den Salon getreten, einer, den er zuvor noch nicht gesehen hatte, der aber auch ein Schwert an der Seite trug.'

    'Was soll das? Ich habe nichts getan. Und wenn das Ihre Form der Bestrafung für illegale Einreise ist, dann muss ich sagen, das ich nicht freiwillig hier bin.' Beschwichtigend hob der Lord die Hände. 'Strafe? Wieso sollten wir Euch bestrafen wollen? Wir geben Euch lediglich die Gelegenheit, Euren Lebensunterhalt zu verdienen. Was regt Ihr Euch auf? Das ist völlig unnötig. Ihr solltet uns vielmehr dankbar sein.'

    'Na klar. Dankbar.' Georg Milden gab sich gar nicht erst die Mühe, seine Bitterkeit zu verbergen. Aber er erkannte auch, dass jeder Protest sinnlos war. Der Kutscher gab ihm ein unmissverständliches Zeichen zu folgen. Mürrisch stand er auf und ging zur Tür, ohne sich zu verabschieden, gefolgt von den beiden Bewaffneten. Dann verließen sie das Gebäude durch den langen Gang und das Treppenhaus und traten vor die Tür, wo die Kutsche mit den beiden Sassols wartete. Der Kutscher kletterte auf den Kutschbock, während der andere Wächter zusah, wie Georg Milden einstieg. Dieser zögerte und spielte einen Moment lang mit dem Gedanken, einfach wegzulaufen. Aber wohin hätte er laufen sollen, ganz allein in einem fremden Land oder einer fremden Welt oder wo auch immer.

    Der zweite Wächter folgte dem Anderländer und setzte sich neben ihn. Dann setzte sich das Gefährt wieder in Bewegung. Sie fuhren durch den Weiler und dann auf einer kleinen Steinbrücke über den Bach. Auf der anderen Seite des Baches ging es dann weiter das Tal hinauf.

    Georg Milden konnte es nicht fassen. Es kam ihm alles vor wie ein Albtraum, völlig irreal, geradezu aberwitzig. Gleichzeitig war ihm jetzt aber klar, dass dies kein Traum war, sondern die Realität. Eine Realität, in der er zusammen mit Männern mit Schwertern in einer Kutsche fuhr, die von irgendwelchen Fabelwesen gezogen wurden, um in einer Mine Zwangsarbeit zu leisten. Das Tal wurde allmählich enger. Sie

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